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Ein Kommentar von Dirk Pohlmann
Seit dem 23. Januar 2020 steht die Weltuntergangsuhr des Berichtsblattes der Atomwissenschaftler auf 100 Sekunden vor Mitternacht. Es ist der schlechteste Wert, auf den die Wissenschaftler die Uhr seit 1947 gestellt haben, dem Jahr, in dem die Doomsday Clock zum ersten mal der Öffentlichkeit präsentiert wurde.
Das war kurz nach dem ersten Einsatz von Atombomben gegen die Zivilbevölkerung in Hiroshima und Nagasaki. Etwas hatte sich fundamental verändert. Bisher konnten sich Menschen umbringen, immer effektiver in immer größerer Zahl. Aber mit den Atomwaffen war die Führungsschicht der Spezies Mensch zum ersten mal in der Lage, die gesamte Zivilisation zu vernichten, sowohl die Bevölkerung und den Lebensraum des Feindes als auch ihre Bevölkerung für ihren Machtpoker zu opfern.
Die Wissenschaftler, die die Bombe möglich gemacht hatten, litten unter ihrem Sündenfall. Die wissenschaftliche Elite der Welt hatte sich der Prostitutionskarriere ihres Ahnherren Galileo Galilei angeschlossen, der sein neues Weltbild dadurch korrumpierte, dass er sofort die militärischen Möglichkeiten von Fernrohren und der neuen Wissenschaft anpries – beim nächstbesten Fürsten. Galileo war sozusagen der erste NATO-Stricher. Er würde viele Nachahmer finden.
Die allermeisten Atomwissenschaftler versuchten damals den Geist in die Flasche zurückzustopfen, der Vernunft eine Stimme zu geben. Hans Bethe, einer der Los Alamos Wissenschaftler, forderte später seine Kollegen in aller Welt auf, nicht mehr für Politik und Militär Atomwaffen zu bauen. Albert Einstein schlug vor, alle Nuklearwaffen in die Obhut der UNO zu geben. Das waren ehrenwerte Vorschläge, die auf die tauben Ohren der nicht so ehrenwerten Mächtigen trafen.
Die Weltuntergangsuhr, die Doomsday Clock war ein Ergebnis des schlechten Gewissens der Nuklearwissenschaftler.
Damals, 1947 stellten sie die Weltuntergangsuhr auf 7 Minuten vor Mitternacht.
Der Stand der Uhr wird jedes Jahr neu festgelegt. Es gibt keine exakten Kriterien, nach denen sie gestellt wird. Die Uhr verdeutlicht die Einschätzung, die der Aufsichtsrat des „Bulletin of the Atomic Scientists“ gemeinsam mit einem Expertengremium festlegt, in dem 17 Nobelpreisträger sitzen.
1953, als die USA und die UdSSR in einem Zeitraum von 9 Monaten die ersten Wasserstoffbomben getestet hatten, wurde sie auf 2 Minuten vor 12 gestellt, also 3 Minuten weniger als den sprichwörtlichen Wert 5 vor 12. Die Wasserstoffbombe machte den Zivilisationsuntergang möglich – und wahrscheinlich.
1963 wurde die Uhr nach den Vereinbarungen zum Atomteststopp auf 12 vor 12 gestellt, es gab Hoffnung. 1984, zur Hochzeit des Wettrüstens zwischen den Supermächten USA und UdSSR wieder auf 3 vor zwölf, 1983 war es mit dem Manöver Able Archer fast zum Atomkrieg gekommen, was die Wissenschaftler wahrscheinlich nicht wussten, aber sie lagen mit ihrer Einschätzung richtig. Es wird gerade ein neues Großmanöver an der Grenze zu Russland vorbereitet.
1991, nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Vertrag zur Verringerung der strategischen Waffen sowie der Abschaffung der Mittelstreckenwaffen stand sie auf 17 vor 12. Die Regierungen der Supermächte waren scheinbar auf einem guten Kurs.
Scheinbar. Denn der Friedenswille war weltweit ungleichmäßig verteilt. Je mehr Macht, desto mehr Gier, Größenwahn und Vabanque–Stimmung. Die USA sahen sich als einzige Supermacht auf dem Planeten, Militärs und Politiker wie Dick Cheney und Paul Wolfowitz arbeiteten an einer Doktrin, die im wesentlichen festlegte, dass die USA nie wieder zulassen würden, dass es einen Machtkonkurrenten für die USA geben würde. Die USA war die Welthypermacht. Man rief das Ende der Geschichte aus, Demokratie und Kapitalismus, die als zwei Seiten einer Medaille gewertet wurden, hatten angeblich endgültig gesiegt. Es wäre nur eine Frage der Zeit, bis die ganze Welt den Segnungen des American Way of Life huldigen würde.
Die Strategen der USA verglichen sich damals gerne mit dem Römischen Reich, dessen Zivilisation und Militär in gut 1000 Jahren Rom schrittweise zum Welthegemon gemacht hatten. Die römische Kultur wurde von den besiegten Völkern bereitwillig übernommen, es gab eigenständige Mischformen wie die Gallo-Römische Kultur. War Hollywood und die US Musikindustrie nicht das Äquivalent dazu? Waren die besiegten Deutschen nicht das beste Beispiel? Niemand konnte die West-Deutschen bei dem Versuch übertreffen, möglichst amerikanisch zu werden. Und egal wo man auf der Welt herumreiste, ob in Kamerun, Hong-Kong oder Grönland, überall war dieselbe Popmusik zu hören, überall liefen die gleichen Blockbuster im TV und Kino. Auch in der DDR waren Jeans und Westmusik heiß begehrt. War das etwa kein Zeichen für ein Neues Rom? Die Araber würden die US Truppen mit Blumen bewerfen, redeten sich die US Strategen ein, das deutsche Anbiederungsbeispiel vor Augen.
Die Wolfowitz-Doktrin und das Project for a New American Century waren die ideologische und militärische Hinterfütterung der Weltherrschaftsphantasien der einzigen Supermacht.
Die Friedensdividende, die vor allem Michail Gorbatschow zu verdanken war, wurde von den US Regierungen verzockt. Nachdem der Warschauer Pakt aufgelöst war, brach die USA mit den Vasallenstaaten ihres Großraumes Kriege vom Zaun, wie es ihnen gerade in den Kram passte. Die NATO wurde zum Bündnis für Angriffskriege, die als „Humanitäre Interventionen“ getarnt wurden. Der erklärte Zweck eines Beistandspaktes und Verteidigungsbündnisses für das Territorium der Mitgliedstaaten wurde geändert. Eigentlich war die NATO überflüssig geworden. Das bemerkte sie selbst und gab die Parole aus: „Out of area or out of business“. Also „Einsätze außerhalb des NATO Territoriums oder überflüssig werden.“
Die „Neue Weltordnung“ war weder neu noch war es eine Ordnung, es war das weltweit durchgesetzte Recht des Stärkeren. Sie stammte aus der Mottenkiste des Imperialismus. Die „Neue Weltordnung“ war eine Projektion der Kanonenbootpolitik des 19. Jahrhunderts in die Zukunft. Machiavelli für Dummdreiste. Die USA hatten eine unvergleichliche Militärmacht aufgebaut. Die Rüstungsausgaben der USA waren und sind so groß, wie die Ausgaben der nächsten 8 Militärmächte zusammengenommen, inklusive Russland, China, Saudi Arabien und anderer Atommächte. Präsident Teddy Roosevelt hatte noch den Merksatz: „Sprich sanft und habe immer einen grossen Knüppel dabei.“ Heute gilt ein anderes amerikanisches Sprichwort: „Wer einen großen Hammer in der Hand hält, entdeckt bald überall nur noch Nägel, die er einschlagen kann.“
Mit den Anschlägen des 11. September, die passend zur Weltordnungs-Planung verübt wurden, konnte der NATO Bündnisfall ausgerufen werden, der bis heute aktiv ist. Seine Ermächtigungs- und Notstandsgesetze schufen die juristische Grundlage für eine unumschränkte Herrschaft, Folter, Gefängnisse, Prozesse und Mord außerhalb des Rechts, die Bespitzelung der gesamten Welt, die Inhaftierung von Journalisten und Whistleblowern und einen Regime Change nach dem anderen.
Der grassierende Wahnsinn, das Aufkündigen von Rüstungskontrollabkommen, die konstanten imperialen Kriege sind eine von zwei existentiellen Gefahren, die für die Zeigerstellung der Doomsday Clock verantwortlich sind, was übersetzt eigentlich Uhr des jüngsten Gerichtes heißt.
Die westliche Welt wird jetzt von Hasardeuren regiert, die ausprobieren, wie oft der Krug zum Brunnen gehen kann. Ist ja bisher noch immer gut gegangen, bisher ist er nicht gebrochen. Wozu der Alarmismus? Wird schon weiter gut gehen.
Die zweite Gefahr ist nach Ansicht der Atomwissenschaftler und der 17 Nobelpreisträger die Klimaerwärmung. Bereits 1959 hatte der Physiker Edward Teller, der Mann, der die Wasserstoffbombe entwickelt hatte, bei einer Festrede zum 100. Jahrestag des „American Petroleum Institute“, der Dachorganisation aller US-Firmen, die irgendwie mit Öl oder Gas zu tun haben, darauf hingewiesen, dass es in der Zukunft ein Problem mit dem CO2 Anteil der Atmosphäre geben würde, mit der daraus folgenden Erwärmung um mehrere Grad Celsius, was zum Abschmelzen der Eisflächen führen wurde. Edward Teller, der kein Weltweiser wie Einstein war, sondern ein Kalter Krieger par excellence, predigte trotzdem in den Wind.
Und so geht das bis heute. Die Sachlage ist klar, aber es nützt nichts. Im Gegenteil. In den USA und in Australien sind die Klima-Leugner an der Macht. Und während die Messergebnisse die Modelle bestätigen oder übertreffen, wird nach Haaren in der Suppe gesucht. Wer eines gefunden zu haben glaubt, behauptet, dass damit alle bisherige Wissenschaft obsolet geworden ist.
Also haben die Atomwissenschaftler festgestellt, dass es zwei existentielle Gefahren gibt, die die Zeigerstellung ihre Weltuntergangsuhr bestimmen: Die mögliche Gefahr eines Nuklearkrieges und die sicheren Auswirkungen der Klimaerwärmung.
In beiden Fällen benehmen sich viele der wichtigsten Politiker der wichtigsten Nationen, als ob man ihnen ein minderwertiges Gebrauchtgehirn eingepflanzt hätte. Sie verabschieden sich aus den Abkommen, die die einzige Chance für eine Rettung sind. Egal ob Rüstungskontrolle, Atomabkommen mit dem Iran oder die Klimavereinbarungen. Sie bauen statt dessen neue Hyperschall-Waffen und spielen mit Künstlicher Intelligenz, die in Kombination mit Waffentechnologie eine Katastrophe ist, die darauf wartet, Wirklichkeit werden zu dürfen.
Dazu kommt jetzt nach Ansicht der Atomwissenschaftler noch als Bedrohungsverstärker die Funktionsunfähigkeit und der Missbrauch der Informationssysteme, die teils sogar absichtlich von Machtgruppen und Regierungen zur Täuschung genutzt werden.
100 Sekunden bis Mitternacht. Und das Führungspersonal der westlichen Demokratien, z.B. Trump, Boris Johnson und Bolsonaro, das uns auf der Brücke des Ozeandampfers ins Eisfeld steuert, besteht zunehmend aus Figuren, die Trash TV tauglich sind, einen Kapitän schlecht darstellen können, aber keine Ahnung von Navigation haben.
Haben Sie Kinder? Kaufen sie doch schon mal für jedes Kind ein Apfelbäumchen. Bei Amazon. Das ist der Versandhandel, von dem ihre Kinder wissen werden, dass er einst nach einem nun abgebrannten und abgeholzten Urwaldgebiet benannt worden war. Falls nicht vorher ein Nuklearkrieg vom Zaun gebrochen wird. Absichtlich, durch Dummheit oder einen Fehler.
Und sie dürfen sich jetzt schon das hier auf der Zunge zergehen lassen: Die illegalen Einwanderer in den USA zahlen heute mehr Steuern als Amazon. Make our Future great again!
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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung.
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Bildhinweis: HE68 / Shutterstock
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