Tagesdosis 18.5.2019 – Marktradikale Pseudo-Kümmerer auf Wahlkampftour (Podcast)

Rechte Parteien spielen gern die Kümmerer. Von Spendensammlungen für deutsche Obdachlose bis hin zur Gründung von Pseudogewerkschaften ist alles dabei. Sie kommen als „Bürgerinitiativen“ daher, sitzen in sozialen Vereinen. So ist zum Beispiel die Pflegedienstleiterin der Ortsgruppe der Volkssolidarität in der sachsen-anhaltischen Kleinstadt Oebisfelde stramme AfD-Funktionärin. Ihr Verein nutzt einen kommunalen Raum. In diesem organisierte die Dame kürzlich eine Wahlkampfveranstaltung ihrer Partei. Gekommen war ein Dutzend Rentner mit Anhang. Lang und breit philosophierte dort ein AfD-Funktionär über gute Renten, welche man angeblich anstrebe. Erst auf Nachfrage räumte er kleinlaut ein: Die AfD hat gar kein Konzept für die Rente, weder in ihrem 190-seitigen Grundsatzprogramm, noch in ihrem 88-seitigen EU-Wahlprogramm.

Natürlich, um Stimmen für die EU-Wahl und die Kommunalwahl in Sachsen-Anhalt am 26. Mai einzufangen, hilft die eine oder andere Lüge. Am besten gelingt dies der AfD derzeit aber mit dem Thema Migration. So folgte dem Eingeständnis des AfD-Funktionärs dann auf dem Fuße die Aussage: Ja, aber die Migranten. Die plünderten doch unseren schönen Sozialstaat. Und überhaupt, die Kriminalität.

Da ist er wieder, der Angst-Trigger. Genau deshalb, nicht etwa wegen wirtschaftlicher Fragen, wählten viele Sachsen 2017 die AfD. Das fanden jüngst Wissenschaftler der Universität Leipzig bei einer Auswertung von Umfragen aus dem Jahr 2016 heraus. Kein Wunder: In Sachen Wirtschaft ist die AfD noch marktradikaler und asozialer als FDP, CDU und CSU zusammen. Und: Sie wird finanziell gut gemästet von jenen Teilen des Großkapitals, die sich offenbar durch die Bundesregierung nicht genug vertreten sehen.

An diesem Mittwoch drehte mal wieder eine entsprechende Schlagzeile die mediale Runde: Auch den Landtagswahlkampf der AfD in Nordrhein-Westfalen vor zwei Jahren soll ein gewisser „Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheiten“ sehr großzügig und verdeckt unterstützt haben, und zwar mit Hunderttausenden Plakaten und Werbezeitungen, zum Beispiel namens „Deutschland-Kurier“.

Derlei Machenschaften des 2016 von ehemaligen CSU-Kadern und Unternehmern gegründeten Vereins sind schon länger bekannt. Er arbeitet dafür eng mit einer Schweizer PR-Agentur namens Goal AG zusammen, die deshalb jüngst im Fokus stand. Die Agentur pusht seit Jahren rechte und rechtsextreme Parteien.

Nach Informationen des Spiegel unterhält Goal rege Verbindungen zum deutschen Multimilliardär August von Finck. Von Finck ist an vielen Konzernen beteiligt, darunter der Maschinenbauer Von Roll, die Hotelkette Mövenpick und der Warenprüfkonzern SGB. Über die Custodia Holding AG hält von Finck zudem Anteile an dem Ölkonzern Royal Dutch Shell, dem finnischen Energieriesen Fortum, dem Wasserkonzern Nestlé, der australischen Baufirma Cimic, der Versicherungsgesellschaft Allianz und anderen. Bekannt geworden ist von Finck als Großfinanzier der CSU und FDP – Stichwort: Mövenpick-Spende. Nun sponsert er die AfD.

Eine der Spielwiesen des August von Finck ist das marktradikale Ludwig von Mises-Institut. Diese Steuer- und Wirtschaftsberatungsgesellschaft residiert in seinen Geschäftsräumen und propagiert marktradikale, also neoliberale Ideen. Besonders nahe steht sie der Hayek-Gesellschaft. Friedrich August von Hayek ist sozusagen der Vater des Neoliberalismus schlechthin. Ende der 1940er Jahre gründete er die Mont Pelerin Society, kurz: MPS, mit dem Auftrag, seinen Marktradikalismus in die Welt zu tragen. Sie ist die Mutter der Hayek-Gesellschaft und verbindet mehr als 400 weitere global agierende Denkfabriken.

In der Hayek-Gesellschaft hat die AfD ihre Wurzeln. Beatrix von Storch, Alice Weidel,  Roland Vaubel, Peter Boehringer und viele andere sind dort Mitglieder. Nicht wenige gehören auch der MPS und weiteren Netzwerk-Thinktanks an. Zu diesem Geflecht gehört nicht nur oben genannter AfD-Förderverein. Die Fäden reichen unter anderem in das Walter-Eucken-Institut, den Verband der Familienunternehmer, die FDP-nahe Naumann-Stiftung, das Institut für unternehmerische Freiheiten und in die breit aufgestellte und großteils von der Kohle-, Öl- und Autolobby finanzierte Klimawandel-Leugner-Szene. In Deutschland ist das namentlich das Europäische Institut für Klima- und Energiepolitik, kurz: EIKE.

Die neoliberalen Thesen der Denkfabriken schlagen sich sowohl im Grundsatz- als im EU-Wahlprogramm der AfD nieder. Um der Freiheit der deutschen Wirtschaft Willen will sie alle Steuern für Vermögenserben abschaffen. Fürs Florieren der Konzerne soll die NATO sorgen. Der Einfluss von Deutschland in dem imperialistischen Militärbündnis sei darum zu stärken. Denn, so heißt es in ihrem EU-Wahlprogramm:

„In Kooperation mit den Mitgliedstaaten und internationalen Partnern muss die EU die Freiheit der See- und Handelswege garantieren und damit den Zugang zu Rohstoffen, Energie- und Absatzmärkten sicherstellen.“

Eindeutiger kann man Krieg fast nicht bejubeln. Doch nicht alles propagiert die AfD so offen. Zwischen einigen Allgemeinplätzen, wie „Volksabstimmungen nach Schweizer Vorbild“ oder „die Macht der Parteien beschränken“ hat sie etwa ihre Forderung nach einem „schlanken Staat für freie Bürger“ versteckt. Das klingt vielleicht erst mal gut, ist es aber nicht. So schreibt die AfD an dieser Stelle:

„Die ständige, vielfach ideologiegetriebene Expansion der Staatsaufgaben stößt an finanzielle und faktische Grenzen. Sie bedroht inzwischen den Kerngehalt der elementaren Freiheitsrechte der Bürger. Es bedarf neuer Konzentration auf die vier klassischen Gebiete: Innere und äußere Sicherheit, Justiz, Auswärtige Beziehungen und Finanzverwaltung.“

Heißt konkret: Sozialstaat adé, weil zu teuer. Freiheit für die Kapitalmaschine. Zum Beispiel will die AfD die Arbeitslosenversicherung abschaffen und Jobcenter kommunalisieren. Hartz IV will sie in „aktivierende Grundsicherung“ umbenennen – natürlich inklusive Sanktionsregime, das den Niedriglohnsektor auf der Basis von existenziellem Zwang so effektiv mit Personal füttert.

Ein Wort zur sozial desaströsen Lage vieler Millionen Lohnabhängiger sucht man derweil vergebens in den AfD-Papieren. In ihrem EU-Programm stellt sie aber recht unmissverständlich klar, welchen Stellenwert die Betroffenen für sie haben. So schreibt sie:

„Im gemeinsamen Wirtschaftsraum ist eine an den Bedürfnissen der nationalen Arbeitsmärkte ausgerichtete Mobilität von Arbeitskräften wertvoll.“

Kurzum: Die AfD will lohnabhängige Menschen – auf Kapitalisten-Deutsch: Humankapital – marktkonform sortieren. Die Brauchbaren sollen ruhig dorthin geschafft werden, wo sie der Profitmaschine dienen können. Der Rest kann, auf deutsch gesagt, verrecken. Mit anderen Worten: Gegen marktkonforme Migration hat die AfD ja gar nichts. Hoppla! Das ist mal Union und FDP zusammen in dreifacher Dosis.

Um das zu wissen, müsste man natürlich erst mal Parteiprogramme lesen, und vielleicht noch einigen ihrer Aussagen im Parlament lauschen. So tat die AfD etwa letztes Jahr im Bundestag die Forderung der Linken nach einer Vermögenssteuer vehement als bösen Sozialismus ab. Ja, Programme lesen und Reden hören ist anstrengend und kostet Zeit. Hat nicht jeder. Will auch nicht jeder.

Und stimmt ja, da wuselt ja neben den extremen Neoliberalen und einigen Erzkonservativen noch der Höcke-Flügel herum. Und der ist zumindest im Osten ziemlich stark. Dort, so sagte Höcke im März in einem Interview mit dem Haus- und Hoforgan der neurechten Bewegung Sezession, punkte man eben mehr mit sozialen als mit wirtschaftsliberalen Forderungen. Beides schließe sich ja gar nicht aus. Na klar doch, haben wir ja in den letzten 30 Jahren gelernt: Neoliberalismus ist – Achtung Ironie – wirklich toll sozial. Und gepaart mit schlagkräftiger Polizei und Armee ist das auch super durchzusetzen. Oder?

Okay, vielleicht hofft ja der Wähler von ganz unten, am Ende äußerlich und innerlich zu Höckes privilegierter Untertanenschaft gehören zu dürfen. Die beschreibt der braune Guru in einem Ende 2018 in Buchform veröffentlichten, knapp 19 Euro teuren, Gesprächsprotokoll nur vage. Aus seiner „Volksgemeinschaft“ ausschließen will er demnach nämlich nicht nur Migranten und Geflüchtete.

Auch für nicht genehme „Biodeutsche“ stellt er einschneidende Maßnahmen in Aussicht. So könnten „brandige Glieder nicht mit Lavendelwasser kuriert werden“, philosophierte er. Und man werde „leider ein paar Volksteile verlieren, die zu schwach oder nicht willens sind“. Und: „Die deutsche Unbedingtheit wird der Garant dafür sein, dass wir die Sache gründlich und grundsätzlich anpacken werden“, so Höcke. Sei die „Wendezeit“ gekommen, „dann machen wir Deutschen keine halben Sachen“.

Die AfD-Wähler haben also die Wahl zwischen extrem neoliberal und extrem faschistisch, je nachdem, wer am Ende die Oberhand gewinnt. Fürs Großkapital sind jedenfalls beide Flügel wichtig. Das nämlich hält sich seit jeher sowohl extrem rechte als extrem Neoliberale gerne in der Hinterhand. Das Kapital braucht schließlich eine Option für den Krisenfall. Das sollten die „kleinen Leute“ bei ihrer Wahl bedenken. Da hilft auch die Ausrede nicht, dass die anderen auch scheiße sind. Klar, große Teile der Linken sind inzwischen neoliberal, die Sozen Arbeiterverräter und die Grünen die Partei fürs gehobene Bürgertum. Wissen wir.

Man sollte vielleicht selbst etwas tun. Und dabei bedenken: Wenn sich die „Klasse der modernen Lohnsklaven“ ethnisch, religiös, kulturell oder nach sonstigen Kriterien entzweit und bekämpft, nutzt das am Ende nur einem: Den Interessen des Großkapitals und seiner staatlichen Manager.

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