Mordsache Skripal: Eine verdeckte Operation des britischen Geheimdienstes MI6? (1)

von Jürgen Cain Külbel.

Es ist still geworden um den Fall Skripal, den Mordversuch an Yulia Skripal, 33 Jahre, und ihrem Vater Sergej, 66 Jahre – so geschehen am 4. März 2018 in der britischen Kathedralenstadt Salisbury. Unisono das Geschrei der westlichen Krieger-Gemeinschaft, ihrer medialen Marketender nach dem Verbrechen: der Russe ist schuld. Darin sind sie seit Jahrhunderten geübt; der Deutsche Orden im 13. Jahrhundert, später Napoleon, in der Neuzeit Hitler- und Merkel-Deutschland, Westminster, Weißes Haus. Doch scheint die russophobe Tollwut des Mainstream in Sachen Skripal momentan wie kuriert. Schieben die Souffleure aus London keine Fake-News mehr nach? Lediglich atlantisch-verirrte Politiker-Seelen, hierzulande Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, Außenminister Heiko Maas, vorveruteilen noch, verlangen die geschlossene Aktion des Westens gegen Russland.

Ist Ernüchterung eingetreten, weil die Schuldzuweisung gegen „Russland und Putin“, die Briten und Komplizen mit dem politisch-medialen Vorschlaghammer in den Äther der Welt gedroschen haben, nicht mehr trägt wie geplant? Bröckelt das Lügengebäude? Führen „interne“ Erkenntnisse in Politik und Geheimdienstlandschaft dazu, dass die Marktschreier die Füße still halte? Nachdem ich zwei Analysen aus kriminalistischer Sicht und meinen Erfahrungen als Ermittler in schweren Straftaten zur Mordsache Skripal publizierte, erreichte mich ein Hinweis von einem Whistleblower, der dieser Vermutung Nahrung gibt.

17.04.2018 Exklusiv: Ein britischer Geheimdienst-Oberst als Verbindungselement zwischen Skripal und Syrien

https://deutsch.rt.com/meinung/68475-skripal-und-syrien-britische-hand-chemiewaffenzirkus/

30.03.2018 Mordsache Skripal: London im Besitz der Tatwaffe, des chemischen Giftes A-234 “Nowitschok”

https://deutsch.rt.com/meinung/67569-mordsache-skripal-london-im-besitz/

Da es Aufgabe des Journalisten, auch des Kriminalisten ist, solcherart „zugesteckte“ Information auf Wahrheitsgehalt zu überprüfen, schrieb ich am 25. April 2018 an die Pressestelle des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND):

„Ich wurde von einer Quelle informiert, dass der BND intern den britischen Nachrichtendienst MI6 als Urheber für den Anschlag auf die Skripals behandelt. Gründe sieht der BND nach Quelleninformation darin: Yulia Skripal will den russischen Geheimdienstler Stepan Vikeev heiraten. Der Ex-Doppelagent Sergej Skripal bat um Rückkehr nach Russland. An die Rückkehr band der russische Geheimdienst die Bedingung, Skripal solle Moskau Informationen zum Trump-Dossier respektive Steele-Dossier liefern, das vom (britischen Ex-Geheimdienstler) Christopher Steele (unter Mitwirkung von Sergej Skripal?) zusammengestellt worden war. Ich möchte das nicht weiter erläutern, der Vorgang ist bekannt. Skripals Vorhaben sei dem britischen Geheimdienst zur Kenntnis gelangt. Er sah sich zum Handeln gezwungen. Wie gesagt, es ist eine Quelleninfo. Gern hätte ich dazu ein Statement vom BND.“

Trotz mehrmaligem Nachfragen kam von der Pressestelle des BND weder ein Dementi noch die Bestätigung oder gar eine Richtigstellung respektive Korrektur möglicher falscher Aspekte im Statement des Whistleblowers. Das Schweigen kann vielerlei bedeuten: die Information der Quelle ist völlig falsch, sie ist völlig korrekt, Teile der Informationen sind falsch, einige korrekt. Auch kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Schweigen eine unausgesprochene Ermutigung ist, die Information der Quelle zu publizieren. Schließlich gibt es auch in Behörden eine gewisse Renitenz gegenüber Entscheidungen, Äußerungen der großen Politik; in unserem Fall Geheimdienstler, die ehrlich, sauber arbeiten, dem Gewissen folgen.

Da ein ausreichender gesetzlicher Schutz von Whistleblowern in Deutschland nicht gegeben ist, werde ich die Informationen als unbestätigte Behauptung betrachten und versuchen, sie auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen.

Untersuchungsfrage: Kann die Information der Quelle, der BND betrachte intern den britischen Nachrichtendienst MI6 als Urheber für den Anschlag auf die Skripals, bestätigt werden?

Ermittlungsergebnis: Nein, es gibt nur die Aussage der Quelle; der BND äußert sich nicht.

Untersuchungsfrage: Möchte Yulia Skripal den „russischen Geheimdienstler“ Stepan Vikeev heiraten?

Ermittlungsergebnis: Yulia zog 2010 mit ihrer Mutter und dem Vater nach Großbritannien, kehrte aber 2015 nach Moskau zurück, um mit ihrem Freund zusammen zu leben. Anfang März 2018 besuchte sie den Vater in Salisbury, um den Geburtstag ihres Bruders Alexander (1. März), der ein Jahr zuvor im Alter von 43 Jahren gestorben war, zu feiern. Skripal hatte seine Haushälterin deswegen gebeten, am Montag, den 26. Februar, das Zimmer seiner Tochter zu putzen. Yulia ist nach Aussagen einer Quelle seit zwei Jahren mit ihrem Verlobten zusammen. Nach Aussagen ihrer langjährigen Freundin Irina, die in Hamburg wohnt, dauert die Freundschaft zwischen Yulia und ihrem Verlobten bereits vier Jahre an. Beide teilen sich eine Wohnung in Moskau, besitzen zwei Hunde und planten, demnächst zu heiraten.

Möglicherweise diente Yulias Reise nach Salisbury auch der finanziellen Hochzeitsplanung. Sie ist Erbin eines Teils des Vermögens ihres verstorbenen Bruders Alexander. Dessen ehemalige Frau Natalia, 45 Jahre alt, die nunmehr mit dem britischen Tennistrainer Wyn Lewis verheiratet ist und auf Zypern lebt, hatte für Yulia 200.000 Dollar auf einem Konto hinterlegt, das angeblich aus dem Verkauf des ehemaligen ehelichen Hauses von Alexander und Natalia stammen soll. Sergej Skripal hatte seiner Tochter Ende Februar 2018 eine Vollmacht über das Geld erteilt, heißt es. Am Rande: Natalias Vater Gennady Grischenko, ein Oberst des GRU, war Sergej Skripals bester Freund ehe er der Spionage überführt wurde.

Untersuchungsfrage: Wer ist Stepan Vikeev?

Ermittlungsergebnis: Zunächst einmal ist überhaupt nicht klar, dass Stepan Vikeev ein „russischer Geheimdienstler“ ist. Über den 30-jährigen gibt es kaum belastbare Informationen. Es existiert zwar ein älteres Foto von einer Verkehrskamera, doch ist der junge Mann nach dem Attentatsversuch auf seine Verlobte incomunicado: „Niemand sah ihn, er hörte auf zu kommunizieren, er hat keine Anrufe und SMS beantwortet.“ Wen wundert das?

Yulias Freundin Irina erklärte gegenüber dem britischen Medium Grazia am 11. April 2018, Stepan sei ein „russischer Geheimagent“; andere Quellen sprechen davon, Vikeev habe „nachweislich Verbindungen zu russischen Geheimdiensten“. Festgemacht wird das vor allem an der Tätigkeit seiner Mutter Tatjana Vikeeva, die das Moskauer Institut für moderne Sicherheitsprobleme leitet; angenommen wird, dass auch Stepan dort arbeite, daher Verbindungen zu Sicherheitsdiensten habe. Freundin Irina jedenfalls behauptet, Yulia wäre oft allein zu Hause in Moskau gewesen, weil Stepan  viele „Nachtschichten“ für eine „spezielle Regierungsorganisation“ schob. Was für Nachtschichten? Ist Vikeev ein Mitarbeiter in Sachen Objektsicherheit, der zum „russischen Geheimagenten“ hochstilisiert wird? Spekulation.

Zur Beantwortung der Frage, ob Sergej Skripal zurück nach Russland wollte, im Gegenzug Informationen zum Trump-Dossier respektive Steele-Dossier liefern wollte, ist allerdings eine tiefer gehende Analyse notwendig – und die beginnt zwangsläufig mit Ermittlungen zur Person.

Untersuchungsfrage: Wer ist Sergej Skripal?

Sergej Skripal wurde am 23. Juni 1951 in Kaliningrad geboren. Dort heiratete er seine Jugendliebe Ljudmila. Sohn Alexander wurde 1974 geboren, Tochter Yulia 1984. Der junge Skripal diente als Pionier-Offizier in den Luftlandetruppen, gehörte 1979 zu den ersten Sowjet-Soldaten, die in Afghanistan kämpften. Während des späteren Studiums an der Diplomatischen Militärakademie in Moskau, die seinerzeit Agenten für verdeckte Arbeit im Ausland vorbereitete, wurde er von der Hauptverwaltung für Aufklärung beim Generalstab der Streitkräfte der Russischen Föderation, sprich: dem Militärgeheimdienst GRU (Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije) rekrutiert.

Oberst Nikolay Luzan berichtet in seinem 2015 erschienenen Buch „Чертова дюжина контрразведки“ (Der teuflische Teil der Spionageabwehr) (Link: https://mybook.ru/author/nikolaj-luzan/chertova-dyuzhina-kontrrazvedki/), Skripal sei in den 1980er und 1990er Jahren zu Langzeiteinsätzen nach Malta und Spanien gegangen. Dort gab er sich als Diplomat aus; auf Malta erwies er sich als „energisch, professionell, fähig, komplexe Rekrutierungen durchzuführen und wichtige Informationen zu extrahieren“. In den 1990er Jahren, während des Zusammenbruchs der Sowjetunion – Skripal war Oberst, sein Gehalt betrug etwa 600 Euro pro Monat – beschloss er, die Finanzen aufzubessern: er befreundete sich 1994 mit dem jungen spanischen Militärpiloten Luis; das Paar gründete ein kleines Unternehmen, das Weinfässer nach Russland verschiffte und einen kleinen Gewinn einbrachte. Luis schlug 1995 den „Spanier“ Antonio Alvarez de Hidalgo als weiteren Geschäftspartner vor; der könne bei der Expansion ihres Unternehmen helfen. Tatsächlich handelte es sich bei de Hidalgo um den britischen MI6-Rekrutierer Pablo Miller. Miller täuschte vor, spanischer Unternehmer zu sein, und bot Skripal, damals 44 Jahre alt, gemeinsame Geschäfte an. In der Folge gelang es Miller, Skripal zu „drehen“, ihn für Spionageaktivitäten zum Vorteil des MI6 zu gewinnen. Es kam zu einem Deal: Miller überreichte Skripal 10.000 Dollar als „Weihnachtsgeschenk“, sagte, er habe ein Bankkonto eröffnet, um „seine Anonymität zu garantieren“, worauf in der Folge monatlich 3000 Dollar überwiesen wurden. Zusätzlich erhielt Skripal ein „sicheres“ Mobiltelefon. Skripal wurde von den Briten unter dem Decknamen Forthwith geführt, mutierte bereits 1996 zum vollwertigen MI6-Doppelagenten. Miller bot ihm sogar eine Prostituierte an, die „bereit war, Spaß mit ihm zu haben“ – offenbar wollte der Brite Fotos machen, um erpresserisches Material gegen den neuen Agenten in die Hand zu bekommen. Der verheiratete Skripal zeigte sich entsetzt, rannte davon.

Nachdem bei Skripal im Jahre 1999 Diabetes diagnostiziert wurde, verließ er die GRU, ging nach Moskau zurück, fuhr aber häufig nach Spanien zur Erholung. Bald arbeitete er für Boris Gromow, den ehemaligen Kommandeur der sowjetischen Streitkräfte in Afghanistan, und lehrte an der Militärakademie des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation. Er nahm den Kontakt zu Miller wieder auf. Nachdem er sich das Teilzeitwohnrecht in einem Ferienhaus nahe des südspanischen Málaga erkauft hatte, traf er sich dort regelmäßig mit seinem Führungsoffizier. Skripal willigte ein, weiterhin für Großbritannien zu spionieren, sammelte Daten über die inneren Strukturen der GRU, reiste oft ins türkische Izmir, wo er als Tourist getarnt britischen Agenten Informationen aushändigte. Von seiner letzten Tätigkeit im russischen Außenministerium trat er 2003 zurück; engagierte sich noch in einem der Komitees des Moskauer Bürgermeisteramtes.

Skripal flog im Dezember 2004 auf, wurde verhaftet und erwies sich als Mustergefangener; der FSB sagte, er habe die Spionage für Großbritannien sofort gestanden und Miller als seinen MI6-Rekrutierer identifiziert. Das Verfahren gegen Skripal wegen „Hochverrats in Form von Spionage“ wurde 2006 von einem Moskauer Militärgericht in geschlossener Sitzung abgehalten. Die Verkündung der 13-jährigen Haftstrafe nahm er, der mit einer Windjacke in den Farben der russischen Flagge vor dem Richter stand, gelassen entgegen. Die Staatsanwälte forderten eine 15-jährige Haftstrafe, der Richter berücksichtigte jedoch Skripals schlechten Gesundheitszustand sowie die Kooperation mit den Ermittlern. Der FSB argumentierte hingegen, Skripals Verrat habe den russischen Interessen extrem geschadet.

Was hat Skripal im Laufe seiner neunjährigen Tätigkeit als Doppelagent dem britischen Auslandsgeheimdienst MI6 geliefert? Alles, was er konnte. Darunter auch das gesamte Telefon- und Mitarbeiterverzeichnis des GRU. Dadurch enttarnte er dreihundert Agenten. Allerdings war der „Lohn“ für neun Jahre Spionage, zumindest nach dem, was russische Ermittler „ausgraben“ konnten, mehr als bescheiden: gerade mal 100.000 Dollar.

Nach seiner Begnadigung im Juli 2010 durch den russischen Präsidenten Dmitri Medwedew wurde Skripal mit drei weiteren westlichen Spionen gegen zehn in den Vereinigten Staaten vom FBI verhafteten russischen „Schläfern“ ausgetauscht. Skripal beschloss, nach Großbritannien umzusiedeln. Die britische Presse nannte ihn „den Spion mit der Louis Vuitton Tasche“, da er bei Ankunft auf dem Flughafen solcherart Reisenecessaire trug. Nach der Wiedervereinigung mit seiner Frau beschloss er, sich in Salisbury niederzulassen, lebte dort fortan ein ruhiges Leben in dem Häuschen 47 Christie Miller Road, Salisbury SP2 7EN. Das Haus, im März 2011 vom Makler Fox&Sons für 306.880 Euro zum Verkauf angeboten, erwarb er für 295.500 Euro. Heute hat es einen Listenwert von 414.860 Euro. Ungeklärt ist, wer die Kaufsumme für das Haus beglichen hat. Der Judaslohn, den Skripal für seine jahrelange Agentenarbeit erhielt, dürfte wohl dafür nicht gereicht haben. Unklar auch, ob an die „Haus-Gabe“ Gegenleistungen gebunden waren. Von irgendetwas musste Skripal ja in Großbritannien leben; bekam er vom MI6 eine Pension? Wie dem auch sei, die Briten schätzten die Bedrohungslage Skripals als unproblematisch ein, er lebte in seinem Häuschen unter seinem Klarnamen und ohne Schutz. Als er einzog, lud er die gesamte Straße zu einer Willkommensparty ein. Die Nachbarn beschreiben ihn als einen freundlichen Rentner. Die britische Flagge, der Union Jack, habe vor seinem Fenster gehangen, so die Mär.

Untersuchungsfrage: Warum zog Sergej Skripal nach Salisbury?

Ermittlungsergebnis: Offenbar hat er sich nicht zufällig für die Kleinstadt entschieden, schließlich lebt und arbeitet dort auch seine langjähriger Führungsoffizier vom MI6, Pablo Miller. Wurde der einstige Rekrutierer nun zum Aufpasser des abgehalfterten Agenten?

Untersuchungsfrage: Wer ist Pablo Miller?

Ermittlungsergebnis: Der 58-jährige Pablo Miller, Deckname „Antonio Alvarez de Hidalgo“, war bis 2015 Agent des britischen Auslandsgeheimdienstes MI6. Offenbar ein „erfolgreicher“; die Queen dekorierte ihn (https://www.thegazette.co.uk/notice/2348527) am 13. Juni 2015 anlässlich ihres Geburtstages mit dem Order of the British Empire. Offiziell nicht wegen seiner Verdienste als Spion britischer Provenienz, sondern wegen seines „Dienstes in der britischen Außenpolitik“. Millers jahrelange Hauptaufgabe bestand darin, Russen zu rekrutieren, die den Briten freiwillig oder gegen Geld Informationen über ihr Heimatland lieferten.

Miller, der in Oxford Spanisch, moderne Sprachen und Geschichte studierte, hernach in der British Army im Royal Tank Regiment und den Royal Green Jackets diente, ging 1990 ins britische Außenministerium. 1992 nach Nigeria, zuerst Abuja, später Lagos, ab September 1997 dann als Erster Sekretär in die britische Botschaft in Tallin, Estland, von 2010 bis 2013 als Berater in die britische Botschaft in Warschau.

Am 24. März 2000 berichtete die Londoner The Times, der Inlandsgeheimdienst der russischen Föderation (FSB) habe öffentlich erklärt, „Pablo Miller, Erster Sekretär der britischen Botschaft in Tallinn“ sei ein „Diplomat“, der „einen Agenten rekrutierte hatte, der Moskau für den MI6 bespitzelte (…) Der russische Dienst behauptete, Miller war Chef des MI6 in der estnischen Hauptstadt.“ Miller hatte den FSB-Offizier Valery Ojamae angeworben, damals Geschäftsmann, mit dem er sich im Valge Villa Hotel in Tallinn traf und ihm Informationen über den FSB entlockte. Da Moskau auch den estnischen Geheimdienst beschuldigte, mit Ojamae gekungelt zu haben, wurde der ehemalige russische Nachrichtenoffizier 2001 wegen Spionage für Großbritannien und Estland inhaftiert.

Sieben Jahre später, im Juni 2007, teilte der FSB mit, Wjatscheslaw Tscharko – ehemals Major der Steuerpolizei – habe seinen britischen Anwerber identifiziert. Tscharko, der sich freiwillig den russischen Behörden gestellt hatte, lieferte die Namen von vier britischen Geheimdienstlern, enthüllte Orte in Europa, wo geheime Treffen stattfanden, einschließlich Informationen über die ihm übertragenen Aufgaben. „Während der Ermittlungen“, so der FSB, „identifizierte Tscharko den MI6-Agenten Pablo Miller, der zuvor als Verdächtiger in ein Strafverfahren gegen Sergej Skripal verwickelt war und im vergangenen Jahr wegen Spionage für Großbritannien zu 13 Jahren Haft verurteilt wurde“. Tscharko kannte seinen Anwerber unter dem Namen „Paul“: „Das ist eine lange Geschichte (der Rekrutierung), und Boris Beresowski zusammen mit dem verstorbenen Alexander Litwinenko, ein ehemaliger Agent des FSB, spielten die Hauptrollen darin. Sie haben mich dem Agenten des britischen Geheimdienstes vorgestellt.“

Nachdem Moskau Pablo Miller mehrmals als Offizier des britischen Geheimdienstes MI6 dekonspiriert hatte, zog er sich aus  dem „diplomatischen Geschäft“ zurück:  2015 ließ er sich in der ruhigen Kathedralenstadt Salisbury im Südwesten Englands nieder. Tatsächlich ergab die Adressensuche bei HolaConnect, einem britischen TrueCaller für Personenkontaktdaten, am 25. April 2018, dass der „ehemalige Diplomat und Soldat“ Pablo Miller in Salisbury wohnt, dort „gegenwärtig“ als Berater für das britische Außenministerium tätig sei. Zugegeben, die Daten können durchaus nicht den aktuellen Stand widerspiegeln, doch bot Miller im „weltweit größten beruflichen Netzwerk“ LinkedIn ein analoges Profil an: „Aktuell, Berater bei FCO Services.gov.uk. Früher, Counsellor (Political) bei Foreign and Commonwealth Office, Counsellor bei Foreign and Commonwealth Office, Counsellor (Political) bei (….) Ausbildung, University of Oxford, Royal Military Academy, Army School of Languages, Beaconsfield, Junior Division of the Staff.“

Untersuchungsfrage: Haben oder hatten Pablo Miller und Sergej Skripal in Salisbury weiterhin Kontakt?

Ermittlungsergebnis: Ja. Klar ist, dass sich der Ex-Führungsoffizier Miller regelmäßig, mindestens einmal pro Monat, mit seinem ehemaligen Spion Skripal in Salisbury traf; und zwar in der Côte Brasserie, 8 St Thomas’s Square. Mitarbeiter erzählten der Gazette The Sun, wie Skripal und Miller „nahtlos zwischen Russisch und Englisch wechselten und von regelmäßigen Reisen nach Polen zwecks ‚Geschäften‘ sprachen“. Der Kellnerin Dagmara Wieczorak, 34, wurde das einzige bekannte Foto des MI6-Mannes Pablo Miller gezeigt; sie sagte: „Das ist der Engländer im Tweedanzug, der Sergej jeden Monat traf. Ich bin mir sicher.“

Untersuchungsfrage: Gibt es Anhaltspunkte, dass Sergej Skripal weiterhin nachrichten- oder geheimdienstlich tätig war?

Ermittlungsergebnis: Forthwith aka Skripal, so die Financial Times, wurde vom MI6 auch in Salisbury weiterhin „hoch geschätzt“. Es wurde berichtet, Skripal sei nach dem Umzug in die Stadt noch immer für ausländische Nachrichtendienste „nützlich“ gewesen, Ein namentlich nicht genannter Sicherheitsbeamter sagte der Financial Times: „Es gab Interesse von befreundeten ausländischen Diensten, nachdem er infolge des Austausches der Spione freigelassen wurde. Er war für eine begrenzte Zeit nützlich.“

Untersuchungsfrage: Welcher Tätigkeit ging Skripals ehemaliger MI6-Offizier Pablo Miller in Salisbury nach?

Ermittlungsergebnis: Miller war Analyst für die britische Sicherheitsberatung Orbis Business Intelligence. Noch am Dienstag, den 8. März 2018, war in dessen LinkedIn-Profil der Eintrag „senior analyst, Orbis Business Intelligence, Salisbury“ nachzulesen. Laut dem britischen The Telegraph wurde der Eintrag am Mittwoch, den 9. März 2018, also fünf Tage nach dem Attentat auf die Skripals, von fremder Hand gelöscht. Es existiert noch ein Screenshot von einem Google-Eintrag sowie der Hinweis von Boomantribune: „Pablo Miller (OBE) is a senior analyst at Orbis Business Intelligence.“ Weder Orbis Business Intelligence noch der „senior analyst“ Miller wollten das am 9. März 2018 gegenüber The Telegraph kommentieren. Millers Frau sagte dem Blatt, nachdem sie gefragt wurde, ob ihr Mann für Orbis Business Intelligence gearbeitet habe und Oberst Skripal kenne: „Er wird nicht reden.“ Angebliche „Quellen“, die Orbis Business Intelligence „nahe stehen“, verneinten jegliche Verbindung der Firma zu Skripal. Woher die „Quellen“ ihr Wissen haben, bleibt im Dunkeln.

Untersuchungsfrage: Was ist Orbis Business Intelligence?

Ermittlungsergebnis: Am 16. März 2009 gründete der ehemalige MI6-Geheimdienstler Christopher Steele zusammen mit seinem ehemaligen MI6-Kollegen Christopher Parker Burrows, den Herren Simon Ralph Butcher und Nicholas Norton Lawrence Butcher die private Nachrichtenagentur Orbis Business Intelligence, Ltd. mit Sitz in Grosvenor Square Gardens, London. Zweck und Hauptbetätigungsfeld von Orbis Business Intelligence ist ein breitangelegter propagandistischer Großangriff gegen den Staat Russland und seinen Präsidenten Putin in Zusammenarbeit mit britischen und US-amerikanischen Geheimdiensten sowie dem Polit-Etablishment beider Staaten. Zwischen 2014 und 2016 fertigte Steele über 100 Berichte zu russischen und ukrainischen Themen, die den Weg ins Washingtoner Außenministerium fanden, dort von US-Geheimdiensten gelesen, als „glaubwürdig“ betrachtet wurden.

Sogar der englische Fußballverband, offenbar ein abgekartetes Spiel mit den Amerikanern, beauftragte Orbis Business Intelligence seinerzeit mit der Untersuchung der FIFA (International Federation of Association Football) in Sachen Korruption. Noch ehe das FBI im Jahre 2015 den Korruptionsfall gegen die FIFA einleitete, trafen sich Beamte des FBI-Teams Eurasian Organized Crime mit Steele in London. Steele im Brustton der Überzeugung: Russlands Vizepremier Igor Setschin habe den Zuschlag für die Weltmeisterschaften 2018 mittels Bestechung manipuliert.

Steele‘s Orbis Business Intelligence forcierte auch das berüchtigte Projekt Charlemagne, das die angebliche Einmischung Russlands in die Innenpolitik von Frankreich, Italien, Deutschland, der Türkei und dem Vereinigten Königreich behauptete. Im April 2016 resümierte Steele, Russland führe eine Informationskampagne mit dem Ziel der Zerstörung der Europäischen Union.

Orbis Business Intelligence wurde durch seinen in fragwürdige Analysen gepackten Russenhass, gepaart mit frechen Lügen und nicht belastbaren Behauptungen sowie durch seine gesamte Anti-Russland-Strategie, die der politisch und vorsätzlich erzeugten Russophobie, allen voran in Großbritannien und den USA, zusätzlich Nahrung geben soll, kommerziell erfolgreich. Das Unternehmen fuhr bislang rund 20 Millionen Dollar Gewinn ein.

Orbis Business Intelligence und das Trump-Dossier

Die Firma Orbis Business Intelligence erstellte auch das berüchtige 35-seitige Trump-Dossier respektive Steele-Dossier, in dem behauptet wird, Donald Trump soll seinerzeit Prostituierte in Moskau für ungewöhnliche Dienste bezahlt, sein Wahlkampfteam soll im Austausch mit Russland gestanden und er soll versucht haben, zwielichtige Geschäfte in Russland einzufädeln. Das „Dossier“ kam zehn Tage vor der Vereidigung Trumps als US-Präsident an die Öffentlichkeit.

Nach Angaben der New York Times hatte ein wohlhabender „Never Trump“-Republikaner im September 2015 die Washingtoner Recherchefirma Fusion GPS unter Leitung von Glenn Simpson mit der Erstellung des Dokuments beauftragt. Die sollte belastendes Material über den Immobilienmogul Trump sammeln. Nachdem Trump Präsidentschaftskandidat der Republikaner wurde, verlor seine Partei das Interesse. Clinton-Anhänger übernahmen und zahlten für die weitere „Recherche“. Simpson beauftragte schließlich den Briten Christopher Steele mit dem Dossier. Steele, der als ehemaliger Spion nicht unentdeckt in Russland recherchieren konnte, engagierte laut New York Times russisch-sprechende Mitarbeiter, die Informanten kontaktierten. Seine „Erkenntnisse“ schrieb er in Form von Memos auf, leitete die Informationen ab Juni 2016 an Fusion GPS weiter. Der republikanische Senator John McCain bekam Wind von dem Trump-Dossier, schickte einen Vertrauten nach London, der sich mit Steele in dessen Wohnhaus über das Papier austauschte. McCain leitete die Informationen an den FBI-Chef James Comey weiter.

Mehr im zweiten Teil dieser Analyse.

Bildhinweis: MI6 Gebäude, London, UK

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