Tagesdosis 11.5.2019 – Russische Kampf-Wale zum Wahlkampf

Ein Kommentar von Susan Bonath.

Hilfe, die Russen kommen! NATO Marsch! Ausgerechnet vor dem Tag der Befreiung – und wenige Wochen vor der EU-Wahl –  trieb die Qualitätspresse im imperialistischen Irrenhaus Deutschland die passende Sau durchs Dorf. Die war so billig, dass man sich verwundert die Augen rieb. Russland setze offenbar Wale zu Spionagezwecken ein, titelten die Medien, vom Spiegel über die Springerpresse bis hin zum Tagesspiegel. Patrick Diekmann spann auf t-online.de die Verschwörungstheorie weiter: Die russische Marine soll einen vor Norwegens Küste aufgetauchten Beluga als „Kampf- und Spionage-Wal“ ausgebildet haben, keifte er und offenbarte: NATO-Staaten täten so etwas ja auch! Aber das unterliege „höchster Geheimhaltung“ (1).

Hintergrund ist, dass Fischer an der norwegischen Küste Ende April einen handzahmen Wal dingfest gemacht hatten. Und der trug einen Gurt um den Leib mit der Aufschrift „Ausrüstung St. Petersburg“. Daran war mutmaßlich eine Kamera befestigt, spekulierte Spiegel Online (2). Kurz darauf war in dem Blatt zu lesen, dass ein norwegischer Sender seine Zuschauer sogar über einen Namen abstimmen ließ. „Hvaldimir“ heißt der Wal, eine Mischung aus dem norwegischen Wort für Wal, hvalen, und Putins Vornamen Wladimir (3).

Und jetzt kommt der Clou: Die norwegische Fischereifachzeitschrift „fiskeribladet“ hat tatsächlich die ganze schöne Feindpropaganda zunichte gemacht und sich als Meisterin der Recherche entpuppt: Der handzahme tierische Spion ist gar kein Spion, sondern offensichtlich aus einer russischen Therapie-Station nahe der norwegischen Küste getürmt. Mit dem Gurt habe er dort Kinder mit psychischen Problemen und aus benachteiligten Familien in Booten hinter sich her gezogen. Ein ehemaliger Konsul, der auch mal für das Fischereiblatt geschrieben hatte, will den Wal samt Gurt aus seiner Zeit in Russland wiedererkannt haben. Er hatte vor elf Jahren selbst eine Reportage über die Station für das Blatt geschrieben (4). Mit großer Wahrscheinlichkeit, sagte er, handele es sich um einen Therapie-Wal namens Semjon.

Zur Wahrung des Scheins von Objektivität ließ die Qualitätspresse indes auch die Gegenseite zu Wort kommen; ganz zum Schluss, versteht sich. Unsinn sei das, sagte zum Beispiel der von t-online.de zitierte russische Militärsprecher Wiktor Baranez. Russland trainiere lediglich Delfine, um den Meeresboden zu untersuchen oder Minen an Kriegsschiffen aufzuspüren. Auch andere Länder nutzten die Tiere auf diese Weise. „Daraus machen wir auch kein Geheimnis und das ist absolut nichts Ungewöhnliches“, so Baranez.

Doch die Sau ist durch. Mit Richtigstellungen hat es die Qualitätspresse nicht so. Lediglich die Süddeutsche, die sich zuvor zurückgehalten hatte, griff die Recherche des Fischereiblattes mit vielen Konjunktiven auf (5). Die Hysterie der zitierten Politiker, Wissenschaftler und Tierschützer, etwa: „Die Menschheit ist auf dem falschen Weg, wenn sie Wale bewaffnet“, hat sich dennoch eingebrannt. Und vor allem eins sitzt: Die bösen Russen missbrauchen sogar arme Wale für ganz, ganz böse und ganz geheime Kriegsvorbereitungen. Da muss man doch mal langsam „zurückschießen“!

Dass mit solcher Dauerpropaganda, und sei sie noch so dümmlich, eines baldigen Tages wieder genügend westliche Dödel für die Kriegsgelüste der Herrschenden zu mobilisieren wären, ist leider nicht ausgeschlossen. Denn an Bildung mangelt es gewaltig, ganz unabhängig vom Schulabschluss.

Die einen kriegen paranoide Panikattacken um ihren geliebten BMW, wenn ein Jungsozi von Sozialismus spricht, die anderen halten Deutschland für eine GmbH. Manche sehen überall Reptiloiden und Illuminaten, und überhaupt: Wirklich schuld sind eh die Chemtrails und die böse Antifa!! Was des einen Russen, ist des anderen Ami, des nächsten Moslem und des übernächsten „Linksextremist“. Nur nach oben guckt man nicht so gerne, und wenn, dann nur um den Führer auszutauschen. Der westliche Kapitalismus ist doch so alternativlos. Man hat sich eingerichtet, das Hamsterrad ist der brave Bürger eh gewohnt.

„Sklavenhändler, hast du Arbeit für mich. Sklavenhändler, ich tu´ alles für dich“, lautet eine dazu passende Liedzeile des verstorbenen linken Künstlers Rio Reiser. Und die beschreibt das begrenzte Weltbild  vieler perfekt. Da gerät das Halt suchende Seelchen schnell in Panik, wenn die Elite wieder mal von irgendwelchen Feinden schwafelt. Dessen sind sich die Bourgeoisie und ihre Helferlein sicher gewiss. Sonst wäre es ihnen mindestens peinlich, nun angebliche Kampfwale der Russen zum EU-Wahlkampf zu servieren.

Da kann man nur hoffen, dass die Massen nicht erneut in Kriegsgeschrei verfallen, wenn ein neuer Führer eines Tages wieder brüllt: „Seit fünf Uhr fünfundvierzig wird zurückgeschossen.“

Quellen:

  1. https://www.t-online.de/nachrichten/ausland/krisen/id_85669008/russland-delfine-und-wale-als-waffen-es-ist-widerlich-.html
  2. https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/norwegen-fischer-finden-beluga-wal-mit-gopro-gurt-spionageverdacht-a-1265023.html
  3. https://www.spiegel.de/panorama/beluga-in-norwegen-mutmasslicher-spionage-wal-heisst-jetzt-hvaldimir-a-1265852.html
  4. https://fiskeribladet.no/nyheter/?artikkel=66821
  5. https://www.sueddeutsche.de/panorama/beluga-norwegen-spion-wal-1.4437315

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