Tagesdosis 02.11.2019 – Raus aus der Krise, rein in eine Politik der Liebe

Liebe ist nicht nur Privatsache, sondern das Dach, unter dem alle Politik stattfinden sollte. Sind wir mutig genug für eine solche Revolution? 

Ein Kommentar von Christiane Borowy.

Es ist auf jeden Fall eine Nachricht wert, wenn zwei Autoren aus zwei verschiedenen Ländern unabhängig voneinander öffentlich darüber sprechen, dass Liebe der einzige Weg aus der Krise der Menschheit ist. Der eine ist der Journalist und Autor Dirk C. Fleck und die andere ist die amerikanische Autorin und Aktivistin Marianne Williamson. In den Medien findet es kaum Gehör, wenn Liebe und Politik zusammengedacht werden. Dabei könnte gerade das der Weg in eine politische Erneuerung, eine Rückkehr zu Demokratie und partnerschaftlicher Wirtschaft sein.

Am 27. Oktober 2019 fand im Schauspielhaus Bochum eine politische Podiumsdiskussion zum Thema „Aus Verantwortung für künftige Generationen – der „grüne“ Artikel 20a: Ressourcen und Artenschutz“ statt. Die bekannte Journalistin Sonia Seymour Mikich hat moderiert. Einer der Gäste war Dirk C. Fleck. Sein erster Redebeitrag trifft bereits den Kern: Es muss in der Politik und in jedem Einzelnen um Liebe gehen, sonst „verfault uns der Planet unter dem Arsch“ (1). 

Ähnlich sieht das auch die bekannte amerikanische Friedensaktivistin und Autorin Marianne Williamson in ihrem Buch „A politics of love“, das im April 2019 herauskam (2) und das in den deutschen Medien entweder verhöhnt wurde (3) oder einfach unbeachtet blieb. Doch beide Autoren sind unabhängig voneinander einig: Es braucht mehr als Systemkritik. Es braucht inneren Aktivismus genauso wie äußeren Aktivismus – und zwar nicht in diesem Jahr, oder im nächsten Jahr, oder übernächsten Jahr, sondern sofort!

Geht´s noch? 

Das politische Establishment, das bedeutet ungefähr 1 Prozent der Weltbevölkerung, hat in den letzten hundert Jahren dafür gesorgt, dass es den anderen 99 Prozent der Weltbevölkerung und sogar dem gesamten Planeten extrem schlecht geht. So schlecht wie noch nie zuvor in der Geschichte. Globale Armut, eine sich ständig reproduzierende Militärindustrie, die Zerstörung des Planeten Erde, die Erosion der Demokratie, sind Phänomene, die das Ergebnis einer hemmungslosen Gier darstellen. Profitmaximierung wird immer radikaler über die Bedürfnisse des einzelnen Menschen gestellt. Das Ergebnis ist ein rasanter Anstieg von Massenhoffnungslosigkeit, Depression, Krankheit und ein genereller Zusammenbruch der Gesellschaft und der Kultur (4). 

Diese politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse sind laut Williamson eine Frage der Moral. Das politische Establishment erlaubt diese Entwicklung genauso wie die 99 Prozent der Menschen, die wegsehen und zum Beispiel behaupten, Politik gehe sie nichts an oder behaupten sie können nichts tun. Es ist ein viel grundsätzlicheres Problem, als dass es mit oberflächlichen und rein äußeren Maßnahmen zu beheben wäre. In seinem Buch „Go! Die Ökodiktatur“, das bereits 1993 zum ersten Mal erschienen ist und das kürzlich neu aufgelegt wurde, schreibt Dirk C. Fleck: „Wir urinieren seit Jahren in unser Wohnzimmer. Anstatt unsere Lebensweise zu ändern, diskutieren wir lieber in aller Wissenschaftlichkeit über die Saugfähigkeit des Teppichs.“ (5)

Die Menschheit verliert den Verstand. Williamson weist ebenfalls darauf hin, es sei dringend notwendig, eine breitere und tiefere Perspektive einzunehmen als bloße Systemkritik zu üben, die nur an der Oberfläche bleibt. Fleck beschreibt das Phänomen in der genannten Podiumsdiskussion Ende Oktober anhand eines Beispiels, indem er sagt, dass es so sei als würde man kurz bevor der Tsunami kommt, noch schnell ein kleines Pflänzchen pflanzen, um  ihn aufzuhalten.

Hass ist laut, Liebe (zu) leise

Ach ja, die Liebe. Es wäre so nett, wenn die Menschen sich mehr lieben würden, nicht wahr? Wir wollen das alle, aber im Grunde ist es doch eine Illusion, oder? 

Williamsons Antwort darauf ist, dass die Forderung „Liebt einander“ eher ein dringend notwendiger Weckruf und ein Rezept für politische Erneuerung ist und nicht ein Rezept für persönliches Heil. Natürlich gibt es in der Geschichte unzählige Beispiele dafür, was Hass und Angst anrichten können, doch es gibt auch unzählige Beispiele dafür, dass Liebe eine Menge Gutes bewirken kann. Das bekommen wir jedoch nicht so mit. 

Das Problem ist nicht, so Williamson, dass nur eine Person hasserfüllt ist. Problematisch wird es vor allem, wenn Gruppen hasserfüllt sind und ihre Überzeugungen lautstark vertreten. Deshalb ist es wichtig, Liebe und Politik zusammenzudenken. Transformationsprozesse wurden oft von, meist spirituellen, Gruppen initiiert, die sich auf Liebe besonnen haben. Sie haben den Impuls des Wandels gesetzt. 

Es ist, so Williamson, an der Zeit, diesen Wandel nicht nur in kleinen persönlichen Liebesgesten oder in abgeschlossenen Gruppen anzustoßen. Grundsätzlich hat jeder einzelne Mensch die Aufgabe, sich auf diesen Wert zu besinnen. 

Wir sind an einem Punkt angekommen, den wir vorher noch nie in dieser Weise erlebt haben. Die Menschheit steht vor dem Abgrund. Nur noch ein paar Schritte weiter in alt hergebrachter Weise, dann fallen wir, und die Menschheit geht zugrunde. Deshalb reicht es in Sachen Liebe auch nicht aus zu kleckern, sondern es ist jetzt nötig zu klotzen. 

Es reicht auch nicht, ständig über die soziale, wirtschaftliche, religiöse und politische Krise zu klagen. Ganz im Sinne des buddhistischen Mönchs und Friedensaktivisten Thich Nhat Hanh „To suffer is not enough“ reicht es nicht, das Augenmerk nur auf das Leid zu richten und zu jammern. 

Hass ist laut und dominant und wird durch Medien verbreitet. Liebe dagegen vernimmt man kaum. Es ist eine Aufgabe, lauter für die Liebe einzutreten.

Eine Voraussetzung dafür ist, dass wir uns daran erinnern, dass Liebe etwas Natürliches ist, das erinnert und gepflegt werden kann, damit der Kultur der Zerstörung eine friedliche und liebevolle Kultur entgegengesetzt werden kann. 

Politik und Liebe zusammendenken

Die Trennung von Politik und Liebe ist für Williamson bereits Ausdruck einer kulturell verankerten „dissoziativen Störung“. Fast so, als würde man den Regen von den Wolken trennen wollen. Es ist deshalb wichtig sich die Frage zu stellen: Wer sind wir, dass wir solche Probleme um uns haben? Es ist leicht, dem anderen die Schuld zu geben. Wir sind Menschen, die allein durch ihr Menschsein in natürlicher Weise eine Einheit sind. Wenn man anderen Schaden zufügt, dann fügt man sich selbst Schaden zu. 

Warum sind wir auf der Erde – um zu zerstören oder um Freiheit, Liebe und Glück zu verbreiten, den Planeten zu erhalten und über uns hinauszuwachsen? Das ist die spirituelle Leitfrage von Williamson. Jeder hat ein Grundrecht auf diese zentralen -christlichen- Werte und der Staat sollte nach Ansicht von Williamson dazu da sein, sicherzustellen, dass die Erfüllung der Bedürfnisse nach Frieden, Freiheit und Glück für jeden möglich ist. 

Durch Anregung von Konsum und damit verbunden einem scheinbaren Gefühl von Freiheit wird momentan allerdings dafür gesorgt, dass es kein tiefes, sondern nur ein oberflächliches Glück gibt. Es fehlt dem Glücklichsein die Substanz. Fleck sagt es auf dem Podium: „Der Alltag zieht so viele Energien ab für Banalitäten. Wir sind überfordert und verlieren den Überbau aus dem Auge“. Doch der Preis ist hoch. 

Die Fragmentierung von Politik und Spiritualität beziehungsweise Liebe führt zu einer Fragmentierung der Gesellschaft, und zwar weltweit. 

Tiefere Fragen der Menschheit dürfen also nicht von der Politik getrennt werden, so wie es zur Zeit der Fall ist, denn schließlich ist politische und soziale Teilhabe ein Charakteristikum für Demokratie.

Revolution durch Liebe

„Wir müssen jetzt anfangen, unseren revolutionären Geist wiederzuerwecken, denn die Tyrannei im heutigen Amerika unterscheidet sich nicht wirklich von der Tyrannei anderer Zeiten oder anderer Orte. Sie hat nur ein besseres branding.“, schreibt Williamson.

Sie sieht drei Aufgaben als notwendig an, damit es zu einer tiefen Veränderung und einer politischen Erneuerung kommen kann: Als erstes müssen wir die gesellschaftliche und politische Krise analysieren und die volle Verantwortung dafür übernehmen, wie wir an diesen Punkt gekommen sind. Zweitens müssen wir die Fehler wiedergutmachen und zu demokratischen Prinzipien und universellen Werten zurückkehren. Drittens muss die Politik nach den Imperativen der Liebe und humanitären Belangen neu ausgerichtet werden, und die bisherige Macht von kurzzeitigem Profit eines amoralischen Wirtschaftssystems unterbunden werden.

Williamson geht analytisch vor und ist keineswegs spirituell abgehoben. Sie beschreibt die politischen Verhältnisse und nennt die Dinge beim Namen, zum Beispiel, wenn sie die Politik in Amerika als Tyrannei bezeichnet, oder auf den militärisch-industriellen Komplex hinweist. Kein Wunder also, dass sie -auch in den deutschen Medien- nicht ernst genommen und abgewertet wird. 

Dabei weist sie darauf hin, dass jede wahre Spiritualität dazu führt, Zeitgeschehen und Politik aktiv mitzugestalten und Verantwortung zu übernehmen. Damit ist nicht gemeint, was „im Namen der Liebe“ alles Schlimmes geschieht, sondern vielmehr ein tiefer innerer Wandel, der einen äußeren Wandel initiieren kann. Das erfordert natürlich sehr viel Mut, dies in einer Gesellschaft zu tun, in der eine Politik der Liebe als Schwäche angesehen wird. Es erfordert auch, Liebe in seinem Umfeld zu suchen. Es gibt Gier, doch es gibt auch liebevolle Staatsmänner und liebevolle Unternehmer. Das gilt es zu sehen und zu hören.

Abschließend lässt sich sagen, dass es bereichernd sein könnte, das Buch von Williamson ins Deutsche zu übersetzen, denn es ist von zentraler Bedeutung, die Möglichkeit der Revolution durch Liebe in den Blick zu nehmen. Es ist auch nötig, auf Bühnen und im Fernsehen -also laut- darüber zu sprechen, dass Liebe der einzige Ausweg aus der Krise sein könnte.

Dazu ist es allerdings notwendig, der geschilderten Spaltung nicht noch medial Vorschub zu leisten, indem man Hohn und Spott über diejenigen ausgießt, die Liebe als einen hohen Wert ansehen. Dirk C. Fleck beispielsweise konnte seine Themen, unter anderem „das drohende ökologische Desaster, das die Menschheit in Gang gesetzt hat“, in den Medien nicht transportieren und bearbeitete sie in Romanform.

Dirk C. Fleck bringt die Notwendigkeit der politischen Erneuerung durch Liebe so auf den Punkt:

„Etwas geben, ohne etwas zu erwarten. Den anderen im Miteinander fair, freundlich und mit Sympathie zu behandeln, ihm zuzuhören, auf ihn einzugehen, ist ja wohl nicht so schwer, wir tun es nur nicht in der Regel. Und wenn wir dies hinbekämen, würde eine andere Gesellschaft entstehen, die durch keine Staatsmacht mehr zu kontrollieren ist. Das ist meine einzige Hoffnung. Das wäre ein denkbarer Ausweg. Alles andere können wir vergessen. Der Drops ist gelutscht.“

Zum Weiterlesen: 

  1. https://www.schauspielhausbochum.de/de/stuecke/183/ausreden-zuhoren
  2. https://www.harpercollins.com/9780062873934/a-politics-of-love/
  3. https://www.fr.de/politik/donald-trump-marianne-williamson-setzt-voll-liebe-12898052.html
  4. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/gesundheitsgefahren/depression.html
  5. https://www.dirk-c-fleck.de/de/go-die-oekodiktatur

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Danke an die Autorin für das Recht zur Veröffentlichung.

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Bildhinweis: Brian A Jackson / Shutterstock

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