Tagesdosis 16.11.2018 – Robin Hood 2.0 (Podcast)

Der französische Abgeordnete François Ruffin kämpft gegen die Oligarchie.

Ein Kommentar von Elisa Gratias.

In Frankreich wird Luxus groß geschrieben. Und mit vier Buchstaben: LVMH. Die Gruppe umfasst Marken wie Louis Vuitton, Moët Hennessy, Kenzo, Dior, Loewe und viele mehr. Ihr Haupteigentümer und Präsident ist seit 1989 Bernard Arnault, einer der reichsten Männer der Welt — ein Multimilliardär.

Einer seiner größten Fans heißt François Ruffin. Er trägt T-Shirts und Baseballkappen mit dem Spruch „I love Bernard“. Selbst sein Transporter, mit dem er in seinem Dokumentarfilm „Merci, Patron!“ (zu deutsch: Danke, Chef!) durch die französische Landschaft fährt, trägt die Liebesbotschaft in die Welt hinaus (2).

Ruffins Mission ist Versöhnung. Die Versöhnung zwischen einem arbeitslosen Ehepaar und ihrem ehemaligen Arbeitgeber, Bernard Arnault. Das Unterfangen klappt nicht wirklich. Oder besser gesagt: nur von Seiten der früheren Arbeiter her, die am Ende des Films alle stolz ihr eigenes „I love Bernard!“-T-Shirt tragen, während sie auf ihren kleinen Triumph anstoßen.

Bernard Arnault dürfte weniger begeistert sein. Denn das Image seines Imperiums erleidet durch den Film im Michael-Moore-Stil so einige Kratzer.

Dafür war ich umso begeisterter, als meine französische Freundin Coralie mir von François Ruffin, seiner Satire-Zeitung Fakir und seinem Film erzählte. Und erst recht, nachdem ich die Zeitung gelesen, den Film gesehen und im Internet über ihn recherchiert hatte. Denn in Wirklichkeit ist François Ruffin wohl einer der gefährlichsten Feinde von Bernard Arnault und seinesgleichen. Mit Verstand, Courage und Humor macht er die französischen Medien und das Parlament unsicher.

So trifft er im April 2017 in der Sendung „L’inattendu“ auf France 2 auf den damaligen Präsidentschaftskandidaten Emmanuel Macron. Die zwei Männer kennen sich. Sie wuchsen beide in Amiens auf und gingen auf dieselbe Schule. „Und das war es auch schon“, was die Gemeinsamkeiten anbelangt, schiebt François Ruffin sofort nach (3). Vor laufender Kamera wundert er sich in der Live-Sendung, dass die Worte „Bank“, „CEO“ oder „Spekulation“ im Programm des Präsidentschaftskandidaten nicht ein einziges Mal vorkommen, und fragt Emmanuel Macron herausfordernd:

„Wem nutzt der Kandidat Macron?“

Kurz darauf kramt er ein paar Schecks hervor, in Frankreich sind Schecks noch immer ein gängiges Zahlungsmittel. Auch ich habe noch ein Scheckbuch zu meinem französischen Konto. Einer der Schecks ist mit 22 Milliarden — 22.000.000.000 — Euro beziffert und an die größten französischen Unternehmen (4) adressiert.

Er zeigt die Summe, die von der Regierung investiert wurde, um Arbeitsplätze zu sichern. Laut dem Bericht „Rapport France Stratégie“ diente diese Investition jedoch zu 50 Prozent den Großunternehmen und schuf oder sicherte letzten Endes nur wenige Arbeitsplätze. Geld, das man besser hätte investieren können.

Den letzten Scheck, den Ruffin dabei hat, soll Macron selbst ausfüllen. Er ist an die CAC 40 adressiert, die führenden französischen Aktiengesellschaften. „Wie viel werden Sie den CAC 40 schenken, wenn Sie an der Macht sind?“, fragt der forsche Journalist den künftigen Präsidenten. Dieser antwortet ausweichend, dass er genauso frei sei, wie Ruffin, und wisse, wie man nein sage. Aha.

Vor ein paar Wochen erhielt ich die neue Ausgabe der Zeitung „Fakir“, die François Ruffin, dank vieler ehrenamtlicher Helfer, herausgibt und zum Großteil selbst schreibt. Da war er wieder, der Scheck an die CAC 40. Dieses Mal ausgefüllt von Fakir: 34.887.000.000 Euro (5). Die Redaktion listet ihre Rechnung genau auf und erwähnt im Vergleich dazu die Investitionen für den Plan gegen die Armut: 8 Milliarden Euro.

Doch Ruffin ist nicht nur Herausgeber von Fakir und Filmemacher, er ist auch Abgeordneter für das Département Somme in der Nationalversammlung, von der er im Fakir hautnah und äußerst unterhaltsam berichtet; ein authentischer Blick in das Leben der Politik.

„Ich verspreche euch nicht das Blaue vom Himmel, aber gegenüber den Machtinhabern verpflichte ich mich dazu: nicht zu buckeln, sondern aufrecht zu stehen“ (6).

Genau das tut er, während Sie sich vielleicht nach dreizehn Absätzen noch immer fragen, was ich zuvor mit dem „Triumph für die arbeitslose Familie“ meinte. Ich kann nur so viel verraten: Das Ehepaar Jocelyn und Serge Klur erpressen LVMH. Sie drohen, sich an mehrere Zeitungen zu wenden, ihr Schicksal nach ihrer Entlassung öffentlich zu machen und zu enthüllen, dass Bertrand Arnault sein Versprechen, Arbeitsplätze an den französischen Standorten zu retten, nie gehalten hat. Ein Mitarbeiter des Großunternehmens besucht sie und verspricht ihnen die geforderten 35.000 Euro, wenn sie unterschreiben, niemals mit der Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen.

Am meisten Angst habe er vor Fakir und François Ruffin, sagt er selbst im Film — zu Recht!

Am besten, Sie sehen sich „Merci, Patron!“ selbst an, schließlich möchte ich hier nicht die Pointe verderben. Der Film ist bisher nur auf Französisch mit englischen Untertiteln erhältlich. Inzwischen erschien er auch in Italien, Spanien, Kanada und Mexiko sowie auf dem französischen Sender Canal+ und wurde mit dem César für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet.

Ruffin ist ein Journalist und Politiker mit Rückgrat. Mit Integrität. Er kämpft mit seinen Mitteln — Journalismus, Aktivismus und Humor — für eine gerechtere Welt. Menschen wie er machen mir Hoffnung. Wo sind unsere Ruffins in Deutschland? Vielleicht gibt es sie auch bei uns und diese französische Geschichte ermutigt sie zu Ähnlichem?

Filmtrailer:



Quellen und Anmerkungen:

  1. https://www.youtube.com/watch?v=sVBNxwkQ8os
  2. Trailer mit englischen Untertiteln: https://www.youtube.com/watch?v=ch0HsuYu_TI
  3. Sendung „L’inattendu“ auf France 2 vom 6. April 2017: https://www.youtube.com/watch?v=8hZKVT64FyE
  4. Auf dem Scheck steht als Empfänger CICE, Crédit d’impôt pour la compétitivité et l’emploi, dt. Steuerkredit für Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze.
  5. https://www.facebook.com/sudeducation63/photos/a.738616382996819/954780084713780/?type=3
  6. https://francoisruffin.fr/ (Slogan auf der Startseite)

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Dieser Beitrag erschien am 15.11.2018 bei Rubikon – Magazin für die kritische Masse

Hinweis zum Rubikon-Beitrag: Der Text erschien zuerst im „Rubikon – Magazin für die kritische Masse“, in dessen Beirat unter anderem Daniele Ganser und Rainer Mausfeld aktiv sind. Da die Veröffentlichung unter freier Lizenz (Creative Commons) erfolgte, übernimmt KenFM diesen Text in der Zweitverwertung und weist explizit darauf hin, dass auch der Rubikon auf Spenden angewiesen ist und Unterstützung braucht. Wir brauchen viele alternative Medien!

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