Tagesdosis 10.4.2019 – Sündenbock Kind

Zum Schutz der Umwelt eine Null-Kind-Politik zu fordern, offenbart eine fehlgeleitete Auffassung von „Feminismus“.

Ein Kommentar von Felix Feistel.

Wenn stille Wasser tief sind, dann ist Verena Brunschweigers Manifest eine vor Zorn und Hass brodelnde Pfütze. Über 140 Seiten lang argumentiert die Autorin an jedem tatsächlichen Problem vorbei, um ihre Weltsicht dem Leser ins Hirn zu prügeln: Kinderlosigkeit ist das Gebot der Stunde. Wer sich anders entscheidet, handelt schlecht.

In vielen Artikeln wurde das Werk auf den Aspekt der Kinderlosigkeit zugunsten von Klima- und Umweltschutz reduziert. Dieser jedoch nimmt nur den geringsten Raum des Buches ein. Zuvor versucht die Autorin, eine bekennende Feministin, die Befreiung der Frau über das Mittel der Kinderlosigkeit zu propagieren. Der Tenor: Frauen, die Kinder bekommen (wollen), oder diese bereits haben, sind rückschrittlich, nicht emanzipiert und ordnen sich dem Mann unter. Selbstbestimmte Frauen hingegen bekämen keine Kinder. Dass Frauen auch selbstbestimmt den Wunsch hegen können, Kinder zu kriegen, kommt in Brunschweigers Weltsicht hingegen nicht vor. Stattdessen schreibt sie diesen Wunsch der gesellschaftlichen, von Unterdrückung durch den Mann bestimmten, „pronatalistischen“ Propaganda zu.

Dabei sei der Wunsch westlicher Frauen, Kinder zu bekommen, ein Schlag ins Gesicht aller Frauen, die in weniger wohlhabenden Regionen leben. Denn dort würden viele Frauen unfreiwillig Mütter, entweder durch mangelhaften Zugang zu Verhütungsmitteln oder durch Vergewaltigung. Doch was hat der Wunsch von Frauen auf ein Kind hierzulande mit den Frauen dort zu tun? Ist die einzige Konsequenz, Vergewaltigungsopfern in der dritten Welt Achtung entgegenzubringen, hierzulande keine Kinder in die Welt zu setzen? Wie diese beiden Aspekte miteinander zusammenhängen sollen, erklärt die Autorin jedoch nicht. Allerdings ist dies nur ein Beispiel für ihre schlichte, ja geradezu dümmliche Argumentationsweise.

Brunschweiger sieht sich in einer Gesellschaft, die Frauen zu Müttern machen wolle. Wie sie auf diesen Gedanken kommt, erschließt sich dem Leser beziehungsweise der Leserin jedoch nicht. Gerade junge Frauen werden alleine aufgrund einer potenziellen Schwangerschaft bei der Suche nach einer Arbeit benachteiligt. Zudem stellt diese Gesellschaft Mütter und Eltern nicht nur zu wenig Kitaplätze, sondern auch Schulen zur Verfügung, die nicht nur bauliche Mängel aufweisen, sondern in denen auch Lehrer fehlen, während sie gleichzeitig Mütter dazu anhält, möglichst bald nach der Geburt wieder arbeiten zu gehen.

Doch ihrer Meinung nach erleben wir derzeit einen „backlash“ — ein Wort, das die Autorin inflationär verwendet — der danach trachtet, den Frauen ihre erkämpften Rechte zu nehmen, und versucht, sie wieder der Fuchtel des Mannes unterzuordnen. So betrachtet sie auch die Geburt als ein Opfer der Frau auf dem patriarchalen Altar. In der Entscheidung für ein Kind folge die Frau den männlich dominierten Außensichten über ihren Körper. Nach der Geburt bleibe es dann aber an den Frauen hängen, sich um das Kind zu kümmern. Die Männer seien, so Brunschweiger, nicht in gleicher Weise in die gesellschaftlichen Zwänge involviert.

Hier lässt die angebliche Feministin ihre Maske fallen.

Denn müsste es einer Feministin nicht daran gelegen sein, diese gesellschaftlichen Zwänge gänzlich zu überwinden, oder dafür Sorge zu tragen, dass Männer und Frauen ihnen in gleicher Weise unterworfen werden? Stattdessen fabuliert sie über einen „backlash“, dessen einzige, logische Konsequenz es sei, das Kinderkriegen aufzugeben.

Sie gibt sich damit einen feministischen Anstrich, um ihre eigene Lebensweise der „Kinderfreiheit“ zu rechtfertigen.

Ausdruck des „backlashes“ sei auch, dass kinderlose Frauen diskriminiert würden. Was sie dabei galant übersieht, ist die strukturelle Benachteiligung von Frauen mit Kindern, insbesondere allein erziehender Mütter, deren Risiko, in Armut zu leben, im Vergleich zur restlichen Gesellschaft wesentlich höher ist.

Egozentrisches Weltbild

Durch „Gehirnwäsche“ habe die patriarchale Gesellschaft einen Konformitätsdruck erzeugt, Kinder kriegen zu müssen, dem sich viel zu viele Frauen unterordnen. Sie rät daher Frauen ohne Kinder, den Freundeskreis zu wechseln, anstatt sich dem Konformitätsdruck zu beugen. Denselben Rat möchte man der Autorin ebenfalls geben. So scheint es ihr in ihrem ganzen Buch nur darum zu gehen, mit ihren Freunden und Bekannten abzurechnen, die vermutlich alle Kinder haben, und die infolgedessen weniger Zeit für Brunschweiger übrig haben und auch hauptsächlich über ihre Kinder reden. Die Autorin fühlt sich also gegenüber den Kindern ihrer Freunde und Bekannten zu kurz gekommen und wettert daher gegen Mütter und Väter.

Hier offenbart sich, worum es Brunschweiger eigentlich geht.

Das ganze Buch ist ein Manifest der Egomanie. Im Zentrum stehen lediglich die Autorin selbst, sowie ihr Lebensentwurf, der von neoliberalen Selbstverwirklichungsfantasien geprägt ist.

Ihr Rat an Frauen ist dann auch, statt Kinder zu kriegen lieber arbeiten zu gehen. Kinder, so weiß die Autorin, schränken jede Frau in der Ausbreitung des eigenen Lebensentwurfes ein, sie sind reine Zeit- und Geldverschwendung. So behindern Kinder die freie Entfaltung der Frau in Freizeit und Karriere.

Sie stören Brunschweiger aber auch persönlich im Flugzeug (!), Bus oder in den Cafés, die sie scheinbar häufig aufsucht, jedenfalls häufig genug, um explizit und mehrfach auf ihre dortigen Erfahrungen mit Kindern anderer Leute einzugehen. Ihr Resümee: Kinder machen Lärm und zerren an den Nerven der anderen Gäste. Brunschweiger geht sogar so weit, den Eltern den Vorsatz, ja geradezu die Mission zu unterstellen, mit ihren Kindern anderen Menschen den letzten Nerv zu rauben.

Überhaupt sei der einzige Grund, Kinder zu bekommen, reiner Egoismus. Eltern entschieden sich für Kinder aufgrund der Motivation, eine kleine Ausgabe ihrer selbst zu erzeugen. Hinzu käme, laut der Autorin, der Wunsch nach mehr Geld, das der Staat den Eltern auch anbietet. Hier wird die neoliberale Indoktrination der Autorin deutlich, wonach jeder Empfänger staatlicher Leistungen ein Schmarotzer ist. Konsequenterweise verkündet sie dann auch freimütig, dass sie keine Lust hat, Eltern ihren „gehobenen Lebensstandard“ zu finanzieren. Wie kann sie auch nur ernsthaft auf die Idee kommen, das staatliche „Kindergeld“ reiche aus, um die Ausgaben für ein Kind zu decken?

Dass viele Eltern aus egoistischen Motiven, um ihrem Leben einen Sinn zu verleihen oder die Beziehung zu reparieren, ein Kind in die Welt setzen, mag in manchen Fällen stimmen. Jedoch aus eigenem Egoismus den Egoismus anderer anzugreifen ist heuchlerisch. Brunschweiger hat sich im Stellungskrieg der Egoisten ganz klar für einen der Schützengraben entschieden, aus dem heraus sie munter in Richtung des anderen schießt.

Falsche Lösungen für reale Probleme

Dabei spricht sie in ihrem Buch durchaus reale Probleme an. So erwähnt sie zum Beispiel, wie unterschiedlich Menschen hierzulande auf Mütter — je nach ihrer Hautfarbe — reagieren. Weiße Mütter würden gemeinhin wohlwollend betrachtet, wohingegen Mütter mit dunkler Hautfarbe oft naserümpfend als Sozialhilfeempfänger abgestempelt werden, das umso mehr, je mehr Kinder sie haben. Statt nun daraus aber eine Kritik des Rassismus und vorurteilbehafteten Denkens abzuleiten, nutzt sie diese Beobachtung, um ihr Plädoyer für Kinderfreiheit zu rechtfertigen. Mit Rassismus scheint die Autorin generell kein übermäßig großes Problem zu haben, schreibt sie doch pauschalisierend , die aus dem muslimischen Kulturkreis zugezogenen Männer würden sich mit ihrer Unterdrückung der Frau bestens in die deutsche „Misogynie“, also Frauenverachtung, einfügen.

Auch die kapitalistische Vereinnahmung des Themas Schwangerschaft, Geburt und Kind spricht sie an, macht jedoch die Mütter selbst beziehungsweise ihre Ungeborenen für diese verantwortlich. Überhaupt hält Brunschweiger sich mit tiefgehender Systemkritik zurück.

Der Kapitalismus, so weiß sie zwar, benötige Kinder als zukünftige Konsumenten. Das ist einerseits zu kurz gegriffen, da nicht der Kapitalismus, sondern die Menschheit an sich Kinder „benötigt“, da sie sonst ziemlich bald von der Erde verschwinden würde. Andererseits ist es heuchlerisch, den gesellschaftlich gelebten Konsumismus zu kritisieren, wenn man gleichzeitig vehement an seinem eigenem Konsum festhalten möchte und sich dabei durch die Kinder anderer Menschen gestört oder gar bedroht fühlt.

Das wird besonders im Kapitel über Klima- und Umweltschutz deutlich. Hier erklärt die Autorin, dass Kinder eine Umweltsünde seien. Sie verursachen CO2 und Müll und sind zudem zukünftige Konsumenten. Statt also Kinder in die Welt zu setzen, solle man die verbliebenen Ressourcen lieber denjenigen Menschen überlassen, die bereits leben. Brunschweiger weigert sich also, mit zukünftigen Generationen zu teilen, und offenbart somit ihren eigenen, neoliberal indoktrinierten Egoismus.

Statt die Verhältnisse zu benennen, welche die Umweltprobleme tatsächlich hervorrufen, bürdet sie ungeborenen Kindern die Schuld für zukünftige auf. Sie argumentiert damit vollkommen bar jeglicher Logik an der Realität und den wirklichen Problemen vorbei, während sie sich selbst gleichzeitig als Beispiel der Nachhaltigkeit inszeniert. Getreu dem neoliberalen Egoismus weist sie die Schuld an allen derzeitigen Problemen kategorisch von sich, und anderen, zukünftig lebenden Menschen zu. Sie scheint sich von diesen in ihrem eigenen Konsumrausch bedroht zu fühlen, weswegen sie die potenziellen Mütter davon zu überzeugen versucht, sich dem Kinderkriegen zu verweigern.

Ihr Egoismus wird auch an anderen Stellen deutlich. So hält sie Müttern eine Studie vor, die zeigt, dass Paare ohne Kinder glücklicher seien, weil sich in Partnerschaften mit Kindern die Paare selbst zu kurz gekommen fühlen. Anstatt dies als Ausdruck des gesamtgesellschaftlichen Egoismus, oder — um es mit Erich Fromm zu sagen — der „Folie à deux“, die nur gemeinschaftlich gelebter Egoismus ist, zu betrachten, leitet sie daraus die einfache Schlussfolgerung ab, kinderlos zu bleiben. Dass man stattdessen auch an seiner Persönlichkeit arbeiten, seinen Egoismus überwinden und zu einem gemeinschaftlichen Miteinander kommen könne, diese Gedanke scheint der Autorin fremd.

Brunschweiger mag sich als Umweltschützerin und als Feministin bezeichnen, doch tatsächlich ist sie nichts von beiden. Anstatt systemimmanente Probleme anzusprechen und Lösungen für diese einzufordern, bürdet sie Einzelnen die Verantwortung auf. Sie bedient Denkmuster der herrschenden neoliberalen Ideologie der Selbstverwirklichung, des Sozialstaatabbaus und des Arbeitszwanges, und darin versandet dann ihr vorgeblicher Feminismus vollkommen.

So sollen Frauen, anstatt in traditionellen Partnerschaften zu leben, sich lieber um ihre Karriere kümmern. Feminismus wird somit zu einer Unterordnung unter den neoliberalen Arbeitsfetisch. Ihre Auffassung von Feminismus ist generell sehr schräg. Nach ihr sind nur jene Frauen emanzipiert und aufgeklärt, die ihr Frausein beziehungsweise Muttersein vollkommen verleugnen.

Damit bedient sie aber ein Denkmuster des modernen Feminismus, nach dem das Patriarchat besiegt sei, wenn jede Frau so denkt, fühlt, handelt und aussieht wie ein Mann, und sich ebenso wie ein Mann dem Produktions- und Konsumzwang des Systems unterwirft.

Frauen, die Kinder bekommen, sind in dieser Logik nicht nützlich, und das schreibt sie auch indirekt, wenn sie Frauen rät, lieber arbeiten zu gehen, oder wenn sie Eltern vorwirft, auf die staatlichen „Kindergelder“ aus zu sein.

Auch am Schutz der Umwelt ist ihr nicht wirklich gelegen. Sie bemüht sich in keiner Silbe darum, das zerstörerische System klar zu benennen, sondern schiebt die Schuld für die Zerstörung Einzelnen zu. In dieser Logik ist dann jedes Kind ein Beitrag zur Umweltzerstörung und zum Klimawandel. Dass diese Probleme eigentlich Symptome einer kapitalistischen Wirtschaftsweise sind und dass man eine Gesellschaft auch ganz anders gestalten könnte, verschweigt sie geflissentlich.

Brunschweiger macht sich mit ihrem Manifest zu einer Handlangerin der zerstörerischen, neoliberalen Ideologie der Eigenverantwortung. Sie lenkt die Diskussion auf Nebenschauplätze, um von den wahren, systemimmanenten Problemen abzulenken. Dabei benennt sie durchaus — neben vielen eingebildeten —einige real existierende Probleme, argumentiert dann aber vollkommen oberflächlich an jeder echten Lösung vorbei und bietet nur, ganz systemkonform, Scheinlösungen, die einen gesellschaftlichen Wandel überflüssig erscheinen lassen.

Gleichzeitig liest sich ihr Werk wie eine einzige Hasstirade auf ihre Freundinnen und Bekannten. Ganz offensichtlich fühlt sie sich von denen vernachlässigt und sucht gleichzeitig ihren eigenen Lebensstil zu rechtfertigen. Dabei zieht sie aus allen möglichen Ecken und Enden scheinbare Argumente heran, die sie unverbunden nebeneinander stehen lässt und driftet mit schlechten, rhetorischen Taschenspielertricks in den Bereich unbewiesener Behauptungen ab, die sie als Fakten erscheinen lässt.

Sie entblödet sich auch nicht, Schriftsteller und Philosophen wie Nietzsche oder Schopenhauer heranzuziehen, um ihre Überzeugung zu rechtfertigen. Jedes Kind vermehre das Leid in der Welt, und niemand solle Kinder bekommen, damit das Leid auf der Welt nicht sinnlos größer wird. Es scheint so, als würde der Autorin das eigene Leben wenig Freude zu bereiten. Brunschweiger scheint die Sinnlosigkeit ihrer eigenen Existenz vehement damit überdecken zu wollen, dass sie jene aburteilt, die in ihrem Leben einen Sinn jenseits von Konsum gefunden haben.

Trotz der stümperhaft aneinander gereihten Scheinargumentationen leistet Brunschweigers Buch einen gesellschaftlichen Beitrag. Die Autorin demaskiert die Absurdität der heutigen Gesellschaft, indem sie sich mit der herrschenden Ideologie des Neoliberalismus total identifiziert und dieser jegliche Form des Umweltbewusstseins oder Feminismus gänzlich unterordnet.

Sie offenbart die Funktionsweise der herrschenden Ideologie, die von den tatsächlichen Problemen auf Nebenkriegsschauplätze ablenkt. Gleichzeitig entlarvt sie den grassierenden Egoismus, den sie jedoch als Altruismus tarnt. Dass sie faktenfrei und auf argumentativ niedrigstem Niveau ihren Zynismus und Menschenhass in gedruckter Form weiterverbreiten kann , offenbart den Zustand unserer heutigen Gesellschaft.

Eines ist ihr jedenfalls — vermutlich unbeabsichtigt — gelungen: eine provokante Demaskierung der Gesellschaft.

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Hinweis zum Rubikon-Beitrag: Der nachfolgende Text erschien zuerst im „Rubikon – Magazin für die kritische Masse“, in dessen Beirat unter anderem Daniele Ganser und Rainer Mausfeld aktiv sind. Da die Veröffentlichung unter freier Lizenz (Creative Commons) erfolgte, übernimmt KenFM diesen Text in der Zweitverwertung und weist explizit darauf hin, dass auch der Rubikon auf Spenden angewiesen ist und Unterstützung braucht. Wir brauchen viele alternative Medien!

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Dieser Beitrag erschien am 09.04.2019 bei Rubikon – Magazin für die kritische Masse.

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