Tagesdosis 15.9.2018 – Trumps Syrien-Strategie und die deutsche Politik

Ein Kommentar von Ernst Wolff.

Deutsche Politiker haben in dieser Woche öffentlich die Möglichkeit eines direkten militärischen Eingreifens im Syrienkrieg diskutiert. Anlass war eine Anfrage der USA, ob Deutschland bereit wäre, sich nach einem möglichen Giftgasangriff der syrischen Regierung an Vergeltungsschlägen zu beteiligen.

Einige Politiker aus den Bundestagsfraktionen von CDU, CSU, FDP und Grünen signalisierten sofort ihre Bereitschaft, dem amerikanischen Wunsch nachzukommen. Führende Mitglieder der SPD, der Linkspartei und der AfD reagierten ablehnend.

Keiner der Politiker äußerte Zweifel am Wahrheitsgehalt der Behauptungen, die hinter der Anfrage stehen, oder klärte über deren potenziell verheerende Konsequenzen auf – obwohl US-Präsident Trump mit seinem Vorgehen ganz offensichtlich in die Fußstapfen zahlreicher seiner Vorgänger tritt. Hier die Einzelheiten:

Die Meldung, Assad habe einem Giftgasangriff auf die syrische Großstadt Idlib zugestimmt, war vergangenen Sonntag vom Wall Street Journal verbreitet worden. US-Präsident Trump hatte die Meldung ohne jeden Zweifel an ihrem Wahrheitsgehalt sofort aufgegriffen und die Welt per Twitter wissen lassen, „die Russen und Iraner würden einen schweren humanitären Fehler begehen, sich an dieser potenziellen menschlichen Tragödie zu beteiligen.“

Was bewirkt ein solches Ping-Pong-Spiel zwischen US-Medien und US-Regierung? Zunächst einmal heizt es die öffentliche Stimmung gegen einen Politiker auf, dem in der Vergangenheit bereits nicht nachgewiesene Giftgasanschläge unterstellt wurden. Zum anderen wirft es ein schlechtes Licht auf  dessen Verbündeten, also Russland und Iran. Vor allem aber vergrößert es in großen Teilen der Öffentlichkeit die Bereitschaft, einen Angriff gegen den Beschuldigten und seine Verbündeten „aus humanitären Gründen“ zu akzeptieren.

Was aber bewirkt das auf politischer Ebene? Man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass Syriens Präsident Assad nicht so naiv sein wird, blindlings in die Falle zu tappen und nun einen Gasangriff anzuordnen. Mit genau so großer Sicherheit aber kann man davon ausgehen, dass seine Gegner wie der IS oder die Freie Syrische Armee in naher Zukunft alles daransetzen werden, einen solchen Giftgasangriff zu inszenieren, um ihn anschließend zum eigenen Vorteil auszuschlachten.

Was das Wall Street Journal als Sprachrohr der US-Finanzelite und US-Präsident Trump durch ihr- aller Wahrscheinlichkeit nach abgekartetes- Spiel tun, ist nichts anderes als das gezielte Heraufbeschwören eines Anlasses, mit dem ein Krieg ausgeweitet werden soll, der bereits eine halbe Million Menschen das Leben gekostet und elf Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben hat und bei dem es sich nicht- wie von den Mainstreammedien behauptet- um einen „Bürgerkrieg“ handelt.

Wie wir heute wissen, sind die internen Proteste von 2011, die den Krieg auslösten, von amerikanischen Geheimdiensten mit Erfolg angefacht und verschärft worden, um eine möglichst harte Reaktion der Regierung Assad herbeizuführen.

Wie wir auch wissen, hat dieses Vorgehen in der amerikanischen Außenpolitik Tradition: Es waren Provokationen der USA, die dem Angriff auf Pearl Harbor im Zweiten Weltkrieg vorangingen und es waren von den USA angefachte Grenzscharmützel, die als Vorwand für den Koreakrieg dienten. Es war der inszenierte Vorfall im Golf von Tonkin, der den offiziellen Anlass für den Eintritt in den Vietnamkrieg lieferte und es waren nicht vorhandene Massenvernichtungswaffen, die als Grund für den Irakkrieg herhalten mussten.

Dass Politiker des Bundestages sich in der vergangenen Woche an der von US-Präsident Trump entfachten Diskussion beteiligt haben, ohne auf diese Zusammenhänge hinzuweisen, ist mit Sicherheit kein Zufall: Wer immer sie angesprochen hätte, wäre vielleicht auch in die Verlegenheit gekommen, Fragen zur Beteiligung der deutschen Waffenindustrie am Konflikt im Nahen Osten und zu der grundsätzlichen Bündnispolitik Deutschlands mit einer Großmacht, die sich die Gründe für ihre Kriegseinsätze selbst schafft, beantworten zu müssen.

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