Die Palästinensische Autonomiebehörde: Vertretung der Palästinenser/innen oder Instrument Israels?

von Petra Wild.

„Die Palästinensische Autonomiebehörde repräsentiert nicht länger unsere Träume und Ambitionen. Wir dachten, sie würde uns Gerechtigkeit, Frieden und Rechte bringen, aber sie hat alles verschwendet.“ (Monsignor Manuel Musallam)[1]

Trotz des fortlaufenden Scheiterns der Verhandlungen zwischen Israel und der PLO über 25 Jahre, gibt es hierzulande noch immer eine beachtliche Anzahl von Menschen, die weiterhin an die Realisierbarkeit einer Zwei-Staaten-Lösung glaubt. Das liegt vor allem daran, dass sie sich Illusionen über die 1993 unterzeichneten Oslo-Abkommen und den darauf folgenden Oslo-Prozess machen.

Die Friedensverhandlungen zwischen Israel und der PLO, die direkt nach dem ersten Irak-Krieg 1991 unter der Schirmherrschaft der USA begonnen hatten, wiesen von Anfang an gravierende Mängel auf. Sie wurden unter Ausklammerung der von der UNO garantierten Rechte der palästinensischen Gesamtbevölkerung – primär das Recht auf Rückkehr und Entschädigung sowie auf Selbstbestimmung – geführt und sie fanden zu einem Zeitpunkt statt, an dem die PLO so schwach war wie zu kaum einem anderen Zeitpunkt in ihrer Geschichte. Die USA fungierten in den Verhandlungen nicht als neutraler Vermittler, sondern standen parteiisch an der Seite Israels. Dieses Kräfteverhältnis prägte den Ausgang der Verhandlungen. Die PLO erkannte das Existenzrecht Israels an, Israel erkannte lediglich die PLO als Vertretung der Palästinenser an. Die Verhandlungen zielten nicht auf Frieden, sondern auf die Befriedung der Palästinenser/innen in der Westbank und dem Gaza-Streifen, die sich seit 1987 im Aufstand befanden.

Es wurde vereinbart, dass sich Israel schrittweise aus den palästinensischen Städten zurückzieht und die Kontrolle dort der PLO übergibt. Zur Verwaltung der palästinensischen Angelegenheiten wurde 1994 die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) gegründet. 1995 wurde die Westbank im Oslo II-Abkommen in drei Zonen aufgeteilt: In Zone A (18%) bekam die PA die vollständige zivile – und Sicherheitskontrolle übertragen, in Zone B (20%) war die PA für die zivile Verwaltung zuständig und Israel für die Sicherheit, in Zone C (62 %) behielt Israel die vollständige Kontrolle. Die PLO und internationale Unterstützer des Verhandlungsprozesses gingen davon aus, dass innerhalb von fünf Jahren ein palästinensischer Staat in der Westbank und dem Gaza-Streifen entstehen würde. Doch Israel verfolgte ein anderes Ziel. Es hatte sich durch die Verhandlungen erfolgreich der Verantwortung für die einheimische Bevölkerung entledigt, aber den größten Teil von deren Land behalten. Das war genau das, was es beabsichtigt hatte. Einen palästinensischen Staat war es nicht bereit, zu akzeptieren. Ministerpräsident Jitzak Rabin, der hier noch immer als Friedensheld gilt, erklärte, dass die Palästinenser/innen etwas mehr als Autonomie, aber weniger als einen Staat bekommen würden.

Israel fror den Verhandlungsprozess nach der Aufteilung der Westbank in den Oslo II-Abkommen mehr oder weniger ein. In Zone C – dem Teil der Westbank mit der geringsten palästinensischen Bevölkerungsdichte – intensivierte es in beispielloser Weise den Siedlungsbau, um dadurch Fakten zu schaffen und auszuschließen, dass dieses Gebiet, jemals an die einheimische Bevölkerung zurückgegeben wird.

Die Frustration der Palästinenser/innen über den Verlauf des Friedensprozesses und der anhaltende Landraub führten schließlich zum Ausbruch der 2.Intifada im Herbst 2000. Um diese niederzuschlagen, intervenierte Israel im Frühjahr 2002 militärisch in die Städte der Westbank. Damit war nicht nur der Oslo-Prozess zu Ende, sondern auch die darin festgelegten Arrangements hinfällig. In den folgenden Jahren gab es unter Führung der USA wiederholt Versuche, den „Friedensprozess“ wiederzubeleben, aber es ging dabei immer mehr um die Sicherheit Israels als um die Rechte der Palästinenser/innen. Wie stark die USA im Interesse Israels in die innerpalästinensischen Angelegenheiten eingriff, zeigte sich 2003, als sie durchsetzten, dass Mahmoud Abbas, der als Architekt der Oslo-Abkommen gilt und Israels Favorit war, von Jassir Arafat, dem Präsidenten der Autonomiebehörde, zu seinem Stellvertreter ernannt wird. Als Arafat unter ungeklärten Umständen kurz darauf verstarb, übernahm Abbas das Ruder und begann, aus der Autonomiebehörde genau das Instrument Israels machen, das der siedlerkolonialistische Staat und sein engster Verbündeter, die USA, von Anfang gewollt hatten.

Als die Hamas, die gegen die Oslo-Abkommen und die Anerkennung Israels ist, 2006 die Parlamentswahlen gewann, initiierte das US State Department ein Destabiliserungsprogramm zum Sturz dieser demokratisch gewählten Regierung. Ausgeführt wurde es vom Sicherheitsapparat der Autonomiebehörde, der in der Hand der al-Fatah war, die seit der Unterzeichnung der Oslo-Abkommen in den 1967 besetzten Gebieten regiert hatte. Nachdem die Hamas einen Umsturzversuch des PA-Sicherheitsapparates im Gaza-Streifen im Sommer 2007 vereitelt und diesen aus dem Streifen hinaus geworfen hatte, putschte Mahmoud Abbas in der Westbank. Mit Unterstützung der USA setzte er die gewählte Regierung ab und löste das Parlament auf, während Israel die Abgeordneten der Hamas verhaftete. Abbas setzte ein Notstandskabinett ein und regiert seitdem faktisch per Dekret. Seine Amtszeit ist seit 2009 angelaufen.[2]

Wie überall in der arabischen Welt wurde auch in Palästina die Demokratie nur solange geduldet, wie sie nicht in Widerspruch zur Agenda der USA und Israels geriet. Die palästinensische Autonomiebehörde von heute ist eine durch einen Staatsstreich mit Unterstützung der USA an die Macht gelangte Autokratie. Sie repräsentiert nicht den Willen der palästinensischen Bevölkerung, sondern die Interessen der USA und anderer westlicher Staaten sowie Israels.

Das PA-Projekt „Staatsaufbau“: Repression plus Neoliberalismus  

Unter Abbas Führung wurde der PA-Sicherheitsapparat nach dem Sturz der gewählten Regierung reformiert. Diese Reform wurde von US-General Keith Dayton geleitet, der die Ergebnisse seiner Arbeit 2009 stolz mit den Worten beschrieb, dass er „neue palästinensische Männer“ schaffe – Männer, die nicht mehr den Kampf gegen den zionistischen Siedlerkolonialismus als Pflicht ansehen, sondern dessen Verteidigung gegen die eigene Bevölkerung. Seitdem nehmen die schweren Menschenrechtsverletzungen  in der Westbank kontinuierlich zu. Die 1967 besetzten Gebiete haben heute, mit etwa 50 Polizisten auf einen Bürger, eine der höchsten Polizeidichten der Welt. Die Finanzierung des palästinensischen Sicherheitsdienstleisters für Israel übernehmen die USA und die EU. Die Gelder für die PA, von denen diese absolut abhängig ist, sind an die Bedingung geknüpft, dass deren Repressionsapparat mit dem israelischen Repressionsapparat zusammenarbeitet und entschieden gegen antizionistischen Widerstand in der palästinensischen Bevölkerung vorgeht.

Unter Präsident Mahmud Abbas und Premierminister Salam Fayyad wurde ab 2007 die Linie ausgegeben, dass die Palästinenser ihren Staat bekommen würden, wenn sie der „internationalen Gemeinschaft“ nur zeigten, dass sie ihn verdient hätten. Die von Aljazeera geleakten „Palestine Papers“, darunter Mitschnitte von israelisch-palästinensischen Verhandlungen in Annapolis 2008 zeigen, dass die palästinensischen Politiker tatsächlich glaubten, dass sie einen Staat bekommen würden, wenn sie nur alles täten, was die westlichen Geldgeber verlangten. Jede westliche Forderung wurde übereifrig erfüllt.[3]

Es wurde ein Projekt des „Staatsaufbaus“ begonnen, dessen Pfeiler Repression und  Neoliberalismus sind. Millionen von Dollar und Euro flossen in den palästinensischen Sicherheitssektor. Das war der einzige Sektor, der sich im Rahmen des „Staatsaufbaus“ entwickelte. In der Westbank sind etwa 50%  aller staatlichen Angestellten im Sicherheitssektor beschäftigt, der jährlich etwa ein Drittel des Haushaltsbudgets verschlingt. Den Palästinenser/innen wurde weisgemacht, dass die Sicherheitsagenda des Projekts zur Verbesserung der ökonomischen Lage führen würde. Doch zwischen 2007 und 2010 stieg die Anzahl der Palästinenser/innen, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, von 30.000 auf 100.000 Menschen.

Die Kollaboration der PA mit dem israelischen Militär-und Geheimdienstapparat wird euphemistisch „Sicherheitszusammenarbeit“ genannt, ist aber tatsächlich ganz und gar einseitig. Der palästinensische Repressionsapparat ist kaum mehr als der Empfänger israelischer Anweisungen. Während die palästinensische Polizei jeden verhaftet, den Israel hinter Gitter sehen will, ist Israel noch gegen keinen einzigen Siedler oder Soldaten wegen deren Übergriffe gegen die palästinensische Bevölkerung vorgegangen. Faktisch agiert der Repressionsapparat der Autonomiebehörde als verlängerter Arm der israelischen Armee und Geheimdienste.[4]

Als die israelische Armee im Sommer 2014 nach der Entführung und Erschießung von drei israelischen Siedlern die größte Repressionskampagne seit der 2. Intifada in der Westbank unternahm, ging die PA gegen palästinensische Demonstranten vor, die aus Protest dagegen auf die Straße gingen. Die Mini-Intifada von Oktober 2015 bis Frühjahr 2016 wurde gemeinsam von Israel und der PA zurückgedrängt. Heute, da mehr als 1.500 palästinensische Gefangene in israelischen Gefängnissen im Hungerstreik sind, geht der Repressionsapparat der Autonomiebehörde gegen Demonstrationen zur Unterstützung der Gefangenen vor.

Den zunehmenden Protesten begegnet die PA – nicht anders als Israel – mit Eiserner Faust. Amnesty International spricht von einem „schockierenden Maß“ an Polizeigewalt. Demonstrationen werden brutal auseinandergetrieben, jeder Dissens gnadenlos verfolgt. Wer spöttische Kommentare macht, wenn der Gouverneur einer Stadt in der Westbank mit einem protzigen Konvoi durch die Stadt fährt, kann die Erfahrung machen, dass er von dessen Sicherheitspersonal brutal zusammengeschlagen wird. Dutzende von Palästinensern wurden wegen kritischer oder spöttischer Äußerungen über die Autonomiebehörde auf Facebook vorgeladen oder festgenommen, einige wurden deswegen gefoltert. Von 2014 bis Ende 2015 wurden 52 Palästinenser wegen Äußerungen auf Facebook eingesperrt, im selben Zeitraum wurden 58 Menschen deswegen vorgeladen.[5]

Überhaupt ist Folter – ebenso wie in israelischen Gefängnissen – an der Tagesordnung.  Die Folter in den Gefängnissen der PA ist so weit verbreitet und systematisch, dass internationale Menschenrechtsorganisationen deswegen vor einiger Zeit Klage beim Internationalen Strafgerichtshof einreichten.[6]

Zunehmender Legitmationsverlust der Autonomiebehörde

Da die PA mit ihrer Politik der Zugeständnisse und des Wohlverhaltens gegenüber Israel und dessen westlichen Verbündeten für die Palästinenser/innen nichts zu erreichen vermochte, hat ihre Delegitimierung in den letzten Jahren rasant zugenommen. Mittlerweile fordern 2/3 der Palästinenser/innen den Rücktritt von Mahmud Abbas und ebenso viele betrachten die PA nicht als Errungenschaft, sondern als Last. Die Kollaboration des PA-Rerpessionsapparates mit Israel wird von der übergroßen Mehrheit der Palästinenser/innen abgelehnt. Sogar der Zentralrat der PLO hat sich dagegen ausgesprochen. Doch Mahmoud Abbas bezeichnet sie als „heilig.“

Da die Autonomiebehörde längst nicht mehr dieselbe Massenbasis hat wie noch vor 10 Jahren, ist sie immer mehr darauf angewiesen sich mit Polizeistaatsmethoden an der Macht zu halten.

Viele Parolen der Mini-Intifada, die im Oktober 2015 begann und bis heute mit niedriger Intensität anhält, richten sich gegen die Autonomiebehörde und ihren Unterdrückungsapparat, zum Beispiel: „Von der Polizei bis zum Präsidenten: Die Autonomiebehörde ist ein Agent [Israels].“[7]

Die Autonomiebehörde ist heute das größte Hindernis für den palästinensischen Kampf gegen den zionistischen Siedlerkolonialismus und für die Erlangung aller palästinensischen Rechte.

Quellen

[1]: Middle East Monitor, Palestinian Priest: Oust PA and start Civil Disobedience, 7.3.2017

[2]: Rose, David, The Gaza Bombshell, Vanity Fair, 3.3.2008; Massad, Joseph, Pinochet in Palestine, The Electronic Intifada, 11.11.2006

[3]: Tartir, Alaa; Amrov, Sabrien, After Gaza: What Prize Palestine’s Security Sector, Alshabaka, 8.10.2014

[4]: Tartir, Alaa, How US Security Aid to Palestinian Authority sustains Israel’s Occupation, Aljazeera, 2.12.2016; Tartir, Alaa; Amrov, Sabrien; After Gaza: What Prize Palestine’s Security Sector, Alshabaka, 8.10.2014; Sayigh, Yezid, Policing the People, Building the State: Authoritarian Transformation in the West Bank and Gaza, Carnegie Middle East Center, February 2011: Buttu, Diana, Expert Q & A re Protests against the Palestinian Authority, IMEU, 16.3.2017

[5]: Kane, Elex, The PA’s War on Facebook Dissent, Aljazeera, 15.11.2015

[6]: Arab Organisation for Human Rights in the UK, Torture by Palestinian Security Services before ICC, o.D.

[7]: Wild, Petra, Ein Jahr nach dem Mini-Aufstand – Habba Sha’biyya im besetzten Palästina, Inamo 88, Winter 2016, S. 27-30

Petra Wild ist Islamwissenschaftlerin mit den Arbeitsschwerpunkten Palästina-Frage sowie Widerstand und Revolution in der arabischen Welt. Sie ist Autorin der Bücher „Apartheid und ethnische Säuberung in Palästina. Der zionistische Siedlerkolonialismus in Wort und Tat“ (Wien, 2013) und „Die Krise des Zionismus und die Ein-Staat-Lösung. Zur Zukunft eines demokratischen Palästinas“ (Wien, 2015)

Danke an die Autorin für das Recht zur Veröffentlichung des Artikels.

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