Tagesdosis 22.3.2018 – Deutschland: ein geteiltes Land

Ein Kommentar von Bernhard Loyen.

Gestern erfuhr man sehr ehrliche Gedanken unserer Kanzlerin zum Zustand des Landes und seiner Bürger. Ob sie dann wirklich diese, ihre ureigenen Gedanken formuliert hat, oder ob sie professionell und routiniert die vorbereitete Rede abspulte, muss jeder Bürger wiederum für sich selbst raushören.

Die Kanzlerin liess uns also in ihrer Regierungserklärung folgendes wissen, Originalzitat: ….obwohl unser Land also gut da steht, ja mehr noch, obwohl es uns wirtschaftlich noch nie so gut wie seit der Wiedervereinigung geht, machen sich viele Menschen Sorgen um die Zukunft. Ist der Ton der Auseinandersetzung rauer geworden. Ist der Respekt vor unterschiedlichen Meinungen zurück gegangen. Ist die Angst vor falschen Informationen gewachsen. Sind die Sorgen um den Zusammenhalt unserer Gesellschaft größer geworden. Den Zusammenhalt der Älteren und Jüngeren, von Ost und West, Stadt und Land. Von Menschen, die hier Generationen leben und denjenigen, die als Migranten und Flüchtlinge zu uns gekommen sind(1). Aufschlussreiche Formulierungen aus Frau Merkels Gedankenwelt.

Deutschland, geteiltes Land. Seit Wochen diskutiert dieses Land über Menschen, die einerseits die Notwendigkeit leben von sog. Tafeln ihre wöchentliche Lebensmittelration zu erhalten und denjenigen die mit der stetig wachsenden Nachfrage und der damit forcierten Organisation alleine gelassen werden. Ehrenamt trifft auf Armut.

Deutschland, geteiltes Land. Seit Monaten diskutiert dieses Land auch über Menschen die zum täglichen Überleben unterbezahlt, schlecht ausgestattet, mit befristeten unsicheren Arbeitsverträgen, bei Wind und Wetter per Fahrrad denjenigen, die aus schlichter Bequemlichkeit sich ihr, bitte auch warmes, Essen nach Hause liefern lassen. Lebenssicherung trifft auf unreflektierte Faulheit.

Bleiben wir bei den Essenslieferanten. Die Arbeitgeber sind bekannt und deutschlandweit in Ballungszentren verbreitet- Delivery Hero, Lieferando, Foodora. Junge Menschen sehen anfänglich in der Arbeit vermeintliches easy money, realisieren aber schnell es ist ein knallharter und gefährlicher Knochenjob. Man schließt sich zusammen und möchte schlichte Arbeitnehmerrechte in Anspruch nehmen. Zum Beispiel sich organisieren. Einen Betriebsrat gründen. Gründe genug gibt es. Die Gegenwehr der Firmen ist immens und es verschärft sich der Umgangston.

Die Rahmenbedingungen sollten soweit bekannt sein, können aber nochmals erklärt werden. Bis zu 80% befristete Einstellungen. Stundenlohn zwischen 0€ und höchstens 10€. 0€ gibt es für diejenigen, die schlicht keine Aufträge erhalten, z.B im Sommer. Da möchte der bequeme Bürger dann doch in der Sonne genießen. Das Hauptarbeitsmittel, das Fahrrad muss selbst finanziert und gewartet werden. Keinerlei Versicherungen, z.B bei Unfällen. Lohnausfall bei Krankheit. Das nötige Smartphone mit entsprechenden Konditionen muss ebenfalls aus eigener Tasche bezahlt werden, da Dienstantritt und Auftragsbestätigungen, sowie Arbeitskontrolle über eine App erfolgen.

Das Geschäft boomt, aber nicht für alle. Der Sprecher von Foodora Deutschland, Vincent Pfeiffer verkündet in einer aufschlussreichen Doku auf Arte mit dem Titel “Kuriere am Limit? Heiße Ware per Fahrrad” schmunzelnd: Die Bewertung lag, nach meinem letzten Kenntnisstand, bei 4.4 Milliarden Euro zum Stichtag der Börsennotierung(2). Das Schmunzeln ist jedoch vielen Fahrern inzwischen vergangen. Man geht offensiver gegen die Arbeitgeber vor. Am 13.April heißt es bundesweit für alle Fahrer, Angestellten und Unterstützer: Aktionstag Schwarzer Freitag. Die Organisatoren von der Initiative aktion ./. arbeitsunrecht e.V. informieren auf ihrer Seite: Warum wurde Deliveroo für den Aktionstag Schwarzer Freitag, 13. April 2018 nominiert? Betriebsratsbehinderung durch Massenentlassung, Scheinselbständigkeit, Ketten-Befristung als Drohkulisse, Niedriglohn, der zum Leben nicht reicht, Asoziale Experimente mit Null-Euro pro Stunde und Ein-Stunden-Schichten(3). Es wird noch besser: Im November 2017 haben Deliveroo Fahrer_innen in Köln gegenüber der Geschäftsführung den Wunsch nach einem Betriebsrat geäußert. Sie organisierten sich über die facebook-Seite Liefern am Limit und in der Gewerkschaft NGG. Das Management in Berlin reagierte durch ein gezieltes Abschmelzen der Festangestellten.  Es würde zukünftig auf selbstständige Kuriere gesetzt werden, hieß es. Zum Zeitpunkt der Wahl am 16. Februar 2018  waren von schätzungsweise fast 200 Fahrer*innen nur noch ca. 35 wahlberechtigte Festangestellt vorhanden, so dass der Betriebsrat statt 7 Sitzen nur noch 3 Mitglieder gehabt hätte. Mithilfe der NGG konnte dann allerdings ein 5-köpfiges Gremium durchgesetzt werden, da Deliveroo die letzten Entlassungen zu spät vorgenommen und die entsprechende Wählerliste verspätet eingerichtet hatte.

Deutschland, geteiltes Land. Der Einzelhandel in Deutschland und seine damit verbundenen Existenzen stirbt nicht durch Amazon, sondern aufgrund der gelebten Bequemlichkeit und Ignoranz seiner ehemaligen Kunden. Der Druck auf Paketzusteller, bei stetig bescheideneren Arbeitsbedingungen, wächst durch die ungebremste Konsumgier der Online Jünglinge und Junkies. Das unreflektierte HappiHappi Ordern fördert den Reichtum der Anbieter, nicht den der ausführenden Erfüllungsgehilfen auf ihren Fahrrädern. Solange der Konsumgedanke, den Solidargedanken vernebelt, abtötet wird dieses Land ein geteiltes Land bleiben.

Quellen

(1) http://www.spiegel.de/politik/deutschland/angela-merkel-gibt-regierungserklaerung-land-gespalten-union-gespalten-a-1199206.html

(2) https://www.arte.tv/de/videos/071436-008-A/re-kuriere-am-limit/

(3) https://aktion.arbeitsunrecht.de/schwarzer-freitag/deliveroo

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