Tagesdosis 18.8.2017 – Christian Lindner und das Ende der Politik

Ein Kommentar von Pedram Shahyar.

Im langweiligsten Wahlkampf aller Zeiten wird in den hippen Medien ein Phänomen gefeiert: Christian Lindner und seine FDP. „Party Crasher“ so titeln Mode-Journalien über den jungen adretten Mann, der die verweste Leiche der FDP wieder zum Leben erweckt hat. Tatsächlich hat Lindner ein sympathisches Image: Er spricht sehr ruhig, aber entschieden, in seiner Sache, ist motiviert bleibt aber sehr sachlich, scheint immer dem Gegenüber zuzuhören und aufgeschlossen zu sein, geradezu um Konsens bemüht und wirklich motiviert Deutschland zu modernisieren und erfolgreicher zu machen. „Ungeduld ist auch eine Tugend“, ja der Herr Lindner kann es gar nicht abwarten, die Ärmel hochzukrempeln und für Deutschland und uns Alle sein Bestes zu geben. So das Image, oder genauer, die Image-Kampagne.

Nun schreiben schon die ersten Kommentatoren, diese Kampagne zeige die Zukunft der Wahlkämpfe, gerade weil sie bei jungen Leuten besonders gut ankommt und hier Lindner besonders zu punkten scheint. Wenn dem wirklich so ist und die FDP wieder erstarkt bei der Jugend in den Bundestag zieht, dann spielt sich vor unseren Augen in besonderer Schärfe das ab, was man als „Postpolitik“ oder „Postdemokratie“ bezeichnet. „Post“ im Sinne von darüber hinaus oder dahinter, denn mit Politik und Demokratie haben diese Phänomene nichts mehr zu tun.

Eines der besonderen Merkmale der Postdemokratie ist die Kurzlebigkeit und  Vergesslichkeit der öffentlichen Meinung. Erinnern wir uns: Die FDP war als die Partei der brutalsten und korruptesten Industrie und Konzernlobbys so verschrien, dass sie zum ersten Mal in der bundesrepublikanischen Geschichte den Sprung in den Bundestag verpasst hat. Die FDP ist im Grunde gar keine Partei, sondern eine direkte Lobbyorganisation der mächtigsten Wirtschaftsorgane des Landes. Neben den mächtigsten Finanzinstituten, Auto- und Energiekonzernen und der Pharmaindustrie, scheuen sie sich nicht mal vor der mafiösen Geldautomaten-Wirtschaft: Auch diese findet in der FDP immer einen guten Ansprechpartner, um schärfere Gesetze zu verhindern. Die offene Lobbyfunktion der FDP und ihr sozialer Zynismus waren so ekelerregend, dass diese, in einer sozial bewussten Bevölkerung wie Deutschland, nicht mehr angesagt war und so ihren schnellen Weg in den Mülleimer der Geschichte angetreten hatte.

Doch nun sieht es so aus, als ob sie bald wieder mit Ministern an der nächsten Regierung beteiligt ist.

Das besondere hierbei ist, wie eine Image-Kampagne die Inhalte und Substanz der Partei ersetzt. Es ist völlig klar: Diese Partei vertritt nur die Interessen der oberen 5%, erscheint aber als eine sympathische neue politische Kraft. Werbeagenturen haben hier ganze Arbeit geleistet: Die reale Funktion und Interessenslage der Partei wird völlig übertüncht von der Person Lindner, ein Typ mit dem man gerne bei einem Cocktail in einer Bar in Düsseldorf über Politik sinnieren würde. „Inhalte überwinden“ plakatierte „Die Partei“, ein Slogan über den man gerne gelacht hat, doch er ist leider wahr, bitter wahr, wenn man sich den Hype um die FDP genauer vor Augen führt.

Diese postpolitische Konstellation findet ihre Ursache darin, dass eigentlich keine wirkliche Wahl stattfindet, dass letztlich die großen Parteien der Mitte alle dieselbe Politik mit kleinen Unterschieden machen. Mit der FDP in der Regierung wird sich auch nicht viel, aber etwas verändern: der Zugriff der Konzernchefs und Finanzlobbys in die Gesetzgebung der Bundesrepublik wird noch direkter, die Gewerkschaftschefs müssen länger auf Termine im Kanzleramt warten, die Energiemonopole werden die Verbraucher direkter erpressen können, die Pharmaindustrie wird leichter alternative Medizin und Praktiken verhindern, die Finanzmärkte brauchen gar keine Regulierung zu fürchten und noch mehr Geldautomaten werden die kleinen Gehälter der sozial und kulturell abgehängten auffressen.

Aber das alles spielt keine Rolle: Der Lindner ist wirklich so nett und so gerne würden wir mit ihm einen Cocktail trinken gehen.

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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