Tagesdosis 14.9.2017 – Heiner Geißler: Ein Leben zwischen Machtpolitik und christlicher Ethik (Podcast)

Ein Kommentar von Pedram Shahyar.

Ich traf Heiner Geißler im Jahr 2007 vor dem anstehenden G8 Gipfel in Heiligendamm, wir waren eingeladen in der Sendung „Talk ohne Show“ zusammen mit dem inzwischen verstorbenen Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter. Ich als Attac-Sprecher und Kapitalismuskritiker, Walter als Mann der Finanzbranche und Geißler als Vermittler. Doch diese Rollenaufteilung ging nicht auf. Geißler donnerte härter als ich auf den Kapitalismus ein, und ich, eigentlich der Attac-Scharfmacher, lehnte mich zurück, spielte ihm Pässe zu, und Herr Walter von der Deutschen Bank versuchte den Zuschauer zu erklären, dass die Banken auch sozial engagiert wären.

Ich kannte Geißler aus den späten 80er, wo meine Politisierung begann. Er war der harte Mann der CDU, der Generalsekretär und Stratege von Helmut Kohl. In dieser Funktion hatte er ab 1977 die CDU auf die Machtübernahme und eine 16-jährige Regierungsära vorbereitet und dirigiert. „Der schlimmste Hetzer seit Göbels“ nannte ihn ein Mal Willy Brandt, er war bei den Sozialdemokraten und Linken schwer gefürchtet.

Er war ein Konservativer und kämpfte hart mit allen Bandagen gegen die linke Welle in Deutschland der 70er Jahre, aber er wollte auch die CDU modernisieren. ER hatte verstanden, dass die CDU sich gegenüber dem gesellschaftlichen Aufbruch insbesondere der Frauen und Umweltbewegung nicht verschließen darf. Er machte Rita Süssmuth stark und setzte sich für Geschlechtergerechtigkeit ein. Er verstand mehr und mehr, um das Gute in Deutschland zu bewahren, darf der Umweltschutz nicht zu kurz kommen.

Diese Modernisierung ging vielen in der CDU zu weit. Für die Deutschnationalen wurde er untragbar, und auch Kohl geriet zunehmend in Konflikt mit Geißler. Er war seiner Zeit voraus, zu sehr voraus, und verlor den Machtkampf mit Kohl 1989. Außerhalb der Institutionen der Macht änderte sich seine Stimme noch deutlicher. Mehr und mehr waren in 90er- und 2000er Jahre sozialkritische Kommentare von ihm zu hören.

Bei unserer ersten Begegnung am 15. Mai 2007 im Vorgespräch für die Talkshow im Büro von Bärbel Schäfer war ich zunächst schwer beeindruckt vom Aura von Heiner Geißler. Er sprach ruhig, klar und mit einer gewichtigen Entschiedenheit. Wir kamen auf das in diesen Tagen anstehenden Gnadengesuch vom ehemaligen RAF-Mitglied Christian Klar zu sprechen. „Der Justizminister aus Baden-Württemberg meint, man kann Christian Klar nicht entlassen, weil er gegen den Kapitalismus ist“, sagte Geißler während er seinen Kaffee umrührte. „Wegen einer geistige Einstellung gegen Kapitalismus in Haft? Wenn das so ist, dann sollten sie mich auch verhaften“. Ich staunte nicht schlecht, und fasste mir ein Herz und fragte ihn, ob er nicht Attac beitreten möchte, und er nickte. Ich hatte kein Beitrittsformular dabei, also nahm ich ein weißes Papier, knickte es und überreichte es ihm vor laufender Kamera.

Er war natürlich sofort das prominenteste Attac-Mitglied in Deutschland, und reiste durch das Land und die Talkshows, um in seiner ruhigen aber so entschiedenen Art gegen den Neoliberalismus und Kapitalismus zu argumentieren.

Ich frage ihn nach seinem Sinneswandel. In 70ern und 80ern, erklärte Geißler, sah er in der Blockkonfrontation mit dem Osten die Freiheit durch den Sowjetblock und all ihren nahestehenden Bewegungen in der Welt gefährdet. Die Freiheit, die für ihm im Westen gesichert war, galt es mit allen Mitteln zu verteidigen. Mit dem Sieg des Westens, war es nun im globalisierten Kapitalismus die soziale Gerechtigkeit und Ausgleich, die vorwiegend gefährdet sind. Uns so galt seine politische Aufmerksamkeit auf die Zähmung und Ordnung des Marktes, dass von sich aus keine stabile und gerechte Ordnung schaffen kann. Er handelte durchgehend aus seiner starken Prägung in den christlichen Werten und Ethik. Die Prioritäten hatten sich verändert, und Heiner Geißler verstand es, als ein ethischer Konservativer mit der Zeit zu gehen. Diese ethische Grundhaltung seiner späten Jahre machte ihn auch zu einer moralischen Instanz, und ein Vermittler in schwierigen Konflikten. Er wurde als Schlichter in Tarifkonflikten einberufen und beim Streit um Stuttgart21. Die unkorrumpierbare christliche Ethik seiner späten Jahre machten ihn auch zu einer scharfen Stimme im Streit um Flüchtlinge in Deutschland: „Die CDU trägt dafür eine entscheidende Verantwortung, weil sie ein ethisches Fundament hat, nämlich ein Menschenbild, das identisch ist mit dem des Grundgesetzes, das die solidarische Verpflichtung anerkennt, denen zu helfen, die in Not sind. Auf diesem Hintergrund kann man die Diskussion um Obergrenzen nur als intellektuell und moralisch dekadent bezeichnen. Die Grenze für die Solidarität Flüchtlingen gegenüber, die nicht asylberechtigt sind, bilden allein die Aufnahmekapazität und die Integrationsfähigkeit in Deutschland und Europa. Wenn das ethische Fundament verlassen wird, wird die Politik flatterhaft und wetterwendisch“.

Heiner Geißler kennenzulernen änderte mein politisches Weltbild. Als junge Linker der 90er Jahre war für mich alles in der CDU der Feind. Durch Geißler erfuhr ich, dass Menschen im anderen politischen Lager ihre Motive haben, die sich in gewissen Zeiten mit meinen nicht vereinbaren lassen, aber nicht unbedingt auf Dauer und ewig gegeneinander sein müssen. In allen Konflikten sollten wir nicht vergessen, dass diejenigen Gegenüber auch Menschen sind, und dass es nicht ausgeschlossen ist, dass wir zusammenkommen, wenn sich die Zeiten und die Bedingungen ändern, wenn wir jeweils andere Erfahrungen machen.

Am letzten Dienstag starb Heiner Geißler im Alter von 87 Jahren. Als eine streitbare und starke Stimme für Solidarität und gegen Neoliberalismus, als ein Moderator in Konflikten, und als eine Instanz der christlichen Ethik in der Politik wird Deutschland Geißler vermissen. Ruhe in Frieden Heiner.

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