Tagesdosis 16.5.2019 – Russland? Russland. Natürlich Russland (Podcast)

Denkfabriken, Schnittstellen und das ewige Feindbild.

Ein Kommentar von Bernhard Loyen.

Schon irre Zeiten, in denen wir da leben. Dank weltweiter Recherchemöglichkeiten und Verknüpfungen sind immer mehr Menschen jedoch nicht mehr bereit den vorgefertigten und manipulativen Informationen entsprechender Verbände und Gruppierungen, Verlagshäusern und Think Tanks Glauben zu schenken. Die Aufgewachten, immer noch in einem viel zu geringen Prozentsatz, hinterfragen. Stellen Gegenfragen. Wollen verstehen und nicht mehr stillschweigend dulden und ausführen.

Die momentane Flut an Studien und Drohszenarien zeigt die zunehmende Nervosität gewisser Kreise. Stichwort Populismusgefahr. Parallel wird nichtsdestotrotz trotzdem schon an den nächsten Szenarien geschraubt und neue Schauplätze justiert. Stichwort: Iran.

Die demagogische Blendgranate der Stunde heißt jedoch weiterhin Russland. Kein Tag vergeht, an dem nicht eine Meldung, ein Tweet, eine neue haltlose Unterstellung in Verbindung mit diesen acht Buchstaben zu finden sind.

Beispiel 1: Twitter: Greta Thunbergs Social Media Team dachte sich am Dienstag dieser Woche, eigentlich müssen wir auch mal was mit Russland machen = Aufmerksamkeit. Für folgenden Tweet gab es umgehend breiten Zuspruch, Zitat: In manchen Ländern sind Klimaschulstreiks illegal. Das macht unsere Verantwortung, wir die wir dürfen, umso größer. Wir Kinder sollten nicht darauf hinweisen müssen. Aber da die meisten Erwachsenen nichts machen, müssen wir etwas tun (2).

Darunter ein Bild von Greta mit Schild und handgeschriebener Aufschrift: Lasst Russland für das Klima streiken – #LetRussiaStrikeForClimate. Fairer Weise muss erwähnt werden, dass auch folgender Hashtag mit zum Tweet gehörte: #LetHongKongStrikeForClimate. Wie erwähnt, skurrile Zeiten.

Beispiel 2: Radio: Ein Feature auf SWR3 informierte aktuell seine Hörer so, Zitat: Infokrieg im Internet. Mit kaum etwas kann man so schön Verwirrung stiften wie mit gezielter Desinformation. Und dafür gibt es kaum ein besseres Mittel als das Internet. Russland soll massiv auf die Präsidentschaftswahlen in den USA Einfluss genommen haben. Und jetzt warnt die EU-Kommission, dass das auch in Europa geschieht (2).

Der inflationäre Einsatz des Wortes Krieg in der Überschrift gibt die Marschroute vor. Der vermeintliche Fachmann zum Thema beim SWR, ein Andreas Meyer-Feist, ermittelte „handfeste strategische Pläne des Kreml, um den immer deutlicheren Graben zwischen dem Osten und Westen Europas zu vertiefen.”

Beispiel 3: die FAZ, Zitat: Europawahlkampf: EU-Kommissarin warnt vor Desinformation. Die EU-Kommission hat seit Monaten Sorgen, dass vor allem Russland sich mit sogenannten Social Bots einmischen könnte, also automatisch erstellten Beiträgen in sozialen Netzwerken. Das EU-Parlament rüstet sich, Zitat: Mittlerweile gebe es eine eigene Einheit im europäischen Auswärtigen Dienst, die Desinformation aus Russland öffentlich macht (3). Einheit, auch schon wieder so ein militärischer Begriff. Man wappnet sich vor vermeintlichen russischen Angriffen.

Die Zeit zündelte gestern, Zitat: Russland: Die Scharfmacher (4)

Die Wurzeln allen Übels finden sich aber immer noch in den Gedankenfabriken, den sogenannten Think Tanks. Als Multiplikator gönnt sich z. B. die DGAP eine eigene Publikation. Der Name: IP-Die Zeitschrift. Deutschlands führende außenpolitische Zeitschrift.

DGAP steht für „Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik“. Was ist das für ein Verein? Zitat: Die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. ist das nationale Netzwerk für Außenpolitik. Als unabhängiger, überparteilicher und gemeinnütziger Verein fördert die DGAP seit 60 Jahren die außenpolitische Meinungsbildung in Deutschland (5).

Gibt es bestimmte Ziele, Absichten? Natürlich, Zitat: Mit ihrer Arbeit verfolgt die DGAP das Ziel, einen substanziellen Beitrag zur außenpolitischen Debatte in Deutschland zu leisten, Entscheidungsträger in Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zu beraten, die Öffentlichkeit über Fragen der Internationalen Politik zu informieren (5).

Anders formuliert. Man hat schlicht großes Interesse bestimmte, also beabsichtigte Stimmungen zu erzeugen und unter das Volk zu bringen. Bevor wir zum aktuellen Erguss kommen, vielleicht nicht uninteressant wer die Mitglieder, also Erfüllungsgehilfen von der DGAP sind. Wäre die Bezeichnung Überzeugungstäter unhöflich? Zitat: Zu unserem Netzwerk, das über 2700 Mitglieder umfasst, darunter viele namhafte Fachleute aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien, zählen u.a.: Peter Altmaier, Reinhard Bütikofer, Prof. Dr. Hubert Burda, Eckart von Klaeden, Alexander Graf Lambsdorff, Ruprecht Polenz, Dr. Wolfgang Schäuble (6).

Aus der Medienwelt, Zitat: Franziska Augstein (Süddeutsche Zeitung), Stefan Kornelius (Süddeutsche Zeitung), Jörg Lau (Die Zeit), Ralf Neukirch (Der Spiegel), Dr. Christoph von Marschall (Tagesspiegel), Friedrich Schmidt (Deutsche Welle), Prof. Dr. Michael Stürmer (Die Welt) und Jochen Zierhut (WDR) (6). Fehlt noch das Fernsehen, Zitat: Marietta Slomka (vom ZDF) und ARD Urgestein, a.D Ulrich Wickert.

Warum nun so ausführlich? In der aktuellen Ausgabe, Titel: Griff nach den Sternen. Die Eu-Wahl, findet sich ein Interview. Seit Juli 2018 gibt es bei dem Magazin einen neuen Chefredakteur, Zitat: „Wir haben mit Martin Bialecki einen internationalen Journalisten mit profunder Kenntnis der deutschen Außenpolitik gewonnen…Bialecki war zuletzt Büroleiter Nordamerika der Deutschen Presse-Agentur dpa. Er ist Mitglied der White House Correspondents’ Association sowie des German Executive Roundtable, Washington (7).

Dieser Chefredakteur interviewte für die aktuelle Ausgabe einen Timothy Snyder. Prof. Dr. Timothy David Snyder lehrt Geschichte an der Yale University. Die Überschrift zweideutig, fast eine Drohung, Zitat: „Optionen gibt es immer“. Es ist der bekannte arrogante Blick eines Amerikaners auf das alte Europa. Es findet sich jedoch eine Frage-Antwort Situation, die einem breiteren Publikum zugeführt werden sollte. Thema? Sie dürfen raten.

Zitat: IP: Unternehmen die EU und insbesondere Deutschland genug, um dem russischen Angriff auf westliche Demokratien und Werte etwas entgegenzusetzen?

Snyder: Nein. In Deutschland gibt es dafür meiner Meinung nach eine Begründung, die in der Vergangenheit liegt und eine, die mit der Zukunft zu tun hat. Die erste Begründung ist, dass viele Deutsche – und insbesondere Teile der SPD – die bequeme Haltung einnehmen, dass Russland das Hauptopfer des Zweiten Weltkriegs war und die deutsche Russland-Politik deswegen milde und mitunter auch großzügig sein sollte. Dabei haben die Ukrainer und die Weißrussen, um gar nicht erst von den Juden zu reden und in Europa zu bleiben, viel mehr gelitten als die Russen. Für die war der Zweite Weltkrieg im Grunde ja auch ein Kolonialkrieg, in dem es um die Eroberung der Ukraine ging. Dieser Teil der Geschichte ist aber vollends aus dem deutschen Gedächtnis gelöscht. Die russische Außenpolitik macht sich das seit Jahren zunutze und versucht den Deutschen einzureden, dass die Ukrainer die Bösen und die Russen die Guten sind (8).

Schon die Frage, eine sehr steile Vorlage. Die Antwort? Provokativ, unfassbar, kühn, frech, anmaßend? Ihre persönliche Entscheidung, werte Leser und Hörer. 2700 IP – Abonnenten sind jedoch dahingehend entsprechende Multiplikatoren solcher Inhalte. Studieren sie das ganze Interview (bei den Quellenangaben entsprechend verlinkt). Es ist ein Lehrstück für klassische Think Tank Gedankenwelten, Strategien, Manipulationen.

Aktuell diskutiert die Gesellschaft über die Keks-Erbin der Dynastie Bahlsen, Verena Bahlsen. Bei einem Branchentreff der Online-Marketing-Szene formulierte sie jung und naiv u.a. folgendes Statement, Zitat: “Ich bin Kapitalist. (…) Mir gehört ein Viertel von Bahlsen. Da freue ich mich auch drüber. Das soll auch weiter so bleiben. Ich will Geld verdienen und mir Segeljachten kaufen von meiner Dividende und sowas.”

Die sich anschließende Kritik, dass ihr Reichtum sich u.a. auch aus der Ausbeutung von russischen Zwangsarbeitern im Hause Bahlsen während des 2.Weltkriegs ergibt, konterte sie ähnlich salopp, Zitat: “Das war vor meiner Zeit und wir haben die Zwangsarbeiter genauso bezahlt wie die Deutschen und sie gut behandelt.“

Der Eklat war da. Reaktionen mussten her, weil schlechte Werbung für das Unternehmen, Zitat: Keks-Erbin Verena Bahlsen hat sich am Mittwoch für ihre Äußerungen zu Zwangsarbeitern bei dem Süßwarenhersteller Bahlsen entschuldigt. In einer persönlichen Stellungnahme spricht sie von unbedachten Äußerungen sowie einem Fehler.

Zitat: „Nichts liegt mir ferner, als den Nationalsozialismus und seine Folgen zu verharmlosen“, erklärte sie laut Mitteilung. Sie habe auch erkannt, dass sie sich intensiver mit der Historie des Unternehmens, dessen Namen sie trägt, beschäftigen müsse.(9)

Nun raten sie mal wer verrückter Weise Mitglied bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik ist? Der Onkel von Verena Bahlsen, Lorenz Bahlsen. Es stellt sich die Frage, ob der Onkel ihr die ausgelesenen Hefte von IP zum Schmökern gegeben hat, bzw. welchen Geschichten bei Kaffee und Bahlsen Produkten im Kreise der Familie so ausgetauscht werden? Schon irre Zeiten, in denen wir da leben.

Quellen:

  1. https://twitter.com/GretaThunberg/status/1128344612186279937
  2. https://www.swr3.de/aktuell/nachrichten/-/id=47428/did=5097112/qxt529/index.html
  3. https://www.faz.net/aktuell/politik/europawahl/europawahlkampf-eu-kommissarin-warnt-vor-desinformation-16184578.html
  4. https://www.zeit.de/2019/21/russland-trolle-twitter-europawahl-daten-manipulation
  5. https://dgap.org/de/gesellschaft/ueber-uns
  6. https://dgap.org/de/gesellschaft/mitgliedschaft
  7. https://dgap.org/de/think-tank/presse/pressemitteilungen/neuer-chefredakteur-martin-bialecki
  8. https://zeitschrift-ip.dgap.org/de/ip-die-zeitschrift/archiv/jahrgang-2019/mai-juni-2019/optionen-gibt-es-immer
  9. https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2019-05/erbin-verena-bahlsen-ns-zwangsarbeiter-verharmlosung-entschuldigung

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