Tagesdosis 17.4.2018 – Rote Linien

Ein Kommentar von Mathias Bröckers.

Als „Déjà-vu“ werden Situationen bezeichnet, von denen man glaubt, sie genau so schon einmal erlebt zu haben. Und ein solches Erlebnis konnte man am vergangenen Wochenende haben, als die Nachrichten von den Bombenangriffen auf Syrien eintrafen. Blenden wir kurz fünf Jahre zurück:

Im August 2013 stehen die Truppen der USA, Englands und Frankreichs kurz davor, mit Bombardements in den syrischen Konflikt einzugreifen, weil nach mehreren Giftgaseinsätzen, die der Assad-Regierung zugeschrieben wurden, laut Präsident Obama eine »rote Linie« überschritten war. Nachdem am 21. August in der Stadt Ghuta erneut mehrere hundert Zivilisten durch den Einsatz chemischer Waffen ums Leben gekommen waren, setzte Obama den Termin des Bombenangriffs auf den 2. September fest, England verlegte ein U-Boot und Kampfflugzeuge nach Zypern, eine Staffel der französischen Luftwaffe wurde in Bereitschaft versetzt. Ohne Frage wäre es zu diesem Angriff auf Damaskus gekommen – der US-Präsident hatte ihn sogar schon öffentlich angekündigt. Dass er im letzten Moment abgewendet wurde, verdankte sich einem russischen Agenten, der dem britischen Geheimdienst MI-6 ein Muster des in Ghuta verwendeten Giftgases zukommen ließ – samt eines vertrauenswürdigen Belegs, dass dieses nicht aus russischen Beständen stammte und daher auch nicht im Arsenal von Assad gewesen sein konnte. Nachdem die Chemiker des MI-6 dies geprüft hatten, funkten sie eilig nach Washington: »Wir wurden reingelegt!«

Wie dies geschah, deckte der investigative Reporter Seymour Hersh dann einige Monate später auf: In einer klassischen »False-Flag-Operation« hatten die »Rebellen« selbst das Giftgas eingesetzt. Die Kampfstoffe stammten aus der Türkei und waren auf der von der CIA eingerichteten »Rattenlinie« zur Versorgung der Aufständischen nach Syrien gebracht worden. Mit dem von der Türkei, Katar und Saudi-Arabien ausgeheckten Plot sollten die Großmächte in den Konflikt hineingezogen werden, was Russland verhinderte und danach einen Deal mit Assad aushandelte, sämtliche syrische Chemiewaffen zu vernichten – was unter Aufsicht der zuständigen UN-Kommissionen auch geschah.

Doch das Auffliegen der Geschichte und die Beweise, dass 2013 nicht der »Schlächter« Assad Chemiewaffen einsetzte, sondern die vom Westen eingeschleusten islamistischen Söldner, änderte rein gar nichts – und im Frühjahr 2018 kommt es zum „Déjà-vu“, und wieder ist dauernd von „roten Linien“ die Rede:

– am 4. März werden Sergey und Julia Skripal in England angeblich mit einem Nervengift angegriffen

– am 6. März macht Englands Außenminister Johnson Russland dafür verantwortlich

– am 7. März kommt der saudische Kronprinz Bin Salman zu einem offiziellen Besuch nach London

-am 13. März berichtet der russische Generalstab, dass aus Syrien Geheimdiensterkenntnisse über die Vorbereitungen zu einem Chemiewaffen-Anschlag vorliegen, die eine Begründung für Bombenangriffe auf Damaskus liefern sollen

– am 19. März ist der saudische Kronprinz Bin Salman auf Staatsbesuch in Washington

– am 8. April trifft Bin Salman zu einem offiziellen Besuch in Paris ein

– am 9. April behauptet die von den Saudis finanzierte Dschihadisten-Truppe “Jaish al Islam“ und ihre  von England finanzierte Sanitäter-Truppe, die “White Helmets“, dass in ihrer Enklave in Duma ein Chemiewaffenangriff  der syrischen Armee stattgefunden habe.

– am 11. April bekundet Saudi Arabien Unterstützung für einen Angriff auf Syrien. Trump twittert vom „Animal Assad“

– am 12. April trifft eine Delegation der internationalen Chemiewaffenkontrollbehörde ein, die untersuchen soll, ob ein Giftgasangriff in Duma stattgefunden hat. Doch noch bevor sie ihre Untersuchung aufnehmen kann wird Syrien

– am 14. April mit  über 100 amerikanischen, britischen und französischen Raketen bombardiert.

Die deutsche Regierung stellt sich – wie 2013 – auf die Seite der Angreifer, Angela Merkel begrüßte, dass sie „Verantwortung“ übernommen hätten. Verantwortung für was, fragt man sich – denn dieser Angriff ohne Rechtsgrundlage und ohne UN-Mandat war nichts anderes als ein völkerrechtswidriges Kriegsverbrechen. DAS ist die rote Linie, die mit diesem Angriff überschritten wurde – wie schon im Irak, wie schon in Libyen und fast überall, wo der US-Hegemon seit Jahrzehnten seine Bomben abwirft. Oder wie in Vietnam vor 50 Jahren flächendeckend Chemiewaffen einsetzte, oder sie an den damals noch verbündeten Saddam Hussein lieferte, der sie gegen den Iran nutzte. »Rote Linien«, so können wir nach dem letzten Wochenende lernen, gelten immer nur für eine Seite: Wir, die Guten, dürfen alles, weil wir für »Freiheit« und »Menschenrechte« unterwegs sind. Wir bekämpfen den Terror“, wir beseitigen  »Diktatoren« und sind ganz strikt und humanitär natürlich gegen „Giftgas“. Sofern wir es nicht gerade selbst einsetzen…

Mathias Bröckers schrieb zuletzt „König Donald, die unsichtbaren Meister und der Kampf um den Thron“ (Westend Verlag) und bloggt auf broeckers.com

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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