Linker Gestaltungsauftrag war doch nie grenzenlos

von Roberto De Lapuente.

Sind nun Grenzen links oder rechts? Kann man gar nicht anders, als den Grenzlern der AfD Grenzenlosigkeit entgegenzusetzen? Dabei ist doch das Gegenteil der Fall, Grenzen kennen und aufzeigen: Das war stets Prämisse linken Handels.

Der Parteitag der Linken endete am letzten Sonntag in einer fast grenzenlosen Diskussion darum, ob denn nun das Grenzenlose dringend geboten sei als Programmpunkt einer linken Partei – oder ob nicht richtiger wäre, Grenzen auch als solche anzuerkennen. Kurzum, um die Frage auf einen philosophischen Nenner zu bringen: Ist die Grenze an sich links? Die, die »No Border!« auf ihren Pappschildchen stehen haben, sind sich da ganz sicher: Nein! Denn die Linke muss qua ihres Selbstverständnisses im Dienste der Freiheit unterwegs sein. Eine begrenzte Freiheit sei aber keine Freiheit, daher könne man Grenzen nicht als Auftrag an das linke Spektrum stellen.

Im Grunde machen sich es aber die Vertreter dieser libertären Schule viel zu einfach. Es war doch eigentlich im Gegenteil stets so, dass die politische Linke von jeher um eine Einfriedung grenzenloser Freiheiten bemüht war. Die Liberalen galten in Augen alter Sozialisten als Vertreter einer soften Anarchie. Links zu sein bedeutete von Anfang an, die Freiheiten der Adligen, der Klerikalen und der Bürgerlichen in ein Korsett zu zwängen. Es sollte Grenzen für sie gelten. Sie sollten eben nicht mehr grenzenlos ausbeuten, grenzenlos plündern und grenzenlos in die Gewissen ihrer Schutzbefohlenen hineinpfuschen dürfen – linke Bewegungen wollten gesetzliche Rahmenbedingungen schaffen, den Starken ihre Grenzen aufzeigen.

Die Geschichte der Emanzipation des Menschen, die ja stark mit den Leitbildern der Linken verknüpft war, verstand die Aufhebung des Ancien Régime nicht als Verwirklichung der Grenzenlosigkeit auf Erden, sondern umgekehrt: Es mussten neue Grenzen etabliert, neue Schlagbäume manifestiert werden. Dass man als Unternehmer eben nicht grenzenlos über Mensch und Natur walten konnte wie es einem beliebt, dass konnten nur gesetzte, gesetzliche Grenzen regeln. Der Achtstundentag oder das Verbot der Kinderarbeit: Das sind bewusst eingeforderte Grenzen.

Der Sozialstaat baut folglich auf verschieden erkämpfte, verabschiedete oder juristisch erstrittene Grenzziehungen, die einen ungezügelten Umgang von Unternehmer und Angestellten unterbinden und reglementieren. Er interpretiert in verschiedenen Gesetzesbüchern, bis wo der Zugriff des Dienstherrn gilt und wo er endet – oder wo er sogar illegal oder kriminell wird. Er ist ein Grenzzaun zur zügellosen Grenzenlosigkeit, die eben nicht, wie man das unter Linken heute gerne ein bisschen naiv formuliert, die absolute Freiheit verspricht, sondern das Gegenteil: Er vereitelt den offenen Vollzug in einem Arbeitslager.

Nun gibt es ja nicht nur ideelle Grenzen, wie das postulierte Bewusstsein nach dem Motto »Bis hierhin und nicht weiter!« eine sein mag – es gibt auch materielle Grenzen, fühlbare Schlagbäume und tastbare, ja betastende Grenzkontrollen. Aber auch sie sind ja Ausdruck eines etwaigen Schutzbedürfnisses. Letzteres klingt für linke Ohren heute eher nach Junge Union, deswegen winkt man übermütig ab. Dabei ist aber gerade dieses Wort »Schutzbedürfnis« gar keines, das im Giftschrank der Linken landen sollte. Denn dieses Wort ist die Grundlage jeder linken Politik – stets gewesen. Sie hat sich doch immer als Sachwalterin eines Schutzbedürfnisses betrachtet – und just jetzt gibt sie diesen Eigenanspruch auf?

Was ist nun so verdammenswert am Anspruch der hier lebenden Menschen auf Schutz? Sie sind ja deswegen keine Rassisten, Nationalisten oder Isolationisten. Schon deshalb nicht, weil ein Staatsvolk heute keine einheitliche Nationalität besitzt und die Grenze damit nur sehr bedingt eine Nationalgrenze dem Wortsinn nach darstellt. Sie ist mehr sowas wie die Grenze einer Verwaltungseinheit, durchaus offen für kalkulierte Neuzugänge. Aber auch Barriere für Bandenkriminalität.

Die Einsicht, dass ein wehrhaftes Gemeinwesen nicht auf Dauer als grenzenloses Konstrukt funktioniert, hat auch etwas mit Lebenserfahrung zu tun. Denn im Laufe eines Lebens erlebt man sukzessive eines: Freiheit ist nur sehr selten die Abwesenheit von Grenzen– Freiheit ist meistens allerdings dann garantiert, wenn sie innerhalb bestimmter Grenzen liegt. Wenn man jedoch keine Grenzen setzt, kollidieren die Interessen und die einzige Freiheit, die dann noch bleibt, ist diejenige, sich eine gute Deckung zu suchen.

Insofern ist es schon berechtigt, wenn gerade auch linke Politiker feststellen, dass Grenzen eine staatliche Obliegenheit darstellen. Denn natürlich hat ein Gemeinwesen einen gewissen Anspruch darauf zu erfahren, weshalb sich jemand im Land aufhält. Jedenfalls bis zu einer gewissen Grenze, die man Privatsphäre nennt– auch so eine Grenze, die man sich schwer hat erkämpfen müssen im Laufe der Zeit.

Manche Linke sollten doch bitte nicht so tun, als seien sie die Erfinder der Grenzenlosigkeit. Mit der haben wir jetzt seit Jahrzehnten zu tun. Wohin das führt, erleben wir täglich: Zur Schwächung des Staates, zur Auflösung des politischen Primats. Es kommt darauf an, wie man seine Grenzen gestaltet, nach welchen Kriterien man sie durchlässig macht. Da setzt der Kampf der Linken gegen die Grenzzäune der Rechten ein. Nicht damit, dass man so tut, als könne es im linken Weltbild gar keine Grenzen geben.

Roberto De Lapuente ist Autor des jüngst erschienen Buches „Rechts gewinnt, weil links versagt“ (Westend Verlag 2018) Der gelernte Industriemechaniker betrieb von 2008 bis 2016 den Blog “ad sinistram”. Er ist Mitherausgeber des Weblogs “neulandrebellen”, seit 2012 Kolumnist beim Neuen Deutschland und schreibt seit 2018 regelmäßig für Makroskop. De Lapuente hat eine Tochter und wohnt mit seiner Lebensgefährtin in Frankfurt.

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