Tagesdosis 18.5.2018 – Verlogene Israeldebatte in deutscher Politik und Presse (Podcast)

Ein Kommentar von Rainer Rupp.

„Gefangene werden nicht gemacht“. Diesen brutalen Befehl kennen wir aus Nazi-Dokumenten oder aus denen modernerer faschistischer Staaten in Bezug auf den Umgang mit bewaffneten Aufständischen, z.B. in Latein Amerika. Aber selbst die brutalsten Regime haben die gezielte Erschießung von unbewaffneten Demonstranten noch nie mit einer solch menschenverachtenden Banalität gerechtfertigt wie die Sprecherin des israelischen Außenministeriums, Michal Maayan.  In einem Fernsehinterview beantwortete sie am Montag gegenüber dem Fernsehsender RTÉ die Frage, warum Soldaten auf die palästinensischen Demonstranten schossen, mit den Worten: „Nun, wir können nicht all diese Leute ins Gefängnis stecken.“

In deutschen Medien ist das jedoch kein Thema. Stattdessen erregte man sich am gestrigen Donnerstag darüber, dass in der „Süddeutschen Zeitung“ eine  Karikatur des israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu in Gestalt der Gewinnerin des Eurovision Song Contest, Netta, dargestellt wurde. In seiner hochgestreckten Hand hält Netanjahu  in Siegerpose eine Rakete in der Hand, auf der ein Davidstern abgebildet ist. In einer Sprechblase steht „Nächstes Jahr in Jerusalem!“ Angefeuert durch den Protest des Repräsentanten der Jüdischen Gemeinde zu Berlin gegen dieses üble Machwerk, gegen den Ministerpräsidenten des „einzigen demokratischen Staates in Mittelost“ ging dann sofort die deutsche Hasbara ans Werk und ließ einen mächtigen,  pro-zionistischen „Shitstorm“ auf die „Süddeutsche“ niederprasseln. Devot knickte die Geschäftsführung prompt ein und kündigte nach jahrzehntelanger Zusammenarbeit ihrem Zeichner Dieter Hanitzsch.

Solche und andere Mätzchen, wozu auch das Kippa-tragen-Happening gehörte, füllen die Spalten der deutschen Medien. Sie lenken ab, füllen ganze Seiten und dann hat man natürlich keinen Platz mehr, um von dem Befehl der israelischen Generalität zur gezielten Tötung auch von protestierenden, palästinensischen Kindern zu berichten. Sonst könnte ja ein großer BRAUNER Fleck auf dem weißen Zionistenhemd entdeckt werden. Wer interessiert ist, welche schrecklichen Auswirkungen dieser israelische Befehl zu Massenerschießungen junger Palästinenser hat, findet die Augenzeugenberichte von Dr. Abed Schokry über den nachfolgenden Link. Dr. Schokry arbeitet als Arzt in GAZA, kommt aus Deutschland, hat an der TU in Berlin Medizin studiert und promoviert.

Nachfolgend ein Auszug: vom 15. Mai:

“Gestern bin ich am Rande der Demonstration in Gaza Stadt gewesen. Ich habe die vielen Menschen gesehen, junge und alte Menschen, Männer und Frauen, auch Kinder mit ihren Eltern. Danach kehrte ich heim und kaum war ich Zuhause, da erfuhr ich, dass der 17 Jahre alte Sohn meiner Cousine erschossen worden war. Danach kamen Meldungen, dass weitere Verwandte von mir verletzt wurden. Einige hatten Schusswunden an den Beinen, andere an der Brust und weitere hatten Bauchschüsse erlitten. Manche von ihnen wurden sofort in den Krankenhäusern operiert, andere warten darauf, ins Ausland verlegt zu werden, denn es fehlen geeignete medizinische Geräte oder Medikamente. Ob man sie aus Gaza raus lässt, weiß ich nicht. … “

Aber die deutschen Medien sprechen verharmlosend von „gewalttätigen Auseinandersetzungen“ am Grenzzaun, als hätte es sich um eine 1. MAI Demo in Berlin gehandelt, und nicht um ein blutiges Massaker bei dem allein Montag dieser Woche mit gezielten Schüssen 52 palästinensische

Jugendliche getötet und weitere 1200 zum Teil schwerverletzt wurden. Die scheinheilige Verteidigung des von unseren führenden Medien und Politikern bewunderten „Judenstaats“, der angeblich „einzigen Demokratie“ im Mittleren Osten, die nichts Böses tun kann, ist der vorläufige Höhepunkt eines abscheulichen politischen Zynismus. Und, dass diese Abscheulichkeit besonders stark aus dem Mund und der Feder linker Politiker und Journalisten kommt, macht erst recht sprachlos. Denn diese Pseudo Linken nehmen damit die Führung und die Politik eines rechtsextremen und rassistischen Staates in Schutz. Sie verteidigen also das genaue Gegenteil von dem was „links“ ist, nur weil es sich bei den Tätern diesmal um Juden handelt.

Wie dieses Paradox sich fast ausschließlich unter den deutschen  Linken entwickeln konnte, geht der international renommierte, israelische Professor für Soziologie und Geschichte an der Uni Tel Aviv,  Moshe Zuckermann, in einem höchst aktuellen Interview auf den Grund. Das Interview wurde von Susan Witt-Stahl für das „Projekt Kritische Aufklärung“ geführt und ist über diesen Link zu erreichen. Als Appetitanreger folgen einige Auszüge aus Zuckermann brillanter Analyse der verkommenen Denkmuster dieser „Linken“ und die üble Rolle, die dabei insbesondere der Großteil der Bundestagsfraktion der Partei „DieLinke “ gespielt hat. Denn die Mehrheit dort scheint bereit, jedes Prinzip über Bord zu werfen, nur um in dieser Unwertegemeinschaft Bundesrepublik Deutschland „regierungsfähig“ zu werden.

Im Interview erinnert Witt-Stahl Prof. Zuckermann daran, dass der Fraktionschef  der Linken Dietmar Bartsch in seiner Bundestagsrede zum Geburtstag des Judenstaates am 26. April 2018 „die Deutschen zur Israelsolidarität gemahnt und seine Forderung damit begründet hat, dass es die  »moralische Pflicht“ eines jeden sei, „alles zu tun, dass Auschwitz sich nicht wiederholt“. Wie kommt so ein Gebaren bei Ihnen als jüdischem linken Israeli an?“

Moshe Zuckermann: “Solche Aussagen kommen mir vor wie der Versuch von Deutschen, die offenbar wenig Ahnung davon haben, was sich in den letzten Jahren in Israel abspielt, sich aus feierlichem Anlass an den ideologischen Vorgaben der israelischen Propaganda im Ausland („Hasbara“) zu orientieren. Was meinen diese Menschen, wenn sie im Zusammenhang von Israel von »Demokratie« reden? Was für ein Israel meinen sie, wenn sie »Solidarität« mit ihm anmahnen? Und was hat das mit dem Postulat zu tun, dass Auschwitz sich nicht wiederhole? Abgesehen von den Klischees, die hier klebrig zusammengefaselt werden, zeugen diese Positionen der LINKEN-Fraktion von einer peinlichen Realitätsferne, die den Verdacht aufkommen lässt, dass es ihr gar nicht um ein reales Israel zu tun ist;  vielmehr manifestieren sich in ihnen deutschbefindliche Vermessenheiten.“

FRAGE: „Was ist denn in diesen Tagen Realität in Israel?“

“Die Realität in Israel ist die, dass die Regierungskoalition, die rechteste in seiner Parlamentsgeschichte, dabei ist, die Grundfesten der Demokratie zu demontieren: Der Oberste Gerichtshof wird attackiert, um die Judikative der Exekutive gefügig zu machen. Vom Umkreis des Premierministers, der sich schwersten Korruptionsvorwürfen zu entwinden trachtet, wird die Polizeigewalt desavouiert. Das Erziehungsministerium, in der Hand der Nationalreligiösen Partei, ist bestrebt, das gesamte Bildungswesen immer mehr religiösen Vorgaben unterzuordnen. Miri Regev, die Kulturministerin, eine erklärte Faschistin, erweist sich immer wieder als eine vulgäre, machtbesessene, kulturresistente Person, die vor allem damit befasst ist, sich in beschämendster Art und Weise bei Netanjahu und seiner Frau einzuschleimen. (…) Politik wird größtenteils nur noch populistisch betrieben. Fremdenhass, ethnische Ressentiments und Rassismus bestimmen in vielerlei Hinsicht den Alltagsdiskurs. Das Militär, in Avigdor Liebermans Händen, ist damit befasst, auf unbewaffnete Palästinenser zu schießen. Ich könnte jetzt die gesamte Zeit unseres Gesprächs darauf verwenden, solcherlei Widerlichkeiten aufzuzählen. Ich will es nicht tun, aber vor allem möchte ich eines hervorheben:

Israel ist ein Land, das seit über 50 Jahren ein brutales Okkupationsregime unterhält, mit dem es das palästinensische Volk knechtet, und mit einem riesigen Siedlungswerk permanent völkerrechtswidrige Expansion betreibt. Das ist keine Demokratie. Das ist keine Zivilgesellschaft. Das ist ein Land, das jedes Recht verwirkt hat, sich noch auf die »Lehren von Auschwitz« zu berufen. (…)“

Ich empfehle das ganze Interview zu lesen. Hier nochmals der Link: http://projektkritischeaufklaerung.de/de/verwirkte-relevanz/

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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