Tagesdosis 17.11.2017 – Klaus Lederers Angst vor Ken Jebsen

Ein Kommentar von Pedram Shahyar.

Das vom Berliner Kultursenator eingeleitete Verbot einer relativ unbedeutenden Preisverleihung für den kritischen Journalisten Ken Jebsen im Kino Babylon schlägt hohe Wellen. Es ist ausgerechnet der „linke“ Kultursenator und Vize-Bürgermeister der Hauptstadt, der es für nötig hält eine Symbolfigur der neuen Friedensbewegung quasi mit einem Auftrittsverbot zu belegen und auf seinem Facebook-Profil dazu aufruft, diesen „Wahnsinn“ zu stoppen.

Michel Foucault hätte seine Freude: die diskursive Grenzziehung, stellte er einst fest, geht immer damit einher, die Grenzen des Sagbaren und Denkbaren mit dem Wahnsinn zu umreißen. Was außerhalb unseres Wertesystems liegt, ist der Wahnsinn. So platt kommt der Berliner Kultursenator daher, denn sein Verbot entzieht sich jeder Grundlage. Vor kurzem sprach Jebsen in Ramstein auf derselben Kundgebung gegen die Airbase und die Drohnenkriege, wo auch Oskar Lafontaine sprach. Im Rahmen der Kampagne gegen die Militärbasis wurde ein gemeinsamer Aufruf von tausenden Aktivisten einschließlich Jebsen, einem Duzend Bundestagsabgeordneten der Linken und sogar dem Parteivorsitzenden Bernd Riexinger verabschiedet. Doch hinter diesem banalen Akt der Zensur liegt mehr als ein autoritär tickender pseudoliberaler Hauptstadtpolitiker, es ist mehr als ein Konflikt zwischen Klaus Lederer und Ken Jebsen – sie sind Synonym für politische Phänomene, Schichten des politischen Denkens und Betriebs. Dieser peinliche Verbotsversuch ist ein Antlitz der Transformation und eine neue Qualität der Anpassung und Integration der linken Bürokratie.

Klaus Lederer gehört einer Generation Politiker an, die kurz vor der Wende in den Startlöcher waren in der SED Karriere zu machen. Der Zusammenbruch des Ostblocks und des DDR-Staates zerbrach die aufgestellte Karrierelinie. Die großen Fische gingen zur CDU und wurden Wendehälse. Viele blieben, und die Jugendfunktionäre fanden sich in den 90ern in der absoluten Außenseiterposition wieder: geächtet und belächelt statt Karriere im Staat und Verwaltung. Doch Deutschland wurde linker und allen voran die Hauptstadt. So gelang es der PDS 2001 satte 22,6% in Berlin bei den Wahlen zu holen, mit Gregor Gysi an der Spitze. Die große Hoffnung nun in einer rot-roten Regierung sozialistische Kommunalpolitik zu erleben erwies sich jedoch als eine große Illusion: Unter dem Finanzminister Thilo Sarrazin wurde „gespart bis es quietscht“, und die roten Senatoren und Staatssekretäre erklärten sehr klug warum es nicht anders ginge, warum die Sachzwänge nun mal so wären. Die größte Privatisierung, die die Stadt bis dato erlebt hatte hieß nun „progressive Entstaatlichung“. 100.000 staatliche Wohnungen wurden Investoren in den Hals geworfen, der öffentliche Dienst drastisch zusammengestrichen, und Berlin bekam in den kommenden Jahren das Image einer „failed city“, wo die Verwaltung komplett überfordert ist.

Für Lederer und die Parteioligarchie der Linken war nun aber endlich die Möglichkeit gekommen innerhalb des politischen Establishments der Hauptstadt anerkannt zu werden. Der alte Traum der Anerkennung, und das politische Leben als Teil einer Verwaltung wurde Realität. So wurde die Partei glatt gebügelt, dissidente Stimmen an den Rand gedrängt und binnen kürzeste Zeit von zwei Legislaturen halbierte die Partei ihren Stimmenanteil in Berlin. Gelang es im Westen mit einem neuen bundespolitischen Profil viele Stimmen wieder dazuzugewinnen, verlor die Linke massives Terrain im Osten der Stadt bei den unzufriedenen Teilen der Bevölkerung. Während die Abgehängten die Linken nicht mehr als ihren Anwalt gegen das Establishment erkennen konnten, feierte sich die Parteibürokratie als besonders modern und hipp. Hier liegt die zweite kulturelle Signatur der Anpassung. Endlich ist man willkommen in den aufsteigenden Milieus in Berlins Mitte, die sich gerne als Global City feiern und die Ansiedlung der digitalen Industrie als ihren historischen Erfolg anheften.

Lederer ist Ausdruck einer linken Bürokratie, deren Lebensziel die Ankunft und Anerkennung in der etablierten Repräsentation der institutionellen Politik der Bundesrepublik ist. Aber ihre Integration läuft zeitgleich mit einer immer stärkeren allgemeinen Krise der politischen Repräsentation: Die Glaubwürdigkeit des politischen Systems ist eingebrochen, die mediale Vermittlung hat an Glaubwürdigkeit verloren. Ja noch grundsätzlicher: wir haben es mit einer immer stärkeren Krise der etablierten Wahrheit und Norm zu tun.

Diese Krise produziert neue Subjekte. Überall auf der Welt entstehen links und rechts und an der Seite des alten politischen Koordinatensystems neue Akteure, von unten, aber auch neue institutionelle Settings, Elitenprojekte, die von oben diese Krise in ihrem Interesse lenken wollen. Occupy Wallstreet, Indignados und der Basisaufstand in der britischen Labourparty auf der einen Seite, Brexit, Trump und AfD auf der anderen sind der Ausdruck einer niedergehenden Mitte samt ihrer Repräsentation, institutioneller Bindung und Wahrheit. Ein zentrales Element dieser Krise und des Wandels betrifft Medien. Während die etablierten Medien sich zunehmend als Machtinstrumente entpuppen, bricht das Internet neue Bahnen und löst eine Medienrevolution aus. Die rechten Trump-Blogger erreichen ein Millionen Publikum (unabhängig, aber erst recht wenn sie sich mit den rechten etablierten Medien verbinden), The Young Turks machten Sanders Kampagne zu dem, was es war. In Deutschland ist KenFM die Spitze des Eisbergs dieser Medienrevolution.

Die linken Bürokraten, gerade frisch im alten Repräsentations-Modus angekommen, müssen diese Revolution fürchten, denn sie bedroht das, worauf ihre Lebensbiographie aufbaut. Die Neureichen sind immer die, die am stärksten die Geldkultur repräsentieren: die linken Neuankömmlinge in der staatlichen Verwaltung sind diejenigen, die ihre systemische Ideologie am heftigsten verteidigen und ihr altes Image als Außenseiter dafür missbrauchen, um so glaubwürdiger alles außerhalb des systemkonformen Denkens zum „Wahnsinn“ zu deklarieren. Und so ist ein Lederer die Sperrspitze im Kampf gegen alles Unabhängige, Chaotische und Unbändige, das in der Energie von KenFM und seiner Community zum Ausdruck kommt.

Oberflächlich betrachtet kam die Aversion gegen KenFM mit dem Antisemitismus-Vorwurf, der im Laufe der Zeit jegliche Grundlage verloren hat. Auch Lederer schießt aus dieser Ecke der sogenannten „antideutschen“ Ideologie. Von den Antideutschen weiß man, dass sie in Allem und Jedem Antisemitismus entdecken. Doch das entscheidende bei dieser Denkrichtung ist der Anpassungs- und Integrationsdiskurs der subkultrellen Linken in das etablierte System. Der Begriff „antideutsch“ ist in diesem Zusammenhang recht irreführend. Kulturell gegen deutsche Plattitüden zu sein, ist kein Problem der politischen Artikulation. Die grundlegende Annahme der antideutschen Ideologie ist die Unmöglichkeit eines humanistischen und progressiven Bewusstseins der einfachen Leute, einer im Kapitalismus lebenden Bevölkerung. Biographisch ist es sogar verständlich, denn für den akademische jugendlich-subkulturellen Teil der 68er Linken erschienen die Unterklassen meist gegen sie aufgestellt: die Gewerkschaften demonstrierten für die USA beim Vietnamkrieg, sie waren für die AKWs, und die Arbeiter schwenkten Deutschlandfahnen bei der Wende, während kurz danach die Migrantenheime brannten; so die oberflächliche aber reale Wahrnehmung von Teilen der linken Jugend. Der Verrat basiert immer auf verloren gegangenen Hoffnungen. So entstand aufgrund dieser Desillusionierung eine Lesart der Geschichte, wonach die unteren Schichten nicht fähig seien zu Subjekten der Befreiung zu werden, und ihre Subjektivität die Grenzen der Herrschaft nicht überschreiten, sondern nur festigen kann. Kommt es zu selbständigen politischen Regungen der Subalternen, kann nur Barbarei die Folge sein. Und so lernten die Ex-Radikalen das Imperium zu lieben: gegen die barbarischen Unterklassen und antiimperialen Kämpfer konnte nur der Leviathan Halt bieten, die westlich-liberale Ordnungsmacht gestützt auf ein aufgeklärtes Bürgertum.

Die antifaschistische Deutung des Krieges („Saddam Hussein ist der neue Hitler“, „Milosevic ist der neue Hitler“, „Ghaddafi ist der neue Hitler“) ist eine imperiale Strategie, die von Teilen der in ihrem revolutionären Elan in hohem Maße desillusionierten und nach Aufstieg und Anerkennung haschenden Linken übernommen und noch schärfer umgesetzt wurde. Niemand konnte diese Erzählung so gut bedienen wie ehemaligen Antiimperialisten vom Schlag eines Joschka Fischers oder Daniel Cohn-Bendits.

Der antideutsche Diskurs, die Liberalität mit dem Imperium gegen antiimperiale Kräfte zu verteidigen, ist entscheidend für die bundespolitische Integration der Partei Die Linke. Es ist völlig klar, dass es bei der Außenpolitik keine Kompromisse geben kann. Es gibt nicht ein Bisschen-in-der-Nato, und ein Bisschen-Krieg. Die Linke kann in ihrer jetzigen Verfassung in keiner Koalition der NATO-affinen Parteien mitmachen. Für die Regierungsfähigkeit gilt es Stück für Stück dieses grundlegende friedenspolitische Profil der Partei zu schleifen. Hieran arbeiten die Netzwerke der Realpolitiker systematisch, und sobald es eine reale Option auf Regierungsbeteiligung gibt, wird dieser Konflikt eskalieren. Nun hat Die Linke die meisten Strukturen der alten Friedensbewegung integriert. Sie sind Bestandteil der Partei, was einerseits gut ist, um das friedenspolitische Profil der Partei zu stärken. Auf der anderen Seite fehlte ein friedenspolitisches Korrektiv von Außen, das unabhängig die Partei unter Druck setzen kann, ihre friedenspolitischen Positionen auch in der Regierung zu halten. So mussten ein Lederer & Co die neue unabhängige Friedensbewegung mit allen Mitteln bekämpfen und deren Kommunikation mit der Partei kappen, während die Mehrheit dieser neuen Bewegung eindeutig nach links tendiert. KenFM ist das wichtigste Sprachrohr dieser neuen unabhängigen Friedensbewegung, von daher hat es sich die Angst und den Hass des Klaus Lederers verdient.

Streit und Kritik sind das Wesen einer demokratischen Gesellschaft. Alle demokratischen Aufbrüche waren voller Widersprüche und Konflikte. Martin Luther King sah in Malcolm X zu viel Gewalt, Malcolm X attackierte King lange Zeit wegen seiner Friedlichkeit, die seiner Meinung nach die Widerständigkeit der Schwarzen behinderte. Sie stritten und gingen miteinander, und bewegten letztlich das, was es zu bewegen gab. Das Debattenverbot und der Versuch des diskursiven Ausschlusses gegen Jebsen zeugt von einer tiefen Verunsicherung der Regierungslinken, denn sie haben kein reales gesellschaftliches Projekt vorzuweisen: die Staatsprojekte der Linken sind gescheitert! Die staatskapitalistische Variante des Ostblocks verlor ein für alle mal gegen den liberalen Westen, und in der daraufhin angesetzten Phase der Globalisierung unter der Dominanz des Finanzkapitals konnte kein linkes Regierungsprojekt im Westen erfolgreich durchgeführt werden. Die Sozialdemokratie kollabierte von Innen, um neoliberale Monster freizusetzen, die alten kommunistischen Parteien und Bewegungen lösten sich in Nichts auf oder darben im Sektenwesen. Aber der humanistische Widerstand ist nicht zu brechen und erschütterte den Neoliberalismus, wieder und reihenweise wurden auch Staaten von Linken gekapert, eine Welle die erst Lateinamerika erfasste und bis nach Griechenland kam. Doch die Kräfte des globalen Kapitals waren stärker. Soviel Gutes auch versucht wurde, die staatlich-institutionelle Linke ist spätestens seit der Erfahrung des dramatischen Scheiterns der Syriza-Regierung in Griechenland ohne vorzeigbares Projekt.

Das an sich, ist nicht das Problem. „Preguntando caminamos“, fragend schreiten wir voran, so die programmatische Ansage der Zapatisten. In den vielen Versuchen, von Bolivien über Barcelona bis Rojava, die Befreiung ist ein offener und widersprüchlicher Prozess und niemand kennt den genauen Weg. Die Welt entzweit sich: während die Trumps und Gaulands die Glocke der Barbarei läuten, steigt die humanistische Hoffnung von einer neuen linken Welle. Wir suchen gemeinsam, streiten und gehen einen Weg dessen Zielgeraden wir nicht genau kennen. Wer wirklich den Weg der Befreiung sucht, muss sich der Offenheit und Widersprüchlichkeit der neuen Realitäten aussetzten, von anderen lernen, bereit sein grundlegende Annahmen kritisch zu hinterfragen. Die aufstiegsorientierte linke Bürokratie sucht aber nicht den offenen Weg der Befreiung, sondern sieht sich als die bessere Verwaltung der bestehenden Verhältnisse. Moral statt Argument ist ihr deutlichstes Signum. Klaus Lederer weiß, dass er nur den Grünen Salon füllen kann, während Jebsen und Ganser die große Halle daneben mehrfach füllen. Und er weiß, dass er in einer offenen Debatte gegen den energischen, chaotischen und wilden Befreiungsdiskurs eines Jebsens nicht gut aussehen würde. Die Angst vor Ken Jebsen ist die Angst der inhaltlich und perspektivisch leeren Teile der integrierten Linken, die tief im Inneren wissen, dass sie nicht mehr wissen, aber zu feige sind, es zuzugeben.

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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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