Niveauregulierung – eine Kolumne (32)

von Bernhard Loyen.

Am 25.Mai 2017 wird Barack Obama in Berlin erwartet. Er trifft dort, am Brandenburger Tor, auf Angela Merkel. Warum? Der Deutsch-Evangelische Kirchentag informiert auf seiner Seite wie folgt:

“Präsident Barack Obamas Teilnahme am Kirchentag in Berlin auf einem gemeinsamen Podium mit der Bundeskanzlerin zum Auftakt des Reformationssommers unterstreicht wie international wir 500 Jahre Reformation feiern. Die christlichen Kirchen bilden ein globales zivilgesellschaftliches Netzwerk von über zwei Milliarden Christinnen und Christen. Gemeinsam leben wir aus der festen Hoffnung unseres Glaubens auf eine bessere Welt. Wer fromm ist, muss auch politisch sein. Ich freue mich auf engagierte Debatten im Reformationssommer 2017.”

Wer fromm ist, muss auch politisch sein? Das klingt erst mal so berechnend lapidar und langweilig, wie die Veranstaltung an sich. (B)La (B)La Land, bloß a bisserl politisch. Es kommt aber noch schlimmer:

“Auch die Kirchentagspräsidentin Christina Aus der Au freut sich über die beiden prominenten Teilnehmenden des Kirchentages: ‘Die USA sind stark von der Reformation und ihrer Wirkungsgeschichte geprägt, zugleich haben sich die protestantischen Kirchen und Gemeinschaften dort auf eine sehr eigene Art entwickelt. Präsident Obama und Bundeskanzlerin Merkel haben ihr Engagement als Politiker auch als Ausdruck ihres christlichen Glaubens bezeichnet. Die Kirchentagsbewegung lebt von Menschen, die sich aus ihrem Glauben heraus für Gerechtigkeit und Solidarität einsetzen. Ich bin sehr gespannt, was die beiden uns Christinnen und Christen in Europa sagen werden.’ “

Ja, da atmet man tief durch. Ich möchte Frau aus der Au und auch den sonstigen Lesern eine Dokumentation ans Herz legen. Sie kam am 18. Mai in die deutschen Kinos. Der Name: National Bird. Es geht um die weltweiten US–Drohnenkriege. Es gab soweit wohlwollende Kurzberichte auf 3Sat und dem NDR. Bei beiden fällt auf, dass das Wort, die Person Obama, fehlt. Er, als oberster Befehlshaber, hatte jedoch die Funktion inne zu entscheiden, ob und wie oft, wo und wem Leid, Schmerz, Verlust und Tod zugefügt wurden.

Diese Dokumentation schmerzt. Sie wühlt auf. Da ist diese eine Szene in Afghanistan. Die Poliklinik für Beinamputierte in Kabul. Die Kamera zoomt auf das Regal mit Ordnern. Auf denen steht: Amputationen 52.000 – 55.000. Die Dokumentarfilmerin Sonia Kennebeck formuliert in einem Interview, den entscheiden Satz. Zu Recherchezwecken bei einer Veranstaltung, mit Anwesenheit von US Militärs, wurde der Satz formuliert, für sie (die Militärs) gäbe es keinerlei Ländergrenzen mehr. Dies bedeutet anders formuliert: die ursprüngliche Notwendigkeit eines sogenannten Einmarsches in ein fremdes Land zu kriegerischen Zwecken, hebt sich damit auf. Im wahrsten Sinne wurde diese Notwendigkeit pulverisiert. Irrsinn.

Diese Erkenntnis  ergänzt eine der Protagonisten des Films. Lisa war technischer Sergeant und sammelte in zwei Jahren mehr als 120.000 Daten zum Thema “Aufständische Ziele”. Sie nennt diese Tatsachen schlicht erschreckend, schockierend. Der Kriegseinsatz der Neuzeit erfolgt über eine Tastatur und einen Mausklick.

Man führe sich das vor Augen. In einem Abstand von tausenden von Kilometern, steht ein Mitglied des US Militärs nach verrichteter Arbeit auf, um eventuell shoppen zu gehen, Freunde zu treffen, vielleicht auch nur Durchzuatmen. Gleichzeitig sammeln am anderen Ende der Welt Familie, Freunde, Überlebende, die Reste von verletzten und zerstückelten Menschen, Toten ein. Entspannung(?) und Horror in der gleichen Minute, der gleichen Stunde.

Heather, eine weitere Aussteigerin, durfte nicht sofort in den Feierabend. Ihre perverse Aufgabe bestand darin, die Bilder vor Abwurf zu analysieren und auszuwerten. Was stellt sich auf ihrem Bildschirm dar? Menschen, ja. Sind es aber potentielle Terroristen oder schlicht Männer, Frauen und Kinder? Sie musste live die Videos begleiten, dann ggf. die Situation, Darstellung ihrer Einschätzung bestätigen, um später Leichen und Leichenteile zu identifizieren. Dies bedeutet, sie saß an einem “Distributed Ground System” (DGS), während zeitgleich an einem anderen DGS die Kamera gesteuert wird, um am dritten DGS den Fire-Button zu betätigen. Alles in Realtime, Echtzeit. Sie durfte nicht einfach wegschalten, sie musste warten, bis der Staub sich gelegt hatte. Dann sah man die Körperteile, spricht sie aus dem Off. Das könnte die untere Körperhälfte sein, das vielleicht ein Bein. Sie sammelten die Leichenteile auf Decken ein. Heather wurde geschult zu unterscheiden, zu erkennen.

Es machte sie psychisch kaputt. Mit Anfang zwanzig, das Leben geprägt von Schuldgefühlen, stellt sie einen Antrag auf Kriegsinvalidität. Sie ist die erste Aussteigerin des US Drohnenprogramms, die eine lebenslange Invalidenrente, aufgrund ihrer posttraumatischen Belastungsstörung, erhält.

Der dritte Aussteiger- natürlich erfährt man auch in der Dokumentation die individuellen Gründe, warum sie bei der US Armee in Anstellung gingen- wird inzwischen landesweit gesucht. Der Grund? Anklage wegen Spionage und Geheimnisverrats. Er ist untergetaucht.

Am Donnerstag wird es in Berlin auch eine Schweigeminute geben. Der Kirchentag informiert:

“Mehr als 10.000 Menschen sind in den letzten drei Jahren auf ihrem Weg nach Europa ums Leben gekommen. Sie waren auf der Flucht vor Krieg, Not und Terror und stießen auf unüberwindliche Grenzen, auf Abschreckung und Abschottung. Unsere Trauer um diese Toten bringen wir mit einer Schweigeminute am Freitag um 12.00 Uhr zum Ausdruck”.

Wie heißt es so schön in der Ankündigung: Wer fromm ist, muss auch politisch sein. Zwei Sätze aus der Dokumentation, sollte sich Frau aus der Au für das Barack Obama Interview notieren.

  1. Lisa stellt nüchtern fest – wenn Kabel und Tastatur für einen Krieg ausreichen, warum sollte man dann mit Krieg aufhören?
  2. Der Mitarbeiter der Veteranenorganisation, gibt Heather zum Ende der Anhörung folgenden Satz mit auf den Weg – ich hoffe, sie fühlen sich irgendwann nicht mehr schuldig.

Ob Herr Obama jemals Schuldgefühle hatte oder hat, wir werden es nie erfahren. Ob Frau Merkel sich jemals diese Dokumentation anschaut, um einige Gedanken an Ramstein zu verschenken, wir werden es nie erfahren.

Frau aus der Au könnte zumindest die anwesenden Christen auffordern, am 08. September 2017 nach Rammstein zu kommen und ihre Schweigeminute vor den Toren der Mittäter zu wiederholen. Ob sie es macht, wird sich am Donnerstag zeigen.

Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Artikels.

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