Niveauregulierung – eine Kolumne (23)

Von Bernhard Loyen.

Wie wirken folgende zwei Sätze auf Sie? Ich vermiete meine Wohnung, wenn ich geschäftlich unterwegs bin. Davon zahle ich den Kredit für die Wohnung ab.

Beide Sätze sind Bestandteil einer neuen Werbeoffensive des Wohnungsportals airbnb hier in Berlin. Der freundlich lächelnde junge Mann in der Anzeige wird Home Sharer benannt und ist vermeintlich ein Angestellter, wohnhaft in Berlin, Prenzlauer Berg. Ich schätzte den jungen Mann auf dem Bild Ende 20. Soso, dachte ich mir. Entweder hat er einen Knaller Job, oder die Eltern sichern anteilig die Zukunft des Sprösslings durch Immobilienbesitz. Dementsprechend zufrieden schaut er auch in die Kamera. Das Foto der anderen Anzeige umschreibt die Notwendigkeit der Vermietung dahingehend, dass der abgebildete Vater sich damit das Ticketgeld finanziert, um die Tochter zu besuchen. Soso, dachte ich mir. Anscheinend hat er keinen Knaller Job und ist damit ein anderes Beispiel von Home Sharing Gründen. Die dritte Anzeige, die ich fand,  zeigt eine junge Frau und sie gibt zu Protokoll, dass sie ganz viele neue Freunde gefunden hätte, durch die Zusatzvermietung. Wozu sie das Geld eigentlich braucht, wird nicht angegeben.

Natürlich sind alle drei Models, bzw. Personen Bestandteil des Marketings und sollen die vermeintlichen individuellen Vermietungsgründe freundlicher, sympathischer darstellen. Die Problematik von sog. Ferienwohnungen in Ballungszentren könnte bekannt sein[1]. Das generelle Problem von bezahlbarem Wohnungsraum ist bundesweit bekannt. Wie so oft ist die erste Reaktion bei dem Thema airbnb: lass sie doch. Ist doch super zusätzlich Geld zu verdienen. Gerade wenn man es braucht. Damit wären wir sogleich beim Thema Berufe mit realistischer Entlohnung, soll heißen davon leben zu können. Zum Beispiel Fahrer, bzw. Radfahrer von Lieferdiensten mit noch warmen Essen. Boomt auch gerade extrem hier in Berlin[2]. Sehr offensiv, auch aggressiv im Marketing sind die beiden Branchenführer Delivery Hero und Foodora. Einen recht guten Einblick in das triste Dasein und die harten Bedingungen dieses harten Jobs erfährt man hier[3]und hier[4]. Dazu nur ein Ausschnitt.

Doch das, was Foodora besonders macht, ist nicht die Größe, sondern die Technik: Denn bei Foodora werden alle Lieferaufträge von einem Algorithmus vergeben. Die Fahrer werden so einbestellt, wie es der Algorithmus für sinnvoll hält. Er erstellt eine tägliche Prognose, die das Wetter und den Wochentag berücksichtigt. Angeblich berücksichtigt er sogar das aktuelle TV-Programm.

Wenn jemand Essen bestellt, wird der Auftrag automatisch an einen freien Fahrer verteilt. Dabei weiß der Algorithmus immer, wie schnell die Fahrer sind. Bei der Auftragsvergabe spielt auch die Geschwindigkeit der Fahrer eine Rolle. Wer schneller fährt, bekommt mehr Aufträge.

Nach jeder Lieferung wird den Fahrern gezeigt, ob sie schnell genug waren. Auch die Vorgesetzten sehen die Zeit. Der Algorithmus war wohl einer der Gründe, weshalb Foodora von Rocket Internet aufgekauft wurde. Er soll langfristig den Sieg gegen Deliveroo bringen.[3]

Auch bei diesem Thema die häufigste Reaktion: lass sie doch machen. Die Käufer und Konsumenten dieser Dienste unterstützen die Gastronomie und sichern dadurch auch den Job der Fahrer.  Ist doch super Geld zu verdienen bzw. überhaupt einen Job zu haben. Sollte man sich dann doch mal völlig crazy dazu entscheiden mit Freunden, oder alleine zuhause zu kochen, gibt es ja zum Glück die Lieferdienste der Supermärkte. Voll ätzend nach einem langen Arbeitstag an überfüllten Kassen stehen zu müssen. Auch durch diesen Service sichert man ja Jobs am klammen Arbeitsmarkt. Bedingungen für die Fahrer, erst mal – egal. Die Seite guter-rat.de informiert[5].

Ärgerlich war bei fast allen Anbietern die Erklärung der Lieferbedingungen. Welche Kosten und Mindestbestellwerte gelten genau, wie wird Pfand zurückgenommen und verrechnet, wie viele Kästen Bier kann ich ohne Aufschlag in den fünften Stock bestellen? Oft sind solche Angaben im Kleingedruckten ganz unten auf der Website versteckt. Tipp: In der Regel sind zwei bis drei Getränkekästen ohne Sperrgutaufschlag möglich, bei Mytime bis 48 Flaschen, bei Food.de ohne Begrenzung. 

Schwächen: Mytime und Allyouneed liefern auch in den letzten Winkel der Republik. Dafür müssen sich die Empfänger aber viel Zeit nehmen. Mytime bot ein Lieferfenster von 7 bis 12 Uhr an, Allyouneed von 9 bis 18 Uhr. Da ist man mit dem Bus schneller am nächsten Supermarkt. Weiterer Nachteil der Paketversendung: Die Lebensmittel müssen aufwendig gekühlt werden. Die pfandpflichtigen Kühlboxen kann man bei Mytime zwar frei wieder zurücksenden und bekommt dafür eine Gutschrift. Das ist aber relativ aufwendig.    

Fazit: Online-Supermärkte sind praktisch, haben aber noch Kinderkrankheiten. Auch bei den als »gut« getesteten Anbietern kommt es unserer Erfahrung nach schon mal vor, dass Ware fehlt, abgelaufen ist oder sich der bestellte trockene Sekt abends als süßlicher demi-sec herausstellt. In jedem Fall sollte man die Lebensmittel gleich kontrollieren und reklamieren. Der Kundenservice ist meist kulant und erteilt eine Gutschrift. Und auch bei Gratis-Lieferung nicht vergessen: das Trinkgeld für den Boten. 50 Cent ab dem zweiten Stockwerk ohne Aufzug sollten immer drin sein.   

Wie viele Kästen Bier kann ich ohne Aufschlag in den fünften Stock bestellen? 50 Cent ab dem zweiten Stockwerk ohne Aufzug sollten immer drin sein? Hach ja. Damit wären wir beim Thema sich mit allem und jedem in diesen hiesigen Zeiten zu arrangieren, bzw. identifizieren. Eine Gesellschaft möchte augenscheinlich nicht um bürgerliche Grundwerte und Abläufe kämpfen. Sie will sich mit Bedingungen arrangieren. Aus Modernität, Bequemlichkeit, oder schlichter Resignation? Oder aus einer Kombination? Oder schlicht ohne Gründe, weil es ist, wie es ist? Hauptargument ist immer wieder eine vermeintliche Vereinfachung des schlichten Daseins. Easy livin‘ , weil man im Stress ist. Warum gestresst? Leider keine Zeit darüber nachzudenken, weil…. – sie verstehen? Was bleibt dabei aber auf der Strecke? Wie hoch wird am Ende der Preis sein, den inzwischen immer mehr Menschen bereit sind zu zahlen?

Abschließend noch ein paar Begriffe, die sie zukünftig öfters hören werden – home connect, consumer centricity, remote diagnostic, storagemanagement. Sie fragen sich, wovon schreibt dieser Kolumnist denn bloß? Dann haben Sie bitte ein paar vergnügliche Momente zum nachhaltigen Schmunzeln[6]. Denken Sie bloß nicht, das Ende des Irrsinns ist schon erreicht.

Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Artikels.

KenFM bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Meinungsartikel und Gastbeiträge müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

 

[1] – http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/private-vermietung-an-touristen-neues-urteil-zu-ferienwohnungen-gibt-die-richtung-vor-1.3026905

[2] – http://auguststrasse-berlin-mitte.de/forum-museumsinsel-der-google-konzern-zieht-in-die-ehemalige-uniklinik-an-der-spree

[3] – http://www.bento.de/future/foodora-und-deliveroo-so-geht-es-bei-den-lieferdiensten-wirklich-zu-1032984/#refsponi

[4] – http://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft/foodora-und-deliveroo-neue-lieferdienste-erobern-berlins-kieze-23529792

[5] – http://www.guter-rat.de/test/lebensmittel-lieferservice-im-test-nie-mehr-einkaufstueten-schleppen

[6] – https://www.youtube.com/watch?v=uhuhJIIeNIc


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