Tagesdosis 18.6.2018 – Wettbewerb für die Müllpresse

Ein Kommentar von Susan Bonath.

Amazon vernichtet massenhaft neuwertige Produkte. Tonnenweise Kleidung, Haushaltsgeräte, Handys, Computer und Lebensmittel landen in den Müllpressen. Vor allem Retouren gehen postwendend dorthin. Das berichtete das ZDF-Magazin »Frontal21« in der vergangenen Woche unter Berufung auf Insider. Die Empörung über die »riesige, bislang unentdeckte Wert- und Rohstoffvernichtung« war massiv.

Unternehmen, die so verfahren, handelten »kaltherzig und verantwortungslos«, klagte Kirsten Brodde von Greenpeace. Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesumweltministerium, will nichts davon gewusst haben. Es sei »ein riesengroßer Skandal«, rügte er. Ex-CDU-Umweltminister Klaus Töpfer gab sich fassungslos über die Ressourcenverschwendung. Von Unternehmen verlangte er, eine ominöse »ethische Verpflichtung« einzuhalten. Und schließlich wies Thomas Gürlebeck von der Gewerkschaft Verdi auf schlechte Arbeitsbedingungen und miese Löhne hin. Amazon spare an seinen Beschäftigten und vernichte zugleich teure Neuwaren. »Die Menschen verstehen nicht, wie das zusammen geht«, so Gürlebeck.

Über die maßlose Empörung und Verwunderung kann man sich nur wundern. Schließlich ist der Industriekapitalismus mehr als zwei Jahrhunderte alt. Seither könnte jeder, der nur will, erkennen: Das ganze Streben derer, die über die Mittel für die Produktion verfügen, gilt dem Profit. Man lege das Geld in Unternehmen an, beute Arbeitskraft aus, generiere mehr Geld, lege dieses wieder an, und so weiter. Wer nicht mitzieht, den frisst die Konkurrenz. Das hat nichts mit »kaltherzig« zu tun, sondern mit dem kapitalistischen Verwertungszwang. Seit wann unterliegen Privatunternehmer einer ethischen Verpflichtung?

Sicher, der Industriekapitalismus mit immer moderner Technik führt zu schönen, bunten, wachsenden Warenbergen, hergestellt von immer weniger Arbeitern. Dummerweise ist nicht die Deckung der Bedürfnisse der Menschen das Produktionsziel, sondern einzig der private Profit. Die Nachfrage bestimmt den Preis. Nachfrage entsteht durch Kaufkraft, nicht durch Bedarf. Andernfalls würden nicht täglich rund 30.000 Menschen ohne Kaufkraft an Unterernährung sterben. Andernfalls hätten auch  alle sauberes Trinkwasser und Zugang zur kunterbunten Warenwelt. Milliarden Menschen haben das jedoch nicht.

Denn jene, die über Land, Rohstoffe, Maschinen, Technik und Arbeitskräfte verfügen, bestimmen, was läuft. Ihr Ziel ist die einzig eine profitable Ausbeute. Hohe Löhne würden diese schrumpfen lassen. Ausbeute entsteht, wie der Name schon sagt, durch Ausbeutung von Mensch und Umwelt.

Massenproduktion auf der einen und bittere Armut erzeugende Ausbeutung von Arbeitskraft auf der anderen Seite ist einer der Widersprüche, die nicht nur zu gigantischer Überproduktion führen, sondern viele Millionen Menschen zur Flucht zwingen. Waren verschenken, ist nicht angesagt. Dies würde die Preise purzeln lassen. Und die Unternehmen müsste Umsatzsteuer darauf zahlen. Müllpressen sind schlicht günstiger. Wie man sieht, machen die Staaten der Industrieländer munter mit in diesem Spiel. Nun ja, so geht Kapitalismus nicht erst seit gestern. Offenbar wissen die Kritiker der Machenschaften des Onlinehändlers das nicht.

Dass Amazon nicht als einziger Konzern Waren massenhaft vernichtet und dass die Industrienationen hier ganz vorne mitspielen, ist nicht schwer zu erraten. Dort sind die Supermarktregale nun einmal am prallsten gefüllt mit Kolonialwaren aller Art: Baumwolle aus Indien, Bananen aus Ecuador, Kaffee aus Kenia und viele Importerzeugnisse mehr reihen sich aneinander. Unsere Technik ist voll von Coltan aus dem Kongo, Kupfer aus Chile, Kobalt aus Sambia, Palladium aus Südafrika und so weiter.

Doch die Unterwerfung unter den Profitzwang macht ewiges Wachstum, obgleich unmöglich, zur Pflicht von Konzernen und Staaten. Der heilige Wettbewerb ruft. Das Produktionsvolumen steigt ohne Ende – und mit ihm die neokoloniale Ausplünderung der Peripheriestaaten und die massive Überproduktion. Wen wundert es, dass sich immer mehr Menschen aus diesen Ländern auf den Weg dorthin machen, wo die von ihnen unter – oft unter erbärmlichen Bedingungen produzierten – Waren in den Regalen stehen?

Eins muss klar sein: Bleiben die Produktionsbedingungen so irrational, wie sie sind, verdienen nicht nur Müllentsorger immer mehr. Die Umweltkatastrophe wird zur tödlichen Gefahr für den gesamten Planeten werden. Und die Flüchtlingsströme in die Staaten der Plünderer werden ein ungeahntes Ausmaß annehmen.

Mit Abschottung und Sortierung von Menschen in nützlich und unnütz sind die Probleme nicht zu lösen. Solange die Wirtschaft in Privathand ist, rückt der Abgrund für die Masse näher – ob mit oder ohne nationale Grenzen. Sicher ist: Freiwillig werden die Privatiers keinen Groschen herausrücken. Sie werden weiter plündern, mit staatlicher Genehmigung, ganz egal, wie viele der zur Neige gehenden Ressourcen auf der Halde landen.

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