Ein kultureller Revierkampf

Kommentar von Susan Bonath.

Im Burka-Streit geht es am allerwenigsten um Frauenrechte.

Krieg tobt auf unserem Planeten. Die Flüchtlingsströme ziehen, Bomben zerfetzen Männer, Frauen, Kinder und Babys. Knapp eine Milliarde Menschen auf der Erde leiden unter akutem Hunger, fast eben so viele haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Auch in der westlichen Welt muss ein immer größerer Teil der Bevölkerung an den protzenden Auslagen der Schaufenster vorbeigehen. Der Überfluss an Waren wird am Ende eher vernichtet, als verteilt. Wie ein schlafender Tiger lauert die Eskalation des Konkurrenzkampfes in westlichen Straßen. Doch in Deutschland, der Wirtschaftsmacht Europas, diskutiert man über ein Burkaverbot. Ja, darf eine Frau in unserer »aufgeklärten« Welt ihren Körper verhüllen?

Mal abgesehen davon, dass die Burka hier praktisch nicht vorkommt, sondern höchstens vereinzelt Frauen im Tschador, manchmal in Verbindung mit einem Niqab (Teilgesichtsschleier) zu sehen sind: Die Betonung liegt auf »darf«. Es geht nicht etwa um »du musst nicht, wenn du nicht willst«. Nicht die Frauen selbst, sondern vor allem alte Männer in politischen Ämtern ermächtigen sich des Themas, verteidigen wie Platzhirsche die westliche Kleiderordnung. Die Frau sei frei, wenn sie sich zeige, inklusive ihres Brustumfanges, ihrer enthaarten Beine, ihres Pos in engen Jeans oder Hotpants und am Badesee gefälligst im Bikini – behaupten sie. Ein wunderbares Männerthema im westlichen Patriarchat: Die Frau als Anschauungsobjekt. Dafür tun auch Werbe-, Kosmetik- und Textilindustrie das Ihrige.

Nicht, dass mich jemand falsch versteht: Natürlich ist es patriarchale Unterdrückung, wenn Männer ihre Ehefrauen und Töchter zwingen, sich von Kopf bis Fuß zu verhüllen, noch dazu bei hochsommerlichen Temperaturen. Es ist auch Unterdrückung, wenn Frauen sich aus Angst vor befürchteten sexuellen Attacken ganzkörperverschleiern. Doch die Debatte verschleiert vor allem, dass – wie es der »Focus« implizieren will – die Frau nicht nur im Islam als sexuelles Objekt betrachtet wird. Auch das christliche Abendland hat entsprechendes zu bieten.

Ist es etwa keine Unterdrückung, wenn besoffene deutsche Männer mies bezahlte Kellnerinnen in der Kneipe, dumme, sexistische Sprüche klopfend, an den Arsch fassen? Wenn künftige Sekretärinnen in Vorstellungsgesprächen in männlich besetzten Personalbüros mit hübschem Gesicht und großen Brüsten die besten Chancen haben? Wenn typische Frauenberufe flächendeckend weitaus schlechter bezahlt werden, als Branchen, die vorwiegend mit Männern besetzt sind? Oder wenn Frauen gegen ihren Willen gezwungen sind, ihre Kinder frühzeitig in Tagesstätten abzugeben, weil ihre Familien ansonsten zum Sozialfall würden?

Worum geht es also, wenn sich weiße Männer, ganz vorne auch jene aus CDU, CSU und AfD, die das »christliche Familienbild« verteidigen – das weit davon entfernt ist, dem weiblichen Geschlecht eine unabhängige, gleichberechtigte Lebensperspektive anzubieten – über verhüllte Frauen auskotzen? Um Terrorgefahr? Vielleicht, weil auch ein Mann unter dem Tschador stecken könnte? Selbst oder gerade die extremistischsten Glaubensfanatiker würden sich wohl nie in Frauenkleider zwängen, nicht einmal für 72 Jungfrauen. Das ist so schwer zu glauben, wie die Floskel, die NATO habe in Afghanistan um der Befreiung der Frau willen »interveniert«.

Es ist noch nicht mal ansatzweise glaubwürdig, dass es in dem »Burka-Streit« überhaupt um die Perspektive von verschleierten Frauen geht. Viel eher liegt männliches Dominanzgehabe in der Luft. Muslimische Männer, die im »aufgeklärten« Westen über ihre Frauen bestimmen und Frauen, die sich dem westlichen Geschlechtsmodell totalverweigern – das geht gar nicht! Wenn, dann wollen bitteschön wir, die deutschen Männer, über hier lebende Frauen bestimmen, darüber, was sie tragen dürfen, wie sich zu präsentieren haben, wie tief der Ausschnitt auf dem Oktoberfest zu sein hat, und so weiter.

Es geht vor allem um eins: Um männliche Deutungshoheit über weibliches Gebaren. Die neoliberale Kontrolle über erwartete Körperperfektionierung ist in Gefahr – und mit ihr ganze, von Männern dominierte, Geschäftszweige. Das Patriarchat ist jedenfalls nicht in Gefahr. Höchstens die kulturelle Einfriedung der Frauen in den Rahmen westlicher Macht. Es geht um das Wie der Unterdrückung. Es geht um Herrschaft. Es geht um fickbare Frauen. Rüden markieren dafür ihr Revier. Menschen auch.

Danke an die Autorin für das Recht zur Veröffentlichung des Artikels.

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