Tagesdosis 17.05.2018 – The Cleaners: Drecksarbeit für die geifernde Masse

Ein Kommentar von Bernhard Loyen.

Zu Beginn des Internet-Zeitalters, ab den 1990ern, gaben die entsprechenden Firmen die Richtung der Darstellung vor. Ab einem gewissen Punkt wurden die User aufgefordert, später regelrecht bedrängt, mit in den Datenbus einzusteigen, sich zu beteiligen.

Es geht um Milliarden Profite. Wer zahlt freiwillig bis zur persönlichen Häutung? Der User, der Süchtige. Der Wechsel der Strategie lautete: Öffnet eure Archive und Festplatten. Zeigt euch und teilt euch mit. Lebt eure Egozentrik aus und lasst Millionen Gleichgesinnte teilhaben an euren Vorlieben, Hobbys, eurem Narzissmus. Die Endlosigkeit der unbegrenzten Selbstdarstellung für millionenfachen Voyeurismus, der ungezügelten Inszenierung banalster Alltagskultur, bis hin zu dunkelsten Nischen gesellschaftlicher Parallelwelten.

Im Jahre 2017 findet sich folgende Statistik: Die Internet-Plattform YouTube meldet einen neuen Rekord: Nutzer auf der ganzen Welt schauen zusammengerechnet mehr als eine Milliarde YouTube-Videos – pro Tag. Seit 2012 hat sich diese Zahl verzehnfacht, heisst es auf dem offiziellen Blog von YouTube. Auch in Sachen Upload erreicht das Tochterunternehmen von Google neue Spitzenwerte: Nutzer laden pro Minute 400 Stunden Videos hoch, das macht 65 Jahre an jedem einzelnen Tag (1).

Irrsinnige Zahlen, gigantische Datenmengen. Unterlaufen diese Videos auf YouTube vor endgültiger Freigabe eigentlich einer Vorkontrolle? Werden hochgeladene Beiträge & Fotos auf Instagram, Twitter und Facebook von irgend jemandem abgesegnet, oder gibt es keinerlei Kontrolle bis zur endgültigen Verfügbarkeit? Wer ist eigentlich zuständig für die digitale Mülltrennung?

Silicon Valley. Zentrum der Suchtentwicklung und Perfektionierung. Bedauerlicher Weise verdient man Milliarden auch mit optischem Dreck. Man möchte sich jedoch nicht mit Trash, Blut, Ekel, Leid und Elend unnötig belasten. Dafür gibt es Berufsabhängige in Billiglohnländern, die entsprechende Drecksarbeit billig und verantwortungsvoll erledigen, müssen. In Manila, auf den Philippinen.

Schon im Jahr 2015 findet sich ein Artikel, der aufwühlt. Zitate über eine berufliche Grenzwelt: Brutaler Sex, Tierquälerei, Selbstmordattentäter und Enthauptungen. Was schlecht bezahlte Content-Moderatoren täglich leisten, um Facebook & Co sauber zu halten. Firmen wie Facebook oder Twitter sind angewiesen auf diese Leute, die den Abschaum einer Gesellschaft wegräumen, um uns zu schützen. Und dafür braucht es ganze Legionen: einen riesigen unsichtbaren Pool menschlicher Arbeitskraft.

Und weiter: Immer mehr dieser Arbeit wird auf den Philippinen erledigt. Als frühere US-Kolonie haben die Leute eine kulturelle, historisch nahe Verbindung und verstehen, was Amerikaner abstößt und irritiert. Und – die Moderatoren kosten einen Bruchteil des US-Lohns. Ryan Cardeno hat für Microsoft auf den Philippinen gearbeitet. Am Ende seines dreijährigen Engagements verdiente er 500 Dollar monatlich, angestellt beim Outsourcer Sykes. Letztes Jahr bot man ihm 312 Dollar für Moderation auf Facebook – selbst für dortige Standards schäbig(2).

Die Berufsbezeichnung lautet Content-Moderator. Angestellte müssen über Stunden, innerhalb von Sekunden immer und immer wieder entscheiden, ist dieses Video, dieses Bild, dieser Text mit Bild nach ethischen Vorgaben vertretbar, oder nicht. Die grobe Richtlinie lautet, verboten, d.h. gelöscht werden Pornografie, Blut, Minderjährige, Anmache, Körperteile in sexuellem Kontext, Rassismus. Wo liegen die vertretbaren Grenzen, die Nuancen. Die katholische Religionszugehörigkeit liegt auf den Philippinen bei über 80%. Individuelle Empfindungen müssen ausgeblendet, einem weltweiten Bedarfsmarkt angepasst werden. Eine psychische Belastung bis hin zur posttraumatischen Belastungsstörung.

Jede einzelne Minute, 500 Stunden Video auf Youtube, 450.000 Tweets auf Twitter, 2.5 Millionen Posts auf Facebook. Delete, ignore, delete, delete. So beginnt The Cleaners, eine aktuelle Dokumentation. Social Media Konzerne beeinflussen das Weltgeschehen, so der Text im Trailer(3). Endlich wird diese Tatsache ins Rampenlicht geholt, dank zweier deutscher Dokumentarfilmer. Wie würde ich meinen Job beschreiben, versucht die philippinische Arbeiterin zu erklären. Man darf sich nicht einen einzigen Fehler erlauben. Wenn man einen Fehler macht, dann kann das mehr als ein Leben zerstören. Täglicher Psychoterror pur.

Endlich erfährt die Welt von dem beruflichen Martyrium dieser psychisch, wie materiell ausgebeuteten Menschen. Zwei Jahre Recherche waren für diese beeindruckende Dokumentation von Nöten. Es hat sich gelohnt. Einen ersten Eindruck und Erläuterungen der beiden Filmemacher kann man in dem verlinkten Arte Beitrag erfahren(4). Der bundesweite Kinostart ist heute. Am 17. Juli 2018 läuft The Cleaners auf arte. Mit Sicherheit jetzt schon eine der Dokumentationen des Jahres.

Quellen

(1) –http://www.20min.ch/digital/news/story/Taeglich-eine-Milliarde-Youtube-Videos-22605322

(2) –https://www.trend.at/technik/unsichtbar-arbeit-content-moderatoren-5489743

(3) –https://www.youtube.com/watch?time_continue=45&v=1h7-JyQ-JR4

(4) –https://www.youtube.com/watch?v=pP6rngNuOfc

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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