Neuer Schwung mit Schwarzweißrot? | Von Hermann Ploppa

Ein massiver Presserummel verhilft der längst eingemotteten Reichsfahne zu neuem Leben.

Ein Standpunkt von Hermann Ploppa.

Das war ja was an jenem historischen Samstag, dem 29. August 2020.

Da demonstrieren Hunderttausende, wenn nicht gar Millionen von besorgten Bürgern durch Berliner Straßen, um rund um die Siegessäule das Ende des Corona-Regimes zu verlangen. Das Festival der Freiheit nimmt seinen friedfertigen Verlauf. Die Kundgebungsteilnehmer denken gar nicht daran, Stress in irgendeiner Form anzuzetteln. Selbst das provozierende Auftreten ausgesuchter Bürgerkriegssoldaten bei der Berliner Polizei kann die Harmonie nicht stören.

Das Fest der Freude ist so intensiv, dass ein Klamauk vollkommen untergeht, der wenige hundert Meter weiter vor dem Reichstagsgebäude abgezogen wird. Als Gerüchte durchsickern, eine Handvoll Vollpfosten hätte versucht, den Reichstag zu stürmen, reicht die Reaktion von Kopfschütteln bis zu genervtem Hände-über-den-Kopf-Zusammenschlagen. Dass Provokateure so eine Nummer abziehen würden, war klar. Nur über das “wie” bestand noch Unklarheit.

Wir wissen es: über die geile Anti-Corona-Regime-Demo an der Siegessäule verloren die Qualitätsmedien kaum ein Wort. Alle Aufmerksamkeit richteten die Hofberichterstatter auf das schrille Happening auf den Stufen des Reichstagsgebäudes. Nun, wir vernehmen es ja immer wieder: die Nachricht ist eine Ware. Und der dumme Pöbel, so lernen wir weiterhin, will keine komplexen Zusammenhänge, sondern Action: Totschlag und Mord, Sex and Crime, Drogen, Intrigen, Titties and Beer – alles begierig hergezeigt an gelackten Promi-Affen. Wer mit wem? Und vor allem: wer gegen wen?

Entsprechend formatiert für derartige Bedürfnisse war die Show vor dem höchsten deutschen Parlament. Eine Frau im klassischen Antifa-Outfit (Rastalocken, Gesichtspiercing) schrillt und zappelt herum wie Hampelmann am Faden: “Trump ist in Berlin! Wir sind frei!” Schräge Typen mit Sonnenbrillen, denen man keinen Gebrauchtwagen abkaufen würde, verkünden via Megaphon: “Ey Leute, am Reichstag geht jetzt gleich die voll krasse Nummer ab!” Und schon rennen Schlafschafe die Treppe hoch, um oben ratlos stehenzubleiben. Vor ihnen stehen drei Polizisten in Kampfmontur. Einer von ihnen kämpft Kung Fu, ohne Helm, damit man das telegene Gesicht auch genießen kann. Ein gut aussehender Kerl, Typ sexy Sportlehrer. Könnte Schauspieler sein. Und tatsächlich. Dieser Taschen-Schwarzenegger heißt Karsten Bonack, ist seit dreißig Jahren bei der Polizei im Dienst und spielt in seiner Freizeit in Vorabend-Krimis wie „Achtung Kontrolle“ den flotten Cop. Im Dienst kümmert Bonack sich um arme Drogenteufel vom Kottbusser Tor. Was macht Bonack denn jetzt hier in Sachen Personen- und Objektschutz? <1>

Keine Frage. Es handelt sich um eine Inszenierung nach Drehbuch. Bewusst fehlerhaft unprofessionell, um authentisch zu wirken. Hier ist die Handschrift einer Public Relations-Agentur deutlich erkennbar. Interessant ist nur noch die Frage: Welche PR-Profis sind am Werk? Mittelpunkt dieser Unreality-Show ist allerdings nicht Tamara Kirschbaum in ihrer Rolle als trumpistische Rastafängerin. Und auch nicht Karsten Bonack in seiner Rolle als Kung-Fu-Beschützer des real existierenden Parlamentarismus. Der Star auf den es ankommt, ist ein größeres Stück Synthetikstoff, fixiert an einer Stange. Die so genannte Reichsflagge in den Farben Schwarz-Weiß-Rot, made in China, und in letzter Zeit von gewissen Einzelpersonen in hoher Auflage ab Werk bestellt. Bei der Anti-Corona-Kundgebung am 1. August waren noch sehr wenig Schwarzweißrote am Start. Doch man hat nachgerüstet.

Und wir erfahren aus den Medien: Die von Veranstalter Michael Ballweg so professionell organisierte Anti-Corona-Kundgebung hat bei aller Schönheit und Harmonie einen empfindlichen Fettfleck. Sie wird von Reichsflaggen in den hässlichen Farben Schwarz-Weiß-Rot dominiert! Man sieht es doch: überall Reichsflaggen! Oder etwa nicht? Lauter Reichsbürger, Nazis oder Trump-Anbeter, soweit das Auge reicht.

Eine solche wundersame Vermehrung von Fahnen bestimmter Kombinationen sahen wir, unter uns gesagt, auch schon im Vorfeld der deutschen Wiedervereinigung. Hatten die DDR-Demonstranten zunächst lediglich eine Reform des Sozialismus gefordert, so änderte sich das schnell, als sich immer mehr Schreier für die D-Mark und für die Wiedervereinigung unter die Demonstranten mischten, ausgestattet mit rasch aus der BRD herübergeholten frischen Deutschland-Fahnen, damals noch in den Farben Schwarz-Rot-Gold. <2> Hereinregnende Fahnen haben offensichtlich immer wieder eine große Rolle gespielt, wenn Basisbewegungen in eine bestimmte Richtung gewendet werden. Warum soll das denn diesmal anders sein?

Und: was bedeuten die Fahnen? Wo kommen sie her? Wo gehen sie hin? Wer trägt Fahnen in Schwarz-Weiß-Rot? Schauen wir doch mal nach.

Schwarz-Weiß-Rot: Die Spalterfahne

Gleich vorab: die Fahne in den Farben Schwarz-Weiß-Rot steht nicht für ein Tyrannenregime, wie z.B. die Naziflagge. Schwarz-Weiß-Rot war von 1866 bis 1871 die Farbe des Norddeutschen Bundes, und von 1871 bis 1918 die Fahne des Deutschen Kaiserreichs. Die Weimarer Republik wurde von der Fahne Schwarz-Rot-Gold repräsentiert. In den Jahren von 1933 bis 1935 war dann wieder Schwarz-Weiß-Rot die Nationalflagge. Die Nazis mochten Schwarz-Weiß-Rot jedoch nie sonderlich. Aber solange sie ihre wacklige Macht noch mit rechtskonservativen Kräften teilen mussten, beließen sie es dabei. Ab 1935 saßen die Nazis so fest im Sattel, dass sie auf ihre rechtskonservativen Steigbügelhalter keine Rücksicht mehr nehmen mussten. Ab jetzt wurde die Fahne der Nazis auch gleichzeitig Staatsfahne des Dritten Reichs. Ein Hakenkreuz auf weißem Grund, eingebettet in großflächiges Rot. Das Hakenkreuz kletterte sodann auch auf die Reichskriegsflagge. Heute ist das Vorzeigen aller Fahnen, auf denen das Hakenkreuz prangt, verboten. Und das ist gut so.

Wie gesagt, die Flagge in Schwarz-Weiß-Rot steht, abgesehen von den zwei Nazi-Jahren, nicht für ein Tyrannensystem. Denn das wilhelminische Kaiserreich war eine konstitutionelle Monarchie, und zwar ausdrücklich nach dem Vorbild Englands errichtet. Der Repräsentant einer adligen Dynastie, in diesem Falle der Hohenzollern, stand an der Spitze der Demokratie mit gewählten Parlamentsabgeordneten. Der Monarch war gebunden sowohl an die Verfassung als auch an das Votum der Parlamente. Die stärkste politische Macht im wilhelminischen Kaiserreich war die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, die in jenen Jahren effizient die Interessen der Arbeiterklasse vertrat. Kaiser Wilhelm II. hielt sich loyal an die Regeln der Verfassung. Auch zuweilen harsche Kritik aus tausenden unterschiedlichen Tageszeitungen mit unterschiedlichen Meinungen ertrug der Kaiser ohne zu intervenieren. Natürlich war Wilhelms Reich keine Idylle. Die Armut der unteren Schichten war immer noch, trotz aller Verbesserungen, unbeschreiblich, die hygienischen Zustände himmelschreiend. Darin unterschied sich Deutschland jedoch nicht von anderen Ländern.

Schwarz-Weiß-Rot kann also nicht für antidemokratische Demonstrationen herhalten.

Woher kommt diese Farbkombination denn eigentlich?

Die Ursprünge gehen zurück auf das Hochmittelalter, also so etwa rund um das dreizehnte Jahrhundert nach Christi Geburt. Der Deutsche Orden hatte seine Besitzungen im Heiligen Land, in Palästina, verloren und suchte nach neuen Betätigungsfeldern. Diese fand er im Baltikum. Jene ebenso frommen wie militanten Ordensleute vernichteten den Stamm der Prussen. Aus diesem Genozid ging ein Ordensstaat hervor, der wiederum den Humus abgab für den Staat Preußen. Preußen übernahm vom Deutschen Orden die Flaggenfarben schwarz und weiß, sowie das Ordenskreuz, das heute noch im schwarzen Kreuz der Bundeswehr weiterlebt.

Ebenfalls seit dem hohen Mittelalter umspannte die Hanse eine Reihe von wohlhabenden Städten, die mit dem Handel über den Wasserweg reich geworden waren. Ein wirkungsvolles Netzwerk, das wenig Interesse an territorialen Besitzungen hatte und am besten damit vorankam, gleichberechtigt untereinander Handel zu treiben. So geriet die Hanse auch nicht in Konflikt mit dem fleißig expandierenden Preußen. Die Flaggen der Hanse zeigten die Farbkombination Rot-Weiß. Als 1866 aus 22 deutschen Einzelstaaten der Norddeutsche Bund unter Führung Preußens gebildet wurde, lag es nahe, die Farben des Hansebundes und Preußens zusammenzulegen zu einer Schwarz-Weiß-Roten neuen Flagge. Das bedeutete auch eine Festlegung auf einen norddeutsch-protestantischen Raum.

Die Schlacht von Königgrätz im Jahre 1866 erbrachte eine epochale Festlegung, die manche Historiker als verheerend für die weitere deutsche Entwicklung betrachten. Bislang waren die beiden größten Einzelstaaten Preußen und Österreich nämlich in einem deutschen Staatenbund zusammengefasst. Gerade eben hatten Österreich und Preußen 1864 noch Dänemark die Provinzen Schleswig und Holstein entreißen können. Jetzt kam es zum Waffengang von Österreich und Deutschland, in Königgrätz. Preußen gewann die Schlacht, und Ministerpräsident Otto von Bismarck nutzte die Gelegenheit, Österreich aus dem deutschen Staatenbund rauszuschmeißen. Mit seinem militaristischen Bundesgenossen General Albrecht von Roon übertölpelte Bismarck 1870 seinen König und es gelang ihm, einen verlustreichen Krieg gegen Frankreich zu provozieren. 1871 erfolgte im Pariser Vorort Versailles die Einigung eines Rumpfdeutschlands unter preußischer Führung mit der Kaiserkrönung des preußischen Königs als Wilhelm I. Der Einigungsvertrag wurde nicht nur außerhalb Deutschlands besiegelt. Zudem kommt in diesem Vertrag das deutsche Volk gar nicht vor, sondern nur die Namen der deutschen Fürsten, die sich Preußen zum neuen deutschen Reich angeschlossen hatten. Österreich war draußen. Dieser als „kleindeutsche Lösung“ in die Geschichte eingegangene neue Zentralstaat fand aus gutem Grund die „wohlwollende Neutralität Londons“ [soll heißen: Großbritanniens] <3> und auch aller anderen europäischen Großmächte. Ein gespaltenes Deutschland ist immer ein gutes Deutschland – aus dem Blickwinkel konkurrierender Großmächte. Das erklärt zu einem guten Teil, warum Bismarck in diesen Ländern bis heute eine so hohe Wertschätzung genießt …

Historiker sehen darin die Ursache des Niedergangs Deutschlands bis in die heutige Zeit. Ein krampfhaft auf die Bedürfnisse Preußens zugeschnittener Nationalstaat wurde der kulturellen und ethnischen Vielfalt Mitteleuropas nicht gerecht: „Das Erreichte wurde bezahlt mit äußeren Verlusten der historischen Volkssubstanz: erst recht mit inneren. Denn nunmehr durfte das erneuerte harte / urpreußische Wesen das formlose und weiche deutsche überformen, seine militaristisch-politische Zivilisation das große Bündnis schließen mit der wirtschaftlich-technischen. (…) Das Bürgertum verlor vollends sein Selbstvertrauen, eingeklemmt zwischen dem Obrigkeitsstaate und dem vierten Stande (…) Das nationale Wesen vergröberte sich im Geistigen wie im Sittlichen: nach grausamster Verwirrung des Rechtsempfindens wurde es 1866 durch den Erfolg des dämonischen, charismatischen Staatsmannes [Bismarck] neu geprägt (…)” <4>

So sah es Ludwig Dehio, der unter der Nazi-Diktatur in die innere Emigration gegangen war. Dank Bismarck und seinem cleveren Bankier Bleichröder wurde Deutschland unter preußischer Dominanz zum Nährboden eines international vernetzten Militärisch-Industriellen Komplexes. Für diese Spaltung Deutschlands in einen kriegerischen Preußenstaat vom Vielvölkerstaat Österreich steht die Flagge mit den Farben Schwarz-Weiß-Rot. Weiß der zeitgenössische Träger jener schwarz-weiß-roten Fahne, was sein Emblem ihm erzählen kann?

Wer also demonstriert mit oder unter Schwarz-Weiß-Rot?

Reichsbürger? Staatenlos? QAnon? Wie viele Bundesbürger sind überhaupt dabei?

Der Verfassungsschutzbericht (den wir natürlich mit Vorsicht genießen) für 2020 sagt: „Deutschlandweit sind der Szene im Jahr 2019 etwa 19.000 Personen (2018: 19.000) zuzurechnen; bei circa 950 davon handelt es sich um Rechtsextremisten (2018: 950).“ <5>

So wenige? Selbst wenn alle diese annähernd zwanzigtausend Leute bei der großen Demo in Berlin aufmarschiert wären, hätte man sie kaum bemerkt.

Eine persönliche Annäherung an dieser Stelle: Im Jahre 2012 schaute ich bei einer Ortsgruppe der Bürgerinitiative “Sauberer Himmel” vorbei. Diese merkwürdigen Streifen am Himmel kamen mir nicht mehr vor wie „normale“ Kondensstreifen. Das hatte ich früher nie erlebt, dass Kondensstreifen einfach sichtbar bleiben und sich aus ihren Resten ein schmieriger Film am Himmel ausbreitet, der das Wetter spürbar verändert. Allerdings musste ich bald feststellen, dass es in dieser Ortsgruppe gar nicht darum ging, den mutierten Kondensstreifen auf den Grund zu gehen. Sehr bald wurde am Stammtisch und in den Mailgruppen über alles Mögliche gezwitschert: über eine geheimnisvolle Krankheit mit Namen Morgellons; magische Steine, unbeschreiblich teuer, sollten böse Strahlen abhalten. Und dann kam die Initiatorin damit aus dem Busch: Wir sollten uns unbedingt mit einer Frau treffen. Die würde uns einen Reichsbürgerausweis ausstellen. Dann sollten wir noch einem selbsternannten Polizeihilfswerk beitreten. Spätestens jetzt wurde es mir zu bunt. Ich brachte in Erfahrung, dass die Initiatoren zuvor versucht hatten, die Stuttgart 21-Bewegung zu infiltrieren. Mir wurde immer wieder die “Junge Freiheit” vor die Nase gehalten. Zur Ehre der bundesweit aktiven Gruppe “Sauberer Himmel” muss gesagt werden, dass die besagte Ortsgruppe aus dem Bundesverband ausgeschlossen wurde.

So habe ich unfreiwillig die ersten Zuckungen der heute von der Presse durch übertriebene Publicity künstlich aufgeblähte Reichsbürgerbewegung mitbekommen. Schon damals war ein zentrales Thema, dass die Bundesrepublik kein rechtsgültiger Staat sei, und dass das Deutsche Reich immer noch der legitime Rechtskörper sei, in dem wir uns befinden. Richtig daran ist, dass wir bis heute keinen Friedensvertrag mit den ehemaligen Kriegsgegnern des Nazi-Reiches haben. Fraglich ist allerdings, ob irgendjemand von jenen Leuten, die hier so vehement einen Friedensvertrag einfordern, auch bereit sind, die Kosten zu übernehmen. Denn von den 52 Staaten, die dem Nazireich den Krieg erklärt haben, sind einige Länder dabei, die durch die Kriegsführung der Wehrmacht und der Waffen-SS ganz erheblich geschädigt worden sind. Besonders Griechenland hat immer wieder, vollkommen zu Recht, Entschädigungen von Deutschland gefordert. In Frieden kann man nun einmal erst dann zusammenleben, wenn man vorher miteinander alle Trümmer weggeräumt hat. Auch wenn es wehtut. Polen und die Sowjetunion haben bereits 1953 auf Reparationen verzichtet. Nun hat der berühmte Zwei plus Vier-Vertrag, der die Annexion der DDR durch die Bundesrepublik ermöglichte, ausdrücklich festgehalten, dass es keinen Friedensvertrag mit irgendeinem Staat mehr geben wird. Die Londoner Schuldenkonferenz von 1952 hatte die Frage der Reparationen an den Abschluss von Friedensverträgen gekoppelt. Nun hatten die reichen Länder sich also auf Kosten der armen Länder darauf geeinigt, dass es für alle Zeiten keine Kompensation für Völkermorde und Verwüstungen geben soll. Der damalige BRD-Außenminister Hans-Dietrich Genscher: „Die Forderung nach einem Friedensvertrag konnte also definitiv nicht mehr erhoben werden – damit war uns auch die Sorge vor unübersehbaren Reparationsforderungen von den Schultern genommen.“ <6> Wollen die Reichsbürger also tatsächlich Milliardensummen aus öffentlichen Töpfen aufwenden, um gepeinigten Opferländern des Zweiten Weltkriegs späte Gerechtigkeit angedeihen zu lassen? Schwer vorstellbar.

Das Deutsche Reich ist längst liquidiert. Die Forderung der Alliierten lautete definitiv: “unconditional surrender”, bedingungslose Kapitulation. Die Putschisten um Goerdeler und Graf Stauffenberg hatten vergeblich versucht, Deutschland diese Schmach am 20. Juli 1944 zu ersparen. Schließlich blieb den Wehrmachtsgenerälen Keitel, von Friedeburg und Stumpff nichts anderes übrig, als die bedingungslose Kapitulation zu unterzeichnen. Am 25. Februar 1947 liquidierte das Allierte Kontrollratsgesetz Nummer 46 das Rückgrat des Deutschen Reiches, Preußen nämlich. 1948 schrieben die Amerikaner die Spaltung Deutschlands durch die einseitige Währungsreform in den drei Westzonen fest. Und 1949 wurde die Bundesrepublik gegründet, was dann auch die Sowjets zwang, ihrerseits Abschied zu nehmen vom geeinten Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik auszurufen.

Das sind materielle Fakten. Was nützt uns da jetzt irgendeine Spitzfindigkeit über Lücken im internationalen Recht? Es bedarf solcher Umwege nicht, um festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland nach wie vor kein souveränes Land ist. Die Sowjetunion hatte sich aus Deutschland zurückgezogen, und auch der Nachfolgestaat Russland behandelt die Bundesrepublik als gleichberechtigten Partner. Dasselbe gilt für Frankreich. Soll durch eine verquaste Reichsbürger-Argumentation davon abgelenkt werden, dass uns die Geheimdienste und das Militär der USA mit ihren angehängten Politikern und Netzwerkorganisationen de facto als ihre Vasallen behandeln? Von Ramstein aus werden Drohnenmorde in aller Welt gesteuert. Deutsche Soldaten und Polizeiangehörige haben dort, auf deutschem Boden wohlgemerkt, keinen Zutritt. Die Bundesbürger werden Tag und Nacht flächendeckend ausgehorcht. In Büchel wechseln gerade jetzt Techniker US-amerikanische Atomsprengköpfe aus. Bei den diversen Reichsbürger-Netzwerken hört man dazu herzlich wenig. Es ist sicher nicht notwendig, zunächst Verfassungen der Kaiserzeit wieder einzuführen, um dann endlich souverän zu werden.

Noch haarsträubender ist die QAnon-„Bewegung“, die ja bei dem „Sturm auf den Reichstag“ das Bild geprägt hat. Von QAnon distanzieren sich übrigens sowohl rechtsradikale Gruppen wie auch die Reichsbürger oder die Staatenlos-Gruppe. QAnon ist unverkennbar von ausländischen Geheimdiensten ferngesteuerte Märchenstunde. Da soll es im direkten Umfeld von US-Präsident Donald Trump einen Whistleblower mit dem Decknamen „Q“ geben. Und weil der anonym zu bleiben wünscht (was ja bei der Brisanz der Informationen ganz verständlich ist, nicht wahr …) nennt man diesen super-wichtigen Informanten „QAnon“. Schlau schlau. „Q“ weiß uns zu berichten, dass Trump seit seiner Amtseinführung unermüdlich Tag und Nacht dabei ist, gegen den so genannten Tiefen Staat vorzugehen. Und wie die Zeugen Jehovas immer wieder auf das Weltende warten, und zwar bislang – toitoitoi! – vergeblich, so warten die Q-Anons Tag für Tag darauf, die Bösen dieser Welt endlich in Handschellen auf der Anklagebank zu sehen, konfrontiert mit den unabweislichen Beweisstücken, die Trump gesammelt hat. Und, hört, hört: Trump ist einem Kinderschänder-Ring auf der Spur. Die Clintons sollen beteiligt sein. Die Reichen dieser Welt sollen angeblich unschuldige Kinder in unterirdischen Gängen gefangen halten. Aus dem Blut der Kinder gewinnen die Superreichen und Mächtigen eine Essenz, die ihnen ein verlängertes Leben garantiert.

Dazu ist zu sagen: Die Geschichte mit den rituellen Kinder-Opferungen ist ein makabres, äußerst perverses Remake. Die Katholische Kirche hatte im Mittelalter und auch noch später im Umlauf gebracht, die Juden würden bei ihren Gottesdiensten rituelle Opferungen vornehmen und das Blut dieser trinken. Das war eine propagandistische Initialzündung für die grässlichen Pogrome gegen Juden im Mittelalter. Und diese Pogrome waren verdammt real. Und: Es gibt gerade jetzt im Zeitalter von Sankt Corona so viele perverse Misshandlungen von Kindern in Schulen, Kitas und Gymnasien. Das ist grausig genug und erfordert härteste Abwehrkämpfe, um diese Perversionen sofort zu beenden. Wir haben auch genug zu tun, um in der Welt real existierende Zwangsprostitution und Freiheitsberaubung sowie die Rekrutierung von Kindersoldaten zu beenden.

Ich musste mir auch mal im Auto eine frohe Botschaft der QAnonisten anhören. Das ging so: „Also Leute, Heinz hat gerade angerufen. Es sind schon 80.000 US-Soldaten in Deutschland eingetroffen. Frau Merkel ist bereits verhaftet. Und auch Papst Franziskus. Leute, lehnt Euch zurück und genießt den tollen Tag! Es kommen herrliche Zeiten!“ Tatsächlich gibt es genug Dummbeutel, die auf so einen Unfug hereinfallen wollen. Als die Polizei die QAnonisten von der Bundestagstreppe zurückdrängte, riefen einige verhinderte Okkupanten ganz enttäuscht: „Also haben uns die Alliierten doch im Stich gelassen!“

Brauchen wir die Reichsbürger, die Staatenlosen oder die QAnonisten um festzustellen, dass Deutschlands Souveränität fortlaufend demontiert wird? Müssen wir ins Märchenland flüchten, um der Erkenntnis zu entkommen, dass die Europäische Union ein illegitimer Mega-Apparat ist, mit dem Konzerne und Kartelle von oben nach unten ohne jedes Votum durch die Menschen draußen im Land einfach ganz frech durchregieren? Die Träger der Reichsfahne Schwarz-Weiß-Rot sollte man dennoch nicht ausgrenzen oder diskriminieren. Man sollte immer wieder das Gespräch mit ihnen suchen und ihnen mit vernünftigen Argumenten begegnen. Zugleich wird es mit unserer Schwarmintelligenz möglich sein, die wirklichen Drahtzieher der drei genannten Strömungen ausfindig zu machen. Dank der sozialen Medien sind kollektive Lernprozesse heutzutage sehr schnell zu erreichen. So bekam ich neulich die Nachricht, bei der Verteidigung des Reichstagsgebäudes sei auch ein bekannter Schauspieler dabei. Ich gab die Nachricht weiter, und nach zehn Minuten wusste ich bereits, dass es sich um den schauspielernden Polizisten Karsten Bonack handelte. Seit dem Entstehen der Anti-Corona-Regime-Bewegung haben die kollektiven Lernprozesse eine atemberaubende Geschwindigkeit angenommen.

Das lässt hoffen.

Quellen und Anmerkungen:

<1> https://www.mimikama.at/aktuelles/polizist-schauspieler/

<2> Otto Köhler: Die grosse Enteignung – Wie die Treuhand eine Volkswirtschaft liquidierte. Berlin 2011. S.36ff

<3> Renate Riemeck: Mitteleuropa – Bilanz eines Jahrhunderts. Freiburg 1966. S.31

<4> Ludwig Dehio: Gleichgewicht oder Hegemonie – Betrachtungen über ein Grundproblem der neueren Staatsgeschichte. Zürich 1996. S.306/7

<5> https://www.verfassungsschutz.de/de/arbeitsfelder/af-reichsbuerger-und-selbstverwalter/was-sind-reichsbuerger-und-selbstverwalter

<6> Hans-Dietrich Genscher, Erinnerungen. Siedler, Berlin 1995, S. 846

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bildquelle: Adrian Jurczak / shutterstock

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