Rekordstand des US-Börsenindex Dow Jones | Von Rainer Rupp

Ein Zeichen für die Widerstandsfähigkeit der US-Wirtschaft oder ihres Untergangs?

Ein Kommentar von Rainer Rupp.

Am Mittwoch dieser Woche hat der Leitindex der US-Börse, der Dow Jones Industrial Average, die schwindelerregende Rekordmarke von 30.000 Punkten übersprungen. Man sollte meinen, dass historische Höchststände der Börsen etwas mit boomender Wirtschaft, Vollbeschäftigung, guten Einkommen und lebhaftem Konsum zu tun haben, verbunden mit außerordentlich positiven Aussichten für die politische, wirtschaftliche und soziale Stabilität. In einem früheren Leben, als noch nicht alles auf dem Kopf stand, so wie heute, war das mal so.

Noch vor kurzem galt die 30.000 Marke für den US-Leitindex als unerreichbar. Das lässt bei den Finanzjongleuren an der Wallstreet und den „Ein-Prozentern“ die Champagnerkorken knallen. Die Superreichen sind noch mal ein Stück superreicher geworden, obwohl die US-Wirtschaft erneut im Abwärtstrend liegt, die hohen Arbeitslosenzahlen weiter ansteigen, die durch Corona-Zuschüsse verdeckte Arbeitslosigkeit enorm ist und die Plage des Hungers sich im ganzen Land wie eine Epidemie von den Ärmsten in die einstige Mittelschicht der Bevölkerung ausbreitet.

So gut wie in allen US-Bundesstaaten gehören inzwischen endlose Warteschlangen vor Suppenküchen und Ausgabestellen von kostenlosen Lebensmitteln zum Alltag. Die meisten werden von religiösen und weltlichen Nichtregierungsorganisationen finanziert. Zugleich sind die Aussichten auf eine wirtschaftliche Verbesserung der Lage angesichts der zunehmenden aber je nach Bundesstaat unterschiedlichen Lockdown-Maßnahmen alles andere als rosig. Das geschieht vor dem Hintergrund der aufrührerischen und brandschatzenden Aktionen von „Black Lives Matter“ und „antifa“ einerseits und den Auftritten der schwer bewaffneten konservativen und teils rechtsradikalen Milizen andererseits.

Erschwerend für den inneren Frieden in den USA kommt der umstrittene Ausgang der Präsidentschaftswahl hinzu. Dabei geht die republikanische Hälfte der US-Wähler inzwischen fest davon fest aus, dass der Sieg von Joe Biden nur durch massiven Wahlbetrug ermöglicht worden ist. Auch diese Entwicklung hat das Zeug, die Polarisierung beider Seiten weiter zu radikalisieren. Zusammen mit der sich weiter rapide vertiefenden Kluft zwischen der kleinen Zahl der sehr Reichen und der großen Zahl der sehr Armen verheißen die oben genannten Faktoren nichts Gutes für die politische und soziale Stabilität in den USA in den nächsten Jahren, egal unter welchem Präsidenten.

Aber wie kommt es, dass vor diesem düsteren sozio-ökonomischen US-Ausblick der Dow Jones die Rekordmarke von 30.000 durchbrochen hat? Diese anscheinend paradoxe Entwicklung ist Teil der menschenfeindlichen Logik des aus den Fugen geratenen Finanzsystems, das nicht nur in den USA sondern uns alle regiert. Sogar der einstige Bundespräsident Horst Köhler (CDU), der von 2004 bis zu seinem Rücktritt 2010 das höchste politische Amt in Deutschland bekleidete, hatte mitten in der Bankenkrise 2008, als ehemaliger Chef des Internationalen Währungsfonds in einer öffentlichen Rede erklärt, “Die Finanzmärkte sind zu einem Monster geworden (1)“ Und diese Monster seien „wild“ geworden (2). Von der Politik forderte er Solidarität statt blanken Kapitalismus.

Bundespräsident Horst Köhler wusste wovon er sprach, denn in der Zeit von 2000 bis 2004 war er geschäftsführender Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington gewesen und hatte erstklassigen Einblick in die Vereinigung der transnationalen Monster bekommen, die den menschlichen Gesellschaften rund um den Globus das Lebenselixier aus den Adern saugen.

Seine offene und vernichtende Kritik der geheiligten liberalen Märkte, deren Fundament die neoliberalen Finanzmarktmonster sind, wurde von den Mächtigen in unserem Land als total abwegig empfunden. So jemand wie er gehörte nicht in das hohe Amt. Schritt für Schritt wurde Köhler in den Medien demontiert, als naiver Dummkopf hingestellt, nicht mehr für Reden eingeladen, in der feinen Gesellschaft wurden Witze über ihn verbreitet, in seinem Privatleben wurde nach Dreck gesucht. Die Hetze war erst vorüber, als Köhler es nicht länger aushielt und vorzeitig abdankte. Ähnlich erging es übrigens einem weiteren Bundespräsidenten, nämlich Köhlers Nachfolger Christian Wulff (CDU).

Mitten in der Finanzkrise am 24. August 2011 kritisierte Bundespräsident Christian Wulff im Rahmen einer Rede in Lindau in überraschend scharfer Form die regelmäßigen Euro-Rettungsschirme. Er sagte: „Wer die Folgen geplatzter Spekulationsblasen allein mit Geld und Garantien zu mildern” versuche, der handle “nach dem Motto: Nach mir die Sintflut”. Konkrete Pläne, solche Rettungsschirme durch die Verweigerung seiner Unterschrift zu stoppen, ließ der Bundespräsident danach allerdings – zumindest in der Öffentlichkeit – nicht erkennen. Dennoch war das für die feinen Herrschaften der Finanzoligarchie, die unter dem Namen Bundesrepublik Deutschland firmiert nicht länger hinnehmbar.

Um ein Exempel für alle zukünftigen Bundespräsidenten und Politiker zu statuieren wurde Christian Wulff systematisch noch brutaler öffentlich gedemütigt als zuvor Köhler; selbst die Vergangenheit seiner Ehefrau wurde von den schmierigen, selbsternannten „Qualitätsmedien“ genüsslich in den Dreck gezogen. Das änderte sich erst als Wulff am 17. Februar 2012 seinen Rücktritt erklärt und das höchste Amt im Staat für den willfährigen Pfaffen Joachim Gauck frei machte. Eine kurze, prägnante Darstellung der Ereignisse damals gibt es bei Heise/Telepolis über diesen Link.

Die der Bevölkerung erzählte alternativlose Notwendigkeit der sogenannten solidarischen Rettungspakete mit gigantischen Summen für die hochverschuldeten PIIGS der EU, nämlich Portugal, Italien, Irland, Griechenland und Spanien war ein Etikettenschwindel. Denn die breiten Schichten der Bevölkerung dieser Länder, die in den wenigen Jahren seit Beginn der Krise total verarmt waren, haben von den Rettungsgeldern nichts gesehen.

Tatsächlich waren die Rettungspakete ausschließlich dazu da, die Schulden der PIIGS-Länder bei den großen internationalen Banken zu zahlen, die sich verzockt hatten und unvorsichtig den PIIGS viel zu viele (faule) Kredite gegeben hatten, die diese nicht mehr zurückzahlen konnten. Diese faulen Kredite sollten jetzt durch die reicheren EU-Länder beglichen werden und zwar mit allerlei Finanzierungsinstrumenten. Der deutsche Anteil an diesen neuen Schulden, für die letztlich der deutsche Steuerzahler zur Kasse gebeten werden wird, liegt bei etwas unter 30 Prozent.

Bei der elektronischen Überweisung der Rettungspakete gingen die Gelder für eine theoretischen Sekunde über die Zentralbanken der PIIGS-Länder, um dann direkt an die Großbanken weiter transferiert zu werden. Denn ohne diese Rettungspakete wäre das Zockersystem der angeblich „System relevanten“ globalen Geldhäuser in Schieflage gekommen und womöglich bankrott gegangen. Insgesamt hat auch der deutsche Staat zur Rettung des Bankensystems, dessen Gewinne privatisiert und dessen Verluste der Bevölkerung aufgebürdet werden, sich massiv verschuldet;    nur um in den anschließenden Jahren eine rigide Sparpolitik zu betreiben, wobei vor allem die Ausgaben für Bildung, öffentliche Infrastruktur und Soziales zusammengestrichen aber die Einkommen der Parlamentarier erhöht wurden. So haben wir heute ein Land, das nicht nur politisch zunehmend einer Bananenrepublik gleicht, sondern auch ein Gesellschaft mit baufälligen Brücken, mit einem maroden Straßensystem, eine dysfunktionale Deutsche Bahn, verfallende Schulen und ein ins Koma gespartes Gesundheitssystem.

Als all das noch hätte abgewendet werden können, zu Beginn der Bankenkrise im Jahre 2008 hatte Bundespräsident Horst Köhler Solidarität statt blanken Kapitalismus gefordert und unterstrichen, dass „die Banken sich in einer Form konsolidieren sollten, dass wir uns wieder auf sie verlassen können“. Mit anderen Worten, er forderte die Banken auf, ihre höchst risikoreichen aber sehr lukrativen Zockeraktivitäten im globalen Finanzspielkasino einzustellen und zu den altbewährten Funktionen der Banken zurück zu kehren, nämlich der Unterstützung der produktiven Branchen der realen Wirtschaft. Seine mahnenden Worte verklangen ungehört.

Vielmehr ist rückblickend festzustellen, dass seit dem Beginn des Börsenkrachs und der Finanzkrise von 2007/2009 keine Maßnahmen getroffen wurden, um die tiefen strukturellen Probleme des westlichen Finanzsystems zu mildern. Stattdessen sind die Gelddruckmaschinen der US-Zentralbank und in etwas geringerem Masse die der Europäischen Zentralbank immer schneller gelaufen. Mit immer neuen und größeren Rettungsaktionen wird das Finanzsystem in immer kürzeren Abständen mit immer größeren Liquiditätsinjektionen der Zentralbanken vor dem endgültigen Zusammenbruch bewahrt.

Im letzten Quartal 2019 hatte sich – von der Öffentlichkeit unbemerkt – die Situation im US-Bankensystem – und damit auch im Rest des Westens – wieder dramatisch zugespitzt und Anfang März 2020 einen Höhepunkt erreicht. Bis Ende Dezember 2019 hatte sich im US-Finanzsystem ein sehr zuverlässiger Trend herausgebildet: Egal, was irgendwo auf der Welt an negativen politischen, wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Ereignissen passierte, wie z.B. die neue US-Iran-Krise, die leicht in einen Krieg hätte einmünden können, egal was passierte, die US-Finanzmärkte blieben davon unbeeindruckt. Die Kurse gingen weiter nach oben, komme was wolle! Warum?

Der Grund dafür liegt darin, dass die nächtlichen Emergency (Notfall) Repo Operationen der US-Zentralbank (Fed) zur Unterstützung der Liquidität des Bankensystems geworden war. Zuletzt war das Instrument dieser Notfall Repo Operationen im Jahr 2008 zum Höhepunkt der Bankenkrise einige wenige Male eingesetzt worden. Aber diesmal war es so, dass die Ausnahmemaßnahme bereits wenige Wochen nach ihrer erneuten Einführung Mitte Oktober 2019 bereits im November zum nächtlichen Regelfall geworden war. Die all-nächtlichen Liquiditätsspritzen der Fed beliefen sich erst auf 60 Milliarden Dollar, um bis Ende Dezember 2020 auf 180 Milliarden zu steigen. Sie waren so sicher, wie der Sonnenaufgang am Morgen und die Finanzjongleure konnten bei ihren Operationen fest damit rechnen.

Diese täglichen Liquiditätsspritzen der US-Zentralbank Fed hatten das Ziel, die Tagesgeldzinsen künstlich niedrig zu halten und die steigende Nachfrage der Banken nach Liquidität zu befriedigen (3). Die anfangs als vorübergehend beschriebene Liquiditätskrise war „offenbar dauerhaft geworden“, schrieb Mitte Januar 2020 der Finanzblogger Northmantrader (4). Dennoch begannen Anfang 2020 die Kurse an der Wallstreet einzubrechen. Unter dem Eindruck des sich ausbreitenden Coronavirus beschleunigte sich der Kurseinbruch an den Finanzmärkten, obwohl in manchen Nächten die Fed bis zu 500 Milliarden Dollar in das System pumpte.

Und dann aber kamen die ersten Corona-Hilfspakete in Dimension, die alle bisherigen Rettungsaktionen in den Schatten stellten und die Krise im Finanzsystem erneut überdeckten. Ab Anfang März begannen dann die Aktienkurse vollkommen losgelöst von der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Realität in den USA unaufhaltsam zu steigen, um aktuell neue Rekordmarken zu brechen. In Deutschland sieht das Bild ähnlich aus.

Je länger die Finanzwirtschaft des Wertewestens weitgehend losgelöst von der realen Wirtschaft operiert, desto schlimmer werden die darunter liegenden Probleme und umso katastrophaler wird der Zusammenbruch sein, der auch durch Billionen-Dollar von „frischem“ Geld auf Dauer nicht abgewendet werden kann. Damit die Kurse an den Börsen nicht erneut einbrechen, bedarf es immer größerer Beträge Dollar, Euro, Pfund oder Yen, mit denen die Zentralbanken die Finanzinstitute liquide halten. So meldete z.B. „Barron‘s“ – eine Blatt, das zur Pflichtlektüre an der Wall Street gehört – am Mittwoch den 25. November, dass der Dow Jones Rekordstand von über 30.000 Punkten nur auf Grund der auf 14 Billionen (US-Trillion) Dollar angeschwollenen globalen Liquidität ermöglicht wurde.

Von dieser Explosion der Geldvermehrung profitieren vor allen anderen die Aktienbesitzer und die Finanzbranche. In der zweiten Reihe hilft diese Entwicklung u.a. den Versicherungen aber auch privaten Pensionsfonds, die in Aktien investiert haben oder den Märkten für Luxusgüter und -immobilien. Für die Regierungspolitiker jeglicher Couleur ist das von großer Bedeutung, denn es hält genau die Leute bei guter Laune, die die eigentliche Macht im Staat haben und für die die Politiker die Regierung stellen. Bei der breiten Masse der Bevölkerung kommt von diesen Unsummen wenig oder gar nichts an.

Denn das Geld, das die Zentralbanken in das Finanzsystem pumpen, wird nicht etwa für Investitionen in die darniederliegende, reale Wirtschaft genutzt, in der reale Sachen und Dienstleistungen produziert werden und Arbeitsplätze auch für Leute geschaffen werden, die keine Computerexperten sind. Nein, das Geld wird fast ausschließlich für Finanztransaktionen genutzt, um aus Geld noch mehr Geld zu machen. Das aber ist realwirtschaftlich höchst unproduktiv. Zudem ist es eine gefährliche Entwicklung für die Volkswirtschaft insgesamt, denn wenn es risikoärmer und auch einfacher ist, in einem von der Zentralbank gegen Kurseinbrüche abgesicherten Finanzmarkt mit quasi zinsfreiem Geld sehr viel mehr Geld zu machen, warum soll dann noch jemand in die reale Wirtschaft investieren, z.B. in eine Fabrik mit all ihren Personalproblemen, geschäftlichen Unsicherheiten und wo zu allem Überfluss Die Zinsen für Geschäftskredite weitaus höhere sind als die für Finanzgeschäfte.

Dieses dekadente System hat selbst mit dem klassischen Kapitalismus und seiner Marktwirtschaft nichts mehr gemein, sondern die Finanzbranche besteht aus einer reinen Cliquen-Wirtschaft mit einer Scheindemokratie als Fassade, regiert von den Reichen, durch die Reichen für die Reichen. Das ist der Pfad in den wirtschaftlichen Untergang. Selbst das bereits erwähnte Wall Street Blatt „Barron’s“ wunderte sich (5), jüngst und fragte, ob die erstmalige Durchbrechung der 30.000 Marke durch den Dow Jones „angesichts der globalen Unsicherheit infolge der Pandemie ein Beweis für die Stärke der amerikanischen Wirtschaft ist? Oder ob dies nur die Macht der US-Notenbank widerspiegelt, Vermögenswerte zu manipulieren?“ Darin läge ein großer Unterschied, fährt Barron’s fort, denn „die eine Version erzählt eine Geschichte über die Widerstandsfähigkeit der US-Wirtschaft. Die andere erzählt eine Geschichte über ihren Untergang.“

Quellen:

  1. https://www.stern.de/politik/deutschland/horst-koehler–die-finanzmaerkte-sind-zu-einem-monster-geworden–3853378.html
  2. https://www.sueddeutsche.de/geld/bankenkontrolle-die-monster-sind-wild-1.48603
  3. https://www.wsj.com/articles/fed-adds-82-billion-to-financial-markets-11579016506?mod=e2twcb
  4. https://northmantrader.com/2020/01/14/repo-lightening/
  5. https://gsiexchange.com/14-trillion-floods-market-in-global-liquidity-dow-tops-30k/

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bildquelle: photocosmos1/ shutterstock

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