Tagesdosis 17.12.2018 – Liebe Bonath-Hasser…(Podcast)

Ein Kommentar von Susan Bonath.

Liebe Bonath-Hasser,

danke, dass ihr regelmäßig eure Freizeit opfert, um mir euren Hass zu erklären. Hin und wieder überfliege ich eure Kommentare sogar. Das ist langweilig, denn ihr schreibt immer dasselbe. Viele beleidigen ganz ohne Argumente, andere schieben mir Dinge unter, die offenbar nur in ihrem eigenen Kopf passieren. Manche wünschen mich in die Obdachlosigkeit zum Flaschensammeln, andere einen „Ausländer“ herbei, der mich „zu Tode vergewaltigen“ möge. Das spricht nun selbst für den Charakter des Schreibers. Ich werde hier mal nur auf eins eingehen: Den Vorwurf, ich sei eine böse Spalterin – und zwar in rechts und links.

Klären wir zunächst Grundlegendes: Rechts will die gesellschaftlichen Verhältnisse der Ungleichheit durch Unterdrückung bewahren, links will sie aufheben. Ich erinnere an den Kampfspruch der Linken in Frankreich zur Zeit der Revolution: „Liberté, Egalité, Fraternitè“ – zu deutsch: „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“. Die Ziele von rechts und links sind also völlig konträr.

Wie wir heute wissen, hat es damit in Frankreich nicht ganz geklappt. Doch immerhin erreichte man am Ende eins: Die herrschende gewährte der unterdrückten Klasse erstmals bürgerliche Rechte. Wenn auch vor allem auf dem Papier. Denn wer nichts hat, hat keine Macht. Und wer was hat, errichtet den Staat und nutzt ihn als sein Instrument. Willkommen in der bürgerlichen Parlamentsdemokratie.

Diese Demokratie ist für die besitzende Klasse besonders praktisch. Sorgt sie doch dafür, dass die Lohnabhängigen ganz freiwillig im Hamsterrad laufen. Das spart jede Menge Kosten. Denn eine reine Gewaltherrschaft ist wahnsinnig teuer und aufwändig.

Liebe Bonath-Hasser, was mir immer wieder auffällt: Viele von euch haben den ungarischen Staatschef Viktor Orban sehr lieb. Denn Orban geißelt den Migrationspakt und geht sehr repressiv mit Flüchtlingen, euren Lieblingsfeinden, um. Orban sei nämlich nicht so „neoliberal“, wie Merkel. Und das sei gut, findet ihr.

Nun stellt euch einmal Folgendes vor: Ihr lebt in einem Land, wo ihr für umgerechnet 418 Euro pro Monat arbeiten müsst – brutto. Dabei ist die Miete fast so hoch wie in Deutschland. 418 Euro, das ist der Mindestlohn. Vor vier Jahren betrug er noch 445 Euro, dann wurde er gekürzt. Schmeißt euch der Chef raus, gibt´s pro Erwachsenem weniger als 100 Euro Sozialhilfe. Im Monat. Die Regierung hatte sie 2014 halbiert.

Davon müsst ihr nicht nur eure Kinder durchfüttern. Ihr müsst für die paar Piepen auch gemeinnützige Arbeit verrichten. Für diese Zwangsarbeit können sie euch mit der Polizei quer durchs ganze Land karren – Familie hin oder her. Wohnbeihilfe gibt es seit 2015 auch nicht mehr. Verliert ihr eure Bleibe und hockt nachts auf der Straße, um euch von der Zwangsarbeit zu erholen, landet ihr im Knast und eure Kinder im Heim.

Und nun kommt es noch dicker. Denn gerade hat die Regierungspartei in eurem Land beschlossen, dass eurer Chef euch nicht nur 225, sondern 400 Überstunden jährlich aufdrücken kann. Und die muss er auch erst drei Jahre später entlohnen. Das sind 50 Arbeitstage – zehn Wochen, jedes Jahr. Wie gesagt: Ihr bekommt 418 Euro und müsst 500 Euro Miete zahlen. Die Lösung: Wohngemeinschaft auf engstem Raum mit Wildfremden. Ihr habt keine Wahl, denn ein Drittel der Einwohner eures Landes lebt unter der absoluten Armutsgrenze – Tendenz rasant steigend.

Willkommen im Sklavenhalterstaat von Viktor Orban, eures geliebten Grenzen-dicht-Diktators.

Man will euch zurufen: Merkt ihr, die ihr „Grenzen dicht!“ fordert, gegen die Islamisierung demonstriert, auf den Straßen „absaufen!“ brüllt, Menschen in Flüchtlingsheimen abfackeln nicht weiter tragisch findet, eigentlich nicht, wie ihr mit eurem Hass auf die Ärmsten und mit eurer Liebe zu Diktatoren euren eigenen Schlächtern in die Hände spielt? Glaubt ihr wirklich, jemand, der für „Liberté, Egalité, Fraternitè“ steht, könnte mit euch zusammenarbeiten?

Nun haben wir herausgearbeitet, was rechts ist: Ungleichheit, autoritäre Herrschaft und Unterdrückung – mit einem Wort: Kapitalismus. Die Ungleichheit, die dieser produziert, kann man beobachten. In den Straßen von Berlin wie von Kalkutta. Die Paläste der einen existieren, weil andere hungern und frieren.

Wer diese Gesellschaftsordnung verteidigt, erledigt nun einmal den Job der Herrschenden. Er steht rechts, ganz egal, wo er sich selbst sieht. Auch wenn er sich zehnmal links nennt. Man kann die Barbarei verteidigen durch Ausgrenzung und Entrechtung eines Teils der unterdrückten Klasse nach ethnischen oder nationalen Kriterien, zum Beispiel. Man kann auch dazu aufrufen, offen oder durch die Blume, mit dem nationalen Kapital gemeinsame Sache zu machen, also ihm die Stange beim Ausplündern der „dritten Welt“ halten. Und wer die Barbarei des Kapitals mittels eines autoritären Staats gewaltsam durchsetzen will, ob an den Außengrenzen oder innen, ist ein Faschist. So einfach ist das.

Nun ja, es ist in der Sozialpsychologie hinlänglich bekannt, wie gesellschaftliche Ungleichheit strukturelle Gewalt erzeugt. Und dass diese dann zwangsläufig Aggressionen produziert. Die einen leben diese gegen Migranten aus, manche in Hasskommentaren im Internet, andere zünden Flüchtlingsheime an oder prügeln sich in Fußballstadien. Wieder andere werden zu verrohten Messerstechern, religiösen Fanatikern oder schlagen, völlig unabhängig von der Religion, Frau und Kind. Das ist Spaltung und nicht anders herum. Die Mächtigen freut´s, denn darauf fußt ihre ganze Macht.

Mal davon abgesehen: Der allseits grassierende, am meisten verbreitete religiöse Fanatismus ist definitiv der Markt-Extremismus. Diese Religion züchtet nicht nur wahnsinnige Politiker, geldgierige Wertpapierverkäufer und Mensch und Umwelt ausplündernde Konzernbonzen, sondern auch im Hamsterrad laufende Statusakrobaten, immer bereit, im steten Konkurrenzkampf nach oben zu buckeln und nach unten zu treten. Der kleine Mann will etwas abbekommen von den Fleischtöpfen der kriminellen Abzockerkaste.

Das ist der Stoff, aus dem der moderne Spätkapitalismus besteht, aus dem er seine zunehmend brutalere Barbarei realisiert, festhaltend am Wahnsinn seiner irrationalen Logik endloser Profitmaximierung und ewigem Wirtschaftswachstum. Jeder, der das Gedankengefängnis seiner kleinen persönlichen Welt im spätkapitalistischen Arbeitshaus verlässt, kann sehen: Wenn niemand die globale Kapitalmaschine anhält, wird sich – und so viel ist sicher – der größte Teil der Menschheit bald im Abgrund wiederfinden.

Die exponentielle Umweltzerstörung ist seit langem zu sehen. Dass sie schon jetzt immer mehr Naturkatastrophen, wie Dürren, Erdbeben, Verwüstung und Überschwemmungen produziert, wissen wir auch. Das geht nicht ohne Elend unserer Spezies einher. Und der Natur sind nationale Grenzen herzlich egal. Dass die Folgen des Profitwahnsinns die Plündererstaaten erreichen, war nur eine Frage der Zeit.

Der Unterschied zu früher ist: Heute gibt es Internet. Die Opfer in den ausgeplünderten Ländern haben mitbekommen, wo die von ihnen unter elenden Bedingungen aus dem Boden gekratzten Rohstoffe hinwandern. Sie wissen, wo die Besitzer ihrer Agrarflächen und Ölfelder, ihrer Bergwerke und Textilfirmen leben. Gegen das Wissen hilft alle nationale Abschottung nicht mehr weiter.

Gestoppt werden könnte die todbringende Profitmaschine heute nur noch durch massiven Widerstand, durch internationale Generalstreiks – und zwar entlang der globalen Produktionsketten. Das ist kein linker Radikalismus, sondern das absolute Minimum an Gegenwehr, um künftige Generationen vor der totalen Barbarei zu retten.

Willkommen im 21. Jahrhundert, liebe Bonath-Hasser.

Wie ihr seht, bin also nicht ich es, die den Job der Bourgeoisie tut oder gar, und das ist auch ein beliebter Vorwurf, im 19. Jahrhundert stecken geblieben ist. Und nein, ich werde nicht mit euch gemeinsam für die Entrechtung armer Schlucker brüllen, nicht für dichte Grenzen und auch nicht gegen oder für irgendwelche Pakte der herrschenden Klasse. Ich werde einen Teufel tun, mich mit letzterer in irgendeiner Weise gemein zu machen. Auch wenn euch das noch so sehr vor Wut schäumen lässt. Ich werde euch nicht sagen, was ihr hören wollt, was eure Vorurteile bedient, nur, um mir auf so eine perfide Weise eure Gunst zu erkaufen.

Nun, mir ist auch bewusst, dass die meisten von euch wild Herumwütenden nicht zur herrschenden Klasse gehören. Und dass ihr deshalb gegen eure eigenen Interessen rennt. Ich weiß, dass ihr an euren winzigen Besitztümern klammert, an euren Häuschen im Grünen, euren Kleinwagen, euren Urlaubsreisen, bei denen ihr das Elend wohlweislich ausblendet, und an euren Jobs, mit denen ihr euch an eure Ausbeuter verkauft habt. Und ich weiß, was euch am meisten wütend macht: Ihr habt alle eine scheiß Angst.

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Danke an die Autorin für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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