Tagesdosis 22.9.2018 – CDS: Die größte Gefahr im globalen Finanzsystem

Ein Kommentar von Ernst Wolff.

Das globale Finanzsystem wird zurzeit von drei Trends beherrscht: Die Warnsignale nehmen zu, die Politik ignoriert sie konsequent und die Mainstreammedien bemühen sich nach Kräften, uns alle in Sicherheit zu wiegen.

Umso wichtiger ist es, den Ernst der Lage zu erkennen und die größten Gefahren, mit denen wir konfrontiert sind, zu identifizieren. Hier stehen an vorderster Front die ungedeckten Kreditausfallversicherungen, die auf Englisch credit default swaps (CDS) heißen.

CDS zählen zu den Derivaten und damit zu den meistverbreiteten Finanzprodukten unserer Zeit. Sie sind in den Neunziger Jahren von einer JPMorgan-Bankerin erfunden und vom amerikanischen Großinvestor Warren Buffett nach ihrer Einführung als „finanzielle Massenvernichtungswaffen“ bezeichnet worden.

Buffets Einschätzung hat sich bereits mehrmals bestätigt: CDS haben entscheidend zum Beinahe-Zusammenbruch des globalen Finanzsystems in den Jahren 1998 und 2008 beigetragen und zwischen 2010 und 2015 dazu geführt, dass Griechenlands Zahlungsfähigkeit im Zuge der Eurokrise durch mehrere Finanzspritzen der Troika erhalten werden musste.

Die Idee der Blythe Masters

Im Grunde ist die Absicherung eines Kredites ja sinnvoll: Da in unseren turbulenten Zeiten niemand garantieren kann, dass ein Kreditnehmer nach Ablauf der vereinbarten Laufzeit tatsächlich in der Lage ist, fällige Zahlungen zu leisten, kann man sich gegen dieses Risiko absichern, indem man eine gedeckte Kreditausfallversicherung abschließt: Man zahlt der Bank einen bestimmten Betrag, und die Bank garantiert im Gegenzug, dass man das Geld selbst dann bekommt, wenn der Kreditnehmer ausfallen sollte.

Das alles sind klare Abmachungen, die niemandem schaden, sondern allen Beteiligten nützen. Nun aber kommen Blythe Masters und ihr Team von JPMorgan ins Spiel: Ihre Mitte der 90er Jahre entwickelte ungedeckte Kreditausfallversicherung CDS kann nämlich nicht nur vom Kreditgeber, sondern von jeder beliebigen Person oder Institution, die nicht an der Kreditvergabe beteiligt war, abgeschlossen werden – und das nicht nur bei einer Bank, sondern bei beliebig vielen Banken.

Vordergründig Versicherung, in Wirklichkeit Spekulationsinstrument

Was bedeutet das? Das bedeutet, dass sich Profis im Finanzgewerbe, die mehr Informationen besitzen als andere Marktteilnehmer (oder das zumindest glauben), umgehend auf die Suche nach Unternehmen machen, von denen sie annehmen, dass sie ihre Kredite möglicherweise nicht zurückzahlen können, und darauf CDS abschließen.

Das allein hat schon erhebliche Folgen: Es bewirkt nämlich, dass sich der Schaden im Fall des tatsächlichen Zusammenbruchs eines Unternehmens vervielfacht, da die Ausfallversicherungen ja nicht nur an den Kreditgeber, sondern auch an all diejenigen, die sie als Unbeteiligte abgeschlossen haben, ausgezahlt werden müssen.

Es geht aber noch weiter: Statt auf die Zahlungsunfähigkeit eines Unternehmens zu warten oder darauf zu hoffen, können Großinvestoren auf Grund ihrer Marktmacht sogar nachhelfen: Sie können den Untergang eines Unternehmens nämlich beschleunigen oder im Extremfall sogar selbst herbeiführen.

Das funktioniert folgendermaßen: Man sucht sich ein Unternehmen, das nicht auf festen Beinen steht, schließt massenweise CDS darauf ab, kauft es anschließend auf, schlachtet es aus und treibt es in den Ruin. Die Folge: Das Unternehmen wird aufgelöst, Arbeitsplätze gehen verloren, aber der Verursacher der Misere profitiert.

Alarmstufe rot – aber es wurde nichts unternommen

Auf solche Profite haben 1998 im Fall des amerikanischen Hedgefonds Long Term Capital Management (LTCM) diverse Großinvestoren gehofft. Als LTCM in Schwierigkeiten geriet, schlossen sie reihenweise CDS auf den Hedgefonds ab. Als LTCM tatsächlich zahlungsunfähig wurde, hätte deren Auszahlung jedoch mehrere Banken überfordert und das Finanzsystem ins Wanken gebracht. Deshalb taten sich eine Reihe betroffener Wall-Street-Banken zusammen, nahmen Verluste von fast $ 4 Mrd. in Kauf und hielten den Hedgefonds am Leben, sodass keine Zahlungen fällig wurden.

2008 hat sich das Spiel dann mit dem amerikanischen Versicherungs-Giganten AIG wiederholt. In diesem Fall waren die erforderlichen Summen allerdings so hoch, dass die Banken überfordert waren und Regierung und Zentralbank einspringen mussten, um AIG über Wasser zu halten.

Ab 2010 nahm das Spiel noch größere Dimensionen an: Spekulanten wetteten auf den Bankrott Griechenlands (der tatsächlich bevorstand) und schlossen so viele CDS ab, dass das Land von der Troika aus EZB, IWF und EU-Kommission gerettet werden musste, um die Fälligkeit von Zahlungen in unbekannter Höhe abzuwehren und einen Dominoeffekt zu verhindern, der das globale Finanzsystem mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Einsturz gebracht hätte.

Alle drei Fälle zeigen: Ungedeckte Kreditausfallversicherungen sind nur dem Namen nach Versicherungen. Deren ursprünglicher Sinn und Zweck besteht ja darin, Schaden vom Versicherungsnehmer abzuwenden oder zumindest einzugrenzen. Ungedeckte Kreditausfallversicherungen dagegen sind reine Spekulationsinstrumente – nicht nur volkswirtschaftlich schädlich und zerstörerisch, weil sie einzelnen Marktteilnehmern erlauben, sich zum Nachteil anderer zu bereichern, sondern auch höchst gefährlich, da sie das Potenzial haben, das gesamte globale Finanzgebäude zum Einsturz zu bringen.

Trotzdem ist bis heute weltweit nichts gegen sie unternommen worden. Im Gegenteil: Ihr Umfang hat sogar zugenommen und es gibt diverse sogenannte Geier-Hedgefonds, die sich auf ihren Einsatz spezialisiert haben und tagtäglich rund um den Globus Ausschau nach geeigneten Opfern halten.

Noch gefährlicher macht das Ganze die Tatsache, dass CDS nicht über die Börse gehandelt werden, sondern als OTC (over the counter = über den Tresen)-Geschäfte zwischen zwei Handelspartnern direkt abgeschlossen werden können und sich damit jeglicher behördlicher Aufsicht und auch einer genauen statistischen Erfassung entziehen.

Die Frage, vor der wir heute stehen, lautet deshalb nicht: Wird es einen weiteren Fall wie 1998 oder 2008 geben? Sondern: Wann wird dieser Fall eintreten, wie groß wird der Schaden ausfallen und vor allem: Wird es angesichts der in den vergangenen zehn Jahren gestiegenen Risiken noch einmal gelingen, einen Systemkollaps zu verhindern?

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