Tagesdosis 11.11.2017 – Saudi-Arabiens Verbrechen im Jemen – unterstützt durch Washington, London und Berlin (Podcast)

Ein Kommentar von Ernst Wolff.

Saudi-Arabien hat den Jemen in dieser Woche fast vollständig von der Außenwelt abgeschnitten. Seehäfen und Flughäfen sind geschlossen, sämtliche Zufahrtswege abgeriegelt worden. Das saudische Herrscherhaus treibt damit den seit zweieinhalb Jahren andauernden militärischen Konflikt mit dem Nachbarland auf die Spitze.

Die Entwicklung hat mehrere Ursachen. Zum einen steckt Saudi-Arabien in erheblichen Schwierigkeiten, da seine Wirtschaft zu neunzig Prozent vom Öl abhängt, der Ölpreis aber seit mehreren Jahren weit unter den Förderkosten liegt und die Devisenreserven des Landes rasant schwinden. Zum anderen tobt seit König Abdullahs Tod 2015 ein Machtkampf, der sich in diesem Sommer durch die Ernennung von Mohammed Bin Salman zum Kronprinzen erheblich verschärft hat.

Bin Salman hat in den vergangenen Tagen gewaltsam versucht, seine Macht zu festigen. Er hat mehrere extrem wohlhabende Geschäftsleute festnehmen und ihr Vermögen konfiszieren lassen. Zwei mit ihm um die Thronfolge konkurrierende Prinzen sind unter dubiosen Umständen ums Leben gekommen. Zudem plant Bin Salman, den Staatshaushalt durch einen teilweisen Börsengang des dem Königshaus von Saud gehörenden größten Energiekonzerns der Erde, Aramco, aufzubessern. Es wäre der größte Börsengang aller Zeiten, doch offensichtlich gibt es größere Probleme, da Investoren in aller Welt dem Haus von Saud nicht trauen und zum anderen nicht sicher sind, wie lange das Land angesichts seiner Abhängigkeit vom Öl noch so wohlhabend und mächtig bleiben wird wie in den vergangenen Jahrzehnten.

Im Inneren Saudi-Arabiens herrscht überdies wegen der hohen Arbeitslosigkeit und der horrenden sozialen Ungleichheit eine wachsende Unzufriedenheit, die die Regierung mit einer Mischung aus Zuckerbrot (wie der angekündigten Fahrerlaubnis für Frauen) und Peitsche (der gewaltsamen Niederschlagung von Protesten ausländischer Arbeiter) bekämpft.

Um von all diesen Problemen abzulenken, hat sich Bin Salman nun entschieden, den Krieg gegen die im Jemen vor drei Jahren an die Macht gekommenen Huthi-Rebellen, die dem Iran – dem Erzfeind Saudi-Arabiens – nahestehen, drastisch zu verschärfen. Mit diesem Machtpoker nimmt er eine menschliche Tragödie in Kauf, deren Ausmaß einem erst dann bewusst wird, wenn man sich folgende Zahlen vor Augen führt:

Jemen ist das mit Abstand ärmste Land im Nahen Osten. Fast achtzehn seiner insgesamt 27 Millionen Einwohner sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. 14,5 Millionen Jemeniten haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, mehr als drei Millionen sind seit Beginn der Kriegshandlungen auf der Flucht. Etwa die Hälfte aller Krankenhäuser liegt in Trümmern, 900.000 Menschen sind an Cholera erkrankt – die größte Epidemie dieser Art, die es je auf der Erde gegeben hat. Zudem sind auf Grund der durch Saudi-Arabien bewusst herbeigeführten katastrophalen Versorgungslage neun Millionen Einwohner akut von einer Hungersnot bedroht.

Diese Zahlen müssten jedem Menschen klar machen, welch monumentales Verbrechen es ist, den Jemen unter den gegenwärtigen Bedingungen vollständig von der Außenwelt abzuriegeln. Was aber tun die Regierungen der Welt dagegen? Wer diese Frage mit „nichts“ beantwortet, der irrt, zumindest im Fall der USA, Großbritanniens und Deutschlands. Deren Regierungen sind nämlich nicht nur der unterlassenen Hilfeleistung schuldig, sie sind direkt an dem Verbrechen im Jemen beteiligt und damit Komplizen bei einem geplanten Massenmord.

Großbritannien und die USA haben Saudi-Arabien seit Kriegsbeginn mit Waffen im Werte von mehr als 4 Milliarden Dollar versorgt und das Land bei seinen Angriffen logistisch und durch Militärberater unterstützt. Sie haben ihre Strategie auch dann nicht geändert, als die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zweifelsfrei belegt hat, dass Munition aus britischer und amerikanischer Produktion bei Angriffen auf zivile Ziele im Jemen eingesetzt wurde.

Und Deutschland? Die Bundesrepublik, 2016 weltweit drittgrößer Rüstungsexporteur, zählt seit Jahren neben den USA und Großbritannien zu den wichtigsten Waffenlieferanten Saudi-Arabiens. Deutschland hat zwischen 2001 und 2016 für insgesamt 3 Mrd. Euro Waffen an das Haus von Saud geliefert. Erst am Anfang dieses Jahres wurde der Export von Patrouillenbooten an das Königreich genehmigt. Im April wurde zudem ein Abkommen über die Ausbildung saudischer Militärs und Polizisten durch die Bundeswehr unterzeichnet.

Bemerkenswert ist vor allem die Begründung, mit der der Verkauf der Boote gerechtfertigt wurde: Sie würden nur zur Sicherung der saudi-arabischen Küste und der davor liegenden Ölplattformen, nicht aber zu offensiven Zwecken eingesetzt, hieß es in Berlin. Das war schon damals unwahr, denn Saudi-Arabiens Marine blockiert die Häfen des Jemen bereits seit 2015 und hat die Nahrungsmittelversorgung im Land dadurch so weit untergraben, dass dort jetzt eine Hungersnot droht, von der der UNO-Nothilfekoordinator Marc Lowcok diese Woche gesagt hat, es sei “größte Hungersnot, die die Welt seit Jahrzehnten erlebt hat”.

Dass die Bundesregierung versucht, dieses gigantische Verbrechen Saudi-Arabiens gegen die Menschlichkeit und die eigene Mittäterschaft stillschweigend zu übergehen, zeigt einmal mehr, wer in unserem Land die politische Macht in Händen hält: Eine moralisch zutiefst verkommene Elite, der die Gewinne der Rüstungs- und der hinter ihr stehenden Finanzindustrie so wichtig sind, dass sie bereit ist, dafür die vorsätzliche Tötung von Millionen von Menschen billigend in Kauf zu nehmen.

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