Tagesdosis 10.3.2020 – Und, wie war ich? Das ZDF will´s wissen

Ein Kommentar von Dirk Pohlmann.

Heute abend, zwischen 18:30 und 19:30 stellt sich das ZDF nach eigenen Angaben im “Bürgerdialog” der Diskussion und den Fragen der Koblenzer. Originalton ZDF: Bürgerinnen und Bürger sind zu beiden kostenlosen Veranstaltungen herzlich eingeladen. „Was gefällt am ZDF-Programm, was könnte besser werden? Erfassen die Medien die Lebenswirklichkeit der Menschen? Einblicke in die ZDF-Berichterstattung geben Chefredakteur Peter Frey, Susanne Gelhardt, Leiterin des ZDF-Landesstudios Rheinland-Pfalz und Andreas Wunn, Leiter der Redaktionen “ZDF-Morgenmagazin” und “ZDF-Mittagsmagazin”.

Sogar Kritik soll an diesem Tag erlaubt sein! Das ist sensationell! Da will ich nicht abseits stehen, sondern dem ZDF in die Seite treten, selbst wenn ich in Koblenz nicht dabei sein kann. 

Zuerst einmal: Natürlich wird die Audienz der TV Führung folgenlos bleiben und natürlich dient sie vor allem dazu, Dialogbereitschaft zu simulieren. Schon wenige Stunden nachdem Vox Populi/Vox Rindvieh sich ausmähren durfte, wird alles beim alten bleiben, wird zurückgesendet werden. Denn die Rollen sind verteilt, die Kommunikationsrichtung eindeutig. Hier Sender, dort Empfänger.

Ein bisschen Geschichte:

1961 verbot das Bundesverfassungsgericht Bundeskanzler Konrad Adenauer seinen Plan für den „Deutschland Fernsehen GmbH“ umzusetzen, eine Mischung aus Staats und Industriefernsehen. Adenauer wollte einen Schwarzen Kanal gegen den von ihm als Rotfunk erlebte ARD, so wie später Bundeskanzler Kohl das Privatfernsehen als Gegengift gegen den von ihm so erlebten Rotfunk  Report, Monitor und Panorama installieren wollte. 

Aber das Bundesverfassungsgericht verfügte, dass der Rundfunk weder dem Staat noch einer gesellschaftlichen Gruppe ausgeliefert werden dürfe. Vielmehr müsse der Rundfunk “so organisiert sein, dass alle in Betracht kommenden Kräfte in ihren Organen Einfluss haben und im Gesamtprogramm zu Wort kommen können”.

In drei weiteren Urteilen präzisierte das Bundesverfassungsgericht seine Aufgabenbeschreibung. 

Drei wesentliche Regeln bestimmen den Rundfunk nach der Auffassung des höchsten Gerichtes. Er muss pluralistisch sein, das bedeutet, dass die Meinungen in der Bevölkerung auch im Rundfunk zu Wort kommen müssen, er muss ausgewogen sein, dass heißt, dass die Strömungen in etwa der Stärke zu Wort kommen müssen, wie sie in der Bevölkerung vorhanden sind und er muss staatsfern sein, das bedeutet, dass der Staat und staatsnahe Kräfte wie die Parteien den Rundfunk nicht instrumentalisieren dürfen.

Anders gesagt, der Rundfunk ist der Öffentlichkeit verpflichtet, seinem Publikum, nicht dem Staat. Das Bundesverfassungsgericht hat nicht beschlossen, wie ARD, ZDF und Private organisiert sein sollen, es hat ihre Aufgabe beschrieben.

Aus dem Versuch Adenauers für ein staatsgelenktes Bundesfernsehen wurde per Staatsvertrag der Länder dann das ZDF. 

Heute glauben die meisten Menschen irrtümlicherweise, dass ARD und ZDF so aussehen müssen, wie sie aussehen, und die Kritik an den Sendern beschränkt sich meist darauf, den Verantwortlichen und ihren Gremien vorzuwerfen, ihre Aufgaben nicht zu erfüllen. Was man mit gutem Recht so sehen kann. Die Beispiele des Versagens sind Legion, das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder und zuletzt 2014 den Dirty Old Men des Parteienstaates verboten, ständig den Harvey Weinstein zu geben und die Rundfunkfreiheit unsittlich zu attackieren. Erfolglos.

Erstaunlicherweise bleibt die Medienkritik auf diesem Stadium stehen. Aber was ist, muss nicht so bleiben, wie es ist. Es ginge auch anders.

Man könnte auch, ein berühmtes Zitat abwandelnd, sagen, die bisherigen Publizisten haben die Aufgabenerfüllung der Rundfunkanstalten nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, den Rundfunk zu verändern, ihn zu verbessern. Fundamental, in Richtung der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist eigentlich eine prima Idee, die leider schlecht umgesetzt wird. Er ist eine prima Idee, weil der öffentlich rechtliche System die Journalisten von den Zwängen des kapitalistischen Marktes befreit und sie statt dessen verpflichtet, den Marktplatz der Ideen abzubilden. Der Adressat des Journalismus, seine oberste Instanz, der er verpflichtet ist, ist nicht die Redaktion, nicht der Intendant und nicht der Chefredakteur, sondern die Öffentlichkeit, sein Publikum. Ein Journalist hat eine leicht zu definierende Aufgabe, nämlich die Wahrheit zu sagen und zu schreiben, so wie ein Arzt die einfach zu definierende Aufgabe hat, Leben und Gesundheit seiner Patienten zu bewahren. 

Man kann sich darüber streiten, was genau die Wahrheit ist, dieser Streit ist sogar ein wesentlicher Bestandteil des Journalismus, aber der Journalist darf dabei nicht lügen, im Sinne von: Bewusst verdrehen. Es geht um die Wahrheit, die ganze Wahrheit, die also nicht durch falsche Verkürzung entstellt werden darf, und es geht um nichts als die Wahrheit, der Wahrheit darf also zum Beispiel kein Public Relation Spin hinzugefügt werden.

Die Printmedien, die 1961 und 20 Jahre danach de facto noch vielgestaltig die Meinungen in der Bevölkerung wiedergaben, sterben jetzt aus, in vielen Gebieten gibt es nur noch eine Zeitung, von Vielfalt ist keine Spur mehr. Seit es das Internet gibt, funktioniert das Print-Geschäftsmodell nicht mehr, weil die Anzeigen fehlen, jetzt ist Youtube, also Google ultrareich, und die Zeitungen schwinden.

Es wäre damit an der Zeit, über öffentlich-rechtliche Zeitungen nachzudenken. Aber bitte keine ZDF Zeitungen, und bitte kein zusammengelegtes Wahrheitsministerium aus Wikipedia und ZDF, an dem derzeit gearbeitet wird, was eine neue, gigantische Problemverschärfung ist, eine Verschlimmbesserung höchsten, geradezu orwellschen Grades.

Es sind auch keine 8 Milliarden Euro nötig, um ein funktionierendes Rundfunkprogramm herzustellen. Die Alternativmedien machen vor, was man mit prekären Verhältnissen leisten kann. Wenn KenFM und das 3. Jahrtausend 5% dieser Summe zur Verfügung hätten, würden sie ein echtes Programm auf die Beine stellen können, statt abgefilmter Gespräche, mit Reportagen und Dokus, Nachrichten und Gesprächsrunden, die hochspannend wären, statt staatstragend und liebedienerisch. Das Personal ist vorhanden, und wenn mehr als Hungerlöhne gezahlt werden könnten, würden ganze Batallione von Journalisten mit fliegenden Fahnen überlaufen. Nur ein kleines Detail, was alles im Argen liegt: Dokus machen in den öffentlich rechtlichen Sendern weniger als 1 Prozent des Programms, sie sind fast alle von der gleichen Machart, alleine das ist ein Beleg, das hier etwas massiv schief läuft.

KenFM im Gespräch ist originär öffentlich-rechtlicher Auftrag, der von den Öffentlich-Rechtlichen nicht mehr wahrgenommen wird. KenFM Positionen bietet spannendere Informationen als die ARD und ZDF Talkshows mit ihrem immer gleichen Personalkarussel. Wenn die Teilnahme an einer KenFM Runde für Gesprächspartner keine Arbeitslosigkeit bei ARD und ZDF mehr bedeuten würde, wären noch ganz andere Sendungen möglich. Also, fordern wir 5% der Gebühren für die Alternativmedien!

Es ist so, dass dem Journalismus das Leben bei Hofe nicht gut bekommt, er sollte sich vor allem in der S-Bahn, in Kantinen, auf den Schulhöfen und Discos herumtreiben, also beim Pöbel, und weniger auf den Horsd’œuvre Parties und Sektempfängen der Hauptstadt. Echter Journalismus wächst von unten nach oben nach – und verlottert dann meist beim Aufstieg in die Nähe der Macht, wie zum Beispiel die Tageszeitung beweist, die mittlerweile mit der Süddeutschen im Wettstreit um die größtmögliche NATO Nähe steht. 

Intendanten und Chefredakteure bei den öffentlich-rechtlichen könnte man von einem Schöffengremium des Publikums plus einer Kammer verdienter Journalisten und Journalistinnen wählen lassen. Verdient bedeutet: sie waren unbequeme und hartnäckige Rechercheure, die ihre Kritikaufgabe ernst genommen haben und die entsprechenden Narben aus vielen Kämpfen mit den Mächtigen vorzuweisen haben. Das sollte sie auszeichnen, und nicht das diplomatische Geschick von Personen, die es sich nie mit irgendjemand verscherzt haben, und immer schräg nach oben zu Herrchen geschaut haben, so wie das derzeitige Führungspersonal der Sender tut. 

Wenn solche Gremien die Führungpositionen in den Sendern vergeben würden, wäre das Programm schlagartig ein anderes, weil man dann mit Mut Karriere machen könnte, statt mit Anpassungsfähigkeit. Was den Mächtigen nicht gefallen würde – aber dem Publikum. Und den echten Journalisten.

Die Sender könnten auch stetig Umfragen in Auftrag geben und veröffentlichen, ob sie, nach Ansicht des Publikums, ihre Aufgabe gut machen, ob sie unabhängig sind, ob sie die Hand beißen, die sie füttert, ob sie Kritik üben und Missstände aufdecken, die Lebenswirklichkeit des Publikums treffen, ob ihre Fakten stimmen, ob sie eine gute Arbeit abliefern. Wenn von diesen Beurteilungen auch noch die Budgets abhingen, die für ihre Sendungen zur Verfügung stünden, wären die Programme sehr schnell ganz andere, als das, was wir jetzt sehen.

Die Sender sollten von unten rekrutieren, aus dem Reservoir der nachwachsenden Journalisten, dazu gehören auch Personen aus den Alternativmedien. Überhaupt ist die Abgrenzung der Etablierten gegenüner den Neuen kein Ruhmesblatt der Sender, sondern ein schwerer Makel. 

Die Inzucht der Öffentlich-Rechtlichen, die ihre Arbeit dann auch noch selbst benoten dürfen, natürlich mindestens mit 2+, und obendrein definieren, was Qualitätsjournalismus ist, ist kein lebensfähiger Zustand. 

Vielfalt entsteht nicht in großen Firmen, wie jeder Mitarbeiter einer großen Firma weiß, nicht in den gestutzten, barocken Schlossparks, sondern im Urwald. Unternehmungsgeist wächst an den Rändern, er muss meist von außen zugefügt werden, weil er im Machtzentrum verdorrt. Das gilt nicht nur im Wirtschaftsleben. An der mangelnden Integration der kritischen, kreativen und aufmüpfigen Geister ist weiland auch die DDR verstorben. Das ZDF, das ich gerne als DDR ähnliches „Unterhaltungskombinat Frohsinn“ bezeichne, leidet an der gleichen Krankheit zum Tode wie Honeckers versteinertes Staatswesen.

Ich meine, angesichts der Umfragewerte zur Glaubwürdigkeit der Medien ist Veränderung angezeigt. Die Studien zeigen, dass die Ränder der Befragtengruppen zunenehmend  auskristallisieren, es gibt immer mehr Fundamentalzweifler, fast ein Viertel der Befragten und immer mehr „Ich glaube fest an Mama und Papa!“ Zuschauer, die alles ganz besonders toll finden was die Sender machen.  Es gibt immer weniger Menschen, die unaufgeregt ok finden, was die Sender produzieren. Zusammen mit einer Zuschauer-Altersstruktuktur, die bei den Sendern im Rentenbereich angesiedelt ist, die Jugend ist für ARD und ZDF verloren, zusammen mit der Abschottungstendenz der diversen Filterblasen voneinander, zusammen mit den Infokrieg-Tendenzen in den sozialen Medien und einer hysterischen Erregbarkeit in den Kommentarspalten gibt es viele Indizien, dass eine Neuauflage des Mediensystems in Richtung eines Diskurses, einer öffentlichen Debattenkultur, eine gute Idee wäre.

Man könnte ja mal anfangen, darüber laut nachzudenken. Und weil Nachdenken darüber bestimmt nicht im ZDF stattfinden wird, auch heute in Koblenz nicht, wäre das eine Aufgabe für die Alternativmedien. Eine große Aufgabe. Eine geradezu olympische Aufgabe. Aber eine schöne!

Also, wie wär´s? Erklären wir die Olympischen Spiele für eröffnet? Würden die geschätzten Plebejer in Erwägung ziehen, gemeinsam mit uns sowie mit Fackeln und Mistgabeln an den Toren der öffentlich-rechtlichen Paläste zu rütteln? 

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bildquelle:  / Shutterstock

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