Niveauregulierung – eine Kolumne (37)

von Bernhard Loyen.

Diese Tage kontaktierte mich ein KenFM Leser. Er berichtete mir von einem aktuellen Ereignis in seinem Leben, das ihn so sehr beschäftigte, dass er mich anschrieb.

Der Leser ist um die 50, lebt und arbeitet in Berlin und ist seit Jahrzehnten, in einer unbefristeten Anstellung im Garten-Landschaftsbau tätig. Immer schon politisch interessiert, nicht aktiv. Er erzählte mir, früher hätte er den Spiegel gelesen und die Zeit. Die letzten Jahre hätte er aber eine große Unzufriedenheit bei sich erkannt, die hauptsächlich mit der Berichterstattung in den öffentlich-rechtlichen Medien zu tun hat. Da wir uns seit geraumer Zeit kennen, empfahl ich ihm mein kleines Einstiegspaket in Form von drei Links. KenFM, die NachDenkSeiten und ein Daniele Ganser Video zum Thema Medienkompetenz.

Als wir uns jetzt trafen, erzählte er mir, dass er zudem seine tägliche Dosis durch den Erwerb einer Jungen Welt abrundet. Soweit zur Person. Diese Person verspürte nun zum Zeitpunkt des G20 Gipfels die allbekannte Ohnmacht. Beruflich und familiär gebunden, wollte er sich trotzdem einbringen. Sich politisch positionieren. Etwas machen. Er beschloss auf seiner aktuellen Baustelle großformatige Planen zu installieren. Die Baustelle hat die ungefähre Größe eines Fußballfeldes, umgeben von einem klassischen Drahtbauzaun. An diesem befestigte er an zwei gegenüber liegenden Stellen die Bauplanen, aus eigenem Besitz. 3m x 2m Größe. Der spätere Schriftzug zeigte, wohlgemerkt nicht zur Straßenseite, sondern zur Baustellenseite. Der Bauleiter war informiert und genehmigte die Installation. Er schrieb also auf dem Gelände der Baustelle folgenden Aufruf:

“No G20” und ein großes “X”, sowie “Berlin X No G20”. Das X hätte er an den Straßen und Höfen im Wendland entdeckt, als Zeichen des Widerstands und der Solidarität mit den Gegnern des Endlagers in Gorleben. Als Farbe nutze er sogenannte Baustellenfarbe. Ein Dosenspray für Markierungen.

Dies geschah am Donnerstag vor dem Gipfel. Gegen Mittag des folgenden Tages, beobachtete er mit Kollegen ein auffälliges Trio. Bestehend aus zwei Mitarbeitern des Ordnungsamtes und einem Streifenpolizisten. Es kam zu keiner Kontaktaufnahme, da von beiden Seiten keinerlei Gespräch gesucht wurde. Als er dann am Montag, den 10.07. morgens die Baustelle betrat, stellte er als erstes fest – die Planen waren über das Wochenende entfernt worden. Nicht abgerissen, sondern mit den verwendeten Kabelbindern entsorgt. Dies bedeutet, dass der Bauzaun auch an den entsprechenden Stellen geöffnet werden musste.

Nun ja, dachte er sich. Ordnungsamt? Wohl kaum, ohne Rücksprache. Aufgebrachte Bürger, nachdem sog. Krawall-Wochenende in Hamburg. Entsetzte Anwohner. Möglich. Man beließ es dabei und ging seiner Arbeit nach.

Jetzt kommts: Am 20. Juli 2017 drückte der Bauleiter ihm einen Brief in die Hand. Er war vom Polizeipräsidenten in Berlin, Abteilung LKA. Betreff: Sachbeschädigung/Hausfriedensbruch und (sic) unberechtigte Nutzung von Farbe. Es wird noch besser.

Der Originaltext in Schrift & Form, endend mit (!) herzlichen Grüßen: Unbekannt gebliebene Täter verschafften sich Zutritt zur o.g. Baustelle, nutzten die pinke Farbe (ursprünglich für Baustellenmarkierungen) und beschmierten hiermit Plakate mit den Buchstaben “XN G20“. Bitte teilen Sie auf dem beiliegenden Formular mit: (dann in Fettschrift, der Autor)

  • ob Sie Strafantrag stellen und somit an einer Strafverfolgung interessiert sind
  • wie hoch der entstandene Schaden ist

Ein jeder Leser soll nun bitte für sich resümieren. Festzustellen sei jedoch, es gibt die große offensichtliche Politik. G20 als Eskalationsversuchsfeld. Das Verbot von linksunten.indymedia.org, basierend auf der Lüge von Waffenbesitz[1]. Die Verurteilung eines G20 Demonstranten, aufgrund eines Flaschenwurfes. Der anvisierte Polizist war zumindest in der Lage die Festnahme selbst durchzuführen. Das Urteil: Zwei Jahre und sieben Monate ohne Bewährung[2]. Der 18-jährige italienische G20 Demonstrant, bis dato ohne Vorstrafen, weiterhin in Untersuchungshaft. Die Begründung der Staatsanwaltschaft: (…) der junge Mann habe “erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel”. In seiner Tat (welcher? der Anwesenheit auf einer Demonstration?, der Autor) seien “schädliche Neigungen” hervorgetreten[3]. Das Scannen von Personen zur Gesichtserkennung, im Testversuch in Berlin. Nun ist bekannt geworden, der eingesetzte Chip erhebt mehr Daten als im Vorfeld angegeben. Zufall bzw. unbeabsichtigt?[4]

Der Brief an die Baufirma ist die kleine unbekanntere Politik. Dieses Land verändert sich, immer schneller und radikaler. Wer ist dafür verantwortlich? Dieses Jahr wird gewählt. Bitte dies und andere Erkenntnisse aus diesem Jahr im Hinterkopf behalten, sollten sie sich für ein Kreuzchen entscheiden.

Die Baufirma hat übrigens ordnungsgemäß das Anschreiben beantwortet. Es gäbe keinerlei Bedarf an einem Strafantrag.

Quellen

[1] – http://www.fr.de/politik/linksunten-indymedia-org-keine-waffen-bei-linksunten-gefunden-a-1339576

[2] – http://www.spiegel.de/panorama/justiz/g20-krawalle-in-hamburg-zwei-jahre-und-sieben-monate-haft-fuer-flaschenwerfer-a-1164981.html

[3] – http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/panorama3/G20-Macht-man-die-Falschen-zum-Suendenbock,gzwanzig280.html

[4] – http://www.tagesspiegel.de/berlin/gesichtserkennung-am-berliner-suedkreuz-datenschuetzer-chip-erhebt-zu-viele-daten/20223836.html

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Artikels.

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