Konfusion und Farce

von Bernhard Trautvetter.

Der Vorstand des Club of Rome mit dreizehn anerkannten Persönlichkeiten warnt im Bericht “Wir sind dran – was wir ändern müssen, wenn wir bleiben wollen” vor einem „Kollaps der globalen Systeme“ (E.U.v. Weizsäcker und Wijkmann mit 32 weiteren Mitgliedern des Clubs, München 2017, S. 11). Sie führen weiter aus: „Wir brauchen einen echten Neuanfang. Aber diesmal halten wir es für notwendig, sich auch mit den philosophischen Wurzeln der schlimmen Weltlage auseinanderzusetzen. Wir müssen die Legitimität des materialistischen Egoismus infrage stellen, welcher ja als wirksamster Antrieb unserer Welt dargestellt wird.“ (S.12) Doch:

Das Weltwirtschaftsforum in Davos und die Verantwortung für die Weltlage

In der Situation kommt Donald Trump, der gerade mehrere Staaten als ‚Dreckslöcher‘ bezeichnet hat und der in einer völkerrechtswidrigen Rede vor der UNO einem Mitgliedsstaat, nämlich Nordkorea, im Atomkonflikt mit „Feuer, Wut und Macht“ gedroht hatte, „wie die Welt es so noch nicht gesehen hat“, zum Weltwirtschaftsforum (WEF) nach Davos.

Am Samstag, dem 13.1.2018 demonstrierten über 1000 Kritiker in Bern gegen das Weltwirtschaftsforum von ca. 2500 KonzernvertreterInnen und führenden PolitikerInnen, sowie Meinungsmachern der Mainstream-Medien u.a. mit dieser Begründung ihres Protests:

„Nachdem Trumps Teilnahme am Weltwirtschaftsforum für Furore und grosses mediales Echo gesorgt hatte, konnten wir heute unsere generelle Kritik am WEF und dem Kapitalismus als Ganzes anbringen.
Das Weltwirtschaftsforum versucht, sich als Plattform für konstruktive Lösungen globaler Probleme darzustellen. Es ist und bleibt jedoch ein Treffen für die Diskussion einer neoliberalen Agenda. Angeblich sollen Probleme wie Fluchtbewegungen, die Unterdrückung der Frau*, die Krise der Demokratie oder der wachsende Nationalismus diskutiert werden. Ein Blick auf das Treffen offenbart: Die Teilnehmenden sind jene, die für diese Probleme selbst verantwortlich sind.
Während Menschen durch Landraub oder Umweltzerstörung zur Flucht gezwungen werden, sitzen Unternehmen, Institutionen und Staaten, die damit Gewinne erzielen, gemeinsam in Davos. Firmen, die Waffen und Technik für Kriege produzieren, können sich ungestört mit Vertreter*Innen von Staaten austauschen, während Millionen Menschen vor Krieg und Elend fliehen. Am WEF stehen nicht die Menschen im Vordergrund, sondern der Profit.“

2016 sprach der Spiegel bezüglich der Atmosphäre beim Weltwirtschaftsforum von ‚Weltuntergangsstimmung‘.

Das Weltwirtschaftsforum 2018 in Davos formuliert in seinem Titel-Text vor dem Zusammentreffen hunderter führender Weltfirmen-Vertreter/innen (platform for the world’s 1,000 leading companies) dieses Jahres “Wir leben in zunehmend gespaltenen (divided) Gesellschaften, in denen sich die sozialen Beziehungen, Vereinbarungen und Verträge (contracts)  auflösen.” Diese Worte Minouche Shafiks, London School of Economics, lauten im englischen Original: “We live in increasingly divided societies, in which the social contracts that bind us are fraying”. Die Einladung zum Weltwirtschaftsforum umfasst den Satz: „Die globale bürgerliche Klasse kann sich nicht schützen und heilen.“  [Übersetz.: B.T.]

Die Münchner SiKo und die Unsicherheit

Dazu passt eine wachsende Nervosität bei der im Februar anstehenden Münchner Sicherheitskonferenz und bei anderen Foren der herrschenden Klasse.

Die Sicherheitskonferenz 2015 lud mit einem Text über den Zerfall der internationalen Ordnung ein: “Zentrale Themen …  werden der Zerfall der internationalen Ordnung, die Zukunft der europäischen Sicherheitsarchitektur angesichts der Ukraine-Krise, die dramatische Situation der Flüchtlinge in vielen Teilen der Welt und die sich verschärfende Lage im Nahen und Mittleren Osten sein.” 2016 titelte der Bayrische Rundfunk bei seinem Bericht von der Sicherheitskonferenz „Die neue Weltunordnung“.

In der Situation fällt den Herrschenden nichts besseres ein, als Aufrüstung in großem Stil zu empfehlen. Das ist mehr von dem, was die Menschheit an den Abgrund treibt.

Vom 16. bis zum 18. Februar 2018 tagen im Nobelhotel Bayrischer Hof 450 hochrangige hohe Militärs, Waffenfabrikanten, KapitalvertreterInnen und politische Führungskräfte des Westens auf der als beste “Think Tank-Conference” ausgezeichneten Münchner Sicherheitskonferenz (MSC). Das  nach eigener Darstellung zentrale globale “Forum für die Debatte sicherheitspolitischer Themen” für die Debatte über “sicherheitspolitische Herausforderungen” hat auf ihrer Twitter-Website einen Link zur Site der Eurasiagroup, auf der es unter ‘Top Risiken’ heißt: “Liberale Demokratien haben eine geringere Legitimität als jemals zuvor seit dem 2. Weltkrieg…” [Übersetzung: B.T.]

Das Ineinandergreifen existenzieller Krisen

Die Ratlosigkeit der Krisenmanager des Weltkapitals korrespondiert mit den Krisen, die auch aufgrund ihrer gegenseitigen Durchdringung außer Kontrolle zu geraten drohen:

Die Weltklimakonferenzen, der Zerfall ganzer Weltregionen zwischen dem Golf, Libyen, der Ukraine und Südsudan, die Konflikte über die Atomrüstung und die weiterexistierenden Risiken des Banken- und Weltfinanzsystems und die Existenzkrise des Parteiensystems – all diese Krisenprozesse unserer Epoche steigern die Gefahr, dass die Krisenmanager zu Kurzschluss-Reaktionen greifen. Das wiederum ruft die Gegenkräfte- die Friedensbewegung und ihre Partner- in eine ganz neue Verantwortung.

Der “Guardian weekly 2017-2018” titelt passend mit dem Aufmacher “Das Zeitalter der Konfusion”. Im Text finden wir diese Gründe für die Wahl dieses Titels: “Viele vorher schon existierende Konflikte und Probleme bestanden 2017 fort oder haben sich verschlimmert … Dieses Jahr brachte humanitäre Desaster, ob menschengemacht oder nicht. Krieg, Hungersnot, … Hurrikane,… Trump stieg aus dem Paris Abkommen zum Klimawandel aus …”   Die ökologischen Gefahren können dieses Jahrhundert weit größere Ausmaße erlangen, als die öffentliche Diskussion bisher zutage brachte: Wenn z.B. trotz aller Zweifel sogenannter ‘Klimaskeptiker’ wie Donald Trump, der Anstieg der globalen Luft- und Meerwassertemperaturen auf menschengemachte Verbrennungsabgase zurückgeführt wird, wenn es in der Folge zu weiterem Rückgang des auf Land befindlichen Eises kommt, dann steigert das die sogar auch nuklearen Bedrohungen für das Leben, selbst ohne Krieg, da Atomkraftwerke Unmengen an Kühlwasser benötigen, um nicht in einem Gau zu havarieren. Viele AKWs befinden sich wegen ihres enormen Wasserbedarfs in Küstennähe, binnen-AKWs können Kühlprobleme bekommen und die Wasserversorgung gefährden, wenn Trockenheitsperioden so lange dauern, dass die Pegel großer Ströme stark absinken.

Das US-Militär hat globale, soziale und ökologische Gefahren im Zusammenhang mit dem Klimawandel spätestens seit 2003 erkannt und warnt u.a. vor ökonomischen Krisen und internationalen Spannungen, die die Militärs seiner Einschätzung nach in ihr Kalkül mit einbeziehen müssten.

Der Zerfall von internationalen und nationalen Ordnungen und staatlichen Systemen ist weder rein ökologisch noch rein militärisch zu erklären.

Zu den Zusammenhängen haben die Hamburger Behörde für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung, die Akademie der Wissenschaften in Hamburg, die Universität Hamburg und die Körber-Stiftung im November 2017 eine Konferenz abgehalten. Zu den Fragestellungen gehörte: “Zerfällt der Kapitalismus und was folgt daraus? Wie stehen sich Weltmarkt und neue Nationalismen gegenüber – kommt der Freihandel an ein Ende?”

In der Weltwirtschaftskrise der Jahre ab ca. 2008 kursierte auch in den bürgerlichen Medien die Überlegung, ob Marx mit seiner Analyse und Kritik am System des Kapitalismus nicht doch Recht hatte. Man findet dazu im Internet Texte aus den Mainstream-Medien, darunter die FAZ und das Handelsblatt.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung sieht Marx zwar grundsätzlich nicht bestätigt, aber auch bei diesem Leitmedium des Großkapitals schleicht sich die Ungewissheit fast unmerklich ein: “Bankenkrise, Rezession, das Weltfinanzsystem am Abgrund – hat Karl Marx vielleicht doch recht mit seiner Vorhersage, der Kapitalismus müsse an seinen inneren Widersprüchen zugrundegehen? Tatsächlich erwartete er sogar, dass dies noch zu seinen Lebzeiten geschehen werde. Das war nicht der Fall. Marx starb 1883 im Alter von 65 Jahren in London. Gleichwohl scheinen ihm die jüngsten Ereignisse doch eine späte Bestätigung zu verschaffen.”

Im Handelsblatt heißt es: “Jedes Wirtschaftsmodell, das die Ungleichheit nicht in angemessener Weise in Angriff nimmt, gerät irgendwann in eine Legitimitätskrise. Reagieren wir nicht, nehmen die Proteste an Schwere zu, und die gesellschaftliche und politische Instabilität wird Wachstum und Wohlstand schwächen.”

Hilflose Vorbeugung

In Zeiten der Gefährdung lenkt die herrschende Klasse mit einer Personalisierung der Probleme von den System-bedingten Ursachen der Krise ab. Das System, von dem sie profitiert, soll nicht infrage gestellt werden.

Die Frage, wie die Herrschenden sich auf diese Situation einstellen, betrifft die Vorbeugung und mögliche Reaktionen auf Unruhen, wie sie z.B. G8-und G20- Gipfel begleiten, oder in den Banlieues Frankreichs oder den Unruhen junger Menschen in britischen Großstädten von 2011, zu denen die ZEIT am 11.08.2011 schrieb: “Digitale Kommunikation ist eine Waffe im Aufstand gegen Despoten wie auch im Aufstand gegen die westlichen Demokratien, insofern diese der jüngeren Generation gleichfalls keine Zukunftsperspektive mehr bieten.”

Digitale Kommunikationsinstrumente sind zugleich Mittel, möglichst viele Menschen mit Tittytainment zu unterhalten – in anderen Worten unten zu halten: mit einer Mischung aus Grundversorgung und einem Fernsehanschluss soll dafür gesorgt werden, dass die nicht mehr in der Güterproduktion gebrauchten Millionenmassen ruhig gestellt werden und dass sie so die gesellschaftliche Ordnung nicht mit Aufständen untergraben.

John Lennon hat die Methode Tittytainment in ‘Working Class Hero’ so in den Zusammenhang der Herrschaftsinstrumente gebracht: “Sobald Du geboren bist, machen sie Dich klein, indem sie Dir keine Zeit geben… bis der Schmerz so groß ist, dass Du nichts spürst. … Sie hassen Dich, wenn Du klug bist und sie verachten den Narr. … Wenn Du nicht funktionieren kannst, bist Du voller Angst,… sie halten Dich im Rausch mit Religion, Sex und TV.” [Übersetzung: B.T.]

Das geschieht von Seiten der Herrschenden systematischer, als es gemeinhin bekannt ist; so hat das einflussreiche Magazin ‘Behördenspiegel’ 2014 eine Konferenz zum Thema “Krisenkommunikation, Massenpsychologie und Crowdmanagement” durchgeführt, in der es in der Tat auch um solche Fragen ging: “…wie kann man sich evtl. präparieren, damit es erst gar nicht zu Krisensituationen kommt? Sind Menschenmengen überhaupt lenkbar und wenn ja, wie kann das praktisch geschehen?”

Dies sind auch Probleme, denen sich die Nato gegenüber sieht. Auf ihrer Konferenz des Joint Air Power Competence Centre (JAPCC) zum Thema “Strategische Kommunikation” 2015 in Essen beklagten die Militärs: “Einheiten, die der Nato gegenüber feindlich eingestellt sind, verstehen, dass die öffentliche Meinung und das Wissen der Öffentlichkeit verletzlich sind.”   [Übersetzung: B.T.] Die Reaktion der Nato muss nach Auffassung der Militärs [pdf Seite 48] “… die Narrative der Nato-Opponenten aggressiv herausfordern…”.

Zu den Mitteln, die eigene Legitimitätskrise anzugehen zählt neben den verschiedenen Instrumenten des Überwachungsstaates und der direkten Repression auch die Methode, Kritiker zu delegitimieren. Man kann von der Sache, um die es geht, etwa vom System dadurch ablenken, dass man auf die persönliche Ebene übergeht.

Aufgabe und Verantwortung alternativer Kräfte 

Engagierte Kräfte in alternativen Spektren sind logischerweise dann einflussreicher, wenn sie die Synergie gemeinsamer inhaltlicher Schnittmengen und Aktivitäten in den Vordergrund stellen. Die Menschenrechte als Bezugsrahmen dafür formuliert u.a. der Text “Für einen humanistischen Grundkonsens” – Ausschnitt: “Wer auf den Friedensbühnen sprechen möchte, sollte auch außerhalb der Bühne den Weg des Frieden gehen.”

Kräfte, die diesen Bezugsrahmen bewusst oder ohne Absicht aufzuweichen versuchen, können aus den unterschiedlichsten Bezügen heraus aktiv werden.

Die Aufgabe der Friedensbewegung und anderen alternativen Bewegungen besteht darin, das Verbindende in den Vordergrund zu stellen, wie kompliziert auch immer die Bündnis-Konstellationen sein mögen. Gegner der Friedensbewegung, die etwa Antisemitismus dann als gegeben sehen, wenn engagierte Kräfte die Regierung Israels kritisieren, verdienen keine Beachtung, wer derartige Diffamierungen aufgreift, ebenfalls nicht.

Es geht bei allem Tun der alternativen Kräfte darum, sich nicht beirren zu lassen.

Die Gegner der Nazis haben sich in der Endphase der Weimarer Republik gegenseitig bekämpft und so ihre Niederlage mit möglich gemacht. Die KPD trat der SPD mit dem Vorwurf entgegen, sie seien Sozialfaschisten, Wegbereiter des Faschismus…

Sozialdemokraten gingen mit teils tödlicher Repression gegen eine 1. Mai-Demonstration 1929 von Arbeitern vor. Erst in den Konzentrationslagern erkannten die Gegner der Nazis ihren Fehler. Das darf sich in der Ära der Konfusion nicht in anderer Form wiederholen.

Marx sagte: “Hegel bemerkte irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.”

Eine solche “Farce” darf sich nicht wiederholen.

Die Verantwortung der Friedens- und alternativen Kräfte im Atomzeitalter ist groß. Die Aufgabe, das Leben zu gestalten, ist so attraktiv, dass Erfolg damit beginnt, dass das Engagement Sinn macht.

Dazu gibt es hier schon einmal diese Terminangaben:

1. FRIEDEN STATT AUFRÜSTUNG – NEIN ZUM KRIEG!

Während im Februar in München die 54. Konferenz unter dem Titel “Sicherheit” stattfindet: Samstag 17. Februar 2018.

2. Die Ostermärsche werden hier angekündigt.

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