Tagesdosis 18.1.2019 – Die Ausgegrenzten. Die Medien gehen allzu freigiebig mit dem Begriff „Nazi“ um.

Ein Kommentar von Roberto De Lapuente.

Gut, wer mag schon Nazis? Andererseits ist es aber so, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der öffentlich-rechtlichen Anstalten, dass eben auch die, die ihr mit dem Label „Nazis“ abtut, Rundfunkbeitrag bezahlen. Viele Leute ticken in Fragen wie Zuwanderung und nationale Grenzen eben etwas anders als der liberale Mainstream. Sie alle einfach als Hitler-Nachfolger zu beschimpfen und aus dem Blickfeld entfernen zu wollen, greift zu kurz.

Letzte Woche war sich die halbe Republik einig: Nazis will keiner haben — sie sollen raus. Aus Deutschland. Aus den Köpfen. Wo immer sie eben drin sind. Weg mit denen! Ungewollt angeleiert wurde die Diskussion von der ZDF-Reporterin Nicole Diekmann. Diese hatte am Jahresanfang genau jene Worte getwittert und wurde prompt mit einem Shitstorm ins neue Jahr begrüßt. Sie bekam es leider mit Beschimpfungen, Vergewaltigungs- und Todesdrohungen zu tun.

Vorab muss man wohl bei jeder kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema eine Selbstverständlichkeit voranstellen: Nein, nichts rechtfertigt solche Reaktionen. Und die folgende Kritik an Diekmann und Kollegen entschuldigt solche Handlungen mit keinem Stück.

Der Hashtag #nazisraus wurde in den folgenden Tagen zum Tweet der Anständigen, Zehntausende Follower wiederholten die zwei Worte in Tweets und Posts. Auch prominente Anständige waren mit von der Partie. Ralf Stegner und Heiko Maas zum Beispiel. Bodo Ramelow nutzte seine 280 Zeichen für eine Kurznachricht, um den Hashtag in Dauerschleife zu wiederholen. Die Tagesschau und das Deutschlandradio solidarisierten sich ebenso mit der Angestellten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und stellten nochmal klar, auch sie wollen Nazis draußen haben.

Die Nazis: Auch Gebührenzahler!

Aber wer sind diese Nazis eigentlich? Im Grunde handelt es sich bei ihnen um eine historische Entität. Die dazugehörige Ideologie findet man heute so bestenfalls nur noch in Versatzstücken. Man benutzt den Begriff „Nazi“ aber weiterhin. Er steht für einen rückständigen Menschen, für Rassisten und Blockwarte, für Sexisten oder Leute, die gewisse liberale Vorstellungen nicht pflegen wollen. Gemeinhin benutzt man das Wort also für Personen, die eine andere (Lebens-)Einstellung haben als man selbst.

Übersetzt muss man Diekmanns kurzen Tweet demnach so lesen: AfD raus! Oder: Illiberale raus! Oder vielleicht auch: Wer nicht so tickt wie ich in gewissen Fragen des Lebens, Alltags, der Sexualität und Gesellschaft insgesamt, der soll bitte nicht wieder reinkommen und draußen bleiben.

Hier offenbart sich ein ziemlich großes Problem, das in der Debattenkultur der allgemeinen Solidaritätsstimmung gar nicht zur Sprache kam: Wenn es gar nicht um historische Nazis mit Runen an der Kappe oder um Neonazis mit Schweißperlen auf der Fleischkappe geht, sondern — zeitgenössisch naheliegender — um Leute, die aus verschiedenen Gründen AfD wählen oder sich einfach nicht in jeder Lebenslage antirassistisch oder antisexistisch korrekt artikulieren, dann sagt Frau Diekmann damit auch: Gebührenzahler raus! Sie möchte also ihre eigene Kundschaft vor die Türe setzen.

Die Leute im Land wissen wahrscheinlich schon ziemlich genau, wer gemeint sein könnte, wenn heute jemand Nazis zum Teufel jagt. Sicher nicht Himmler und Göring. Und auch nicht den verstorbenen SS-Opa. Es sind diejenigen, die man sich in der öffentlichen Wahrnehmung, eben ganz explizit auch bei ARD und ZDF, aber auch in öffentlichen-rechtlichen Radioanstalten, als deren Nachfolger ins rechte Licht gerückt hat. Und die man nicht mit journalistischem Abstand behandelt, sondern mit parteiischen Kampagnen beglückt.

Gebührenfinanziertes Gebührenzahler-Bashing

Der Märtyrerstatus der AfD ist nämlich maßgeblich einem öffentlich-rechtlichen Journalismus zu verdanken, der diese Partei ausgrenzt und ihr den Kampf angesagt hat. Für die Partei dürfte das ein Glücksfall sein, denn das bestätigt nur den etwas dumpfen Vorwurf, der aus dem Lager der AfD immer wieder zu vernehmen ist: Lügen- oder Systempresse. Diverse Journalisten haben sich darauf spezialisiert, jenen Teil ihres Publikums als ewiggestrig in Szene zu setzen, der mit der AfD liebäugelt. Sie führen diese Leute vor, belehren sie und halten ihnen dabei einen urbanen Lebensstil vor Augen, der nicht die Lebenswirklichkeit dieser Bürger widerspiegelt.

Wenn man aber alle „rausschicken“ will, die nicht den Kanon des liberalen Agendamenschen pflegen, die also für nationale Grenzen sind, für kontrollierte Einwanderung oder die Vorbehalte gegenüber gewissen Gendertendenzen hegen, die aus Protest, Überzeugung oder weil sie keine Ahnung haben AfD wählen, die manche multikulturelle Entwicklung in Brennpunkten beanstanden — wenn man also all diese Leute vor eine Tür setzen will, kommt am Ende die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Sektors zu kurz.

Dabei jammern die Intendanten doch seit geraumer Zeit darüber, dass ihnen das Geld knapp ist und sie nicht mehr wettbewerbsfähig produzieren könnten. Klar doch, aber 2021 wird die Bundesliga auch wieder kostenintensiver. Bis dahin haben die Bundesligavereine eine gut geheim gehaltene und daher nur spekulativ zu nennende Milliarde an Gebührengeldern überwiesen bekommen. Auch Werder Bremen kriegt was von diesen Geldern ab. Trotzdem wollte der Werder-Präsident unlängst AfD-Mitglieder aus dem Stadion raushaben. Obwohl die auch für seinen Verein blechen.

Ein bisschen wie den Klubs geht es auch Journalisten wie Nicole Diekmann: Auch sie sind ja letztlich gebührenfinanziert.

„… der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden, die ihr Beruf erfordert …“

Diese Zwischenüberschrift stammt nicht etwa aus dem ungeschriebenen Ehrenkodex der Öffentlich-Rechtlichen, gilt also nicht für die dort eingestellten Mitarbeiter. Man findet den Passus im Bundesbeamtengesetz (BBG) — unter dem Abschnitt der rechtlichen Stellung, wo es heißt „Pflichten“. Eigentlich ist es ein bisschen schade, dass es nicht auch für Angestellte von ZDF und Co. gilt. Denn das zwischen Rechten und Pflichten der öffentlich-rechtlichen Anstalten etwas nicht mehr stimmig ist, haben viele im Lande mittlerweile begriffen.

Besonders bewusst wurde das vielen bei der Berichterstattung zur Ukraine-Krise. Insbesondere dem ZDF ging eine ergebnisoffene journalistische Analyse der Situation vor Ort ab. Man bezog strikt NATO-Positionen und rekrutierte das Feindbild des Kalten Krieges: den „verschlagenen Russen“. Dabei war schon vorher eine Schieflage entstanden. Schon bei den Berichten zur Agenda 2010 gab es öffentlich-rechtliche Einseitigkeiten, in Talkshows wurde die Wirklichkeit im Lande selektiert. Dort saßen Lobbyisten als Experten — Politiker der Linkspartei nur selten. There was no alternative.

Natürlich darf jemand, der im öffentlich-rechtlichen Fernsehen arbeitet, eine eigene Meinung haben. Die Frage ist nur, ob sie von Relevanz für die Öffentlichkeit ist, wenn er von eben dieser Öffentlichkeit — und zwar von der gesamten Öffentlichkeit — bezahlt wird. Wenn ein FAZ-Journalist etwas schreibt, das man für unhaltbar und unerträglich hält, kündigt man das Abo – das ZDF ist jedoch unkündbar.

Einen angemessenen Ton von Leuten, die sich öffentlich aushalten lassen: Das vermissen viele Menschen im Lande. Und zwar in allen politischen Lagern. Wenn sie schon die eigentlich gute Idee der Gebührenfinanzierung tragen sollen, dann möchten sie wenigstens das Gefühl haben, dass der dortige Journalismus keine Befindlichkeitsshow ist, in der Journalisten nicht mehr die Wirklichkeit abbilden, sondern Pädagogen mimen möchten. Daher ist es etwas anderes, ob eine ZDF-Angestellte „Nazis raus!“ ruft oder jemand, der sich am freien Markt verdingen muss.

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Dieser Beitrag erschien am 16.01.2019 bei Rubikon – Magazin für die kritische Masse

Hinweis zum Rubikon-Beitrag: Der Text erschien zuerst im „Rubikon – Magazin für die kritische Masse“, in dessen Beirat unter anderem Daniele Ganser und Rainer Mausfeld aktiv sind. Da die Veröffentlichung unter freier Lizenz (Creative Commons) erfolgte, übernimmt KenFM diesen Text in der Zweitverwertung und weist explizit darauf hin, dass auch der Rubikon auf Spenden angewiesen ist und Unterstützung braucht. Wir brauchen viele alternative Medien!

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