Tagesdosis 1.2.2020 – Nationalismus oder Nazismus?

Unbequeme Gedanken über die feindliche Übernahme unserer Sprache. Steinmeier und das Holocaust-Gedenken.

Ein Kommentar von Hermann Ploppa.

Am 27. Januar 1945 wurden die Gefangenen des Konzentrationslagers Auschwitz von Soldaten der Roten Armee der Sowjetunion befreit. Dessen ungeachtet behauptete ein Hamburger Nachrichtenmagazin, Soldaten der US-Armee hätten die Insassen von Auschwitz-Birkenau befreit (1). Bösartige Geschichtsfälschung? Oder dürfen wir hier unsere Bildungskatastrophe bestaunen? Schließlich wird das Fach Geschichte in der gymnasialen Oberstufe schon seit vierzig Jahren nicht mehr angeboten, sondern nur noch ein interdisziplinärer Mix namens „Gemeinschaftskunde“.

Oder handelt es sich um einen transatlantischen Schwachsinn, der dennoch Methode hat? Man könnte so etwas durchaus vermuten, denn auch die diplomatische Vertretung der USA in Dänemark twitterte die Befreiung von Auschwitz durch US-Soldaten (2). Klar, gegen die Bildungsdefizite in der US-Bevölkerung können wir noch lange nicht anstinken. Absicht oder Dummheit? Tatsache ist allerdings, dass der Wallstreet-Anwalt John McCloy in seiner Eigenschaft als für die Bombardierungen zuständiger Staatssekretär in der US-Regierung die Bombardierung der Brennöfen von Auschwitz durch amerikanische Bomber mit aller intriganten Energie verhindert hat (a). Und nicht nur das: nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht befreite die US-Armee keineswegs die jüdischen KZ-Insassen in ihrer Besatzungszone. Vielmehr erneuerten GIs die teilweise verrosteten Stacheldrahtzäune und hinderten die Insassen gewaltsam am Verlassen der Lager. Die Belieferung der weiterhin festgesetzten jüdischen Insassen mit Lebensmitteln und Medikamenten wurde verhindert. Diese skandalösen Verhältnisse blieben bestehen bis zum Spätherbst 1945. Dann endlich hatten mutige GIs die US-Öffentlichkeit alarmieren können. US-Präsident Truman wies den widerstrebenden Oberkommandanten Eisenhower an, die jüdischen KZ-Insassen endlich freizulassen und ihnen angemessene ärztliche Hilfe zukommen zu lassen (3). Wir sehen: der Kampf um die richtige Geschichtsschreibung tobt permanent und wird mit harten Bandagen ausgetragen. Es geht darum, wer moralisch überlegen ist. Wer moralisch überlegen ist, darf auch ungestraft Kriege gegen andere Länder führen und „humanitäre Interventionen“ durchsetzen. Nur eine wachsame Öffentlichkeit kann solche tektonischen Verschiebungen in der Geschichtsdeutung aufhalten, wie wir sie jetzt gerade im Fall der Auschwitz-Befreiung beobachten.

Das gilt auch und umso mehr für Umdeutungen in unserer Sprache, ausgeführt von interessierten Kreisen. Thema ist auch hier der fünfundsiebzigste Jahrestag der Befreiung der Gefangenen im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Wir sehen unseren Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier als Redner in einer Feierstunde zu diesem denkwürdigen Ereignis im Plenarsaal des Deutschen Bundestages. Ehrengast ist sein Amtskollege aus Israel, Staatspräsident Reuven Rivlin (4). Unser Bundespräsident richtet seine Rede recht eigentlich die ganze Zeit an den israelischen Ehrengast, und wir hören Steinmeier sagen: 

„Ich wünschte, ich könnte, erst recht vor unserem Gast aus Israel, heute mit Überzeugung sagen: Wir Deutsche haben verstanden. Doch wie kann ich das sagen, wenn Hass und Hetze sich ausbreiten, wenn das Gift des Nationalismus wieder in Debatten einsickert.”

Achtung: wir werden Zeugen einer gigantischen Manipulation. Zunächst mal: keine Frage, es gibt wieder jede Menge gefährliche Quatschköpfe, die von einer jüdischen Weltverschwörung schwafeln, weil ihnen märchenhafte Muster einer Welt von Gut und Böse eher verdaulich erscheinen als sich der Mühe zu unterziehen, hochkomplexe, widersprüchliche und abstrakte Zusammenhänge in der Politik zu erarbeiten. Bundespräsident Steinmeier scheint allerdings in seiner Rede höchstselbst auf intellektuelle Defizite seiner Hörerschaft zu bauen. Hass und Hetze, lieber Herr Steinmeier, wollen wir selbstverständlich auch  nicht. Aber, was hat das mit dem Begriff Nationalismus zu tun? Noch vor wenigen Jahren wurde Nationalismus bei den Herrschenden durchaus gerne gesehen und im Munde geführt bei Festtagsreden.

In den linken 1970er Jahren gewann der damalige Kanzler Helmut Schmidt seine Bundestagswahlen, indem er sich bevorzugt vor Wäldern von Deutschlandfahnen ablichten ließ und das „Modell Deutschland“ pries und damit vor allem seine eigene Vortrefflichkeit meinte. Und Helmut Kohl war überzeugter Internationalist – was ja die positive Auffassung von Nation beinhaltet. Und jetzt spricht Steinmeier allerdings vom „Gift des Nationalismus“. Und Bundeskanzlerin Angela Merkel lässt wahrlich keinen Topf aus, um vor den Gefahren des Nationalismus zu warnen (5). Als Frau Merkel im Wahlkampf zum Europaparlament in Zagreb vor nationalistischen Kroaten spricht, warnt sie vor Nationalismus und bietet ihren Zuhörern als Ersatzpille einen positiv besetzten „Patriotismus“ an (6). Also, liebe Bundeskanzlerin Merkel, als Frau sollten Sie doch wohl eigentlich einen „Matriotismus“ fordern! Mal im Ernst: was sollen diese Verrenkungen? Wieder einmal gilt, frei nach Shakespeare: ist es auch Schwachsinn, so hat es doch Methode. Wir werden nämlich, wie bereits gesagt, Zeugen einer dreisten Umdeutung unserer Sprache, ohne dass darüber öffentlich diskutiert und abgestimmt worden ist. Nationalismus ist plötzlich in einem kalten linguistisch-semantischen Putsch zum pornographischen Unwort herabgestuft worden.

Versuchen wir mal, das Knäuel zu entwirren. Ein Nationalist ist zunächst nichts weiter als eine Person, die sich positiv auf ihre Nation bezieht. Was Steinmeier, Merkel und Mitstreiter meinen, ist ja aber ein Mensch, der als armer Wurm sich einbildet, mit seinem deutschen Pass etwas Besseres zu sein und der Individuen mit einem anderen Pass oder gar keinem Pass herabwürdigt oder ihnen sogar das Recht zu leben abspricht. Eine solche Person praktiziert eine Perversion des Nationalismus. Was Steinmeier und Co hier vorführen, ist selber eine Perversion der Logik. Das ist gerade so, als würde man „Automobilverkehr“ sagen, und meint damit nur Verkehrsunfälle. Es ist davon auszugehen, dass Steinmeier als promovierter Jurist über die nötige intellektuelle Trennschärfe verfügt, um einen Nationalisten von einem Nazi unterscheiden zu können.

Nationalismus und Nation sind wertfreie Begriffe. Dass sie gerade jetzt in die Schmuddelecke gedrückt werden, ist kein Zufall. Es hängt zusammen mit der Abwicklung von Nationalstaaten und ihrer Umwandlung in untergeordnete Glieder einer von den Globalkonzernen übergestülpten Supranationalen Weltordnung. Der Begriff Nation ist ein Produkt der bürgerlichen Revolution, die mit dem Sturm auf die Bastille im Jahre 1789 begann und in Deutschland im Jahre 1848 ihre Entsprechung fand. Bis dahin hatten nur Adel und Klerus alleine die Geschicke des Staates bestimmt. Das Volk hatte nichts zu melden. Nun jedoch waren die unteren Stände so weit erstarkt, dass sie auch mitreden wollten. Als Deutschland zersplittert war in lauter kleine Fürstentümer und eine leichte Beute von Napoleons Annexionsgelüsten, war der Adel schwach und korrupt. In dieser Situation begann die deutsche Bevölkerung sich in Milizen zu organisieren, um die Fremdherrschaft loszuwerden. Das war dem Adel gar nicht geheuer, aber in Preußen wurde die Landwehr zu einer festen Einrichtung und zu einem Machtfaktor. In der Heeresreform 1862 versuchte Bismarck die Landwehr zugunsten einer vergrößerten Berufsarmee zu schwächen, was ihm aber auch nicht so richtig gelang. Die Nation als Faktum einer bürgerlich-demokratischen Bewegung war nicht mehr wegzuwischen. Auch nicht von Bismarck. Noch in den späten 1920er Jahren bekämpften rechte Vordenker wie Möller van den Bruck oder Edgar Jung den Begriff Nation als eindeutig linkes Projekt. Hitler hat, das kann man in „Mein Kampf“ expressis verbis nachlesen, bewusst linke Inhalte benutzt, quasi als homöopathisches Gegengift gegen die Linken. Das Hakenkreuz ruht auf einer tiefroten Fahne. Nationalismus und Sozialismus sind im Namen drin. Lieder der Arbeiterbewegung wurden von den Nazis geklaut und mit Hasstexten belegt. Das war das erste Fundament einer gezielten Sprachverwirrung. Denn im Kalten Krieg der 1950er Jahre wurde aus Hitlers pseudolinkem Plagiat abgeleitet, Links und Rechts seien das selbe (7). Damals zielte die Gleichmacherei allerdings nur auf „Sozialismus“, noch nicht auf „Nationalismus“.

Und nun ist also der zweite linke Begriff, nämlich Nation, zum Abschuss freigegeben. Das hat damit zu tun, dass internationale Kartelle und Banken mittlerweile weit mächtiger geworden sind als Nationalstaaten. Dies ist das Ergebnis einer Entwicklung, die in den 1930er Jahren begann. In den USA gab es damals einen Kampf zweier Linien (b). Auf der einen Seite wollte der mit gewaltigem Rückhalt der Bevölkerung ins Amt gewählte Präsident Franklin Delano Roosevelt die Macht der Oligarchen in den USA zurückdrängen und sein Land ein bisschen demokratischer und sozialer machen. In seinem Sinne entwickelten Finanzminister Henry Morgenthau und sein Staatssekretär Harry Dexter White die Ordnung von Bretton Woods, ausdrücklich, um staatliche Instanzen gegen die Macht der Banken und Konzerne zu stärken (c). Nach dem Tod von Präsident Roosevelt übernahmen die Oligarchen in einem kalten Putsch wieder die Regie im Weißen Haus und benutzten Weltbank, Internationalen Währungsfond und Welthandelsorganisation gerade dazu, einem immer ungehemmteren Vormarsch multinationaler Konzerne unter US-amerikanischer Regie den Weg zu bereiten. Die amerikanischen Oligarchen hatten ihre eigenen Vordenker bestellt, die ein Loblied auf den entfesselten Markt zum Vortrag bringen, und für die der freie Nationalstaat das Übel schlechthin ist. Sir Karl Raimund Popper, Friedrich von Hayek oder Milton Friedman haben den ideologischen Boden bereitet, auf dem dann US-Präsident Ronald Reagan und viele andere marktradikale Regenten weltweit das Staatsvermögen zum Fenster hinausschleuderten mit dem einzigen Zweck, den Staat, die Nation, möglichst schnell in einen Schrotthaufen zu verwandeln. Das ist nun weitgehend vollendet. US-Präsident Donald Trump kann für sich reklamieren, als Insolvenzverwalter der Vereinigten Staaten von Amerika in die Geschichtsbücher einzugehen (8).

Unser Bundespräsident Steinmeier, unsere Bundeskanzlerin Merkel und ihre ganze transatlantisch und marktradikal geimpfte Seilschaft kennen den Unterschied zwischen Nationalismus und Nazismus ganz genau. Wenn sie jetzt diese beiden Begriffe mutwillig und bösartig miteinander verbacken, so handelt es sich hier um eine Art von Gehirnwäsche. Das betrifft nicht nur die Begriffe Nation und Nationalismus. Gerne wird aktuell auch die begriffliche Verbackung von legitimer Kritik an der israelischen Regierung mit dem üblen Antisemitismus genommen. Selbst protestierende Araber, die ja selber Semiten sind, werden von dieser ebenso schwachsinnigen wie perfiden Gleichsetzung nicht ausgespart. Auch dieser rhetorischen Keule befleißigt sich Steinmeier in seiner Auschwitz-Gedenkrede. Es ist in diesem Zusammenhang durchaus wohltuend, dass ausgerechnet der Ehrengast, der israelische Präsident Reuven Rivlin, die Dinge wieder zurechtrückt indem er sagt:

„…wir können den neuen, alten Antisemitismus nicht ignorieren, den Rassismus und den Hass auf Fremde, der sich besonders gegen Juden, Muslime und Ausländer richtet.“(9)

Wir könnten noch viele Fälle eines kalten Sprach-Putsches aufführen. Es braucht große Wachsamkeit und immer wieder logisches Denken, um die feindliche Übernahme unserer Gehirne durch die Sprach-Trickser im Establishment auf frischer Tat zu ertappen. 

Quellen:

  1. https://de.sputniknews.com/panorama/20200126326378671-spiegel-unterlaeuft-peinlicher-fehler-zu-befreiung-von-auschwitz/
  2. https://www.facebook.com/photo.php?fbid=10222184518027168&set=a.2566917937499&type=3&theater
  3. https://www.rubikon.news/artikel/der-verrat-2
  4. https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/gesellschaft/id_87239994/bundestag-im-livestream-steinmeier-das-gift-des-nationalismus-sickert-wieder-in-debatten-.html
  5. https://www.zdf.de/nachrichten/heute/aufkommender-nationalismus-merkel-mahnt-zu-wachsamkeit-100.html
  6. https://meta.tagesschau.de/id/142038/nationalismus-ist-der-feind-europas-merkel-vor-eu-wahl
  7. https://www.rubikon.news/artikel/totalitarismus-2-
  8. https://www.heise.de/tp/features/USA-Staatsverschuldung-mit-Trump-auf-Rekordhoehe-4649459.html?wt_mc=nl.tp-aktuell.taeglich
  9. https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/gesellschaft/id_87239994/bundestag-im-livestream-steinmeier-das-gift-des-nationalismus-sickert-wieder-in-debatten-.html

Anmerkungen:

(a) Hermann Ploppa, Die Macher hinter den Kulissen – Wie transatlantische Netzwerke heimlich die Demokratie unterwandern. Frankfurt/Main 2014, S.63

(b) ausführlich dargestellt in Hermann Ploppa, Der Griff nach Eurasien – Die Hintergründe des ewigen Krieges gegen Russland. Marburg 2019. S.77ff.

(c) Bernd Greiner: Die Morgenthau-Legende. Zur Geschichte eines umstrittenen Plans. Hamburg 1995.

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bildquelle: ss-br01.02.20 / Shutterstock

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