Tagesdosis 13.4.2019 – Dienen und gehorchen für Maximalprofit (Podcast)

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Ein Kommentar von Susan Bonath

Der Energiekonzern RWE will an die Kohle. Mit diesem Brennstoff macht er seit Jahrzehnten Profit. Auf Kohle ist er spezialisiert. Doch Kohlestrom ist umwelt- und klimaschädlich. Darf RWE trotzdem weiter machen oder nicht? Eins der wichtigsten Argumente der Befürworter sind Arbeitsplätze. Der Konzern droht mit einem massiven Stellenabbau, so er nicht weiter machen dürfe wie bisher. Kann das einer wollen? Um die Frage zu beantworten, müssen wir zwischen Arbeit und Lohnarbeit unterscheiden. Darauf machte ich schon öfter aufmerksam. Und Leser fragten nach: Wo ist da nun genau der Unterschied?

„Arbeit ist eine zielgerichtete, soziale, planmäßige und bewusste körperliche und geistige Tätigkeit. Ursprünglich war Arbeit der Prozess der Auseinandersetzung des Menschen mit der Natur zur unmittelbaren Existenzsicherung. Mit zunehmender sozialer Differenzierung, Arbeitsteilung und der Herausbildung von Tausch- und Geldwirtschaft wurde Arbeit mittelbar“, heißt es im Gabler Wirtschaftslexikon.

Soweit zum Grundbegriff der Arbeit. In der kapitalistischen Realität müssen wir aber über Lohnarbeit reden. Etwa 40 Millionen Menschen sind in Deutschland abhängig beschäftigt. Sie haben einen Arbeitsvertrag mit einem Unternehmen besiegelt. Damit verpflichten sie sich, diesem eine bestimmte Arbeitsleistung zu erbringen. Die Firma sagt im Gegenzug zu, sie dafür zu entlohnen. Anders ausgedrückt: Wer kein profitables Kapital besitzt, dem bleibt nur übrig, seine Arbeitskraft am Arbeitsmarkt als Ware gegen Entgelt anzubieten. Unternehmer kaufen diese Ware, um damit Profite zu erzielen.

Hier tut sich bereits der Hauptwiderspruch des gegenwärtigen Systems auf: Der Beschäftigte will einen möglichst hohen Preis für seine Ware, die Arbeitskraft, erzielen, um gut leben zu können. Der Unternehmer aber strebt nach maximalem Profit. Das muss er, um auf dem Markt konkurrenzfähig zu bleiben. Hohe Löhne mindern seinen Gewinn. Er ist daher bestrebt, sie so niedrig wie möglich zu halten. Sein ökonomisches Interesse an seinen Beschäftigten besteht einzig darin, ihre Arbeitskraft zu erhalten.

Die Interessen der Lohnabhängigen stehen denen der Kapitaleigentümer also grundlegend entgegen. Die Geschichte zeigt: Alle demokratischen Rechte mussten sich erstere hart, teils blutig erkämpfen. Heute erleben wir viele Rückschritte. Rund neun Millionen Menschen arbeiten für weniger als zehn Euro pro Stunde. Rund zwei Millionen Soloselbständige manövrieren am Existenzminimum herum, viele zu Honoraren unter dem Mindestlohn. Von 7,5 Millionen Minijobbern leben zwei Drittel allein von diesem Einkommen.

Entscheidende Gegenwehr gibt es zumindest in Deutschland nicht. Die Gewerkschaften sind schwach. Sie klüngeln mit den Wirtschaftsverbänden und der Politik. Tarifstreits dienen vor allem privilegierten, zunehmend schrumpfenden Stammbelegschaften. Beschäftigte sind immer weniger organisiert.

Die Hartz-Gesetze haben diesen Trend beschleunigt. Damit führte die Politik Anfang dieses Jahrtausends unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder und dem Jubel aller anderen Parteien außer der damaligen PDS ein brutales Sanktionsregime gegen Erwerbslose ein. Wir reden hier von einem staatlichen Regime, das arm gemachten Menschen die allernötigsten Existenzmittel für Nahrung, Obdach und Medikamente entzieht, wenn sie nicht parieren und jeden miesen Job annehmen. Um dies nachhaltig zu vollziehen, gab die Politik zusätzlich Leiharbeit und Minijobs frei, privatisierte Teile der Altersvorsorge, kürzte die staatliche Rente.

Das Ziel hatte Schröder klar definiert: Der Profit sollte wieder sprudeln. Mittels billigster Arbeitskräfte sollten deutsche Unternehmen die Wirtschaftskrise um die Jahrtausendwende besiegen und „wettbewerbsfähig“ werden. Der Export sollte florieren. Es ging darum, imperialistische Macht durchzusetzen. Man wollte die Märkte anderer Länder niederkonkurrieren. Nebeneffekt: Anderswo verlieren viele Millionen Menschen den Job. Arbeitsmigration ins imperialistische Zentrum der EU namens Deutschland ist eine Folge davon.

Diesen klassischen Klassenkampf von oben will das Parteienkartell aus CDU, CSU, SPD, FDP und AfD auch nicht aufgeben. Alle der genannten Parteien plädieren zum Beispiel vehement für das Sanktionsregime, auch wenn die SPD sich aktuell die Wählerschaft mit Plädoyers zur Abmilderung zurückerobern will.

Das größte Problem ist aber nicht die neoliberal-konservative Einheitsfront. Es ist das Kleinbürgertum und ein Großteil der abhängig Beschäftigten, die der repressiven Politik auch noch zujubeln. Man müsse die Faulpelze doch ordentlich bestrafen, rufen sie unisono mit der Politik in der Hoffnung auf einen besseren Platz am Futtertrog. Klar, wer am kräftigsten nach unten tritt und am unterwürfigsten nach oben buckelt, hat bessere Aufstiegschancen im Kapitalismus. Ist doch schon lange bekannt.

230 Jahre Industriekapitalismus plus die mildere Knute der bürgerlichen Demokratie hat die Masse die Peitschen und Gewehrläufe der Obrigkeit vergessen lassen. Hinter jedem Werkstor, jeder Bürotür bleibt von Demokratie zwar nicht viel übrig. Doch täglich aufs Neue dort hinzugehen, gleicht fast schon einem kollektiven Fetisch, der so irre Namen trägt, wie „Selbstverwirklichung“.

Die Lohnabhängigen von heute haben gelernt, erfolgreich auszublenden, dass sie in diesem System nur Humankapital sind. Nur manchmal schimmert die rohe Brutalität durch. Wenn das Jobcenter den 18jährigen vollsanktioniert, wenn Macrons Knüppelgarde den Demonstranten die Augen raus- und die Hände abschießt, wenn eine Mutter und ihre Kinder zwangsgeräumt werden, wenn die EU Tausende Menschen im Meer ersaufen lässt und die Retter anklagt. Fast jeder könnte der Nächste sein. Alle wissen und verdrängen es.

Die Lohnabhängigen haben ihren Herren Maximalprofit zu bescheren. Nicht mehr, nicht weniger. Profit bringt alles, was sich verkaufen lässt, ob Nahrung, Häuser oder Waffen. Es geht nicht darum, sinnvolle Dinge herzustellen, um Existenz und Reproduktion der Gesellschaft zu sichern, um das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Sehr viel Lohnarbeit erfüllt diesen Zweck gar nicht. Denken wir an die ausufernde Finanzbranche, an das zum Morden befohlene Militär, an die Rüstungsproduktion und vieles mehr.

Wie jeder Unterdrückte ist ein Lohnabhängiger aber abhängig von einem Besitzenden. Er hat nicht zu fragen, sondern zu gehorchen. Er hat zu arbeiten, wie ihm befohlen. Sonst verliert er mit dem Job den Lebensunterhalt. Die Arbeit hat sich für ihn auf einen einzigen Zweck reduziert: Lohnerwerb. Seine Wünsche, Fähigkeiten, Talente und Ideen zählen wenig, wenn sie nicht herrschaftskonform profitabel sind.

Es interessiert den Kapitalisten nicht, ob sein Beschäftigter Familie hat, sich um ein krankes Kind kümmern, den Garten bestellen, die neue Wohnung renovieren oder die Oma pflegen muss. Es gibt viel Arbeit im Kapitalismus, die unentgeltlich getan wird, weil sie getan werden muss. In den Augen der Herrschenden ist das aber keine Arbeit, weil es keine Lohnarbeit ist, die für sie kurzfristigen Profit abwirft.

Kurzum: Wer kein verwertbares Kapital besitzt, muss seine Arbeitskraft verkaufen. Was er produziert, hat nicht er zu entscheiden. Es gehört ihm so wenig, wie die Mittel, mit denen er arbeitet. Er ist von seiner Arbeit so entfremdet, wie die Arbeit selbst von ihrem eigentlichen Zweck: dem Erhalt von Leben, Reproduktion und gesellschaftlichem Wohlstand.

Das wird an einem aktuellen Beispiel gut deutlich. Durch die regionale Presse lief Mitte der Woche die Meldung: 70 Prozent der Windräder in Sachsen stünden vor dem Aus. Sie sollen entsorgt werden, nach 20 Jahren Betriebsdauer auf dem Müll landen. Der Grund: Die Förderung für Erneuerbare Energien läuft 2020 aus. Wartung und Arbeitskräfte kosten mehr, als daran zu verdienen wäre, begründete dies ein Betreiber.

Der Profitzwang verhindert also sinnvolle Neuerungen und ihre Weiterentwicklung zugunsten von Mensch und Natur. Die Mittel und Technologien sind da. Doch Kohle, Gas und Öl bringen schneller Cash. Kapital muss rentabel sein; nicht für die, die arbeiten, sondern für die, denen es gehört. Unrentables Kapital wird entsorgt. Auch immer mehr Menschen, also Humankapital, werden dank technologischer Entwicklung für die Profitmaschine überflüssig. Ich wiederhole: Unrentables Kapital gehört nach geltender Logik vernichtet.

Rentabilität in der kapitalistischen Realität beziffert also keineswegs den Nutzen einer Arbeit für die Gesellschaft. Sie beziffert viel mehr den Profit, den sie für die Eigentümer der Produktionsmittel und Käufer der Arbeitskraft abwirft – auf welche hinterhältige, menschenverachtende, verbrecherische, zerstörerische und kriegerische Weise auch immer. Rentabilität ist die Summe der Zeit, die der Beschäftigte unentgeltlich für den Profit seines Herren (mehr)arbeitet. Sie bemisst in Wahrheit den Grad der Ausbeutung.

Zweckentfremdete, sinnentleerte und zu wachsendem Anteil – unbemerkt – unentgeltliche Arbeit abzuleisten: Das ist der Tribut, den die Ausgebeuteten in der heutigen Klassengesellschaft an die herrschenden Privatiers und den Gesamtkapitalisten, den Staat, abdrücken müssen, um überleben zu können. Wer das nicht will, wird am Ende vom Jobcenter zu dieser Lohnarbeit mit einer faktischen Todesdrohung gezwungen. Die Scharen von Obdachlosen in deutschen Großstädten vor den mit Waren vollgepackten Schaufenstern sind die Warnung der Herrschenden an die unterdrückte Klasse.

Wer also das Argument „Arbeitsplätze“ anbringt, um Schädliches fortzuführen, hat sich entweder mit seiner Knechtschaft abgefunden. Oder er sitzt auf der Seite der Profiteure. RWE gewinnt in jedem Fall. Konzernchef Rolf Martin Schmitz machte der Politik kürzlich klar, dass sie ihn weiter zu pampern habe. 1,5 Milliarden verlangt er vom Steuerzahler für die Stilllegung seiner Kohlekraftwerke. Nein, nicht pro Kraftwerk – pro Gigawatt, das vom Netz geht. Und wir ahnen schon, wie die Geschichte ausgeht.

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Danke an die Autorin für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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