Tagesdosis 1.8.2018 – Deutschland, willst du die Bombe? (Podcast)

Ein Kommentar von Rüdiger Lenz.

Herrlich, dieses Wochenende. Da gab es in Friesack ein Friedensfest, Pax Terra Musica. Drei Tage traf man sich dort und tauschte seine Gedanken mit anderen Friedensfreunden aus. Zusammen mit meiner Frau fuhren wir von Berlin aus dort hin. Am Samstag hielt ich dort einen Vortrag. Danach lauschte ich Morgains Musik und erfreute mich an dem wirklich guten Truth-Rapper Kilez More. Dann aßen wir vegane Burger, trafen noch weitere sehr interessante Leute und fuhren gegen 23.30 Uhr wieder nach Berlin, in unser Hotel. Am nächsten Morgen, noch völlig vom Pax Terra Musica-Friedensfestival gedanklich eingenommen, frühstückten wir. Dann holte ich meinen zweiten Kaffee und sah aus dem Augenwinkel eine Zeitung liegen. Ich vernahm die Worte „wir die Bombe“ und dachte, die Zeitung musst du dir ansehen. Ich schlug sie weiter auf und erschrak förmlich. Dort stand als Titelbild auf der ersten Seite: Brauchen wir die Bombe? Darunter in den Farben Schwarz Rot Gold war eine Atombombe abgebildet, genau wie sie in Hiroshima und Nagasaki zum Einsatz kamen. Die Welt am Sonntag ließ einen renommierten Politikwissenschaftler, Christian Hacke, einen vollkommen geschichtsvergessenen Artikel schreiben. Hackedicht könnte dieser Mann gewesen sein, als er die Idee dazu bekam.

Worum ging es im Artikel?

Kurzum, weil der US-Präsident Donald Trump nun seinen America-first-Spleen durchsetzt, kann Deutschland sich nicht mehr auf den Schutz des US-Militärs verlassen und muss nun selbst für seinen Schutz sorgen. Dafür aber benötigt Deutschland die Herstellung eigener Atombomben, um als Abschreckungsmacht seine Weltposition und seine Zukunft zu sichern. Welt am Sonntag schreibt, Zitat Anfang: Deutschlands Rolle als Feind Nummer eins des amerikanischen Präsidenten zwingt Deutschland zu radikalen Neuüberlegungen in seiner Sicherheitspolitik, Zitat Ende. Weiter heißt es dort an anderer Stelle, Zitat Anfang: Damit richtet sich der Blick auf den weißen Elefant im Raum, über den keiner in Deutschland sprechen möchte: Wie halten wir es mit einer potenziellen Atommacht Deutschland?, Zitat Ende.

Fragen wir uns einmal, worauf eine Atommacht ihre Macht überhaupt begründet, so ist die Antwort leicht zu fassen. Auf Kolonialismus, auf Rohstoffklau, auf den Anspruch, zu nehmen was einem nicht unmittelbar gehört, auf einen sehr großen Faustkeil. Fragen wir weiter, welche Nation oder Macht würde Deutschland in den nächsten Jahrzehnten überfallen wollen, es militärisch herausfordern, so ist die Antwort klar: niemand, keine. Was aber ist der Sinn einer Atommacht? Schauen wir einmal auf den Iran. Denn dieser wird ja permanent daran gehindert, eine Atommacht sein zu können. Dem Iran wird andauernd mit Krieg gedroht, weil er vielleicht eine Atombombe bauen könnte. Warum diese Angst vor dem Iran als Atommacht und warum diese Laissez faire-Haltung auf der ganzen Welt, wenn Deutschland nun über die Welt am Sonntag darüber den Stein ins Rollen bringt? Warum kein Aufschrei? Warum laufen die Medien nicht über dieses Thema heiß? Kein Brennpunkt, keine Diskussion, nichts in den Radio-Anstalten, gar nichts, und zwar überall.

Cui bono?

Deutschland spielt mit der Europäischen Union das Spiel des alten Europa im Schutzschild der USA, des Euro und der NATO. Würde Deutschland tatsächlich Nuklearmacht werden, dann würde dadurch auch das westliche Bündnis gestärkt. Und damit das Hegemonialgebiet der westlichen Politik. Die Trennung der deutschen Politik mittels freundschaftlicher Annäherung gen Osten bis nach China wäre dann ebenfalls Geschichte. Denn Deutschland als Nuklearmacht würde sein Atommachtpotenzial einerseits als Abschreckung gegen den Osten und China platzieren und gegen den Halbmond. Deutschlands Gesprächsführung in Richtung KSZE (Schlussakte von Helsinki), neu in Richtung OSZE wäre Geschichte. Denn eine Nuklearmacht stellt Forderungen, sie muss nicht klein beigeben und kann auf Friedensbemühungen verzichten. Oder kennt hier irgendwer irgendjemanden, der einen Porsche besitzt und nie schneller ist als 100 Km/h fährt? Man wächst ja schließlich mit seinen Aufgaben oder reizt aus, was man besitzt.

Völkerrechtlich hingegen wäre es ein Bruch, würde Deutschland zur Nuklearmacht aufsteigen und eigene deutsche Atombomben herstellen und stationieren. Zitat Anfang: Es wäre ein Bruch des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages und des Zwei-plus Vier-Vertrages. Zudem würde dadurch die multilaterale Weltordnung beschädigt, Zitat Ende, meint FDP-Fraktionsvize, Alexander Graf von Lambsdorff.

Nach 1945 waren Nationalstaaten mächtiger als die meisten Konzerne. Das ist heute keineswegs der Fall. Konzerne sind mächtiger geworden als Staaten. Zocker an den Börsen sind mächtiger geworden als Staatenverbände. Der Irrsinn des Machbaren über das Kapital hat Grenzen längst gesprengt, von denen selbst ein Karl Marx keinerlei Schimmer hatte. Heute leben wir in Zeiten einer immer größer werdenden Ohnmacht von Staaten und auch deswegen von Alleingängen selbst mächtigster Staaten. Völker und deren Führer besitzen immer häufiger keine Macht mehr über ihre Staaten, denen sie vorstehen. Die Exekutiven westlicher Staaten haben längst große Teile der Medien übernommen. Multimilliardärs-Clans besitzen diese Welt und teilen sie unter sich in harten Kämpfen gegeneinander auf. Es warten schon die ersten Firmen auf weiteres Vermögen, um als erste die Wandlung von den Multimilliarden zu der ersten Billion zu knacken. Und es werden Informationsmärkte werden.

Das Informationszeitalter löst das industrielle Zeitalter ab und wir sind mitten drin. Und wer davon auf dieser Plattform gar keine oder nur wenige Kenntnisse besitzt, dem empfehle ich einmal ein kostenloses Probeabo bei Netflix einzugehen und sich die Serie Black Mirror anzuschauen, als Appetizer für mögliche Zukunftszenarien. Und in dieser werden Nuklearmächte nur Nuklearmächte bleiben, wenn es ihnen gelingt, absolut ausnahmslos über die digitale Welt ebenfalls zu verfügen. Dieser digitalen Welt in der nahen Zukunft werden Länder, Kontinente oder Bünde untergeordnet sein, da Großaktionäre und Spekulantenkartelle diese digitale Zukunft längst untereinander aufgeteilt haben. Nationen oder Unionen können dort als Bittsteller fungieren, nicht aber als Eigentümer oder Besitzer. Und nukleare Sprengköpfe unterliegen digitalen Zündern. Diese werden zwar ständig erneuert und überholt. Doch bilden längst Unternehmen Schlüsselpositionen solcher Codes und Programmierungen, deren Hard- und Software. Schlüsselpositionen erzeugen Dealer. Ab hier sollte jeder einmal selbst weiterdenken. Geheimdienste, organisierte Kriminalität, Verteidigungshaushalte, Großkonzerne und Informationsdienste werden sich den Staat als großen Kuchen einverleiben und bestimmen, was deren Völker und Präsidenten zu tun und zu lassen haben.

Hoffnung ist eine schlechte Strategie

In diese Welt will Deutschland also möglicherweise Nuklearmacht werden. In dieser Welt! Das macht den Unterschied zu den Atommächten aus, die es schon seit sehr langer Zeit sind. In einer Welt, die in der Zukunft von Biotechnologie, von Informationstechnologie und von Nanotechnologie beherrscht wird. In ihr werden Atombomben wie alte, nicht strategisch zu gebrauchende Dampfmaschinen aussehen. Nicht, dass sie nicht zur Abschreckung noch immer tauglich sind. Das sind sie sehr wohl. Aber der Krieg, also die Weiteranhäufung des Kapitals mit anderen Mitteln, wird auf einer ganz anderen, eher unscheinbaren Weise, geführt werden. Hacken und Umprogrammieren, das sind die Waffen der Zukunft. Denn wer Waffen besitzt, die auf Informationstechnologien aufbauen, der besitzt für seine Gegner allein dadurch ein trojanisches Pferd. So ist das heute.

Mit biologisch-chemischen winzig kleinen Nano-Bakterien-Erregern, die als Großereignis a la nine eleven eingesetzt werden könnten, könnten als Ereignisse stattfinden, die nicht dem anderen etwas androhen. Das ist old school aus heutiger Sicht. Sondern, Ereignisse, die einfach geschehen und dann eine globale (nicht bloß nationale!) Realität erzwingen. Kriege also, in denen der Faktor der Ohnmacht des Gegners eine wesentliche Rolle spielen wird. Atombomben hingegen nur denen dienen werden, die im ganz großen Spiel um die mächtigen Mittel ihre Positionen ausbalancieren können. Und diese mächtigen Mittel sind in Deutschland komplett unterentwickelt. Diese mächtigen Mittel der Lenkung der Welt sind heute in der Lebensmittel-, der Pharma-, der Biotech-, der Gentech- und der Big-Data-Industrie zu finden. Die militärischen Strategien zur Anwendung von Atombomben sind heute eher sekundärer Natur. Das war mal anders. Aber heute, das ist jetzt!

Braucht Deutschland also die Bombe? Die Frage wird bleiben und sie wird weiterhin in den kranken Hirnen deutscher Eliten schweben. Der Elefant ist aus dem Käfig. Und der Frieden kann ihn nicht mehr einfangen. Zu weit ist die Entfernung zwischen Sein und Haben, von der Erich Fromm schrieb, und zu überzählig sind wir derer, die die Welt einzig als Haben deuten können.

Wer setzt sich heute noch für mehr Engagement für Abrüstung und Rüstungskontrolle ein? All dies ist von der internationalen Agenda verschwunden. Und wer sich lautstark dafür einsetzt, der wird mit medialen Kugeln dauerhaft befeuert.

Der Frieden, einst die Hoffnung aller Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg, ist längst im Morast alter Gewohnheiten versandet, sodass wir sagen können: Hoffnung ist eine schlechte Strategie. Die Diskussion darüber, ob Deutschland nicht zur Atommacht hinabsinkt, ist also eröffnet. Und ich denke, das ist der Sinn des Textes des Politikwissenschaftlers Christian Hacke in der Welt am Sonntag. Und wird er überhaupt von der Masse wahrgenommen? Nein.

Psychologisch betrachtet ergibt sich folgendes Bild. Führung und Sicherheit sind in Deutschland seit Donald Trump nicht mehr da. Doch sollen diese nun von Nuklearsprengköpfen übernommen werden? Wenn das nicht der absolute Wahnsinn ist, was ist es dann?

Christian Hacke, ehemals Universitätsprofessor und einer der renommiertesten Politikwissenschaftler dieses Landes, schlägt dies nun vor. Ich will es höflich kritisieren: Gerald Hüther sagte in der Bildungsdoku Alphabet, von Erwin Wagenhofer, dass 98 Prozent von uns allen hochbegabt zur Welt kommen. Verlassen wir unseren Bildungsweg irgendwann nach einem Abschluss, so sind es nur noch 2 Prozent. Und jetzt denkt einmal darüber nach, von welchen Abschlüssen und welcher Bildungsdauer die Elite durchdrungen ist. Je länger der Bildungsweg, desto ganzheitlich schwach und weniger menschlich sinnig wird anscheinend der Mensch. Nur schwach Sinnige brauchen die Bombe, dessen Abwurf sich in den kommenden Tagen in Hiroshima und Nagasaki zum dreiundsiebzigsten Mal jährt. Ein Schelm der jetzt denkt, das die Welt am Sonntag ihren Artikel zeitlich sehr präzise, dennoch sehr schäbig und völlig taktlos gewählt hat. Deutschland braucht keine Atombombe. Was wir brauchen, das ist ein Zugang zu einem höheren Bewusstsein. Ganz besonders bei der Elite.

Quellen

https://www.welt.de/politik/deutschland/plus180136274/Eine-Nuklearmacht-Deutschland-staerkt-die-Sicherheit-des-Westens.html

https://www.humanrights.ch/de/internationale-menschenrechte/europa/osze/helsinki/?gclid=CjwKCAjw7vraBRBbEiwA4WBOn4_wc5yi6cLISBAAB75QVVT9CVt4_RtZraANLRuRYPzxIIGrXCuSAxoCoSIQAvD_BwE

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