Tagesdosis 18.2.2019 – Ohne Analyse keine Lösung (Podcast)

Ein Kommentar von Susan Bonath.

Die Welt gleicht einer Katastrophe. Der Raubbau an der Natur zum Zweck der Profitmaximierung hat bedrohliche Ausmaße angenommen. Landstriche verwüsten, Insekten und Pflanzen sterben aus, Inseln verschwinden im Meer. Die Slums wachsen, jeder siebte Erdbewohner leidet – trotz Überproduktion – an Hunger. Kein Wunder: Die Flüchtlings- und Migranten-Ströme in Richtung der Imperien, wo volle Warenhäuser locken, reißen nicht ab. Doch die Macht schläft nicht. Immer neue Ressourcenkriege zettelt das imperialistische Bündnis aus USA und EU an. Dafür stockt Deutschland den Rüstungsetat auf. Um die Menschen in diesem Chaos gefügig zu halten, berät die Finanzwelt darüber, das Bargeld abzuschaffen.

In Wahrheit tobt dieser Krieg seit vielen Jahrzehnten. Es ist ein barbarisches Gerangel um Zugriff auf Ressourcen und Märkte auf der einen sowie Verteilung, Teilhabe und soziale Rechte auf der anderen Seite. In der Peripherie hat sich längst kapitalistische Anarchie ausgebreitet, mit schlimmen sozialen Folgen. Lange bekam das deutsche Kleinbürgertum davon nicht viel mit. Mit den Flüchtlingen, der wachsenden Zahl Obdachloser unter Brücken deutscher Großstädte, mit der Wohnungsnot und der Prekarisierung des Arbeitsmarktes kommt die Ahnung: Der Kelch wird am Flecken Deutschland nicht vorübergehen.

Das macht Angst und frustriert. Hände ringend suchen viele nach Lösungen – verständlich. Die einen rufen nach Abschottung Deutschlands vor all dem bedrohlichen Unheil. Manche schreiben visionäre Konzepte, zum Beispiel für ein Bedingungsloses Grundeinkommen, kurz: BGE. Andere geißeln das „verzinste Geldsystem“ als Ursache allen Übels und trommeln dafür, es abzuschaffen. Und sehr viele empören sich immer wieder aufs Neue: Warum hat Deutschlands Kriegsministerium unter Ursula von der Leyen so viel Geld für die Aufrüstung übrig, während es für Soziales angeblich nicht reicht?

Viele kritisieren, die Autorin bringe nur Analysen, aber keine Lösungskonzepte. Doch sie selbst scheitern an der kapitalistischen Realität. Die Regierung tut einfach nicht, was sie fordern. Nein, tut sie auch nicht. Sie hat nämlich die Aufgabe, die Verhältnisse zu managen, und zwar im Sinne ihrer Auftraggeber. Das sind die Profiteure. Der Rest, die Masse, hat gefälligst Profite für diese Klientel zu erwirtschaften. Der Kapitalismus, in dem wir leben, funktioniert so. Er hat nur einen irrationalen Selbstzweck: Profitmaximierung in den Taschen der Besitzer der Produktionsmittel – mit allen Mitteln und allen verfügbaren Waffen.

Was mit einer Regierung geschieht, die das anders sieht, sieht man unter anderem an Griechenland, Venezuela, Libyen, Syrien, der Ukraine. Die ökonomische Erpressung, das Anzetteln von Bürgerkriegen und Regimechanges gehören in den Werkzeugkasten der militärischen Großmächte. Die Geschichte, wonach der kapitalistische Staat wir alle seien, gehört ins Reich der Märchen und Mythen. Dass er das Instrument der herrschenden Minderheit ist, um die Mehrheit zu unterdrücken, zeigen auch Tausende schwerverletzte und Dutzende verstümmelte Demonstranten in Frankreich. Die Waffengewalt liegt beim Staat. Und er nutzt sie immer, wenn die bürgerliche Demokratie nicht den Interessen der Macht genügt.

An diesem Staat, dessen Aufgabe es ist, das System zu verteidigen, muss erst einmal vorbei, wer es ändern will. Ein Konzept, das dies nicht berücksichtigt, mag visionär sein. Doch es ist nicht umsetzbar. Auch die BGE-Freunde scheitern an der kapitalistischen Realität. Denken wir, was geschähe, gäbe es für jeden Erwachsenen 1.000 und jedes Kind 500 Euro. Dann hätte die Mehrheit der Familien mit Mutter, Vater, Kind künftig zusammen mit Erwerbseinkommen und BGE statt 2.500 nun 5.000 Euro zur Verfügung. Was täten Miethaie, Bahngesellschaften und die übrigen Kapitalisten? Sie würden die Preise erhöhen. Warum sollen sie 900 Euro für eine Vierzimmer-Wohnung nehmen, wenn die Masse 2.000 zahlen kann?

Das heißt: Vom BGE allein könnte niemand mehr leben. Wer es müsste, sollte sich schon mal einen Platz unter einer Brücke sichern. Mitnichten würde es vom Zwang zur Lohnarbeit befreien. Und auch die Löhne selbst gerieten in den freien Fall. Welcher Unternehmer wird 18 Euro pro Stunde zahlen, wenn seine Arbeiter dank BGE auch mit zehn Euro nicht verhungern? Die Regierung spielte mit, um das Wirtschaftswachstum nicht zu gefährden. Außerdem: Auch ein BGE würde letztlich aus Steuern berappt. Und die stammen aus Profit, der immer von Lohnarbeit abgeschöpft wird. Ein BGE unter kapitalistischen Bedingungen wäre nutzlos, weil es die Herrschenden und ihr Apparat wieder einkassieren. So funktioniert das System.

Eine Bewegung, die für soziale Rechte im Kapitalismus eintritt, muss sich dessen bewusst sein. Unter diesen Umständen ist es einzig sinnvoll, eine höhere und repressionsfreie, aber bedarfsgeprüfte und am Warenkorb orientierte Grundsicherung zu verlangen. Dies würde im Gegensatz zu allen BGE-Modellen auch zu Lohnsteigerungen führen. Nur wenn jemand keine Angst vor dem bodenlosen Absturz haben muss, wird er nicht mehr freiwillig für Billiglöhne mit allen Folgen schuften. Doch das will der Staat gar nicht.

An der Realität scheitern auch jene, die das Geldsystem als einziges Übel geißeln, aber die Eigentumsverhältnisse ausblenden. Abgesehen davon, dass auch hier der Staat nicht eingreifen wird, weil er eben als territorialer Manager des globalen Kapitalismus fungiert, sollte man einigen Fragen nachgehen. Was ist Geld, Kapital und Zins eigentlich? Was hat es mit der Geldschöpfung aus dem Nichts auf sich?

Geld ist ein Tauschäquivalent und Wertspeicher. Es beziffert den Tauschwert eines jeden Produktes oder natürlichen Gutes, das der Profitmaschine – dem Markt – unterworfen und so zur Ware wurde. Ein solches Äquivalent ist für den Tausch in einem gigantischen Warenlager unabdingbar. Und es funktioniert nur mit Waren, die jemandem gehören. Das ist im Kapitalismus erst mal der Eigentümer der Produktionsmittel.

Geld wird, wie Arbeitskraft und Produktionsmittel aller Art, erst dann zu Kapital, wenn es zum Zweck der Profitmaximierung in den Verwertungsprozess eingebracht wird. Es wird kapitalisiert. Darum heißt das System Kapitalismus. Die Bank verleiht Geld. Sie agiert als Dienstleister, um den Prozess der Kapitalisierung – die Vulgärökonomen sprechen vom Wirtschaftswachstum – anzukurbeln. Die Staaten erlauben es Banken, Geld aus dem Nichts zu schöpfen. Aber es bleibt nicht nichts:

Leiht sich ein Kapitalist Geld, um eine modernere Maschine zu kaufen, mit der er mehr und schneller als die Konkurrenz produzieren kann, wird real-wirtschaftlich Neues geschaffen, das ihm Profit bringt. Das aus dem Nichts geschöpfte Geld wird in Produktionsmittel und Arbeitskraft investiert. Es bringt reale Güter hervor. An dem Profit, den der Kreditnehmer einfährt, lässt sich die Bank als Dienstleister beteiligen. Sie fordert ihren Anteil in Form des Zinses. Der Zins ist also nichts weiter als ein Profitanteil für die Bank für ihre Dienstleistung. Auch die Werbeindustrie fordert als Dienstleister Anteile am Profit ihrer Auftraggeber.

Nimmt sich ein Arbeiter einen Kredit, um ein Haus zu bauen, entsteht ebenso real-wirtschaftlich Neues. Für die Zinsen muss er wiederum lohnarbeiten. Er schuftet also nicht nur zum Teil für den Profit seiner Chefs, sondern zu einem weiteren Teil für die Bank. Die Bank schöpft ihren Anteil in diesem Fall direkt vom Arbeiter ab. Man kann es auch so sagen: Die Bank herrscht über die Arbeit – so oder so.

Nun bewirkt der Zwang zur Profitmaximierung automatisch, dass sich das Kapital ganz oben konzentriert. Bank- und Industriekapital verschmelzen miteinander. Die multinationalen Monopole zeugen davon. Man spricht vom Finanzkapital. Auf den Finanzmärkten wird kräftig spekuliert. Das erweckt den Anschein, sie seien völlig abgekoppelt von der Wirtschaft. Der Schein trügt. Zwar generieren Spekulanten zuweilen gigantische Einzelprofite. Doch so entstehen Blasen, die regelmäßig platzen und Krisen produzieren, wenn in der Realwirtschaft nicht entsprechende Profite durch Arbeit erbracht werden können. 

Die kurzfristigen Einzelprofite durch Spekulationen mit Aktien und Wertpapieren machen zwar einige Menschen sehr reich, wodurch sich auch Eigentums- und Machtverhältnisse verschieben. An der Gesamt-Profitrate ändern sie nichts. Und diese befindet sich im Fall, und zwar aufgrund der zunehmenden Automatisierung und Digitalisierung. Man kann sich das wie folgt vorstellen:

Ein Kapitalist kauft die neueste modernste Maschine. Damit kann er mit halb so vielen Arbeitskräften doppelt so viel produzieren wie seine Konkurrenten. Er entlässt einen Teil seiner Lohnarbeiter in die Armut, spart so Kosten, und bringt trotzdem doppelt so viele Produkte wie zuvor auf den Markt. Wegen der Masse kann er sie billiger verkaufen, als die Konkurrenz. Er fährt kurzfristig sehr hohe Renditen ein, sein Unternehmen boomt. Doch die Konkurrenz zieht technologisch nach, um nicht unter zu gehen.

Dieses Gerangel mündet in einem Preiskampf nach unten. Dann geht es um Marktanteile. Es mag einer den Markt für sich gewinnen, wenn er die anderen in die Pleite treibt. Insgesamt aber wird für die Produkte immer weniger Profit eingefahren, derweil sich das Kapital konzentriert und sich die Sozialausgaben des Staats für entlassene Lohnabhängige erhöhen. Kurz gesagt: Erhöht sich der Anteil von konstantem Kapital gegenüber dem variablen Kapital, also der Arbeitskraft, sinkt die Gesamt-Profitrate. Um dagegen zu halten, verschärfen Staat und Kapitalisten das Spiel weiter: Die Reallöhne sinken, der Staat schröpft die im Produktionsprozess verbliebenen Arbeiter immer stärker, bis nichts mehr geht und für den Krieg aufgerüstet wird.

Das ist die Realität. Wer sich dieser verweigert, kann schöne Utopien produzieren, aber keine Lösungen. Letztere ergeben sich aus der Analyse des Ist-Zustandes. Die beste Software nützt auch nichts, wenn keiner versteht, wie der Computer funktioniert. Schon Rosa Luxemburg schrieb im Weltkriegsjahr 1915 nieder: „Zu sagen, was ist, bleibt die revolutionärste Tat.“ Die Handlungsoptionen sind aktuell ziemlich eindeutig. Ich habe mich schon öfter dazu geäußert. Dass sie den meisten nicht gefallen, ändert nichts an der Realität und daran, dass die Konsequenz des Nichthandelns das „Weiter so“ ist – mit allen Folgen. Und die werden – so viel ist sicher – für die Mehrheit der Menschen alles andere als glimpflich enden.

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Danke an die Autorin für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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