Tagesdosis 1.10.2018 – Wer den Kapitalismus behalten will, bekommt Imperialismus

Ein Kommentar von Susan Bonath.

Lohndumping, Rentenklau, Mieten-Explosion, Flüchtlingskrise, Armut, Umweltzerstörung: Die Symptome des Spätkapitalismus sind unübersehbar. In vielen alternativen Medien werden sie – und das ist gut so – kräftig angeprangert. Doch die Kritik greift meist zu kurz. Abgelegt unter Schlagworten, wie »Globalisierung«, »Staatsversagen«, »Finanzfaschismus«, etc., folgen ihr schlichte Schlussfolgerungen: Wer kein Nationalist sei, besorge das Werk der »Globalisierer« und »Politmarionetten«, gehöre wohl zu den »Antideutschen«, ja, der fördere gar Lohndumping und Sozialabbau, so heißt es gerne. Dies aber beruht mehr auf ideologischen Kurzschlüssen als auf rationaler Systemanalyse.

»Globalisierung« meint, zusammengefasst, die zügellose Ausbreitung des Kapitals auf Kosten der lohnabhängigen Mehrheit, verbunden mit dem Abbau bislang staatlich geregelter sozialer Rechte. Ein Begriff dafür wurde schon vor über 100 Jahren geprägt: Imperialismus. Kritiker schieben das gerne einem ominösen Politikversagen zu. Das ist Quatsch.

Imperialismus ist schlicht eine Folge der Entwicklung der kapitalistischen Profitmaschine. So findet jede Produktion in diesem Wirtschaftssystem nur aus einem Grund statt: Profit für die Konzernherren. Das war noch nie anders, auch nicht in den 1960er Jahren. Bei dem Spiel gewinnt der Stärkste. So konzentriert sich das Kapital zunehmend in immer weniger Händen. Industrie- und Geldkapital verschmelzen zu Monopolen. Dieses Finanzkapital dirigiert den Gesamtkapitalisten namens Staat. Und der tut, was seine Aufgabe ist. Er managt für seine Auftraggeber die Ausbeutung der lohnabhängigen Massen. Er sorgt dafür, dass Profite in die Taschen der Eigner fließen, um möglichst viel über Steuern davon abzugreifen.

Mit diesem Geld sorgt der Staat folglich dafür, dass Konzerne wachsen können. Das müssen sie, um gegen Konkurrenten zu bestehen. Um billig zu produzieren, exportieren sie ihr Kapital. Das heißt: Unternehmen gehen dahin, wo Rohstoffe lagern und Arbeitskraft am billigsten ist: In die militärisch unterjochte Peripherie, die sogenannte »dritte Welt«. Der Staat rüstet auf, um andere Länder zu unterdrücken und genau diesen Kapitalexport zu ermöglichen und die an ihn Steuern abführenden Konzerne oben zu halten. Dieses Stadium des Kapitalismus nennt sich Imperialismus.

Zusammengefasst: Finanzmonopole entstehen durch systemimmanente zunehmende Konzentration von Kapital in wenigen Händen. Der Nationalstaat ist dabei ein Instrument des Finanzkapitals. Um dessen ökonomische Macht zu erhalten, meißelt er bürgerliches Eigentumsrecht in Stein und zwingt mit repressiven Gesetzen wie Hartz IV Lohnabhängige in die Ausbeutungsmaschine. Um das durchzusetzen, beansprucht er das Gewaltmonopol mittels Polizei und Militär. Letztlich bestimmt die Entwicklung des Kapitalismus das Vorgehen des Staats, nicht umgekehrt. Der Staat war schon immer der Manager des Großkapitals.

Das Industriekapital war schon immer eng mit dem Geldkapital verbunden: Banken versorgen die Industrie mit dem Tauschäquivalent Geld. Die Industrie legt es im Produktionsprozess an. Mittels fremder Arbeitskraft schafft sie neue Waren. Von der Arbeitskraft schöpft sie Mehrwert ab, indem sie den Arbeitern viel weniger gibt, als sie an Wert produzieren. Von diesem Profit gibt sie der Bank über den Zins einen Teil ab – als Preis für die Kapitalanleihe. Oder der Kredit nehmende Lohnarbeiter arbeitet über die Jahre der Zinszahlung für die Bank. Die Bank wird zum »Dirigenten über die Arbeit«. So entstammt auch der Zinsprofit der Banken letztlich immer menschlicher Arbeit. Geld selbst kann nun einmal nicht arbeiten. Das heißt: Von der Wirtschaft scheinbar entkoppelte Geldgeschäfte, wie Spekulationen, sind so etwas wie Anleihen auf zukünftige Arbeit. Kann diese nicht realisiert werden – was mit dem technologischen Fortschritt die Regel werden wird – entstehen die Blasen, die irgendwann platzen und Wirtschaftskrisen auslösen.

Warum nun erzeugt rein maschinelle Arbeit, gesamtwirtschaftlich betrachtet, keinen neuen Profit? Weil Maschinen lediglich ihren bereits bezahlten Kaufwert in die Waren abgeben. Bringen sie eine gute Leistung im Laufe ihrer Lebensdauer, wird die Produktion billiger, was sich, dank der Konkurrenz, auf die Preise früher oder später niederschlägt. Wirklich ausgebeutet werden kann nur menschliche Arbeit, etwa über Lohndumping, unbezahlte Mehrarbeit, schlechte Arbeitsbedingungen und so weiter.

Ein Blick auf die globale Profitmaschine offenbart noch etwas anderes: Laut Statistischem Bundesamt wächst in Deutschland – wie in anderen imperialistischen Zentren – der Dienstleistungssektor. Dazu gehören zum Beispiel soziale Unternehmen, das Transportwesen, der Handel, die Finanzbranche. Drei Viertel der deutschen Unternehmen gehörten 2017 zum Dienstleistungssektor – Tendenz steigend.

Der produktive Sektor, namentlich Rohstoffgewinnung, Landwirtschaft, Industrie und Baugewerbe, ist indes auf 25 Prozent geschrumpft. Im Jahr 1950 war das noch umgekehrt. In den Peripheriestaaten – zu denen auch die meisten Heimatländer der Flüchtlinge gehören – ist das heute noch so.

Nun schafft die Dienstleistungsbranche keinen eigenen Mehrwert. Sie profitiert vielmehr mit am woanders abgeschöpften Profit. Und der wird, wie die beschriebene Entwicklung zeigt, vor allem in der Peripherie erzeugt, fließt aber großteils in die imperialistischen Zentren. Ein Beispiel: Der Großhändler H&M profitiert – neben Fabrikbetreibern und Transportunternehmern – von Textilien aus Baumwolle, die in Indien unter elenden Bedingungen angebaut und verarbeitet wird. All das Geld, was sich Kapitalbesitzer auf dem Weg bis zum Verkauf einstecken, haben primär die Baumwollpflückerin und die Textilarbeiterin in Indien erzeugt.

So kann man konstatieren: Profite deutscher Unternehmen basieren vor allem auf Ausbeutung der »dritten Welt« – also der Heimat der meisten Flüchtlinge. Der deutsche Staat forciert das profitable Geschäft, um davon möglichst viel abzugreifen, was es ihm wiederum ermöglicht, weiter militärisch aufzurüsten. Freilich steckt der Staat auch Geld in Soziales. Doch der einzige Grund dafür ist: Er will keine Revolten provozieren.

Doch warum kürzt der Staat seit Jahren Sozialausgaben und privatisiert Krankenhäuser, Immobilien, Autobahnen und sonstige Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge? Viele Kritiker meinen, es seien einfach die falschen Politiker am Werk. Sogar Linke suggerieren das. Dabei tut der Staat schlicht das, was ihm die kapitalistische Entwicklung im 21. Jahrhundert gebietet: Die fortschreitende Kapitalkonzentration, verbunden mit endlosem Wachstumszwang auf einem begrenzten Planeten, lässt neue Anlagemöglichkeiten für das Großkapital schwinden. Fehlen diese, stagniert das Wachstum. Es drohen Rezession und Krise. So gibt der Staat schließlich alles, was geht, der Kapitalverwertung preis. Zugleich steckt er immer mehr Geld in Aufrüstung, um den Kapitalexport notfalls militärisch zu beschleunigen. Das Geld fehlt im Sozialetat.

Das Großkapital strebt stets nach Maximalprofit. Daher wird es immer das größtmögliche Lohndumping anstreben. Wer da nicht mitspielt, geht früher oder später unter. Die Politik lobt dies als Wettbewerb und managt das Spiel. Selbstverständlich wird das Großkapital auch versuchen, aus Flüchtlingen und Arbeitsmigranten größtmöglichen Profit zu schlagen, also die Löhne zu drücken.

Doch dies forcierte der Staat für das Großkapital auch schon vorher, etwa durch Hartz IV. Je mehr der Kapitalismus an seine natürlichen Grenzen stößt, je schneller neue Anlagemöglichkeiten schwinden und Arbeitskraft unnötig wird, desto mehr muss das Kapital nach systemischer Logik die Mehrwert schaffenden produktiv Tätigen ausnehmen – unabhängig von Flüchtlingen und Arbeitsmigration.

Der Exportweltmeister und Gesamtkapitalist Deutschland ist ein imperialistischer Player im großen Spiel. Es ist ziemlich dumm, sich auf die Seite genau dieses Staats zu stellen, sich mit ihm gemein zu machen. Dem Imperialismus kann wohl kaum Einhalt geboten werden durch Unterstützung eines imperialistischen Players. Nationalismus führt definitiv nicht zu weniger, sondern zu mehr Imperialismus. Dieser kann, als Entwicklungsstufe des Kapitalismus, letztlich nur von unten – und das unabhängig von Nationalität und Ethnie – bekämpft werden. Das heißt im ersten Schritt: Man muss gleiche Rechte für alle fordern. Jede Spaltung entsolidarisiert die lohnabhängige Klasse und spielt den Imperialisten in die Hände.

Derselben Schimäre – Nationalismus versus Imperialismus – sind die sogenannten Antideutschen aufgesessen. Sie stellen sich zwar – in der Regel – nicht auf die Seite des deutschen Gesamtkapitalisten, dafür auf die der USA und Israels. Darum sind sie keineswegs anti-nationalistisch. Sie beantworten es nur spiegelverkehrt und sagen: Wer keinen deutschen Nationalismus wolle, müsse den Imperialismus fördern.  So stellen sie sich, paradoxerweise, doch auf die Seite des deutschen Gesamtkapitalisten. Da reicht ein Blick auf den Vorstand der viel zitierten Amadeu-Antonio-Stiftung unter Anetta Kahane. Denn dort ist der Staat sogar mit einem Mann vom Verfassungsschutz vertreten.

Und letztendlich bleibt festzustellen: Faschismus, den die »Antideutschen zu bekämpfen vorgeben«, wird zwar durch einen Nationalstaat umgesetzt. Letztlich aber wird er forciert durch Teile des nach Imperialismus strebenden Großkapitals, das seine Felle wegschwimmen sieht. Faschismus ist lediglich eine Form des kapitalistischen Managements. Darum will ich mit den Worten von Max Horkheimer schließen, den »Antideutsche« so gern zitieren, aber offenbar nie verstanden haben: »Wer vom Kapitalismus nicht reden will, sollte vom Faschismus schweigen.« Ich ergänze: Wer den Kapitalismus behalten will, bekommt am Ende notgedrungen den Imperialismus.

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