Tagesdosis 10.3.2018 – Italiens Bankensektor: Die tickende Zeitbombe in der EU (Podcast)

Ein Kommentar von Ernst Wolff.

Die Parlamentswahlen vom vergangenen Sonntag haben die politischen Machtverhältnisse in Italien grundlegend verändert. Die Sozialdemokraten mussten – wie im Rest Europas – erhebliche Verluste hinnehmen. Größte Gewinner waren die 5-Sterne-Bewegung des Komikers Beppe Grillo und das rechte Parteienbündnis aus Lega und Forza Italia, der Partei des ehemaligen Regierungschefs Berlusconi.

Das Debakel der abgewählten Regierungsparteien verwundert nicht, wenn man bedenkt, in welchem Zustand sich Italien befindet: Die Arbeitslosigkeit beträgt offiziell über 11 Prozent, die Jugendarbeitslosigkeit über 30 Prozent. Die Zahl der in absoluter Armut lebenden (d.h. akut von Obdachlosigkeit bedrohten) Menschen ist seit 2006 um 3 Millionen auf 4,7 Millionen angestiegen, als ‚normal’ arm gelten bereits zehn Millionen Italiener.

Ursache der Probleme sind zum einen die Wirtschaftsschwäche des Landes, dessen Bruttoinlandsprodukt (die Gesamtheit aller produzierten Waren und erbrachten Dienstleistungen) in den vergangenen zehn Jahren um 5,4 % gesunken ist (zum Vergleich: In der gesamten EU ist es um 8,4 % gestiegen, in Deutschland sogar um 12,3 %). Zum anderen frisst die Bedienung eines ständig wachsenden Schuldenbergs in Höhe von mittlerweile 2,3 Billionen Euro immer größere Löcher in den Staatshaushalt und sorgt dafür, dass Sozialleistungen zunehmend eingeschränkt werden. Schließlich verfügt Italien über einen dahinsiechenden Bankensektor, der auf faulen Krediten von vermutlich weit mehr als den offiziell zugegebenen 400 Milliarden Euro sitzt.

Bezeichnenderweise hat keine der großen Parteien diese Probleme ins Zentrum ihres Wahlkampfes gestellt. Im Gegenteil: Während Berlusconi und die 5-Sterne-Bewegung den Wählern Versprechungen gemacht haben, die sie angesichts der prekären Finanzlage niemals werden einlösen können (wie zum Beispiel ein bedingungsloses Grundeinkommen, massive Steuersenkungen und Rentenerhöhungen), hat sich die Lega darauf konzentriert, Ausländer und Flüchtlinge zu Sündenböcken für die katastrophalen Zustände im Land zu erklären.

Der gesamte Wahlkampf war damit nichts anderes als ein gigantisches politisches Ablenkungsmanöver, bei dem eines besonders auffiel: Sowohl Forza und Lega als auch die 5-Sterne-Bewegung, die in den vergangenen Jahren immer wieder lauthals gegen die EU und den Euro gewettert haben, haben das Thema Europa im Wahlkampf weitgehend unter den Tisch fallen lassen. Warum?

Der Grund ist einfach: Italien ist bankrott, wird nur noch von der EZB am Leben erhalten und ist damit auf Gedeih und Verderb von der EU abhängig. Ein Ausscheiden aus der Eurozone oder gar der komplette Austritt aus der EU – wie ihn Beppe Grillo und die Lega bisher verlangt haben – käme politischem und wirtschaftlichem Selbstmord gleich.

Diese fatale Abhängigkeit hat sich im vergangenen Sommer sehr deutlich gezeigt, als zwei italienische Banken von der EZB für insolvent erklärt wurden. Gemäß geltendem EU-Recht hätten beide durch ein Bail-in, also unter Heranziehung von Anteilseignern, Anlegern und Aktionären, gerettet werden müssen.

Tatsächlich aber rettete die italienische Regierung die Veneto Banca und die Banca Popolare di Vicenza durch ein Bail-out, und zwar mit Steuergeldern in Höhe von 4,8 Milliarden Euro und Staatsgarantien von 12 Milliarden Euro. Grund war die Angst vor den politischen Folgen eines Bail-in, das tausende Rentner, Familien und Handwerksbetriebe in existenzielle Not gestürzt und im ganzen Land für erhebliche soziale Unruhe gesorgt hätte.

Für die Zusage der Staatsgarantien brauchte die italienische Regierung allerdings das Einverständnis der EU, da diese ja in letzter Instanz für das Geld bürgen muss. Anders ausgedrückt: Italien hätte seine maroden Banken ohne die Rückendeckung durch EU und EZB gar nicht retten können. Die EU wiederum kann Italien nicht fallen lassen, ohne den Zusammenbruch des eng mit Italien verflochtenen Euro-Bankensystems (und damit den gefürchteten „Domino-Effekt“) oder einen europaweiten Flächenbrand infolge eines Volksaufstandes in Italien zu riskieren.

Der italienische Bankensektor aber ist nicht zu retten. Seine Lage verschlechtert sich von Tag zu Tag und jede zukünftige Regierung wird noch stärker am Tropf von EZB und EU hängen als ihre Vorgängerin. Somit wird Italiens Bankensektor für die EU zu einer immer größeren Belastung und gleicht damit einem Sprengsatz, der jederzeit explodieren kann.

Kein Wunder also, dass EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bereits vor Wochen warnte, man müsse sich im Anschluss an die Wahlen in Italien „auf das schlimmste Szenario“ vorbereiten.

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