Tagesdosis 2.5.2019 – Demokratie – jetzt oder nie. Demokratie – wann oder nie?

Ein Kommentar von Bernhard Loyen.

Der Satz Demokratie – jetzt oder nie wird sowohl der sogenannten 1968er Bewegung, in Zusammenhang mit den Notstandsgesetzen, wie auch den großen Demonstrationen in der Endphase der DDR im Jahre 1989 zugeordnet.

Demokratie. Demokratiemüdigkeit. Breite gesellschaftliche Resignation und Erschöpfung findet sich aktuell bei einem Grossteil der Menschen. Zumindest dahingehend scheinen offizielle Medien und resignative Bürger einig. Um vermeintliche Stimmungen darzulegen, wird bevorzugt die Studie eingesetzt. Sollte sie auch noch international erstellt sein, bürgt dies vermeintliche, bzw. zusätzliche Seriosität.

Ende April titelte der Deutschlandfunk, Zitat: Deutschland. Unzufriedenheit, „wie Demokratie funktioniert“. Auf der Online Seite des Senders findet sich unter dem Bild des Plenarsaals im Berliner Reichstag folgende Unterschrift: Das Herzstück der Demokratie: Der Deutsche Bundestag. Für viele eher die Herzkammer, der Herzschlag der Misere. Der Sender informierte seine Hörer, Zitat: Immer mehr Menschen in Deutschland sind unzufrieden mit dem Funktionieren der Demokratie.

Wie funktioniert Demokratie? Anderthalb Absätze gehören zum Beitrag, Zitat: Demnach sagten im vergangenen Jahr 43 Prozent der Befragten in Deutschland, sie seien nicht zufrieden damit, wie die Demokratie funktioniere. Das sei ein Anstieg um 17 Prozentpunkte im Vergleich zu 2017. Unter den Befürwortern der AfD liegt die Zahl noch deutlich höher. Nicht wirklich aufschlussreich, aber Zitat: Allerdings äußerte sich mit 56 Prozent immer noch eine klare Mehrheit glücklich über den Stand der Demokratie in der Bundesrepublik. (1)

Diese Inhaltsleere bezieht sich auf eine Umfrage des amerikanischen Pew Instituts. Wie wird über eine solche Studie in Deutschland medial manipuliert? Besucht man die amerikanische Originalseite pewglobal.org findet sich schnell die Teilnehmerzahl: 30.133 Menschen wurden in 27 Ländern befragt, d.h. durchschnittlich 1116 Bürger. Eigentlich ein Fall für den Mülleimer, aber auch N-TV arbeitet trotzdem mit dem Ergebnis, Zitat: Vor allem bei AfD-Anhängern. Unzufriedenheit mit Demokratie in Deutschland wächst, um im Abschlusssatz die Leser zu warnen, Zitat: In Deutschland offenbart sich dabei eine beunruhigende Entwicklung (2).

Der Sender geht etwas detaillierter in die Studie und benennt Gründe der Unzufriedenheit. Vordergründig wirtschaftliche Sorgen, die Angst vor dem sozialen Abstieg und die Wut auf abgehobene politischen Eliten. Also, eigentlich nichts Neues im Staate Deutschland. Es wird aber mit dem aktuell favorisierten Totschlag Argument weitergearbeitet. Vor allem bei den Befürwortern – Achtung – populistischer Parteien, wie der AFD, sei die Unzufriedenheit hoch.

Die Kurzformel: Unzufriedenheit ist eigentlich unangebracht. Kritik am Staat, an der Politik, an dem politischen und kulturellen Gesamtzustand unserer Gesellschaft, bedeutet umgehend populistische Neigungen des individuellen Kritikers. Natürlich liefert die unsägliche Bertelsmann-Stiftung das benötigte Populismusbarometer (3). Lächerliche Zahlen, die Abermals medial eingesetzt werden, Zitat: Es wurden insgesamt 3.427 Befragte interviewt. Diese teilen sich wiederum in 2.322 Wähler und 1.105 Nichtwähler(…) es wurden Anhänger der AfD, Linkspartei, Bündnis 90/Die Grünen und FDP in der Stichprobe überrepräsentiert, um genauere Aussagen über diese Gruppen tätigen zu können.

Die Gedankenwelt, mit der entsprechende Manipulatoren wiederum arbeiten, lautet dann so, Zitat: Die Ergebnisse zeigen, dass populistische Einstellungen in Deutschland zunehmen – am deutlichsten in der politischen Mitte. Davon profitieren jedoch vor allem die Parteien an den politischen Rändern. Ein Rundumschlag, der in einem späteren Absatz noch präzisiert wird, Zitat: Umfang und Intensität populistischer Einstellungen nehmen weiter zu. Besonders in der politischen Mitte und bei Wählern der Linkspartei. Bislang profitiert davon jedoch vor allem die AfD. Ist die bisherige Strategie der etablierten Parteien gegen den anschwellenden Rechtspopulismus in Deutschland gescheitert? (4)

Wir lernen: diejenigen die es wagen, die aktuelle Politik der regierenden Koalition auch nur im Ansatz zu hinterfragen, Missmut zu äußern, Unzufriedenheit auszuleben, sind potentielle Demokratiegefährder. Wer sind jedoch die Demokratiebewahrer – und beschützer, politisch wie auch die entsprechende Wählerschaft? Bei Betrachtung der Bertelsmann Studie zeigt sich die mediale Manipulation in Reinkultur. Es folgt die Einteilung der Parteienlandschaft zum Thema: Populistische Einstellungen bei Wählern und Nichtwählern in Deutschland 2018, Zitat:

  • CDU/CSU: Preisgabe der unpopulistischen Mitte?
  • SPD: Durchschnittlich populistisch, aber standhaft
  • FDP: Zunehmender Populismus der bürgerlichen Mitte
  • Die Linke: Populistische Versuchung am linken Rand
  • AfD: Populismus und rechter Rand

Es fehlt die Partei, die seit Wochen und Monaten für Viele nicht nachvollziehbar hochgejubelt und künstlich als regierungsreif, koalitionskonform medial gepusht wird, #HabeckderHeilsbringer, Zitat:

  • Die Grünen: Unpopulistischer Linksliberalismus als Markenkern

Erläuterung, Zitat: Die unpopulistische linke Mitte wird damit zum neuen Alleinstellungsmerkmal und Markenkern der Grünen. Auch das insgesamt deutlich verbesserte Niveau der Wählerzustimmung liegt vor allem an der wachsenden Zustimmung bei den unpopulistischen Wählern. Hier erreichen die Grünen inzwischen bis zu 25 Prozent: Je unpopulistischer ein Wähler, umso eher wählt er grün.

Nüchtern zusammengefasst, die kommende Koalition soll, anders formuliert, muss sich bilden aus CDU/CSU und – den Grünen. Die Grünen galten schon einmal in jüngster deutscher Geschichte, 1998 bis 2005, als Erlöserpartei. Das Resultat waren Ende der 1990er Kriegseinsätze, die die CDU sich nie getraut hätte und ein verräterischeres Wasserträger und Schlüsselhaltertum, einer Tür und Toröffnung für Sozialabbau und Verrat bei den ArbeitnehmernInnen. Noch heute wird diese Leistung in der Bundeszentrale für Politische Bildung respektvoll dargestellt, Zitat: Zentrale Wegmarken der Rot-Grünen Regierung waren eine aktivierende Arbeitsmarktpolitik und Reformen im Steuersystem sowie bei Rente und Krankenversicherung.

Der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge umschrieb es im Oktober 2018 klarer und deutlicher, Zitat: „Heute erntet die AfD, was die rot-grüne Koalition mit ihrer ‚Agenda‘-Politik und den Hartz-Gesetzen gesät hat“(5). Warum verdrängt die aktuelle grüne Wählerklientel diese Fakten?

Ende April 2019 sah sich der Paritätische Wohlfahrtsverband gezwungen in diesem reichen Land eine , Zitat: Forderung nach einer armutspolitischen Offensive…auszusprechen (6). Der Verband warnt vor regionalen Armutsspiralen. Die Realität schaut wie folgt aus, Zitat: Deutschland ist nicht nur was die Einkommen, sondern vor allem was die Armut angeht, ein nicht nur sozial, sondern auch regional zutiefst zerrissenes Land“. Es kann nicht angehen, dass bei seit Jahren steigendem Wohlstand regelmäßig Aufschwungsverlierer produziert werden, seien es Menschen, die aus ihren Wohnungen vertrieben werden oder Menschen, die für nicht auskömmliche Mindestlöhne arbeiten müssen“.

Die aktuelle Regierungspolitik versagt auf allen politischen Ebenen. Sozialpolitisch, wohnungsbaupolitisch, finanzpolitisch, bildungspolitisch, naturpolitisch. Dazu eine fatale und destruktive Außenpolitik. Sind diese Fakten, also die dementsprechende Kritik, Zitat: Rechtspopulistische Einstellungen und die Attraktion von Verschwörungstheorien?

Für die Politik und ihre Erfüllungsgehilfen ist der einfache Bürger schlicht zu doof, die „Alles zum Wohle der Demokratie“ Maßnahmen und Notwendigkeiten zu erkennen. Die Unruhe beim Volk benötigt daher fortlaufend aufklärende Studien, Zitat: Die “Mitte-Studie”(7) die von Mitarbeitern des Bielefelder Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung durchgeführt wurde, macht klar, dass Antworten auf Umfragen kein klares Weltbild liefern, weil die Menschen selbst zerrissen sind und durchaus Widersprüchliches äußern.

Die zunehmende Skepsis gegenüber den eigenen Bürgern, wird wie folgt formuliert, Zitat: Eine gesunde Skepsis gegenüber Autoritäten und Institutionen ist für eine Gesellschaft wichtig, aber wenn Verschwörungstheorien sogar Gewalt legitimieren, dann können sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die Demokratie als solche gefährden, Zitat Ende.

Unzufriedenheit okay, aber Gewalt, am Besten noch auf der Straße, über die Bürger? Wo leben wir denn, wir sind doch nicht in Frankreich.

Und weiter, Zitat: Verschwörungstheorien finden teilweise hohen Zuspruch. So meinen 46 % der Befragten, es gäbe geheime Organisationen, die Einfluss auf politische Entscheidungen haben. Fast ein Viertel der Befragten meint, Medien und Politik steckten unter einer Decke (7).

2019 wird noch viel über den Zustand dieses Landes verraten. Europawahlen, Landtagswahlen und ein Termin den die Bundesregierung auch noch meistern muss. 30ter Jahrestag Regime Change in der DDR. Kennen sie das Silvester-Syndrom? Am Silvesterabend sind alle immer unglaublich gut drauf, müssen sich unverhältnismäßig betrinken und stürzen meist mit dunklen Gedankenlöchern ins neue Jahr. Am nächsten Morgen fängt die Alltagsroutine wieder an. Gestern fanden bundesweit Demonstrationen zum 1.Mai statt. Medial wurde von überschaubaren Teilnehmerzahlen berichtet. Keine Headline News.

Der Berliner Tagesspiegel zusammenfassend am Tag danach, Zitat: das ist mal wieder typisch Berlin – auch die Revolution vom 1. Mai 2019 wurde verschoben und alle sind zufrieden: Polizeipräsidentin Slowik, weil ihre Taktik aufging (Gefühl und Härte) und es weitgehend friedlich blieb, die gemäßigte Linke, weil sie ihr Top-Thema Wohnen am Tag der Arbeit herausstellen konnte, die Pyrotechnikhersteller (die radikale Linke ist ein verlässlicher Kunde), die Villenbesitzer in Grunewald, weil die Demonstranten dort nur mit Schaumstoffsteinen warfen (Motto: „Burn Bratwurst – not Porsches“), der DGB, weil sich am Morgen der Regen verzog und die größten Kundgebungen die der Gewerkschaften waren („Europa. Jetzt aber richtig“). Der RBB vermeldete: Zehntausende feierten in Berlin friedlich das MyFest (8).

Deutschland 2019. Müdigkeit, Resignation, Katerstimmung und moderate Wut. Demokratie ist eine Einrichtung, die es den Menschen gestattet, frei zu entscheiden, wer an allem schuld sein soll, schrieb der unbekannte Philosoph ins Handbuch des alltäglichen Daseins. Ein Großteil der Bevölkerung möchte schlicht, bescheiden und irgendwie ohne die Last des alltäglichen Überlebenskampfes sein Leben meistern. Spitz formuliert: Revolution? Umbruch? Zu anstrengend, habe andere Sorgen.

Lebenswerte Demokratie? Für viele Deutsche gerade eine traurige, erschöpfende Utopie.

Quellen:

  1. https://www.deutschlandfunk.de/deutschland-unzufriedenheit-wie-demokratie-funktioniert.1939.de.html?drn:news_id=1002053
  2. https://www.n-tv.de/mediathek/videos/politik/Unzufriedenheit-mit-Demokratie-in-Deutschland-waechst-article20996056.html
  3. https://twitter.com/AHG_Berlin/status/1123209572280426497
  4. https://www.bertelsmann-stiftung.de/fileadmin/files/BSt/Publikationen/GrauePublikationen/ZD__Studie_Populismusbarometer_2018.pdf
  5. https://www.nachdenkseiten.de/?p=46736
  6. https://www.der-paritaetische.de/presse/einkommen-und-armut-paritaetischer-warnt-vor-regionalen-armutsspiralen/
  7. https://www.fes.de/forum-berlin/gegen-rechtsextremismus/mitte-studie/
  8. https://www.tagesspiegel.de/berlin/checkpoint-bilanz-die-neun-gewinner-des-1-mai-in-berlin/24277962.html

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