Tagesdosis 16.1.2019 – Die Freiheit der Andersdenkenden (Podcast)

Ein Kommentar von Rüdiger Lenz.

Das Böse bekämpft man niemals, in dem man den Bösen bekämpft. Es gilt die Ursachen unmöglich werden zu lassen, die das Böse im Menschen entstehen lässt. Das Böse bekämpft man also nicht, in dem man einen Bösen bekämpft. Man bekämpft die Zustände, die in der Masse dafür stehen, dass sie einen Bösen gebiert.

Vor 100 Jahren wurden Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg erschossen. Spätestens seitdem gilt die Meinungsfreiheit als oberstes Gut in Deutschland. Und durch Rosa Luxemburg wissen wir, dass die Freiheit immer die Freiheit des Andersdenkenden miteinschließt und immer beide Freiheiten gleich bedeutend und gleich viel Wert besitzen. Der Physiker Hans Peter Dürr hat es mal so ausgedrückt: Die Gegenkraft ist nicht der Feind der Kraft. Diese Einsicht ist schon lange in den Begriff der Demokratie eingeflossen. Viele Menschen haben ihr Leben lassen müssen, weil sie dieses Gut verteidigt haben. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht wurden letztlich wegen ihrer Freiheitsliebe getötet. Sie riefen die Bürger dazu auf, sich selbst zu bewaffnen, und somit sollten diese die wichtigen Posten in Berlin besetzen, damit das damalige Proletariat seine eigene Regierung ausruft. 

Was ist daraus heute geworden? Haben wir dazu gelernt? Sicher, es gab zwischen 1933 und 1945 eine Periode grausamster Gewalt und Unfreiheit der Andersdenkenden und Andersseienden. Aber, was ist eigentlich damit gemeint, wenn ich von Andersdenkenden höre oder den Begriff selbst verwende? Hier eine schlüssige Antwort zu bekommen, die dem gerecht wird, ist fast unmöglich, sobald man den Boden politisierter Frames betritt. Die allseits vorherrschende Meinung, zu dessen Politik man sich bekennt, muss eingehalten werden. Die Regel heißt: Verachte, wen wir alle verachten, übe an denen Gewalt aus, an denen sie gerechtfertigt ist, sei Dir gewiss, wenn du all unsere Vorsätze beachtest und danach sprichst, schreibst und dich dazu öffentlich bekennst, dann gehörst du fest zu uns. Wir sind die Guten und was wir tun, ist gut, richtig und gerecht. Unser Gutsein ist immer besser als das Gutsein aller anderen.

Orientiert nach diesem Guten darf auch Gewalt angewendet werden. Denn diese Gewalt ist die gute Gewalt. Man freut sich fast kollektiv, wenn die gute Gewalt zugeschlagen hat und der Böse blutet. Besser noch wäre, so schreien sie dann in großer Anzahl, man würde dann noch einmal und noch einmal zuschlagen, damit das Schwein weiß, was es falsch macht. Es denkt nämlich in die falsche Richtung und ist bei den Bösen. Egal welche Partei man benennt, man muss gleichzeitig bekennen, dass man die andere Partei unmenschlich findet, dass man dort alle Menschen, als die Teile des Teufels erkannt hat und abschließend muss man, so wird eindringlich erwartet, ein lobendes gutes Wort für die Guten einbringen. Der Andersdenkende hat es verdient, dass man ihm eventuell sein Auto anzündet, seine Hauswand beispielsweise mit Nazis raus! Vollschmiert. Allein das reicht aus, um in allen Mitgliedern das Böse und in sich die Heilsbringer der guten Sache zu sehen. Denunziation und Aufrufe zur Vergewaltigung werden auf einmal zu Kunstszenarien umgedeutet. Doch wehe dem, die Bösen künsteln auf selber Wellenlänge, dann werden Schlägerbanden losgeschickt.

Für einen selbst ist die Freiheit des Andersdenkenden natürlich immer und in allem zu bekommen. Vorausgesetzt, man selbst ist der Andersdenkende gegenüber ganz anders denkender Menschen. Geschnallt, was da abläuft? Man macht sich zu Opfern. Denn ein Opfer erwehrt sich ja bloß einem Täter. Aus dieser Opfer-Täter-Umkehr-Politik kann nun dauerhaft losgetreten, angezündet, vollgeschmiert und krankenhausreif geschlagen werden. Man selbst ist ja das Opfer. Man selbst kommt bei diesem unbewussten Trick nie darauf, dass man selbst Teil des Problems ist, schon immer war, das man da bekämpft. Zugegeben, das ist äußerst schwierig zu verstehen. Da man in einem neurotischen Prozess feststeckt, ist die Selbsterkenntnis dazu auch nur schwer möglich. Als ich letzte Woche eine Tagesdosis über das Zusammenschlagen eines Politikers und die sich in unserer Zivilisation weit und tief ausgebreitete Gewaltneurose schrieb, wurde von vielen diese Gewaltneurose nicht einmal zur Kenntnis genommen. Viele der Guten dachten, ich wäre der Partei, die ich dort erwähnte, positiv eingestellt. Und dies wurde dann zu einer festen Kritik gegen mich in Stellung gebracht. Man las, hörte und dachte, was man lesen, hören und denken wollte. 

Das ist das Gefährliche daran, wenn man neurotisch an etwas festhält. Dann sieht man das Drumherum nicht mehr. Ob Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht von einem neurotischen Hauptmann Waldemar Pabst ermordet wurde, oder nur den Befehl dazu gab, weil dieser nicht mehr ausserhalb seiner Neurose denken konnte? Oder waren es schon psychotische Wahnvorstellungen, an denen man selbst litt, ohne es damals gewusst zu haben? Ja, die gute Gewalt, sie ist Dreh- und Angelpunkt aller politischen Strömungen, weltweit. Letztlich ist das Gewaltmonopol selbst die gute Gewalt. Denn sie schützt die Guten, das sind die regierungsnahen und sie unterstützenden Kreise. Die Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden. In der politischen Wirklichkeit taugt dieser Satz leider nur zum Runterspülen. Nur sehr wenige halten sich daran. Und diese wenigen werden auf Dauer ausgegrenzt, weil sie in keine ideologischen Formen eingepasst werden können. Wer nicht eingepasst werden kann, der gehört automatisch zu den Bösen. Spielt er nur den Guten? So werden sie stets zu den Gegnern, den Feinden dieser guten Menschen, denn er spricht nicht die Parole, kennt nicht die Chiffren. Gutmenschen werden sie häufig abwertend genannt und die anderen könnte man als Bösmenschen abtun. Das beide das Gleiche darstellt, nämlich eine völlig selbstgerechte Beschreibung des Gegners, darauf kommt man in so ideologisierten Kreisen natürlich nicht.

Vielleicht ist es ja so, dass solche Menschen kompensieren. Die Frage ist nur was? Was kompensieren solche Menschen? Und welche Menschen sind mit solchen Menschen denn gemeint? Natürlich alle, die so denken und ihr Tagwerk danach gestalten. Egal welcher politischen Fraktion unterworfen? Ja, egal welcher. Denn kompensiert werden unbewusste, nachteilige Verhaltensweisen, die sich in solchen Ablenkungsstrategien verifizieren. Man nennt das Projektionen der eigenen Selbstentfremdung. Je nach Muster der Abwertung, der man sich selbst gar nicht mehr bewusst ist, stellt man sich dieser oder jener Ideologie zur Schau. Hauptsache ich finde Legitimität meiner Projektionen der Selbstherabwürdigung, die ich zwar weder kenne, noch lokalisieren kann. Doch sie ist in den meisten Menschen vorhanden. Quatsch, habe ich gerade geschrieben, in den meisten Menschen? Es muss natürlich heißen, in allen Menschen. Denn wäre es nicht so, sie würden sich niemals so geben. Jeder Mensch ist zu einem sehr großen Teil sein ganzes Leben mit den Mustern unterwegs, die ihm bis ins dritte Lebensjahr von den Eltern und der Gesellschaft ins Hirn und die Seele eingefräst wurde. Davon gehen die Entwicklungsbiologie, die Hirnforschung und die Pädagogik aus. Auch die Soziologie und die Sozialwissenschaften haben dazu keine Einwände. 

Niemals darf ein Mensch wegen seiner Meinung oder wegen einer anderen Meinung, die eine Gruppe für die beste aller Meinungen auserkoren hat, erschlagen werden. Eher sollte das beste Argument gelten oder in einem Meinungsaustausch errungen werden. So zumindest haben wir uns das alles nach 1945 vorgestellt. Das genaue Gegenteil aber finden wir heute vor. Es ist bestenfalls als grotesk anzuerkennen, was derzeit in diesem Land mit anderen Meinungen geschieht, was man von den Andersdenkenden tatsächlich hält. Immer, auch wenn man zur Gewalt aufruft. Man erklärt sich als die guten, als die Hüter von Frieden, Freiheit und Meinungsäußerungen und ihre irrationalen Taten fallen ihnen nicht einmal auf. Gehört es doch auch zur Strategie der guten Gewalt, dass man sich hinter diejenigen stellt, die diese Gewalt anwenden. Oder man schweigt darüber, nimmt keinerlei Stellung dazu. Im letzten Monat habe ich es gewagt, einen Artikel von Rainer Rupp über die Massenmigration zuzustimmen, und merkte selbst dazu an, dass dieser Pakt alle Menschen nun zu Konkurrenten am hiesigen Arbeitsmarkt macht. Das dieses zu Lohndumping führen könnte und das dieser Pakt den Eliten sichere Einnahmen verspricht. Darauf hat ein guter Friedensaktivist zu mir gemeint, dass ich mir ein Gewehr besorgen solle, zur Grenze fahren soll, um dort Migranten abzuschießen. Allein eine solche Logik zeigt die Irrationalität solcher bis ins Mark indoktrinierten Menschen auf. Solche Irrationalitäten bekommt man ständig zu hören, wenn man zwischen den politischen Ideologien lebt. Wahrgenommen wird bloß das eigene Weltbild. Aus ihm folgt dann eine Sichtweise, die man selbst nicht mehr hinterfragt. Denn, man gehört ja schon zu den Guten die die gute Gewalt anwenden dürfen und die ganz genau wissen, wie das mit dem Frieden geht. In keiner anderen menschlichen Fähigkeit bekommt der Ausspruch, das Gegenteil von gut ist nicht böse, sondern gut gemeint, so viel Bedeutung wie in unserer heutigen Zeit.

Die psychologischen Hintergründe, die Menschen zu solchen Masken, also Personen macht, Persona heißt Maske, will ich nicht mehr erklären. Zu sehr wird eine psychologische Aufklärung als ein Generalangriff auf die eigene Maske, die man sich im Laufe des Lebens übergestülpt hat, verstanden. Dann behandelt man den Überbringer dieser Tatsachen wie den Verursacher und wünscht ihm am Liebsten die Pest am Hals. Verursacht werden die Masken, die wir alle tragen, von den Umständen, in denen wir und andere zu leben haben. Durchschaut man das Prinzip mit den Masken, so wendet man darauf auf keinen Fall den Begriff der Schuld an. Schuldig ist daran so gut wie niemand. Denn wir sind alle Kinder unserer unbewussten sehr frühen Erfahrungen, aus denen unser Hirn dann unsere Persona strickt. Das irgendetwas mit mir selbst nicht stimmt und dass ich das aufarbeiten muss, genau das ist die Lösung für die Probleme der Menschheit. Hierzu aber braucht es weder mehr Wissen noch viele Informationen über das gesamte Übel. Es braucht einen Bewusstseinsschritt hin in die Einsicht, dass ich selbst der Verursacher meiner Welt bin; nicht der ganzen Welt, sondern nur meiner eigenen Welt. Als Quelle für all diejenigen, die wirklich sich selbst prüfen wollen, habe ich als Anhang einen Vortrag des Psychiaters und Psychoanalytikers Hans-Joachim Maaz hier beigefügt. Seelische Selbstdefizite nennt das Herr Maaz. Traut euch und schaut euch den Anhang dieser Tagesdosis auf KenFM an. Hans-Joachim Maaz beschreibt dort den Weg zum Frieden. Bleibt also friedlich und seit empathisch mit euch und den Andersdenkenden. Denn auch ihr seit immer der andersdenkende Mensch beim anderen.

Quellenhinweise

https://www.youtube.com/watch?v=SIZc_E9TQxw

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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