Tagesdosis 15.10.2019 – Ja, was ist denn mit den Amerikanern los?

Ein Kommentar von Hermann Ploppa.

Es ist kaum zu glauben. Jetzt ziehen sich die amerikanischen Truppen aus Nordsyrien zurück. Und der Spiegel weint, dass jetzt der böse Putin als einziger Vertreter einer Großmacht noch im Nahen Osten präsent ist. Und Putin besucht gleich noch Prinz Salman von Saudi-Arabien und bringt ihm als Gastgeschenk einen sibirischen Falken für die Jagd mit. Und mit dem Erdogan versteht sich der Russe auch ganz vorzüglich.

Ja, wo bleiben denn die Amerikaner? Wo laufen sie denn? Aus Afghanistan wollte der Trump die GIs auch schon abziehen. Hat er dann aber doch nicht gemacht. Irgendwie ist der Wurm ganz schön tief in das amerikanische Fleisch eingedrungen. Da wird dieser unmögliche Präsident gewählt, und seitdem zerfleischen sich die Amerikaner. Donald Trump ist offensichtlich nicht aus demselben Stall wie jene feinen Establishment-Politiker und Intellektuellen, die die Szene beherrschen. Sicher, man stellt öfter mal einen Außenseiter auf den Posten des US-Präsidenten, wenn das Establishment zu viel Vertrauen verspielt hat. Harry Truman, Jimmy Carter, Bill Clinton oder Barack Obama wurden von außen herangeholt, wenn die Amerikaner keinen Establishment-Pinkel mehr sehen wollten. Aber sie waren doch zuvor sorgfältig von der Elite ausgewählt, erzogen und dann in die große Rotation gepusht worden. Und nun hat sich so ein Milliardär von außen einfach die Präsidentschaft gekauft. Der Kerl ist unberechenbar für die Washingtoner Szene. Und auch die deutsche transatlantische Szene fühlt sich wie Hänsel und Gretel im Wald ausgesetzt.

Währenddessen zerfällt die US-Gesellschaft im Raketentempo. Obdachlosigkeit hat schreckliche Ausmaße angenommen. Die seelische Verarmung übertrifft offenbar noch die materielle Verarmung. In den letzten Jahren hat in den USA eine neue Rauschgiftwelle um sich gegriffen. Die Ärzte dürfen ein extrem gefährliches Betäubungsmittel verschreiben. Die Zahl der Opioid-Toten hat so exponentiell zugenommen, dass sogar Präsident Trump den Gesundheitsnotstand deswegen ausgerufen hat. Getan hat er dann allerdings nichts weiter. Stattdessen hat Trump die Reichen noch reicher gemacht und die Armen noch ärmer durch seine Steuerreformen. Trumps Ziel ist die Zerschlagung des Staates. Sein früherer Chefdenker Steven Bannon ist sozusagen die Hardcore-Essenz der marktradikalen Gurus von Friedman bis Murray Rothbard.

Doch nicht nur im Sozialbereich fällt die USA in sich zusammen. Sogar im Militärbereich verkommen die USA zu einem Papiertiger. Das liegt an der extremen Korruption, die gerade auch im Militärbereich der USA wuchert. Bereits im Jahre 2008 hatte das Center for Defense Information, ein Zusammenschluss von Veteranen und unabhängigen Militärexperten, dem frischgebackenen US-Präsidenten Barack Obama eine Denkschrift mit dem Titel „America’s Defense Meltdown“, also zu Deutsch „Amerikas Verteidigungszusammenbruch“ in die Hand gereicht, damit der neue Präsident den Augiasstall des Pentagon mal ausmistet.

Tenor des Denkpapiers: die USA geben heute so viel für Rüstung aus wie noch nie. Aber die Streitkräfte sind so einsatzunfähig wie selten zuvor. Denn mit Verlaub gesagt, beim Einkauf neuer Waffen wird so viel geschummelt und geschoben wie noch nie. Es gibt keine Ausschreibungen bei Auftragsvergaben. Es gibt keine ordentlichen Tests der eingekauften Waffen. Es werden immer dieselben Unternehmen mit Aufträgen beglückt. Und weil jeder Kongressabgeordnete nur dann für ein neues Rüstungsprogramm stimmt, wenn für seinen Wahlkreis Aufträge dabei abfallen, werden jetzt Subunternehmer nicht nach dem Kriterium der besten Qualität ausgewählt, sondern nach dem Kriterium, ob er aus dem richtigen Wahlkreis kommt.

Donald Rumsfeld hatte nach 9/11 expressis verbis einen Krieg gegen die Pentagon-Bürokratie erklärt (1). Die Streitkräfte sollten in Zukunft ihre Dienstleistungen nur noch bei externen privaten Unternehmen wie Halliburton einkaufen und auf jede eigene kreative Leistung verzichten. Der privatisierte Kriegsapparat hat dann im Irak seine Überlegenheit eindrucksvoll zur Schau gestellt. Es war die Heldenhaftigkeit eines Rüpels, der einen blinden Rollstuhlfahrer zusammenschlägt, so in etwa beschreiben die Autoren der Denkschrift für Obama die amerikanischen Fähigkeiten: „Amerikas Streitkräfte schlugen rasch die irakischen Truppen im Jahr 1991, und in den frühen Phasen der Invasion von 2003, aber die beiden Siege waren unvollständig und gegen eine Streitkraft, die bestenfalls als vollkommen unfähig zu bezeichnen war.“ Einen ebenbürtigen Gegner hatten die USA seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr angetroffen.

Die Denkschrift des militärischen Zusammenbruchs stellt dem Pentagon ein extrem schlechtes Zeugnis aus: „Ungeachtet der Reformen für den Ankauf von Waffen durch die besten Köpfe des Kongresses, des Pentagons und der Denkfabriken sind heute die Kostenüberschreitungen in Waffensystemen inflationsbereinigt höher als jemals zuvor. Nicht ein einziges Waffensystem wurde rechtzeitig geliefert, und auch nicht zu den Kosten und dem Leistungsumfang, der versprochen wurde. Das Pentagon weigert sich, dem Kongress und der Öffentlichkeit exakt darzulegen, wie es die Hunderte von Milliarden Dollar einsetzt, die es jedes Jahr bekommt. Der Grund ist ganz einfach: es weiß selber nicht, wie das Geld ausgegeben wurde. Sogar das Haushaltsbüro von Präsident Bush hat das Pentagon als eine der am schlechtesten geführten Behörden im ganzen Regierungsapparat bezeichnet.“

Inzwischen scheint die Ineffizienz der US-Rüstung in der Weltöffentlichkeit bemerkt zu werden. Es ist schon seltsam, was sich da in der Straße von Malakka, zwischen Malaysia und Indonesien, zutrug. Ein US-amerikanisches Kriegsschiff war mitten in der Nacht bei spiegelglatter See und exzellenter Sicht mit einem Tanker havariert. Das US-Schiff soll mit Autopilot gesteuert worden sein. Möglicherweise, so vermuten Journalisten, sei das Versagen der automatischen Steuerung auf ein Störmanöver einer anderen Militärmacht zurückzuführen. Ein Denkzettel möglicherweise. Das US-Militär hielt sich auffällig bedeckt und legte seine Schiffe in dieser Region einstweilen vor Anker, um sie in aller Stille technisch zu überholen.

Und dann die Blamage mit der Drohne auf die Ölfelder von Saudi-Arabien. Das bitterarme Jemen hatte offenkundig mit einer Kampfdrohne Marke Eigenbau das megateure US-amerikanische Raketenabwehrsystem überlisten können. Zunächst röhrte der amerikanische Präsident wieder etwas von „Vergeltungsmaßnahmen“. Die Benzinpreise sollten aufgrund dieser Panne auf saudischen Ölfeldern bei uns in die Höhe schnellen. Trump hörte auf zu röhren und wurde ganz still. Und die Benzinpreise waren so niedrig wie nie. Es könnte ja sein, dass Länder wie Russland und China mit ihrem starken Staat mittlerweile in Rüstungsfragen dem zutiefst privatisiert korrupten Militärisch-Industriellen Komplex der USA bereits überlegen sind. Der türkische Präsident Erdogan kauft als Befehlshaber der zweitgrößten NATO-Streitmacht seine Waffen mittlerweile lieber bei den Russen ein …

Quellen:

(1) Naomi Klein, Die Schock-Strategie – Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus. Frankfurt/Main 2010, S.397

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