Sibirien in die EU – Noch vor oder erst nach Georgien?

Von Ulrich Gellermann.

Den weltweit bekanntesten Georgier, Josef Stalin, halten die meisten Menschen für einen Russen. Obwohl Stalin, der prägende Diktator der Sowjetunion, als Iosseb Bessarionis dse Dschughaschwili, unweit von Tiflis, der Hauptstadt Georgiens, geboren wurde. Diesem Georgien, mit kaum mehr Einwohnern als Berlin, aber mit noch größeren Problemen behaftet, will Frau Merkel nun den Weg in die Europäische Union ebnen. Jüngst hatte sie Besuch vom georgischen Ministerpräsidenten Giorgi Kwirikaschwili und schraubte sich diesen Satz aus den Mund: „Ich gehe davon aus, dass wir bei der Frage Visa-Liberalisierung für Bürgerinnen und Bürger aus Georgien zeitnah abstimmen können“. Die arme, NATO-geschädigte Frau. Hat die Türkei-Visa-Regelung noch am und im Hals, da will sie den nächsten Visums-Brocken schlucken. Ein Brocken, der aus dem Weg Georgiens in eine EU-Mitgliedschaft geräumt werden soll.

Wer viel Mut hat, der kann jederzeit in den Abgrund der Europäischen Union blicken: Selbst wenn die Briten für einen Verbleib in der EU plädieren sollten, ist die Union zumindest in Großbritannien lang anhaltend beschädigt. Die Zahl und der Einfluß rechtsbeschissener Parteien in der EU wächst und wächst: Polen scheint verloren, Österreich ist knapp an einem völkischen Präsidenten vorbeigeschrammt, über Ungarn mag der Mensch mit Verstand kaum reden, Präsident Hollande versucht vergeblich Frau Le Pen zu kopieren, die deutsche CDU schwankt noch zwischen AfD und CSU, wie Odyssos einst zwischen Skylla und Charybdis. Und fast überall im Staatenbündnis heißt es „Die Nationalfahne hoch- die Grenzen fest geschlossen“. Aber die Gier nach neuen Märkten, die wilde Lust an der Einkreisung Russlands, lässt die Mitgliedschaft Georgiens am vergifteten Himmel einer EU-Gemeinschaft aufschimmern, als sei es ein Hoffnungsschimmer. Hoffnung auf was?

Georgien ist ein Viel-Völker-, Viel-Sprachen-, Viel-Religionen-Staat: Über 26 unterschiedliche Volksgruppen leben dort. Neben den Georgiern finden sich Aserbaidschaner, Armenier, Russen, Osseten, Abchasen und wer sonst noch. Man spricht 26 Sprachen in dem kleinen Land. Auch wenn die Georgische Orthodoxe Apostelkirche gut genug für die Mehrheit der Georgier ist, gibt es noch die beiden islamischen Fraktionen (sunnitisch und schiitisch) und Katholiken und Protestanten im Staat. Traditionell spielen in solch multiethnischen Ländern die Familien eine große Rolle. Es gibt arabische Länder, die mit weniger Clan-Strukturen zufrieden sind als Georgien. Schon in der Sowjetunion kannte man die georgischen “Diebe im Gesetz“, die Mafia Georgiens. Später verwoben sich die traditionellen mafiösen Strukturen mit denen der neuen Oligarchie. Der aktuelle georgische Präsident gilt als Laufbursche des Oligarchen Bidsina Iwanischwili, ein Name, der sich in den Panama Papers in bester westlicher Gesellschaft findet.

Wie nebenbei hatte man 2014 auf dem NATO-Gipfel in Wales ein „Substantial NATO-Georgia Package“ geschürt, ein Päckchen mit genügend Sprengstoff, um die Schwarzmeer-Region bei Gelegenheit in die Luft zu jagen: Schulung georgischer Truppen durch US-Marines und nächste Schritte auf dem Weg Georgiens zur Nato-Integration waren drin. Unmittelbar nach dem Treffen in Wales reiste US-Verteidigungsminister Chuck Hagel nach Georgien. Zeitweilig waren 14 US-Schützenpanzer des Typs Bradley auf einem Betriebsausflug in Georgien. Chuck Hagel war es auch, der Georgien zum Mitglied der US-geführten Anti-IS-Koalition bestimmte. Und man darf nach dem Warum keinesfalls den Dauergrinser Frank-Middle-Initial-Steinmeier fragen, denn der würde nie verraten, dass die einstige Nummer Zwei des Islamischen Staates, Abu Omar al-Shishani, mit richtigem Namen Tarchan Batiraschwili, von 2007 bis 2010 in der georgischen Armee diente, in dieser Zeit von US-amerikanischen Militärausbildern trainiert wurde und Agent der georgischen Geheimdienste war.

Doch wie immer wenn die EU auf der Suche nach neuen Mitgliedern ist, geht es nicht nur um Geopolitik sondern um Geld, so viel Geld wie möglich. Gern auch in der Form von Rohstoffen. Seit das Joschka-Fisher-Madeleine-Albright-Projekt der Nabucco-Pipeline gescheitert ist, wird die Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline, vom aserbaidschanischen Baku ausgehend und im türkischen Ceyhan mündend, immer wichtiger: Sie soll dem Westen einen direkten Zugriff auf die Energieressourcen des kaspischen Raumes sichern – unter Umgehung russischen Territoriums versteht sich. Georgien, Aserbaidschan und die Türkei haben schon mal eine feine Militärallianz zum Schutz der Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline gegründet. So treffen sich Geopolitik und Ressourcensicherung im EU-Georgien-Fall auf das Schönste.

Aber warum sich mit dem kleinen Georgien begnügen, wo doch die 13,1 Millionen Quadratkilometer Sibiriens von der EU entdeckt werden wollen? Strategisch günstig zu Obamas bevorzugtem neuen Ziel China gelegen, hat Sibirien vom allem Rohstoffe und Rohstoffe und Rohstoffe: Erdgas und Erdöl, eine riesige Holzwirtschaft, Kohleförderung, Uranabbau und Diamant- wie Goldminen. Kann man das alles den Russen überlassen? Auch wenn die dort die Mehrheitsbevölkerung stellen: Es gibt jede Menge andere Völker in der Region, an deren Schutz die Europäische Union, angesichts der verlockenden wirtschaftlichen Möglichkeiten, sicher ein vitales Interesse haben könnte. Schon im August 2014 war ein „Marsch für eine Föderalisierung Sibiriens“ geplant. In einem BBC-Interview erklärte der Initiator des Marsches, es ginge um die „Frage nach der Zukunft Sibiriens“.

Das ist die Frage, die von NATO und EU immer und immer wieder gestellt wird: Ob in Libyen oder der Ukraine. Und sie wird immer gleich beantwortet: Die Zukunft der Völker kann nur im Freien Westen liegen, „zeitnah abgestimmt“, wie viele Tote diese Sorte Freiheit auch kosten mag.

 

 

Danke an den Autor für das Recht der Zweitverwertung.

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