Sogenannte ‘Sicherheitsgesetze’ des deutschen Bundestages

Der Bundestag hat am 27. September 2016 so genannte ‚Sicherheitsgesetze‘ beschlossen.

Bertold Brechts Mahnung bleibt aktuell: „Ihr aber lernet, wie man sieht, statt stiert. […] Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“ Aus: Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui []

von Bernhard Trautvetter.

„Ist der Augenblick da, so ist es zu spät“.

Die Gefahr für die Demokratie ist älter als das Grundgesetz unserer Demokratie. Und sie kommt zumindest in einem gewissen Maß aus ihrem Machtzentrum: Schon am 7. November 1966 schrieb der Spiegel zum Widerstand gegen den Abbau der Demokratie durch die damals so genannten Notstandsgesetze: „Zehn Tage nach der Nato-Übung ‚Fallex 66‘ und eine Woche vor der hessischen Landtagswahl proklamierte die deutsche Linke in Frankfurt den “Notstand der Demokratie“. Auf einem von 58 Gewerkschaftlern, Pfarrern, Schriftstellern und Professoren einberufenen Kongress protestierten am 30. Oktober 21.000 Bundesbürger gegen die Notstandspläne der Bonner Regierung. Die Notstands-Koalition zwischen Intelligenz und Arbeiterschaft manifestierte sich auf der Rednertribüne vor dem Frankfurter Römer: Der Philosoph Ernst Bloch, der Gießener Rechtsprofessor Helmut Ridder, IG -Metall-Vorstandsmitglied Georg Benz und der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger machten Front gegen die „Erprobung der Diktatur in der zweiten deutschen Demokratie“.

Karl Jaspers, einer der renommiertesten Wissenschaftler in Nachkriegsdeutschland schrieb am 2. Mai 1966 im Spiegel: „Bei Missbrauch der Notstandsgesetze ist zunächst kein Widerstand zu erwarten. Der Terror der gegebenen Vollmachten ist übermächtig. Der Missbrauch aber ist sogar mit Sicherheit zu erwarten, falls Politiker eine Rolle spielen, die sittlich-politisch, nicht zuverlässige freie Demokraten sind, wie heute leider viele. Erst recht ist die Gefahr groß, wenn Politiker an der Macht sind, die die Wahrhaftigkeit nicht für notwendig halten, Illegalität leichtnehmen, intrigierende Manipulationen für Politik halten, treulos und unglaubwürdig sind, daher kein Vertrauen verdienen.

Wird ein Notstandsgesetz gegeben, so muss mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass solche Politiker an entscheidenden Stellen sein können. Dann fügt man sich, wehrt sich nicht mehr. Die Angst, wenn das Gewaltsame im Gange ist, lässt den Einzelnen, Isolierten nicht vergeblich und selbstmörderisch sich aussetzen. Alle tun, was man tut, oder schweigen. Das haben wir 1933 erlebt in unserer Umwelt und an uns selber. Ist der Augenblick da, so ist es zu spät. Dass der Missbrauch nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich ist, darüber belehren uns Ereignisse unserer jüngsten Geschichte.“ Karl Jaspers

Die die Freiheit aufgeben, um Sicherheit zu erhalten, erringen weder Freiheit noch Sicherheit – Im Gegenteil

Die Möglichkeit des Missbrauchs durch Faschisten ist nicht die einzige Möglichkeit des Machtmissbrauchs von Machtinstrumenten wie den Sicherheitsgesetzen, die es gibt.

Der Bundestag hat am Donnerstag, 27. April 2017 die sog. Reform des BKA-Gesetzes beschlossen: Dies geschah in Verbindung mit einem ganzen Paket von ‚Sicherheitsgesetzen‘, die der Bundestag alle am gleichen Tag verabschiedete. Das umfasst das Gesetz zur ‚Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften‘, die Novellierung des ‚Europol‘-Gesetzes, das Gesetz zur ‚Ausweitung des Maßregelrechts bei extremistischen Straftätern‘, das ‚Fluggastdatengesetz‘ und das ‚Datenschutz-Anpassungs- und Umsetzungsgesetz EU‘, das ‚Sicherheitsüberprüfungsgesetz‘ sowie ‚Zustimmungsgesetze‘ zu sogenannten Sicherheitsabkommen mit Ägypten und Tunesien. Bundesinnenminister De Maizière sieht darin einen ‚guten Tag für die Sicherheit‘.

„Jene, die die lebenswichtige Freiheit aufgeben, um zwischenzeitlich ein wenig Sicherheit zu erhalten, erringen weder Freiheit noch Sicherheit,“ sagte einst passend Benjamin Franklin.

[Those who would give up essential Liberty, to purchase a little temporary Safety, deserve neither Liberty nor Safety.]

Der Überwachungsstaat ist ein Trojaner für die Demokratie – von 1933 bis heute

Das neue BKA-Gesetz verdeutlicht diese Warnung: Menschen, die sich nichts zuschulden haben kommen lassen, können damit im Handumdrehen in die Rolle eines Verdächtigen geraten und dann kann ein Teufelskreis beginnen, wie ihn Kafka im Prozess literarisch vorgestellt hat [https://www.inhaltsangabe.de/kafka/der-prozess/] . Wohin ein der demokratischen Kontrolle entweichender Sicherheitsstaat führen kann, zeigte auch Heinrich Böll mit seinem Roman ‚Die verlorene Ehre der Katharina Blum‘, in dem eine unbescholtene Frau durch eine Freundschaft zu einem Gesetzesbrecher in die Mühle eines behördlichen Verdachts und polizeilicher Verfolgung gerät, was die Boulevardpresse aufgreift und skrupellos ausschlachtet, sodass eine Tragödie nach der anderen ihren Lauf nimmt.

Im neuen BKA-Gesetz werden verschiedene Systeme und Datenbanken zur Speicherung von Polizeitätigkeiten- und erkenntnissen zu einem einheitlichen System verschmolzen. Es handelt sich hierbei nicht mehr um anlassbezogene und zweckgebundene Daten. Schon wenn jemand in einem Verfahren als Zeuge auftritt, wird er ins Datenspeichernetz aufgenommen, ebenso, wenn jemand zu einer beschuldigten Person Kontakt hat, werden dessen Daten mit aufgenommen, gespeichert und mit anderen Daten verknüpft. Einmal gespeichert können sie in einem unermesslichen Datenpool über eine digitale Form der Rasterfahndung bei ganz anderen, neuen Ereignissen mit einer Vielzahl von weiteren Daten zusammengeführt werden. Big Data-Analysesoftware kann z.B. Orts- und Kommunikations-Verbindungsdaten präventiv und ohne Anlass weiterverarbeiten. Sogenannte ‚Ermittlungs-unterstützende‘ Hinweise werden ebenso gespeichert und vernetzt, etwa wenn ein Beamter den Verdacht hegt, jemand könnte Kontakte zur Gewaltszene und anderen als bedenklich eingestuften Kreisen haben.

Die Profile, die dabei entstehen, können über Arbeitsverträge im staatlichen Sicherheitsbereich entscheiden, auch über die Einreise an Grenzkontrollstellen wie an Flughäfen. Die staatliche Daten-Sammel-Gier führt nach Erkenntnissen der Sendung Monitor vom 27.4.2017 zu solchen Formen, dass am Berliner Bahnhof Gesundbrunnen eine sogenannte ‚intelligente‘ Video-Überwachung installiert wird, die Gesichtserkennung und Bewegungsprofile mit den Datenbanken verknüpfen kann. Die Datenbanken werden auch durch anlasslose Abhörungen gefüttert, sowie durch Staatstrojaner, die Computer ausspionieren; dies kann schon bei niederschwelliger ‚Alltagskriminalität‘ erfolgen.

Der Verweis auf die erforderliche Sicherheit in der Folge von solchem Terror wie dem am Weihnachtsmarkt der Berliner Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche läuft fehl, denn hier gab es kein Erkenntnisdefizit. Sicherheit wird zwar versprochen, aber Gefahren werden ignoriert:

Wohin das führen kann, das zeigt sich daran, dass es im EU-Raum und in Amerika Staaten gibt, die rechtsextrem regiert werden. Wenn Neonazis die Gelegenheit haben, auf derartige Datenbanken und Filter- und Raster-Verfahren zurückgreifen zu können, dann ist etwas fast hundert Jahre nach der Weimarer Republik der 1920er-Jahre erneut möglich, was sich damals ereignete: Die SA und die SS der NSdAP inhaftierten kurz nach dem Machtantritt der Faschisten in Deutschland 1933 mithilfe vorher entstandener Listen tausende aktive Kommunisten und KPD-Funktionäre. Sie konnten dabei u.a. sogar auch auf Listen vom Hamburger Aufstand von 1923 zurückgreifen.

NSU: Der Verfassungsschutz als Verfassungsgegner

Auch heute treibt die Sammlung solcher Daten staatlicherseits seltsame Blüten, überwacht doch der sog. Verfassungsschutz viele demokratische Aktivitäten im pazifistischen, als links eingestuften Bereich. Dabei ist der Verfassungsschutz auf dem rechten Auge sehbehindert. Er sieht im Sozialismus sogar eine verfassungswidrige Kraft, wie ich im Zusammenhang mit dem Fall des Berufsverbote-Opfers Silvia Gingold und dem Schwur der befreiten KZ-Häftlinge in Buchenwald dokumentieren werde. Aber jetzt erst einmal zur strukturellen Begünstigung des rechten Terrors durch die Überwachungsinstitution Verfassungsschutz: Der Verdacht, dass der Verfassungsschutz in die NSU-Mordserie verwickelt ist, basiert auf erdrückend vielen validen Erkenntnissen, wie dieser: „Seit Wochen drängten die Mordermittler darauf, die V-Männer, darunter den Rechtsradikalen Benjamin Gärtner, verhören zu dürfen. Der Verfassungsschutz mauerte.“

Vergesst es nie, wie es damals angefangen hat, und wie es geendet hatte

Der nach links ausspionierende und nach rechts unterstützende Verfassungsschutz steht in einer langen Tradition autoritärer staatlicher Strukturen:

Das Schicksal der Tochter des Resistance-Kämpfers gegen die Nazis Peter Gingold offenbart auf besonders drastische Weise, dass die hier geäußerten Sorgen keine hysterische Übertreibung darstellen:

Peter Gingold selbst war den Fängen der faschistischen Verfolger durch Mut, Intelligenz und Glück gerade noch entronnen. Er warnte 2006, zwei Monate vor seinem Tod:

„Vergesst es nie, wie es damals angefangen hat, und wie es geendet hatte.“

Silvia erhielt 1974 als fertig ausgebildete Lehrerin (Examensnote ‚gut‘) Berufsverbot und schrieb dazu:

„1974 widerrief der Regierungspräsident Kassel ohne Begründung das Beamtenverhältnis und lud mich zu einem ‘persönlichen Gespräch’ (sprich: Anhörung) in das Regierungspräsidium in Kassel am 12. August 1974 ein. Dort wurden mir ‘Erkenntnisse’ des Landesamtes für Verfassungsschutz vorgehalten, die das Amt seit meinem 17. Lebensjahr über mich gesammelt hatte, so u.a. mit genauer Orts- und Zeitangabe: Teilnahme an Demonstrationen gegen den Krieg in Vietnam, Teilnahme an Jugendtreffen in der DDR sowie weitere Reisen in die DDR, Teilnahme an einer wissenschaftlichen Konferenz der Marxistischen Blätter, Teilnahme an den Weltjugendfestspielen in Sofia, Flugblattverteilerin für die Aufhebung des KPD-Verbots etc. (Auflistung auf 4 DINA 4-Seiten).“

2017 noch, 43 Jahre später erklärte sie gegenüber dem Verwaltungsgericht Wiesbaden:

„Mein Vater wurde von den Nazis verhaftet, schwer gefoltert und ist nur durch seine Flucht dem Tod entgangen. Können Sie sich unter diesem Hintergrund vorstellen, wie es sich für mich anfühlt, wenn ich heute wegen Lesungen aus der Biographie meines Vaters, wegen meines Einsatzes gegen Neonazis, gegen Ausländerhass und Rassismus, gegen Militarisierung, Waffenexporten und Kriegseinsätzen der Bundeswehr bespitzelt und als verfassungsfeindlich kriminalisiert werde?“

Zu den Vorwürfen, die der Verfassungsschutz Silvia Gingold bis heute entgegenhält, zählt ihre Mitgliedschaft in der Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes-Bund der Antifaschisten, über die das hessische Landesamt für Verfassungsschutz in einer Eingabe an das Verwaltungsgericht Kassel zu seiner Verfolgung von Silvia Gingold am 7. Oktober 2016 rechtfertigend schrieb: „Die VVN-BdA nimmt (…) am politischen Meinungs- und Willensbildungsprozess mit dem Ziel teil, grundlegende Veränderungen des Systems in Richtung einer sozialistischen Grundordnung durchzusetzen. Die VVN-BdA beruft sich hierbei auf den Schwur der Häftlinge von Buchenwald. (…) Konkludent (schlussfolgernd interpretiert, B.T.) lehnt der Verband (…) die ‚kapitalistische‘, mithin freiheitlich-demokratische Grundordnung ab.(…) Leitmotiv des Verbandes ist der Schwur (…) von Buchenwald: ‚Die Vernichtung des Faschismus mit all seinen Wurzeln, der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.“

Anmerkung: Der Schriftsatz des Verfassungsschutzes kann im Original heruntergeladen werden.

Verfassungsschutz gegen die Verfassung

Hier sieht eine für den Schutz der Verfassung eingerichtete Institution in Sozialist/inn/en schon aufgrund ihrer Position Verfassungsgegner, da der Text ‚Kapitalismus‘ und ‚freiheitlich-demokratische Grundordnung‘ eins zu eins gleich setzt.

Wer gegen den Kapitalismus ist, ist gegen die Freiheit!

Zwar gibt es Artikel 15 Grundgesetz mit diesem Wortlaut: “Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz (…) in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.”

Das Grundgesetz legt Deutschland demnach mitnichten für alle Zeit auf den Kapitalismus fest.

Es ist an der Zeit, dass die, die die Demokratie und die Offenheit der Entwicklung unserer Gesellschaft aufrecht erhalten wollen, eine neue Bewegung gegen Sicherheits- und Notstandsgesetze schmieden, wie es 1966 in Frankfurt zustande kam. Nur dass wir Demokrat/inn/en einen längeren Atem brauchen. Den haben wir, solange wir atmen.

Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Textes.

KenFM bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Meinungsartikel und Gastbeiträge müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.


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