Tagesdosis 1.12.2017 – Wem gehört „das Volk“?

Ein Kommentar von Pedram Shahyar.

Das Jugendjournal „Bento“ aus dem Hause Spiegel veranstaltete in der vergangenen Woche ein Quiz, wo jeder testen kann, ob man ohne es zu merken Nazi-Sprache verwendet. Dabei wurde unter anderem das Wort „Volk“ als Nazisprech zugeordnet. Ja, Sprache ist sehr wichtig dafür, wie wir die Welt wahrnehmen. Wörter können Waffen sein, die Falsche treffen können, wenn wir nicht achtsam sind. Aber hinter dieser Zuschreibung des Volks-Begriffs steht demokratiepolitisch eine sehr problematische Vorstellung.

Nun, faschistische Bewegungen haben sich immer und überall als die Vertreter des „Volkes“ darstellen wollen. Diese Rhetorik der „Anwalt für kleinen Leute“ ist die klassische Figur der propagandistischen Lüge. Der Faschismus ist eine von aggressivsten Teilen der Eliten und des Finanzkapitals gesponsorte Bewegung, die allen voran auf die Zerschlagung der organisierten Arbeiterschaft zielt. Dieses Ziel kann aber nur erreicht werden, wenn die Reihen der unteren Klassen gespalten, zersetzt und massiv geschwächt werden. Daher präsentiert sich die faschistische Bewegung als eine Alternative zu den Gewerkschaften und linken Organisationen der Arbeiterbewegung, mit der Vorstellung einer „Volksgemeinschaft“. Statt Klassenkampf bilden alle Deutschen eine harmonische Gemeinschaft, so diese völkische Ideologie. Aber natürlich bleiben nach dem Sieg des Faschismus die Klassen und der Klassenkampf bestehen und mit der Zerschlagung der organisierten Arbeiterbewegung wurden die unter die totale Kontrolle geratenen unteren Klassen zum Kanonenfutter für die großen Expansionswünschen des staatsmonopolitischen Kapitalismus der faschistischen Regime.

Diese ideologische Verführung des Volks-Begriffs sollte uns für die Geschichte davor und danach nicht blind machen. Die demokratische Idee ist direkt mit der des Volkes verbunden: „Alle Macht geht vom Volke aus“, so auch die grundlegende demokratische Vorstellung im Grundgesetz. Es waren unzählige Bewegungen, Aktionen und Revolutionen nötig, um diese Idee, dass die Macht von der Gesamtheit der Bevölkerung, vom Volke, und nicht von einer kleinen Elite ausgeht, durchzusetzen.

Nach den großen Demokratischen Revolutionen wird in der modernen Politik die demokratische Idee wiederum elitistisch relativiert. Das Volk kann zwar wählen, wer sie regiert, aber selber aktiv regieren, können sie nicht: das ist die Aufgabe eines gebildeten, aus oberen Schichten kommenden Teils der Bevölkerung, der allein die Fähigkeit hätte, wirklich den Staat zu organisieren. In dieser elitistischen Weltanschauung ist das Wort „Volk“ auch gleichbedeutend mit den unteren Klassen der Bevölkerung: so ähnlich wie „das einfach Volk“, das einer Elite entgegengesetzt wird.

So war es kein Zufall, dass die alternativen Staatsmodelle im Ostblock sich oft „Volksrepublik“ genannt haben, um einen Gegenbegriff zum elitischen Kapitalismus des Westens zu setzen. Doch wie wir wissen, war am Ende der Ostblock nicht weniger von Eliten gesteuert. Und so war der Ruf der Revolution von 1989 „Wir sind das Volk“, also wir repräsentieren die demokratische Idee, die in der Grundidee dieser Republiken steht.

Volk versus Elite war der Kern des demokratischen Aufbruchs, und ist es heute noch. Die allgemeine Krise der Demokratie basiert genau auf diesem Phänomen, wo immer mehr klar wird, dass die breite Masse der Bevölkerung, das einfache Volk, nicht die Steuerung der Gesellschaft bestimmen kann, sondern eine kleine Elite.

Dass rechte Bewegungen versuchen freiheitliche Symbole für sich zu rauben, ist nichts Neues. Die Nazis klauten die rote Fahne von den Kommunisten, und viele weitere symbolische Darstellungen und ideologische Fragmente. So ist es kein Wunder, dass Pegida den freiheitlichen Ruf von 1989 für sich zu reklamieren versucht hat. Es ist politisch mehr als fatal, wenn soziale und freiheitliche Bewegungen deshalb diese Begriffe und Vorstellungen aufgeben. Denn damit laufen wir Gefahr auch die Vorstellung von dem Konflikt „Volk gegen Elite“ aufzugeben, die leider die Realität der Politik bestimmt. Akzeptieren wir die Übernahme des Begriffs vom Volk durch die Rechten, geben wir im Grunde auch die Menschen auf, die sich dem einfachen Volke zugehörig fühlen, die sich von den Eliten verraten und verkauft fühlen. Schlimmer noch, wir schieben sie gerade in die Hände von Höcke und Co. Viel mehr muss der völkischen Ideologie ein demokratischer Klassenbegriff vom Volke entgegensetzt werden. Nicht Rasse oder Ethnie ist entscheidend, sondern gemeinsame soziale Interessen. Das Volk sind wir alle, die ausgebeutet und vom Profitdrang dieses elitengesteuerten Systems erdrückt werden. Hautfarbe, Religion, Ethnie und Kultur bestimmen nicht die Zugehörigkeit zu einem Volk oder Elite: Beides, das Volk und die Elite sind mehrfarbig. Die Ethnisierung des Volkes gilt nur zu deren Spaltung.

Die Vorstellung vom Volke den Rechten zu überlassen oder zu übertragen, vernichtet auch jede Vorstellung der Demokratie von unten. Die Zukunft der Demokratie liegt aber genau darin: in einer aktiven Bürgerdemokratie. Und immer wieder im Alltag und im Kleinen sehen wir so viele Ansätze dafür, wie Menschen, wenn sie wirklich die Möglichkeit bekommen, mit unglaublicher Kreativität, Solidarität und Kooperation ihre Umwelt gemeinsam gestalten können.

Wir sind das Volk, wir alle zusammen, packen wir es an, entreißen wir unsere Welt den Eliten, und machen wir es gemeinsam, was es zu tun gibt für ein gutes Leben für Alle.

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