Tagesdosis 15.2.2020 – Bombardierung Dresdens im Februar 1945: Eindeutig ein Kriegsverbrechen (Podcast)

Ein Kommentar von Hermann Ploppa.

Der 13. Februar 1945 war ein Dienstag. Also Karnevalszeit in Deutschland. Karneval auch in Dresden: „Am Fastnachtsdienstag kramten die Kinder allerlei Maskerade aus den Kästen des alten, bunten Bauernschrankes und zogen lärmend in den Straßen herum.“ (1) Zur gleichen Zeit ist Victor Klemperer dazu verdonnert, Briefe an jüdische Mitbürger zu verteilen, die sich an einem unheimlichen Ort einzufinden haben (2). Das bedeutet nichts Gutes. Klemperer war früher Professor für Romanistik an der Dresdner Universität. Da er eine „Arierin“ geheiratet hat, wird er nicht in die Brennkammern von Auschwitz geschickt. Aber er kann seinen Beruf nicht ausüben und muss zudem seit einigen Jahren einen gelben Judenstern tragen.

Währenddessen spielen sich am Dresdner Bahnhof entsetzliche Szenen ab, wie Gisela Neuhaus in ihr Tagebuch einträgt: „Nur mühsam konnte ich mir einen Weg durch die dicht gedrängte Menge vor dem Bahnhof bahnen. Im Bahnhof selbst lagen Flüchtlinge Schulter an Schulter auf dem Fußboden. In Decken gehüllt oder mit Mänteln zugedeckt. Säuglinge und kleine Kinder schrien. Die Mütter waren verzweifelt, viele weinten, einige schliefen mit angezogenen Knien auf der Seite liegend. Ein Bild des Elends! Es waren Flüchtlinge aus Schlesien. Viele Familien waren getrennt worden. Einige Mütter riefen laut den Namen ihrer Kinder in der Hoffnung, sie hier in den Menschenmassen auf dem Dresdner Hauptbahnhof wiederzufinden. Sie hatten Schreckliches erlebt.“ (3) In wenigen Stunden werden die meisten dieser Unglücklichen verbrannt sein.

Es ist Endzeit des Nazireiches. Die Rote Armee hat gerade die Weichsel überschritten und befindet sich auf dem Vormarsch auf Berlin. Breslau ist eingekesselt und die Nazischergen haben die Breslauer Bevölkerung rausgeschmissen aus Breslau und die Stadt zur Festung erklärt. Die Westalliierten sind längst ins Rheinland vorgerückt. Die deutsche Luftwaffe ist seit dem April 1944 bereits besiegt. Die Luftabwehr funktioniert kaum noch. Eigentlich liegt Deutschland offen wie ein Scheunentor und es bedarf eigentlich nur noch einiger größerer Scharmützel, um dem Naziterror den Todesstoß zu versetzen. Dennoch haben sich die Militärplaner der USA und Großbritanniens in den Kopf gesetzt, noch einige blutige Exempel zu statuieren. Hamburg, das Ruhrgebiet und Berlin natürlich hatte man auf dem Schirm, wenn es um ein „Kolossalmassaker mit hunderttausend Toten“ (4) gehen sollte. Aber nun sollte Dresden dran glauben.

Dresden, eine Stadt „so entlegen und kriegsunerheblich, daß man sie viereinhalb Jahre ignoriert hatte.“ (5) Es gab punktuelle Bomberattacken auf den Dresdner Hauptbahnhof, mehr nicht. Man hatte noch nicht einmal Bunker für die Dresdner Zivilbevölkerung gebaut. Es gab lediglich einen Bunker für den Nazi-Gauleiter Mutschmann. Familie Jäger war entnervt aus Hamburg nach den dortigen Bombenstürmen der Operation Gomorrha nach Dresden gezogen, um hier das Ende des Krieges abzuwarten. Ebenso Familie Koch aus Rostock, die nach den dortigen Phosphorbombennächten nach Dresden geflüchtet war.

In Dresden fühlte man sich sicher.

Die Dresdner Neubürger haben ihre Rechnung ohne den britischen Fliegerkommandanten Sir Arthur Harris gemacht. Als Ziel der britischen Luftwaffeneinsätze bestimmte Harris „die Zerstörung deutscher Städte, die Tötung deutscher Arbeiter und die Zerrüttung des zivilisierten Lebens in ganz Deutschland.“ (6) Dabei konnte die deutsche Bevölkerung noch „froh“ sein, dass die Westalliierten ihre Planungen, deutsche Städte mit Giftgas komplett zu entvölkern, nicht weiter verfolgten (7).

Und so macht sich am Abend des 13. Februar 1945 eine riesige britische Luftflotte mit Jägern und Bombern auf den Weg nach Dresden. Die Briten kommen immer nachts, weil ihre Bomber technologisch weit hinter den US-amerikanischen Bomberflotten zurück geblieben sind und für eine deutsche Flugabwehr (die im Falle Dresdens kaum noch vorhanden ist) ein relativ leichtes Ziel abgeben. Die amerikanischen Flying Fortresses greifen dagegen am hellen Tag aus sicherer Höhe an und treffen dabei noch präziser ihre Ziele als die Briten. Die britischen Bomberverbände benötigen ortskundige Piloten, die ihnen voranfliegen und das Ziel der Bombardierung ausfindig machen. Dann markiert die Vorhut das Ziel mit einer farbig leuchtenden Chemikalie („Weihnachtsbäume“ genannt) und beordert die Bomberflotte über Ultrakurzwellenfunk zum Ziel der Bombardierung. Nicht einmal diese UKW-Kommunikation können die Deutschen noch stören. Nun wird Dresden über zwei „Fächer“ flächendeckend bombardiert.

Zwischen 22.03 Uhr und 22.28 erfolgt der Abwurf des ersten Bombenteppichs. Alles ist perfekt getaktet: „Massenvernichtung ist Millimeterarbeit, sie käme nicht zustande, würden wahllos Bombentonnen auf einen Ort geladen … Das Feuer muß schneller sein als die Feuerwehr. Anders wird es kein Vernichtungsangriff, sondern ein Haufen von Brandstellen.“ (6). Nach der Entwarnung kommen die hustenden Dresdner wieder aus ihren Kellern, in denen sie Schutz gesucht haben. Doch jetzt kommt der finale Stoß, nämlich ein erneuter Angriff ab 1.16 Uhr: „Attacke eins jagt die Leute in den Schutz, Attacke zwei packt die den Schutz erlöst Verlassenden. Die Schutzwirkung von Kellern ist nach zwei Stunden verbraucht.“ (8) Familie Koch aus Rostock hockt im Keller und sieht, wie sich das siedend heiße Phosphor zu ihnen herunterwälzt. Es gelingt ihnen, aus dem Keller und aus der Stadt zu fliehen. Um sie herum vertrocknete, zusammengeschrumpfte Leichname, zur Unkenntlichkeit entstellt. Der Mensch besteht zu 90 Prozent aus Wasser, und das Wasser wird rasend schnell dem Körper entzogen. Die verglühenden Menschen suchen Löschung in der Elbe, aber das Elbwasser kann die Körper nicht abkühlen. Ein Mann ist wahnsinnig geworden und trägt vier Puppen mit sich herum – es ist seine mumifizierte Familie.

Der Phosphorbrand verschont niemanden: „Das Pflegepersonal des Johannstädter Krankenhauses schulterte die Patienten in ihren dünnen, gestreiften Hemden und legte sie dort ab. Aus der Poliklinik liefen Wöchnerinnen herbei. Das war die erste Gruppe, die der >double blow< aus den Verstecken gezogen und schutzentblößt unter sich hatte … Der Hauptbahnhof lag außerhalb des Fächers. Er steckte randvoll mit Flüchtlingen der Ostfront. Der erste Angriff hatte die Möglichkeit gelassen, eine größere Zahl von Personenzügen aus dem Stadtbereich zu rangieren, die zurückgeholt wurden, nachdem Nr.5 (die entsprechende britische Bomberstaffel H.P.) sein Werk hinter sich gebracht hatte. Danach wurde auch der Hauptbahnhof ein Vorzugsziel des Zweitschlags.“ (9)

Im Zweitschlag wurden die berüchtigten Stabbrandbomben eingesetzt, und zwar allein in Dresden 650.000 Stück, also fast für jeden Dresdner eine Stabbrandbombe. Diese waren teilweise mit Zeitzündern ausgestattet, so dass sie erst explodierten, wenn die Rettungsarbeiten begannen. Zudem wurden jetzt die Feuerwehrleute und Sanitäter durch Tiefflieger im komplett schutzlosen Stadtgebiet gezielt erschossen. Zu den hellen Tageszeiten des 14. und des 15. Februar führten US-amerikanische Bomber die Attacken gegen die Dresdner Bürger weiter.

Zur Zeit des Angriffs lebten in Dresden 640.000 Einheimische. Die Anzahl der Flüchtlinge zu jener Zeit kann nur grob geschätzt werden. Man geht von einer Zahl zwischen 150.000 und 350.000 „Gästen“ aus. Eine, wie man zugeben muss, beachtliche Unschärfe in der Schätzung. Zahlen sind generell der Punkt wo sich die Geister scheiden. Es wurde und wird heftig um die Zahl der Todesopfer im apokalyptischen Höllenfeuer von Dresden gestritten. So als wenn Quantität in Qualität umschlagen könnte (10).

Der Bodycount scheint darüber zu entscheiden, ob es sich hier um ein Kriegsverbrechen oder einen legitimen Kriegsakt handelt. In den 1960er Jahren waren Schätzungen von etwa 200.000 Todesopfern im ehemaligen Elbflorenz im Umlauf, und zwar im Mainstream durch das Hamburger Magazin Der Spiegel und durch DIE ZEIT. Allerdings erfuhr jene sechsstellige Zahl im Laufe der Jahrzehnte einen sozialen Abstieg und wurde nunmehr nur noch von Gruppierungen des rechten politischen Spektrums zum Vortrag gebracht. Um die unwürdige Auktion um die Toten von Dresden zu beenden, gründete der Dresdner Oberbürgermeister Ingolf Roßberg im Jahre 2004 eine Historikerkommission, die nun die exakten Zahlen ermitteln sollte. Das Ergebnis lag 2008 vor (11), und man geht in dieser Studie von einer Opferzahl von 18.000-25.000 Todesopfern aus. Das kann nicht wirklich überzeugen. Denn die Historiker setzen voraus, dass alle Opfer von der Polizei und den Rettungskräften exakt und in der Ruhe von Friedenszeiten identifiziert werden konnten. Es ist beim besten Willen nicht nachvollziehbar, dass in dem heillosen Chaos, das in Dresden bereits vor der Bombennacht geherrscht hatte, noch irgendjemand die Zeit und Muße gehabt haben könnte, eine gemächliche Leichenschau vorzunehmen und einen Abgleich mit eventuell noch nicht verkohlten Personalausweisen vorzunehmen. Die Menschen waren ja mit ihren persönlichen Ausweispapieren verbrannt. Sie waren gar nicht mehr als Individuen erkennbar. Tatsächlich wurden wegen der hohen Zahl von Toten regelrechte Massenscheiterhaufen errichtet und angezündet. Wer war zudem in der Lage, die Hunderttausende von Flüchtlingen zu identifizieren?

Die andere Frage lautet: warum wurde Dresden dem Erdboden gleichgemacht, obwohl das Kriegsende nur noch eine Frage von wenigen Monaten war? Hierauf gibt aktuell ein junger Historiker im Berliner Tagesspiegel Antwort: Dresden sei durchaus im militärischen Sinne außerordentlich relevant gewesen (12). Dresden habe eine große Bedeutung als militärischer Knotenpunkt gehabt. Kriegswichtige Rüstungsindustrie hätte sich hier befunden. Dresden sei als letzte Festung der Nazis vorgesehen gewesen, und darum habe die Auslöschung Dresdens den Krieg enorm verkürzt. Der junge Mann beruft sich offenkundig auf einen Aufsatz des Militärhistorikers Rolf-Dieter Müller in dem bereits erwähnten Sammelband der Historikerkommission (11).

Müller widerlegt die Behauptung von der militärischen Bedeutung Dresdens für die Endphase des Zweiten Weltkriegs eigentlich eher als dass er diese These wirklich erhärtet. Am 1. Januar 1945 hatten die Nazis Dresden zum „Festungsbereich“ erklärt. Das heißt, dass man die Dresdner Bürger, wie dann in Breslau geschehen, einfach aus ihrer eigenen Stadt jagt und im Fall einer sowjetischen Invasion einen zermürbenden Häuserkampf angezettelt hätte, also eine Retourkutsche für Stalingrad. Wer diesen Häuserkampf auf deutscher Seite hätte führen sollen, bleibt allerdings unklar. Mit einer SS-Division hatte gerade die letzte ernstzunehmende nazideutsche Streitkraft den Raum Dresden in Richtung Österreich verlassen. Dresden war stattdessen überfüllt mit „Soldaten, Genesenden, Dienstreisenden etc., so dass die Unterbringungsmöglichkeiten in Kasernen, Schulen und Turnhallen nicht ausreichten.“ (14).

Ansonsten das notorisch im Nazireich schon zu Friedenszeiten vorherrschende Kompetenzwirrwarr. Denn der Festungsbereich Dresden „verfügte noch nicht einmal über eigene Fahrzeuge und blieb darauf angewiesen, seinen Materialforderungen im Dschungel der Zuständigkeiten Gehör zu verschaffen.“ (15) Was hätte sich denn noch groß von Dresden aus an nazideutscher Erhebung entfalten können? Längst machten sich die Nazi- und SS-Bonzen bereit für den Absprung nach Südamerika, und schon im August 1944 hatte die Naziführung die deutsche Wirtschaft angewiesen, schleunigst ihr Geld über die Basler Bank für Internationalen Zahlungsausgleich ins sichere Ausland zu transferieren. Der Krieg war doch aus Sicht der Nazis längst gelaufen (16). Was sollten wohl die fußkranken und „genesenden“ Volkssturmeinheiten aus Dresden noch wenden? Wie hätte denn diese Laienspielschar den Krieg noch künstlich verlängern können? Sie hätten gegen die gut eingespielten ukrainischen Abteilungen der Roten Armee noch nicht einmal Sparringspartner abgegeben.

Es bleibt dabei: der Angriff auf Dresden war militärstrategisch absolut sinnlos. Auf jemanden einzutreten, der schon am Boden liegt ist unanständig, um es einmal in der Logik des Schulhofes zu formulieren. Bleibt abschließend noch die Frage zu klären: befand sich die Brandvernichtung Dresdens im Einklang mit geltendem Völkerrecht, Kriegsrecht oder mit was auch immer für einem Rechtssystem? Hilfreich ist hier der Aufsatz eines Wissenschaftlers der elitären Washingtoner Georgetown Universität (17).

Eric Langenbacher betrachtet das Ausmaß der alliierten Bombardierungen für das gesamte Deutsche Reich. Insgesamt ergossen sich 2.7 Millionen Tonnen Bomben über Deutschland im Zweiten Weltkrieg. 3.6 Millionen Wohnungen wurden verwüstet, wodurch 7.5 Millionen Menschen obdachlos wurden. Unter den Bombenopfern waren Frauen, Kinder und ältere Menschen deutlich überrepräsentiert. Wie schon gesagt: die härtesten Tritte, als Deutschland bereits am Boden lag: 72 Prozent aller von US-Bombern auf Deutschland gestreute Bomben wurden in den letzten zehn Monaten des Krieges verabreicht. Und der nach dem Krieg erstellte Bombardierungsbericht der USA (United States Bombing Survey) stellt fest, dass die Bombardierungen sich vornehmlich gegen kriegsunwichtige Branchen richtete, nämlich gegen Konsumgüterindustrie, was in jenen kargen Zeiten nur heißen konnte: die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrung und Bekleidung. Das heißt: nicht die Waffenschmieden wurden in erster Linie von den Bombenteppichen niedergestreckt sondern jene Bereiche, die für das akute Überleben der unbeteiligten Zivilbevölkerung unerlässlich waren. Mit anderen Worten: die „normale“ Bevölkerung wurde existentiell massiv bedroht. Ärzte, Feuerwehrleute und Sanitäter wurden von Tieffliegern niedergestreckt, aber auch einfache Bürger wurden Ziele militärisch sinnloser Attacken. Ein „lustiges“ alliiertes Tontaubenschießen auf unbescholtene Bürger sozusagen. Auf Alte, Kranke, Frauen, Hitler-Pimpfe.

Die Genfer Konvention von 1864 verbot eindeutig Angriffe auf feindliche medizinische Einrichtungen. Die Haager Konvention von 1907 besagt unmissverständlich in Artikel 23: „Das Luftbombardement, das zum Zweck hat, die Zivilbevölkerung zu terrorisieren oder das Privateigentum, das keinen militärischen Charakter hat, zu zerstören oder zu beschädigen oder Nicht-Kombattanten zu verletzen, ist verboten.“ (18) Artikel 25 verurteilt den Angriff auf nicht verteidigte Städte, Dörfer und Gebäude. Die Haager Konvention wurde nie vollständig ratifiziert, setzte aber schon Maßstäbe. Dass das eigene Terrorbombardement gegen Deutschland nicht rechtens war, wussten die Ankläger beim Nürnberger Kriegsverbrechertribunal ganz genau. Die infamen Bombenangriffe der Nazis gegen Guernica, London, Coventry, Warschau oder Minsk wurden als Anklagepunkte nicht aufgenommen. Denn das wäre ein Bumerang geworden gegen die Westmächte. So gab der Chefankläger der USA, Robert H. Jackson unverblümt zu Protokoll: „Dieses Thema wäre einer Aufforderung zur Erhebung von Gegenbeschuldigungen gleichgekommen, die in dem Prozess nicht nützlich gewesen wären.“ (19)

Doch soll uns das nicht davon abhalten, einen entscheidenden Anklagepunkt des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals gegen den Naziterror an dieser Stelle anzuführen. Im dort formulierten Grundsatz 6(b) heißt es: „Verletzung der Kriegsgesetze und Kriegsgebräuche. Solche Verletzungen umfassen … Mord, Misshandlung oder Deportation zur Sklavenarbeit … die mutwillige Zerstörung von Städten, Märkten oder Dörfern oder jede durch militärische Notwendigkeit nicht gerechtfertigte Verwüstung.“ (20)

Wenn wir davon ausgehen, dass eine Rechtsnorm universell gültig ist, dann ist ein solcher Anklagepunkt selbstverständlich auch auf die Gräueltaten der US-amerikanischen und britischen Bomberverbände anwendbar. Oder beanspruchen die USA einen rechtlichen Exzeptionalismus frei nach der Losung der alten Römer: Quod licet Iovi, non decet bovi, also: was Jupiter erlaubt ist, gehört sich noch lange nicht für den Ochsen? Wir werden wohl vergeblich auf eine Beantwortung dieser Frage warten. Eric Langenbacher von der Georgetown Universität kommt jedenfalls zu einer unmissverständlichen Schlussfolgerung: „Die Bombardierung deutscher Städte während des Zweiten Weltkrieges stellte eindeutig eine Verletzung des Völkerrechts, der Militärethik und der Kriegskonventionen dar.“ (21)

Nun ist aus unserer Sicht eine „Militärethik“ ein Widerspruch in sich. Und auch die Kriegskonvention ist ein Kodex, an den sich niemand hält. Papier ist geduldig. Die Zeiten des galanten feudalen Kabinettskrieges sind nämlich schon lange vorbei. Wir leben im Zeitalter des Totalen Krieges. Der industriellen Vernichtung von Gütern und Menschen. Was Dresden angetan wurde, wird heute Baghdad, Kabul oder dem Jemen angetan. Die Logik des Totalen Krieges zieht sich wie ein roter Faden durch die jüngere Geschichte. Und wir erlauben es durch unsere Passivität jeden Tag aufs Neue. Möglich und machbar ist alles was widerstandslos geduldet wird. Wenn jetzt das westliche „Verteidigungs“bündnis NATO die Generalprobe für den nächsten Totalen Krieg mit dem Großmanöver Defender 2020 auf deutschem Boden durchführt, sollten wir Zivilisten deutlich machen, dass wir ein weiteres Massaker an Zivilisten nicht zulassen werden. Begangene Verbrechen wie die Bombardierung Dresdens im Nachhinein über einen geschmacklosen Bodycount oder über gravierende Geschichtsfälschungen zu verharmlosen, sollen uns nur kommende Kriege schmackhaft machen. Der nächste Krieg beginnt mit dem Kampf um die Deutung der vergangenen Kriege.

Nachtrag: Familie Koch überlebt den Brand von Dresden und schlägt sich nach Jena durch. Hier wird der zehnjährige Helmut Koch von US-Soldaten genötigt, Munition aus Wehrmachtbeständen zu entschärfen. Als Helmut fliehen will, wird er zunächst wieder eingefangen, und die GIs schlagen ihm Zähne aus. Er entflieht erneut und wird von US-amerikanischen Tieffliegern beschossen, als er unter einem Felsen Schutz sucht. Er kann entkommen, als sich die Aufmerksamkeit der Tiefflieger auf einen herannahenden Personenzug richtet. Kaum ist Helmut aus dem Felsvorsprung entkommen, stürzt dieser herunter. Ein hollywoodreifer Actionthriller, den das ganz reale Leben schrieb. Und so erging es vielen Menschen in jener Zeit.

Familie Jäger kehrt zurück nach Hamburg. Heino Jäger wird Anfang der 1970er Jahre ein sehr populärer Kabarettist in Norddeutschland (22). Seine makabren und absurden Sketche („Lebensberatungspraxis Dr. Jäger“), wurden einem breiten Publikum durch den Norddeutschen Rundfunk bekannt. Sie bringen ihm die Bewunderung von Kabarettistenkollegen wie Hanns Dieter Hüsch ein. Doch sein extremer Alkoholkonsum führt zur Herausbildung einer Demenz. Heino Jäger dämmert in einem Altersheim in Bad Segeberg seinem viel zu frühen Tod entgegen. Für diese von den Bombennächten in Dresden seelisch Verletzten gab es damals noch keine psychologische Behandlung gegen Posttraumatische Belastungsstörungen.

Und diese Opfer der Bombennächte wurden auch in keiner Statistik erfasst.

Quellen und Anmerkungen:

  1. Zitiert aus Walter Kempowski: Der rote Hahn. Dresden im Februar 1945. München 2001. S. 18
  2. a.a.O., S.24
  3. a.a.O., S.28
  4. Jörg Friedrich: Der Brand. Deutschland im Bombenkrieg 1940-1945. München 2002. S.359
  5. ebenfalls S.359
  6. a.a.O., S.361
  7. https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13531696.html
  8. a.a.O., S.362
  9. a.a.O., S.363
  10. https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article205780481/Dresden-1945-So-instrumentalisiert-der-AfD-Vorsitzende-die-Bomben-Opfer.html
  11. Rolf-Dieter Müller/ Nicole Schönherr/ Thomas Widera (Hg.): Die Zerstörung Dresdens 13. Bis 15. Februar 1945. Gutachten und Ergebnisse der Dresdner Historikerkommission zur Ermittlung der Opferzahlen. Göttingen 2010
  12. a.a.O., S.75ff; Rolf-Dieter Müller: Die militärische Bedeutung Dresdens im Frühjahr 1945 und die Auswirkungen der alliierten Luftangriffe.
  13. https://www.tagesspiegel.de/politik/75-jahre-dresdner-bombennacht-die-afd-versucht-den-opfer-mythos-wiederzubeleben/25539616.html
  14. a.a.O., S.79
  15. ebd.
  16. Hermann Ploppa: Der Griff nach Eurasien – Die Hintergründe des ewigen Krieges gegen Russland. Marburg 2019
  17. Eric Langenbacher: Die Alliierten im Zweiten Weltkrieg: das angloamerikanische Bombardement deutscher Städte. In: Adam Jones (Hg.): Völkermord, Kriegsverbrechen und der Westen. Berlin 2005. S.134ff
  18. a.a.O, S.146
  19. a.a.O., S.151
  20. a.a.O., S.153
  21. a.a.O., S.154
  22. https://www.youtube.com/watch?v=h1aCh-l4E18

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung.

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