Tagesdosis 20.4.2019 – Raus aus dem Krieg – raus aus dem Gedankengefängnis (Podcast)

Ein Kommentar von Susan Bonath.

Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus. Für Frieden und soziale Gerechtigkeit. Gegen Aufrüstung und Umweltzerstörung. Fluchtursachen beseitigen. Für ein solidarisches Miteinander. Das und ähnliches ist in den Aufrufen der Friedensbewegung zu den diesjährigen Ostermärschen zu finden, die dieser Tage in Dutzenden Städten bundesweit stattfinden. Eigentlich müssten Millionen Menschen dabei sein. Gerade jetzt. Denn die Welt wankt. Nie fuhr die Rüstungsindustrie so hohe Profite ein wie heute. Das weltweite Elend, erzeugt durch Kriege mit und ohne Waffengewalt, ist immens. Ein gesunder Mensch kann das nicht wollen.

Doch die erhofften Millionen werden aller Wahrscheinlichkeit nach wieder nicht kommen. Nicht an diesem Osterwochenende, nicht zu irgendeiner anderen für dieses Jahr geplanten Friedensdemonstration. Die sich engagieren, laufen gegen Mauern, Mauern in den Köpfen, Mauern in den Herzen, Mauern der Müdigkeit, der Trägheit und der Ignoranz. Doch viele der Engagierten stehen auch vor ihren eigenen Mauern.

Gemeint sind jene Mauern, die unser Denken systemkonform eingrenzen. Nein, der Diskurs im Kapitalismus ist nicht egalitär. Er ist so wenig egalitär, wie die nach Eigentum an profitablem Vermögen gestaffelten Hierarchien. Der Diskurs der Massen ist autoritär strukturiert. Große Medienkonzerne verfügen über eine enorme Deutungs- und Meinungsmacht. Dauerbombardements mit zielgerichteter Stimmungsmache haben die Köpfe in feste Denkschemen gepresst. Die Prämissen werden durch eine Systemlogik gesetzt, die nicht hinterfragt wird. Selbst in hitzigen Debatten werden Begriffe wie Markt, Staat, Lohnarbeit und Nation nicht reflektiert, sondern als Diskussionsgrundlage hingenommen.

Denn man will nicht abseits dieser ominösen „Mitte“ stehen, dieser viel gelobten vermeintlichen Mehrheit. Wer sich nicht anpasst, gilt als Außenseiter. Was werden die anderen sagen, wenn ich mich mit Außenseitern zusammentue? Kapitalismus ist somit auch ein Gedankengefängnis, das die Reflexion der sich krisenbedingt sichtbar häufenden sozialen Verwerfungen und ökonomischen Missstände verhindert.

Wer konkret über Eigentumsverhältnisse, systembedingte Prozesse der Konzentration von Kapital und Macht sowie die strukturelle Beherrschung und Ausbeutung der Mehrheit durch eine letztlich gewalttätige Minderheit spricht; wer also die Ursachen für Krieg, Armut und Elend benennt, der überschreitet den von oben gesetzten Rahmen. Er gilt als linksextrem, als persona non grata, als Feind der angeblich freiheitlich-demokratischen Grundordnung, als ideologisch verblendet, als Schmuddelkind, mit dem man nicht spielt.

Die von verzweifelten, aber ungemein mutigen Berliner Mietern ausgehende Initiative für die Enteignung von zockenden Immobilienkonzernen zeigt dieser Tage, wo wir im Diskurs stehen. Politiker und Konzerneigner jammern in den Medien, geißeln die Forderungen als bösen Sozialismus, als Eingriff in die heiligen Märkte. Nur andersherum, wenn es um Enteignungen normaler Menschen im Sinne von Konzernen geht, nennen sie es freie Marktwirtschaft. Wir lernen daraus etwas, was wir schon längst wissen können: Im Kapitalismus geht es nicht um Menschen. Es geht, wie der Name schon sagt, um Kapital, also um das permanente Mehren von verwertbarem Vermögen durch Auspressen der zur Lohnarbeit gezwungenen Vermögenslosen.

Nur darum geht es. Und weil Profit der einzige Selbstzweck dieses Wirtschaftssystems ist, zählt der Mensch darin nichts. Die Propaganda, wonach jeder alles werden könne, ist gelogen. Wer sich nicht dem heiligen Markt unterordnet und ihm hingibt wie einem alles bestimmenden Gott, dem droht nichts weniger als der ganz tiefe Absturz. Doch genau dieser Markt ist es, der die Klassenhierarchien festnagelt, die Ausbeutung stabilisiert, Kriege forciert und – im Sinne des Systems – legitimiert. Der gelobte Markt ist die abstrakte, weil unsichtbare Domina, die jedes Handeln und Denken der Individuen lenkt und die Realität verschleiert.

In der Realität nämlich wäre der Mensch aufgrund der entwickelten Produktivkräfte längst in der Lage, jedem Erdbewohner ein gutes Leben zu sichern. Niemand müsste mehr hungern oder an heilbaren Krankheiten sterben. Die wahnsinnige Überproduktion für die Müllhalde könnte einer bedarfsgerechten Wirtschaft weichen. Umweltfreundliche Technologien könnten unsere Lebensgrundlage schützen. Kreative Köpfe bekämen endlich Raum. Die Grundlage ist da für eine Gesellschaft, in die sich jeder nach seinen Fähigkeiten einbringen und die jedem nach seinen Bedürfnissen geben kann. Für eine Welt der Kooperation – ohne Krieg, Flucht und sinnlose Zerstörung. Der Markt, die heilige Profitmaschine, lässt genau das nicht zu.

Es gibt viele Lügen, die kursieren und massenhaft geglaubt werden. Es sei kein Geld für mehr Rente, gute Krankenhäuser und bessere Pflege da, heißt es zum Beispiel. Also bitte: Wo Milliardäre in zwei Tagen eine Milliarde Euro für eine Kathedrale aus der Portokasse schütteln, soll es nicht reichen für ein würdevolles Leben aller? Wo acht Superreiche so viel besitzen wie die ärmere Hälfte der gesamten Weltbevölkerung, soll nicht genug für zwei Millionen vom Hungertod bedrohte jemenitische Kinder da sein? Wo immer größere Warenmassen direkt auf der Müllhalde landen, sterben täglich 30.000 Menschen, vor allem Kinder, an Unterernährung, schmutzigem Wasser und dadurch bedingte Krankheiten.

Es ist der sichtbare Wahnsinn selbst, der die dummen Ausreden der prassenden Kriegstreiber und Sklavenaufseher, es sei nicht genug für alle da, als Lügen enttarnt. Doch in einer Welt, wo der Wahnsinn zur Normalität geworden ist, nehmen ihn selbst jene als gegeben hin, die unter ihm leiden.

Ein möglicher Ausstieg aus dem Wahnsinn liegt abseits der vorgegebenen Denkkategorien. Menschen können kein Geld essen, aber denken in Geldwerten. Die Nationen mit ihren Staatsapparaten schuf die herrschende Klasse, um die Unterdrückung der Massen territorial zu managen. Doch die unterdrückten Massen huldigen dem Apparat ihrer Aufseher wie einem Familienersatz. Ja, sie begreifen ihre Sklaventreiber gar als ihnen gleich, während sie ihresgleichen aufgrund äußerer Merkmale oder schlicht der Herkunft als Bedrohung empfinden. Das kapitalistische Gedankengefängnis lässt das Irrationale rational erscheinen, als unausweichlich, als gottgegeben. Und was eigentlich normal wäre, wird als verrückte Utopie verworfen.

Wir spielen die Gewalt der Herrschenden untereinander nach, während wir die Gewalt der Unterdrückung, in Deutschland noch gut verpackt hinter der Fassade der bürgerlichen Demokratie, verdrängen. Wir sind zu gedankenlosen Konsumenten verkommen. Wir blenden gemeinschaftlich aus, dass sich die Produktivkräfte in den letzten 200 Jahren weiterentwickelt haben. Dass ein voller Supermarkt in Deutschland nicht mehr denkbar wäre ohne die bettelarme Textilarbeiterin in Indien, ohne die schuftenden und früh sterbenden Kinder in kongolesischen Bergwerken, ohne die in spanischen Gemüsegärten von global agierenden Firmen wie Sklaven ausgebeuteten, völlig entrechteten Flüchtlinge. Auch das ist Krieg.

Hinter jedem Krieg auf dieser Welt stehen wenige Profiteure und viele Handlanger. Ob die Massenmorde im Jemen, in Syrien und anderen Ländern, oder ob eine Zwangsräumung im Berliner Wedding: Am Ende sind es die Gewehrläufe ihrer Waffen, die uns in Schockstarre versetzen. Die allzu viele dazu bringen, ihre Aggressionen auf Unschuldige zu projizieren, die Realität umzudeuten und sich zu weigern, sich überhaupt mit ihr zu befassen.

Doch es ist Zeit, aus der systemimmanenten Denkblockade herauszukommen und sich entsprechend zu organisieren. Es ist Zeit für die Friedensbewegung, radikaler und kompromissloser an die Ursachen zu gehen. Es ist Zeit, dass sich Massen überall auf der Welt einer solchen Friedensbewegung anschließen. Wir sind viel mehr als sie. Denn die Zerstörung des Planeten durch den kapitalistischen Wahnsinn schreitet voran. Ja sicher, aus der Geschichte ist bekannt, dass keine herrschende Klasse je mit Wattebällchen aufzuhalten war. Dass warme Worte sie nicht daran hindern werden, ihre Waffen zu gebrauchen. Macrons Terrortruppen lassen grüßen.

Aber die herrschende Klasse muss aufgehalten werden, wenn wir unsere Leben und die unserer Kinder retten wollen. Dieses Ziel kann unter heutigen Bedingungen nur noch global erreicht werden. Friedliches Miteinander auf einem bestimmten Terrain kann nicht durch Aggression und Gewalt, durch Niederdrücken anderer Menschen im Außen erkauft werden. Entweder besiegen wir den kapitalistischen Wahnsinn, oder er besiegt uns. Für die ärmeren 90 Prozent der Weltbevölkerung werden keine Rettungsboote da sein.

Kapitalismus stellt Profite vor Menschenleben – vor jedes Menschenleben. Das ist asozial, das ist Krieg; der Krieg ist allgegenwärtig und er hat viele Fassaden. Wir können uns entscheiden. Wir können ihre Befehle ausführen, uns freiwillig in ihren Markt eingliedern, auf unsere Klassengeschwister in ihrem Auftrag schießen und ihre Gewalt, mit der sie uns knechten, untereinander nachahmen.

Wir können aber auch den Anfang machen und aus ihrem Gedankengefängnis ausbrechen. Wir müssen nicht so asozial sein wie sie. Es muss klar werden: „Nie wieder Krieg“ geht nur ohne Kapitalismus. Denn der trägt ihn in sich, wie die Wolke den Regen.

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Danke an die Autorin für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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