Tagesdosis 15.9.2017 – Störfaktor Armut (Podcast)

Ein Kommentar von Bernhard Loyen.

Armut gab es in diesem Land schon immer. Wer zu dieser Gruppe gehörte, war jedoch meist nicht zu sehen. Man verkroch sich in seinen Kreisen, galt als unwillig und überfordert den Gesetzen und Vorgaben unseres Gesellschaftssystems dienlich zu sein. Eine sogenannte Randgruppe.

Nun ist Armut im Jahre 2017 ein öffentliches Problem geworden. Wer sich noch die Mühe macht, hinsehen zu wollen, erkennt sie im Straßenbild, in der Fußgängerzone, in der U-Bahn, im Park. Flaschensammelnde Bürger jeden Alters gehören heutzutage zum Alltagsbild einer jeden Stadt. Für meine Kinder gehört Armut zur täglichen Anblicksroutine auf ihren Wegen durch den Bezirk, durch die Stadt. Normalität unserer Zeit. Alte, junge, verwirrte, Einzelkämpfer und Gruppen, gepflegte und ungepflegte Menschen versuchen heimlich, oder offen bis hin aggressiv ihr Dasein zu meistern.

Haben sie sich auch schon ertappt beim Anblick genervt zu sein? Eben schnell einkaufen und den Beutel Leergut abgeben, aber die Schlange wieder mal beeindruckend lang. An der Spitze die tattrige Omi mit Rolltasche, die alkoholisierten Gruppen, gleich mit einem Einkaufswagen voll. In der U-Bahn erst der Bettler, dann der Zeitungsverkäufer, dann der lustige Musikant. Stakkatohaft begrüßt mich jeden Morgen eine Obdachlose auf dem Weg zur Arbeit, immer an der gleichen Stelle, sitzend bei Wind und Wetter. Ich überlege beim Verlassen der Wohnung, grüßt oder schweigst du heute. Vielleicht doch einen anderen Weg wählen. Mal wieder ihr was geben. Schlechtes Gewissen kontra Anblicksmüdigkeit. Die Gewohnheit schadet der Empathie.

In neun Tagen wird gewählt. Verantwortlich für die genannten Gesellschaftsprobleme, ob Armut, oder schlicht soziale Unsicherheit, ist und bleibt die Politik. CDU, SPD und Grüne in ihren Regierungsjahren und den jeweiligen Gesetzgebungen. Nun soll alles besser werden mit Hilfe von FDP und AFD. Dass die Linke selbstverständlich auf Seiten der sozial Abgehängten und Hilfsbedürftigen steht, muss nicht weiter erläutert werden.

Geben sie auf der Internetseite der FDP das Suchwort Armut ein, findet sich folgender Text: Zum Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes erklärt die FDP-Generalsekretärin Nicola Beer: „Es ist das Geschäftsmodell des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes zu behaupten, dass es einen immer größeren Anteil in der Bevölkerung gebe, der abgehängt werde von der Wohlstandsentwicklung. Dies trifft nicht zu, wie unlängst der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium festgestellt hat. Demnach haben das Steuersystem und der Sozialstaat über die Jahre ihre ausgleichende Funktion bewahrt….Ein wirkliches Problem hingegen ist der Mangel an sozialem und beruflichem Aufstieg. Das aber beheben wir nicht mit mehr Transferleistungen, sondern indem mehr Geld in Bildung, Ausbildung und Qualifizierung gesteckt wird, damit wieder vermehrt Menschen in Eigenverantwortung den Aufstieg schaffen“[1].

Die AFD konnte bis dato auch nicht wirklich nachvollziehbar darlegen, wie sie die Thematik angehen will. Alle Aussagen werden eher schwammig formuliert, bzw. verklausuliert im Parteiprogramm dargelegt. Immerhin schon in Kapitel 11 des Wahlprogramms widmet sich die Partei auf gerade mal drei Seiten dem komplexen Politikfeld der Sozialpolitik. Der Fehlbetrag in der Rentenkasse hat natürlich Gründe. Dazu Alice Weidel in einem Beitrag auf der Seite der AFD: ….Anstatt das Problem anzugehen, tut die Regierung alles, um es noch weiter zu verschärfen. Die völlig unkontrollierte Massenzuwanderung in die deutschen Sozialsysteme belastet diese nachhaltig über jedes handhabbare Maß hinaus….Gleichzeitig fließen unzählige Milliarden von deutschen Steuergeldern unter der Betitelung ‚Eurorettung‘ – tatsächlich zur Rettung von maroden Banken und gierigen Spekulanten – ins Ausland[2]. Stimmungsmache. Was sie verändern, bzw. besser machen will, formuliert sie nicht.

Störfaktor Armut ist der Titel eines Buches von Joachim Rock. Es ist Leiter der Abteilung Arbeit & Soziales des Paritätischen Gesamtverbandes. Im Buch finden sich folgende Zeilen:

Die meisten, die da wortreich, meinungsfreudig und meinungsstark in Deutschland die öffentliche Debatte über Armut führen, in den Talkshows und den Zeitungen, fahren keine S-Bahn. Sie haben einen Fahrer, fahren Dienstwagen oder Taxi. Die meisten von ihnen kommen kaum wirklich mit Armen in Kontakt. Und wenn, merken sie es wahrscheinlich nicht einmal. Viel zu weit liegen sie auseinander, die Lebenswelten der Habenichtse und die unserer meinungsbildenden Spitzenverdiener[3].

Wer ist verantwortlich und wer will glaubwürdig bürgerliche Armut reduzieren und unsoziale Politik verändern? Wer bietet sinnbringende und realistische Lösungsmodelle an? Armut ist eine Gefahr für die Demokratie. Sind sich alle beteiligten Parteien des kommenden Bundestages ihrer Verantwortung gegenüber den Bürger bewusst? Das ist leider eher zu bezweifeln. Der SPD Politiker Stegner wird in der heutigen Berliner Zeitung wie folgt zitiert: Eine große Koalition sei bei der SPD „so beliebt wie Fußpilz”[4]. Solche Ehrlichkeit in Sprache und Inhalt wünscht man sich häufiger von der Politik.

Quellen:

[1] – https://www.fdp.de/content/beer-konzentration-auf-bildung-bekaempft-armut

[2] – https://www.afd.de/alice-weidel-altersarmut-ist-folge-von-politikversagen/

[3] – http://www.vsa-verlag.de/nc/detail/artikel/stoerfaktor-armut/

[4] – http://www.berliner-zeitung.de/kultur/spd-vize-stegner-bei–maischberger—groko-ist-so-beliebt-wie-fusspilz–28409286

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