Tagesdosis 16.10.2017 – Wahlen, Sümpfe, rechtsstaatliche Deckel (Podcast)

Ein Kommentar Susan Bonath.

Es gibt Interessanteres, aber es waren Wahlen in Niedersachsen. Ob »GROKO«, »Ampel«, »Jamaika« – es ist einerlei. Der Sumpf aus Postenbeschaffung und Selbstbereicherung wird weiter brodeln im politischen Apparat. Eine Hand wäscht die andere. Ein bisschen erpressbar dürfen die Krawattenträger gerne sein.

Apropos Sumpf: Erinnern Sie sich an den »Sachsen-Sumpf«? Unter dem damaligen Landesinnenminister Thomas de Maizière – Cousin vom DDR-Ausverkäufer Lothar de Maizière, inzwischen aufgestiegen zum Bundesinnenminister – florierte in den 90ern im Freistaat munter die mafiöse Kriminalität mit Immobilien, Zwangsprostitution, Drogen, Kindesmissbrauch. Vom mutmaßlichen Mitwirken von Polizisten, Richtern, Staatsanwälten wollte niemand etwas wissen. Der Rechtsstaat verfolgte stattdessen Opfer und Reporter.

Auch beim NSU weiß jeder, der sich damit befasst hat: Staatsorgane stecken knietief drin. Doch bevor so etwas offiziell wird, sterben Zeugen wie die Fliegen – an unerkannten »Krankheiten«, »Selbstmorden« oder seltsamen Unfällen. Schmutzige Brühe lässt man nicht nach oben kochen.

Auch in Sachsen-Anhalt hat der Rechtsstaat kurz vor dem Wochenende einen Deckel zu gemacht. Der Sumpf darunter könnte durchaus tiefer sein, als beim ersten Hinsehen zu vermuten ist. Er trägt Uniform und Roben. Oberstaatsanwältin Heike Geyer aus Halle hat die Ermittlungen im Fall Oury Jalloh eingestellt. Knall auf Fall. Ganz offensichtlich hatte die Generalstaatsanwaltschaft einzig zu diesem Zweck das Verfahren erst im Juni von Dessau nach Halle abgezogen. Dessau steckt schon zu tief im Moloch. Ein cleverer Schachzug.

Oury Jalloh verbrannte 2005 in einer Dessauer Polizeizelle binnen 20 Minuten bis zur Unkenntlichkeit. Er war an Händen und Füßen an eine feuerfest umhüllte Matratze gekettet. Selbst staatliche Gutachter haben längst die offizielle Selbstmordversion ad absurdum geführt. Doch das wird eifrig ignoriert.

Ein Feuerzeug, von dem die Polizei behauptet, es sei drei Tage nach dem Brand aus einer Asservatentüte gepurzelt, ist offensichtlich manipuliert. Laut einer Gerichtsgutachterin enthält es keine Spuren aus der Zelle, dafür fremde. Ohne Feuerzeug keine Selbstanzündung.

Negative Kohlenmonoxid-Werte und fehlende Stresshormone im Körper des Toten lassen nur einen rechtsmedizinischen Schluss zu: Das Opfer hat keinen Rauch eingeatmet und war beim Brandausbruch tot, mindestens bewusstlos. Sachverständige erklärten den Staatsanwälten mehrfach, der Brandverlauf in der gefliesten Schlichtzelle sei ohne Brandbeschleuniger nicht erklärbar. Schädelbrüche des Opfers deuten auf Misshandlungen hin. Das alles steht nicht erst seit gestern in den Akten.

Doch mehr als zwölf Jahre ermittelte die Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau unter Folker Bittmann ins Leere. Polizisten durften ungestraft lügen, das sich die Balken bogen und Beweismittel wie am Fließband verschwinden lassen. Strafanzeigen verfolgten die Staatsanwälte nicht. Das nun eingestellte Ermittlungsverfahren kam überhaupt nur auf Druck der Nebenklage und ihrer Unterstützer zustande.

Kurzum: Alles, wirklich alles deutet auf einen Verdeckungsmord hin. Der Kreis infrage kommender Tatverdächtiger ist auf weniger als eine Handvoll begrenzt. Er trägt Polizeiuniform. Der Kreis der Helfer beim Vertuschen ist inzwischen umso größer. Er reicht bis in höchste Landes- und Bundesebenen.

Doch die Deckel von Polizei, Justiz und Politik liegen nicht nur auf dem mutmaßlichen Mord an Oury Jalloh. Die Historie des Dessauer Reviers ist gespickt von weiteren ungeklärten Todesfällen: 2002 starb Mario Bichtemann in derselben Zelle, unter demselben Dienstgruppenleiter Andreas S. und dem selben Revierarzt Andreas B., an einem Schädelbruch. Als man ihn fand, war die Leichenstarre bereits voll ausgeprägt. Das Verfahren stellten die Dessauer Staatsanwälte nach dem Feuertod von Oury Jalloh ein.

Fünf Jahre zuvor, 1997, verließ Hans-Jürgen Rose das Revier zwar noch lebend, brach aber kurz danach zusammen. Todesursache: Schwere innere Verletzungen. Es gab Gerüchte, Polizisten hätten den Mann an eine Säule gefesselt und sadistisch misshandelt. Ermittelt wurde nichts.

Im Mordfall Yangjie Li verurteilte das Dessauer Landgericht zwar im August die Täter Sebastian F. und Xenia I. Die Rolle von F.s Eltern blieb indes unklar. Die von brutalsten Vergewaltigungs- und Misshandlungsspuren übersäte Leiche der chinesischen Studentin fand man im Mai 2016 – auf dem Hof von F. Seine Mutter – hochrangige Polizistin, mischte bei den Ermittlungen mit. Sein Stiefvater, damals Revierleiter in Dessau, half dem Paar kurz vor der Verhaftung noch beim Umzug. Versuchte Strafvereitlung im Amt wollte kein Staatsanwalt erkennen. Sachsen-Anhalts CDU-Innenminister Holger Stahlknecht gab dem Ex-Revierchef einen neuen Posten.

Und wieder bleibt alles beim Alten. Wenn der Sumpf zu sehr stinkt, kommt der Deckel drauf – sei es bei Fördermittelaffären, Wahlfälschungs- und Müllskandalen oder bei Morden. Da sind sich die gewachsenen politischen Netzwerke einig. Nestbeschmutzer haben darin nichts verloren, und zwar in keinem Bundesland.

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