Warum nun gerade nicht Ruhe, sondern Feiern Bürgerpflicht ist.
Ein Kommentar von Renate Reuther.
„Ruhe ist die erste Bürgerpflicht.“ Wir haben diesen Satz verinnerlicht bis zur Selbstverleugnung. Wir bleiben ruhig, selbst wenn man uns das halbe Leben wegnimmt: die selbstbestimmte Freizeit, die so wichtig ist für unser seelisches Wohlbefinden, die Grundlage unserer Gesundheit. Alles, was der Unterhaltung dient, soll wegen der Coronakrise in ganz Deutschland über den gesamten Zeitraum des Lockdowns untersagt werden (1). Gerade jetzt kommt das allgemeine Spaßverbot. Jetzt wäre es wieder losgegangen mit dem wilden Treiben: Halloween, Faschingsauftakt, Martinsumzüge, Weihnachtsmärkte …
Die Kanzlerin und ihre Vasallen in den Ländern möchten nichts mehr hören von Spaß, von Feiern und Sorglosigkeit. Das kennen wir schon. Seit der Christianisierung ist der Obrigkeit der Heidenspaß ein Dorn im Auge. Diese Rituale, die die Menschen seit Urzeiten durch die dunkle Zeit des Winters trugen, wurden verboten, umgedeutet, bis zur Unkenntlichkeit verbogen, schließlich auf ein Minimum reduziert. Ob sie wohl jetzt den Todesstoß erhalten?
Licht im Dunkel
Für unsere keltischen Vorfahren begann mit dem 1. November das Winterhalbjahr. Die Ernte war eingebracht, das Vieh gemästet. Dann standen die langen dunklen Nächte bevor mit all den Gefahren konkreter und magischer Art.
In den Nächten tauchten die Toten, Geister und Dämonen auf, drohten und forderten. Den unwillkommenen Besuchern bot man gedeckte Tische an, legte ihnen Speisen vor und Gestecke und zündete Lichter an. Man machte sich Mut durch wildes Feiern und Gelage, Um die Höfe zog man einen Bannkreis durch einen klingenden Umzug, um sich Nacht- und Seelenruhe zu verschaffen.
Man fürchtete das Wilde Heer in den Sturmnächten, die Wilde Bertha, die Perchten oder Wodan, der sich später als Nikolaus tarnte (2). Unser Dämon hat auch einen Namen. Wie viele Gottheiten ist er vielfältig und nicht ganz zu fassen: Virus, Corona, Covid … Nach Auskunft der Regierung liebt er den Alkohol und wilde Feiern, die Nähe und die Erotik — ganz so wie die Perchten und Fasnachtsgestalten.
Diesen Dämon sollen wir nicht durch lärmendes Umziehen vertreiben oder durch gemeinschaftlichen Genuss. Ab November herrscht Tanzverbot, wie nach der alten Kirchenregel: Sankt Kathrein (25. November) stellt‘s Tanzen ein. Die Vorgabe, ganz wie früher: Besinnlichkeit im Familienkreis, zuhause in der Stube. Die stade Zeit! (3).
Verbot als Ritual
Die uralten Verbotsrituale mit Kontaktsperre, Alkohol- und Tanzverbot haben tausend Jahre lang nur teilweise gefruchtet. Wer glaubt, dass sie sich diesmal durchsetzen lassen, hat sich bereits kampflos ergeben.
Wird der herbstliche Lockdown in der dunklen, kalten Jahreszeit genauso ein Ritual werden wie Allerheiligen, Allerseelen und Totensonntag? Der erste Lockdown hat das Virus nicht besiegt, aber die Obrigkeit beharrt auf die Wiederholung des Ergebenheitsrituals.
Anscheinend kann man es Erwachsenen nicht mehr zutrauen, dass sie sich auf einen Kaffee treffen, im Restaurant zum Essen zwei Gläser Wein trinken oder in der Kneipe mit Freunden ein paar Bier. Zu gefährlich, denn die Herrschenden rechnen ständig mit Ausbrüchen des Frohsinns und der Erotik, mit zügellosen Feiern und anhaltenden Besäufnissen.
In alter Vorzeit haben wir uns im Angesicht des Todes und der Winterzeit tatsächlich so aufgeführt. Inzwischen sind wir längst zivilisiert und manierlich, vorschriftsmäßig unauffällig. Oder etwa nicht?
Unsere Obrigkeit hingegen, so merkt man jetzt, hält fest an ihrem Menschenbild von den wilden Heiden, die man am Zügel oder unter der Knute halten muss. Deshalb mahnt die Kanzlerin: Ihr müsst jetzt ganz brav sein, sonst fällt Weihnachten aus und es gibt keine Geschenke (4).
Wildheit als Protest
Unsere Vorfahren beharrten trotz der Verbote auf ihre tröstlichen Winterrituale, mit zügellosem Lebensgenuss in einem meist tristen Umfeld aus Arbeit und Not. Auch so kann Widerstand aussehen.
Diese scheinbar triebhafte Wildheit mochte politische Gegenwehr sein, aber wer hätte es nachweisen können? Wenn der wilde Umzug vom Heiligen Nikolaus angeführt wurde oder von St. Martin, wer wollte ihn verbieten?
Herrscher und Untertanen sind unsicher, wer bei diesem Machtkampf die Oberhand behalten wird. Deshalb tun beide so, als sei alles in Ordnung. Deshalb spielen wir mit. Wir durchschauen die Lügen vom Killervirus, vom Gesundheitsschutz zu unserem Besten, vom ewigen Lockdown, der nur eine Ausnahme darstellt.
Aber wir reißen den Herrschenden die Maske nicht vom Gesicht. Wir heucheln Zustimmung. Dabei wissen wir es längst besser.
Wir sind als Gesellschaft ruhiger geworden. Wir sitzen viel. Es drängt uns nicht nach draußen auf die Straße, seit wir Licht im Haus haben und Musik und bewegte Bilder. Welche Dämonen brauchen wir noch zu fürchten?
Den Tod glaubten wir überwunden, ob durch das Christentum oder die Medizin. Und nun ist er wieder da. Er ist der Einpeitscher für die Phrasen unserer machthungrigen Herrscher. Die dunkle Macht greift wieder nach uns, mitten im Leben.
Trost und Hoffnung
Trotz Heerscharen von Wissenschaftlern und einer durchsetzungsstarken Regierung sind wir angeblich ohnmächtig. In unserer Hilflosigkeit und Desorientierung werden wir unversehens wieder zu Kindern, die sich im Dunkeln fürchten. Unsere Regierung reicht uns ihre helfende Hand. Dafür nimmt sie unsere Grundrechte, unser Erspartes in den Versicherungen und im Staatshaushalt. Sie nimmt uns sogar die einfachsten Lebensgrundlagen, wie frische Atemluft und menschliches Miteinander. Sie nimmt uns den Alltag und die Feste.
Die alten Rituale gaben den Menschen immer schon Halt in schweren Zeiten. Früher war jeder Winter eine schwere Zeit, ein Kampf zwischen den Kräften des Lebens und des Todes.
Von alters her ordnete die Kirche vor Weihnachten vierzig Tage Fasten und Bußübungen an. Dahin werden wir zurückgedrängt. Unsere Regierung wirft uns Leichtsinn vor und Sorglosigkeit. Das sollen wir büßen. Wir werden ins Abseits gedrängt, sollen verstummen und still verzweifeln.
Trost könnten wir finden in den überlieferten Feierritualen unserer Vorfahren. Umzüge, gemeinsame Gelage, Singen und Tanzen wurden fast tausend Jahre lang bis ins 19. Jahrhundert regelmäßig verboten. Genauso regelmäßig wurden die Verbote ignoriert, umgangen und unterlaufen, sonst hätte man sie nicht immer wieder erneuern müssen (5).
Aus diesem Beharren können wir Hoffnung schöpfen. Unsere Vorfahren wussten, was in der dunklen Jahreszeit guttut, und so gab es jedes Jahr wieder Glühwein mit Lebkuchen, Maskenbälle und Sternsingen. Wenn wir schon wie unmündige Kinder behandelt werden, dürfen wir auch trotzig sein: Wir wollen unsere Winterfeiern behalten.
Feiern ist Bürgerpflicht!
Quellen und Anmerkungen:
- Das ist verboten, das ist erlaubt — diese Corona-Regeln gelten ab Montag, welt.de, 29. Oktober 2020.
- Renate Reuther, Enthüllungen über Holle, Percht und Christkind, Leipzig 2017, Seite 35 folgende.
- Rolf App: Und in der Mitte steht immer der Teufel
- Pressestunde vom 2. November 2020, laut Bild vom 3. November 2020.
- https://www.youtube.com/watch?v=TAoJ8GiXEjw
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Danke an die Autorin für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Dieser Beitrag erschien zuerst am 12. November 2020 bei Rubikon
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Hinweis zum Rubikon-Beitrag: Der nachfolgende Text erschien zuerst im „Rubikon – Magazin für die kritische Masse“, in dessen Beirat unter anderem Daniele Ganser und Rainer Mausfeld aktiv sind. Da die Veröffentlichung unter freier Lizenz (Creative Commons) erfolgte, übernimmt KenFM diesen Text in der Zweitverwertung und weist explizit darauf hin, dass auch der Rubikon auf Spenden angewiesen ist und Unterstützung braucht. Wir brauchen viele alternative Medien!
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Bildquelle: Kamil Macniak/ shutterstock
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