Tagesdosis 16.3.2019 – Das Netzwerk: Wie neoliberale Think Tanks „Systemkritiker“ lenken

Ein Kommentar von Susan Bonath.

Wer kennt die Mont Pèlerin Society? Diese Gesellschaft, kurz MPS genannt, mit Sitz im schweizerischen Genf, ist sozusagen das groß gewordene Baby des neoliberalen Vordenkers Friedrich August von Hayek. KenFM-Autor Hermann Ploppa bezeichnete die MPS in einem Artikel auf diesem Portal vom 11. November 2017 als „Geheimloge der Marktradikalen und Neoliberalen“. In der Tat: Das von Hayek bei der Gründung 1947 erklärte Ziel, zukünftige Generationen von „wirtschaftsliberalen Positionen“ zu überzeugen, ist ihr in einem Ausmaß gelungen, dass Hayek, würde er noch leben, feuchte Augen vor Freude bekäme.

Die MPS fungiert als Knotenpunkt eines globalen Netzwerks hunderter neoliberaler Denkfabriken und PR-Agenturen. Dass sie das werden konnte, hat sie auch einem Mann namens Antony Fisher zu verdanken. Das MPS-Gründungsmitglied rief 1981 in Virginia das Atlas Network ins Leben. Inzwischen vereint selbiges nach eigenen Angaben mehr als 450 Think Tanks in 95 Ländern. Sie alle haben das Ziel, die Theorie vom „freien Markt“ populär zu machen. Mit anderen Worten: Der Staat habe in die Privatwirtschaft nicht einzugreifen. Die ihm zugedachte Stellung: Management der Untertanen.

Zu den einflussreichsten Denkfabriken in den USA, die zum Atlas Network zählen, gehört das rechtslibertäre Cato Institute mit Hauptsitz in Massachusetts. Gesponsert wird es unter anderem von der Auto-, Pharma-, Energie- und Tabakindustrie sowie einigen Wallstreet-Banken. Zu den größten Geldgebern zählen laut Jahresbericht der Investment-Gigant BB&T, die Autokonzerne Mazda und Volkswagen, der Motoren- und Dieselturbinen-Produzent Caterpillar, der Energieriese Southern, aber auch Facebook, Google und eBay.

Eng mit Cato, Atlas und Co. verbunden ist ein Think Tank namens „CO2 Coalition“. Die Denkfabrik sitzt in Virginia. 2015 ging sie aus dem 1981 gegründeten George C. Marshall Institute hervor. Das hatte sich zunächst darauf spezialisiert, den Kalten Krieg zu befeuern. So unterstützte es unter anderem das Weltraumrüstungsprogramm SDI propagandistisch mit der These, die Sowjetunion plane innerhalb weniger Jahre, die Weltherrschaft zu übernehmen.

Ende der 1980er Jahre gelangte schließlich eine brisante wissenschaftliche Studie an die Öffentlichkeit. Sie besagte, dass das exzessive Wirtschaftswachstum, verbunden mit dem Ausstoß von allerlei Schadstoffen, dazu beitrage, das Erdklima irreparabel aufzuheizen. Das Marshall Institute schwenkte um. Vor allem finanziert vom Texanischen Öl- und Gas-Riesen ExxonMobil sah es seine Hauptaufgabe fortan darin, Wissenschaftler zu diskreditieren. Dafür kaufte es eigene „Experten“ teuer ein. Sein Ziel war es, Umweltgesetze zu verhindern. Die CO2 Coalition zusammen mit 40 weiteren Think Tanks, bedankte sich 2017 in einem Brief bei US-Präsident Donald Trump für sein Wahlversprechen, aus dem Pariser Klimaabkommen auszutreten.

Zum Atlas Network gehört auch das Heartland Institute, ansässig in Chicago. Die 1984 gegründete rechtslibertäre Denkfabrik hat sich ebenfalls dem Abbau von Umwelt-, Gesundheits- und Klimaschutz-Gesetzen verschrieben. Dafür kassiert sie dicke Spenden von der Großindustrie. Ganz oben auf der Sponsorenliste stehen ExxonMobil, das Chemie-Konsortium Koch Industries, die Reynolds Tobacco Company, Volkswagen und Microsoft.

Millionenbeträge kassiert Heartland von der global aktiven Unternehmensberatung Mercer mit Sitz in New York City. Milliardär Robert Mercer zählt zu den größten Unterstützern neoliberaler Think Tanks. Er beschäftigt 20.000 Mitarbeiter in 40 Ländern. Mercers deutscher Ableger ist die Mercer Deutschland GmbH mit Büros in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt am Main, Hamburg, Leipzig, München und Stuttgart. Der Beratungskonzern ist eine 100prozentige Tochter der Marsh & McLennan Companies. Der New Yorker Versicherungs- und PR-Gigant mit 60.000 Beschäftigten in 130 Staaten fährt einen Jahresumsatz von rund 14 Milliarden US-Dollar ein.

Die Fäden von Heartland reichen weit. An seinem Tropf hängt das Netzwerk International Climate Science Coalition. Dessen von der Industrie eingeworbene Spenden fließen reichlich nach Deutschland, zum Beispiel in das „Europäische Institut für Klima und Energie“, kurz EIKE. Es sitzt im thüringischen Jena und ist die Speerspitze der neoliberalen Anti-Klima- und Anti-Umwelt-Lobby in Europa. EIKE unterhält weitreichende politische Verbindungen in die AfD, die CDU und die FDP.

So sitzt beispielsweise EIKE-Vizepräsident Michael Limburg im Fachbeirat der AfD für Energiepolitik. EIKE-Präsident Holger Thuß ist nicht nur CDU-Lokalpolitiker in Jena. Er fungiert auch als politischer Berater des Heartland Institute, ist Mitglied der Hayek-Gesellschaft mit Sitz in Berlin und Autor der rechtslibertären Zeitschrift „eigentümlich frei“. EIKE arbeitet zudem eng mit dem Liberalen Institut der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung zusammen.

Viele Fäden laufen im marktradikalen Institut für unternehmerische Freiheit (iuf) zusammen. Mit iuf organisiert EIKE regelmäßig gemeinsame „Energiekonferenzen“. Zahlreiche iuf- und EIKE-Mitglieder gehören zugleich der Mont Pelerin Society sowie der Hayek-Gesellschaft an. Personelle Verbindungen bestehen in Dutzende Universitäten, zahlreiche Unternehmerverbände, zur Ludwig-Erhard-Stiftung, zum Deutschen Institut der Wirtschaft und zur Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft.

EIKE-Chef Thuß ist auch Gründer und Vorsitzender von CFACT (Commitee for a Constructive Tomorrow) Europe. Dessen Muttergesellschaft CFACT sitzt in Washington. Sie gilt als einer der wichtigsten globalen Aufbauhelfer und Koordinatoren der Szene der Klimawandel-Leugner. Finanziers von CFACT sind unter anderem Chrysler, ExxonMobil und der weltweit operierende Energieriese Chevron Corporation.

Wie die PR-Strategien funktionieren, zeigt die immer wieder gerne zitierte Oregon-Petition. Die gleichnamige Stiftung, Teil des Netzwerks, hatte sie Ende der 1990er Jahre veröffentlicht. 31.000 angebliche Wissenschaftler hatten das Papier gezeichnet und damit erklärt: Begrenzungen der vom Menschen freigesetzten Treibhausgas-Emissionen würden der Umwelt sogar schaden. Auch gebe es keinen überzeugenden Beweis dafür, dass menschengemachtes Kohlendioxid, Methan und andere Treibhausgase das Erdklima beeinflussten. Man wollte damit das sogenannte Kyoto-Klima-Abkommen der Vereinten Nationen torpedieren.

Heraus stellte sich später: Die Zeichner waren fast alle völlig fachfremd. Nur etwa 0,1 Prozent von ihnen verfügten über einen entsprechenden wissenschaftlichen Hintergrund. Dennoch wird die Petition von den Anhängern der Leugner-Fraktion immer wieder hervorgekramt.

Die schwerreichen Förderer der Think Tanks reiben sich ganz sicher die Hände, wenn sie sehen, wie ausgerechnet selbsterklärte „Systemkritiker“ und „alternative“ Medien ihren hauseigenen Propheten neoliberaler und marktradikaler Propaganda scharenweise hinterherlaufen. Meinungsmanipulation läuft, Edward Bernais lässt grüßen.

Das gelingt den Markt-Fetischisten auch sehr einfach. Denn sie bedienen sich einer suggestiven Finte, die da lautet: Der Markt an sich sei gut, der diesen reglementierende Staat böse. Damit suggerieren sie zunächst: Der Markt habe rein gar nichts mit den globalen Monopolen und Finanzhaien, kurz: dem Finanzkapital, zu tun. Dass sich Kapital der reinen marktwirtschaftlichen Logik zufolge, wonach Profitmaximierung das Ziel eines jeden Geschäfts ist, monopolisiert, verschweigen sie.

Ebenso halten die neoliberalen Propagandisten tunlichst den Mund darüber, dass die gegensätzlichen Interessen zwischen Kapitalisten und Lohnabhängigen den Staat benötigen. Wer sonst soll die Ausbeutung managen, also für billiges und williges Humankapital sorgen, Aufstände vermeiden und kollidierende Interessen der Kapitalfraktionen koordinieren? Kurzum: Es gab nie einen freien Markt ohne Staat und es kann ihn auch nicht ohne Mord und Totschlag geben, egal wie oft Markt-Religiöse dies auch wiederholen mögen.

Da die Profitmaximierung das A und O des gegenwärtigen Systems ist, ist es wohl klar, dass die Profiteure mit jedem winkenden Geschäft, egal ob für oder gegen die Umwelt, die Arbeitenden abzocken. Davon leben sie schließlich. Und weil der Staat ihr Instrument ist, hilft er ihnen selbstverständlich dabei, wo er kann.

Mit dem objektiven Zustand von Umwelt und Klima hat diese Tatsache aber nichts zu tun. Der menschengemachte Müllplanet liegt vor unseren Augen. Wer die Abzocke der einfachen Bevölkerung und die exzessive Plünderung der natürlichen Ressourcen beseitigen will, muss eben weiter denken und den Kapitalismus abschaffen. „Merkel muss weg!“-Geschrei reicht dafür nicht aus.

Dass es den marktradikalen Profit-Globalisten mit einer ausgefeilten neoliberalen Propaganda-Maschine gelungen ist, sich selbst von Scharen vermeintlich „Aufgewachter“ als Vorhut der „Systemkritik“ bejubeln zu lassen, ist wahrlich der Clou des 21. Jahrhunderts.

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