Klassenkrieg

Sozialabbau, Lohndrückerei und zunehmende Entrechtung sind Teil des globalen imperialistischen Wirtschaftskrieges. Der hat Europa und Deutschland längst erreicht. Abgrenzung vom Elend hilft uns nicht.

Ein Kommentar von Susan Bonath.

Anhaltende Proteste und Streiks in Frankreich, Demonstrationen in Belgien, Portugal, Griechenland: Die »Sparpolitik« der Eliten in Europa gegen die Lohnabhängigen geht weiter und treibt immer mehr Betroffene auf die Straßen. Auch brennende Mülltonnen künden von der Wut der Massen. Die Polizei greift durch, Pflastersteine beantwortet sie mit noch mehr Tränengas und Knüppeln. Es droht zu eskalieren.

Was geschieht? Die Regierungen drosseln Gehälter, Sozialleistungen und Altersbezüge, heben das Renteneintrittsalter an, lassen Arbeitsrechte in den Tiefen der Geschichte verschwinden – auch in Deutschland. Den Betroffenen verkaufen sie ihre Gewalt als Notwendigkeit, gespickt mit Faulheitsdebatten und »Arme sind selbst schuld«-Parolen, während sie die Inhalte der Sozialtöpfe in ihre eigenen Taschen umverteilen. Glauben kann das nur, wer fälschlicherweise glaubt, eine Ökonomie funktioniere wie Oma Elses Portemonnaie.

Bedenken wir jedoch, dass wir heute mit immer geringerem Einsatz von menschlicher Arbeitskraft so viel produzieren wie nie zuvor. Alleine in den letzten zehn Jahren stieg das weltweite Bruttoinlandsprodukt um fast 60 Prozent auf 75 Billionen US-Dollar im Jahr 2015.

Das zeigt: Jedes Gesetz zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit ist angesichts der fortschreitenden Automatisierung eine Irrfahrt, ein Mittel für massive Verschärfung der Ausbeutung, pure Knechtung großer Massen inmitten sich zunehmend zu Monopolen akkumulierenden Kapitals. Die einen sollen schuften bis zum Umfallen, um den Reichtum weniger Nutznießer zu mehren. Die anderen, mittels Propaganda als minderwertig deklariert, lässt man buchstäblich in der Gosse verrecken.

Für ein williges Heer an Niedriglöhnern sorgen repressive Gängelungsgesetze, wie Hartz IV oder das von der Bundesregierung kürzlich auf den Weg gebrachte »Integrationsgesetz«. Beide sind nichts anderes als ein Sammelsurium schwarzpädagogischer Drangsalierungen. Sie sagen dem kleinen Arbeiter: Halt die Fresse! Denn wenn du aufmuckst, bekommt ein billigerer Sklave deinen Job.

Resultat: Die Entlassung wächst. Den Arbeitern geht jede Verhandlungsfreiheit verloren. Die Position der Gewerkschaften, inzwischen zu staatsbürokratischen Verwaltungsapparaten mutiert, ist schon lange im Eimer. Das Konkurrenzverhalten der unteren Schichten treibt neuen Höhepunkten entgegen.

Ja, der Krieg der Besitzenden gegen die Lohnabhängigen ist in vollem Gange. Die Slums sind längst in Europa angekommen, auch – wer hätte das vor 25 Jahren gedacht – in deutschen Großstädten. Mitten unter uns gefährden wachsende Elendsgesellschaften den sozialen Frieden. Es ist vorbei mit kleinen heilen Welten in verkehrsberuhigten, begrünten Reihenhaussiedlungen. Kein Ökobauer, kein Reformhaus, kein Biogetreide wird uns aus dieser Misere befreien.

Die Misere ist nicht der mangelnde Ökosprit. Die Misere ist der Supersprit der Eliten für immer schnellere Umverteilung in ihre Taschen. Immer schneller und effektiver füllen sie ihn in die Tanks dieser Welt. Ihr Supersprit heißt Aneignung, Eroberung, Kontrolle, Repressionen.

Das Problem ist so global, wie der imperiale Krieg der Reichen um die ökonomische Vorherrschaft. Es potenziert sich mit schwindender Solidarität der vielen Millionen kleinen Konkurrenten um Jobs, Wohnungen, Anerkennung und die vage Chance »aufzusteigen«.

Keine Frage: Der Verteilungskampf wird härter. Er zeigt sich nicht nur als Mobbing am Arbeitsplatz. Nicht nur in Form von Schlangen vor Leiharbeitsfirmen und Tafeln, nicht nur als Pegida und in einer fanatischen Anhängerschar ebenso neoliberaler wie brauner Parteigurus. Er zeigt sich auch in stiller Verachtung, mit denen wir bettelnden Romas und kampierenden Obdachlosen auf den Straßen begegnen. Er zeigt sich in mangelnder Empörung über Hartz-IV-Verschärfungen, über paternalistische Erziehungsgesetze für Geflüchtete und angedachte Komplettverweigerung von Sozialhilfe für arbeitslose EU-Migranten.

Eigentlich müssten wir wütend sein, weil die Eliten die Auswirkungen ihrer Politik nicht selbst bezahlen. Auch dafür schöpfen sie ungeniert von denen ab, die an den Fließbändern stehen, Klos putzen oder Kinder, Alte und Kranke pflegen. Zusätzlich. Denn der von Arbeitern produzierte »Mehrwert« lagert längst auf ihren, nicht auf unseren Konten.

Aber wir blicken – heimlich oder offen – verächtlich nach unten. Der »selbst Schuld«-Komplex ist fest verankert. Wir haben kein Verständnis dafür, wenn wie am Wochenende in Berlin, 50 Roma am Mahnmal für eine halbe Million Ermordete Sinti und Roma gegen drohende Massenabschiebungen protestieren. Obwohl man doch weiß, dass diese Familien auch in Serbien oder Mazedonien in Slums hausen müssen, und dort so wenig Chancen auf einen Arbeitsplatz haben, wie jeder von uns auf einen Sechser im Lotto. Und dass diese Familien sich seit Generationen auf ihr Überleben im Elend ganz notgedrungen fixiert haben. Dort gelten nicht die Regeln gutgenährter Wohlstandsbürger.

Solange sich die Verhältnisse nicht ändern, werden auch verarmte Roma, Bulgaren, Serben, Griechen, Spanier, Rumänen, … nicht alles auf eine Karte setzen. Einen Job kann man verlieren. Die Familie bleibt. Es ist sicherer, wenn der eine Schrott sammelt und verkauft, andere betteln oder schwarzarbeiten. Und wenn es nicht reicht, kommen Prostitution und Diebstahl eben hinzu. Es geht ums Überleben. Natürlich wird dafür, wenn möglich, die eine oder andere Sozialleistung mitgenommen. Natürlich gehen Betroffene mit ihren Familien dorthin, wo der meiste Wohlstandsabfall produziert wird, wo sie ihren Familienverband sicher haben. Auf keinen Fall vereinzeln lassen. So leben die Menschen in allen Slums dieser Erde. Denn sie wissen: Am Ende hilft ihnen kein Staat, kein Gesetz, keine Partei dieser Welt.

Die Verhältnisse sind es, die wir ändern müssen. Um das zu schaffen, reicht es nicht, sich mit der von Absturz bedrohten Mittelschicht zu solidarisieren. Wir müssen jeden bettelnden Roma, jeden afrikanischen Flüchtling, jede asylsuchende muslimische Familie, jeden migrierten Osteuropäer, jeden deutschen Obdachlosen mit ins Boot holen. Keiner von uns ist wertvoller als eine bettelnde Familie in einem Slum in Berlin Mitte, Duisburg-Marxloh oder Frankfurt-Gutleutviertel. Jedes hungernde Kind in Somalia, jede Textilarbeiterin in Bangladesch, jede bulgarische Prostituierte auf dem Straßenstrich, jede muslimische Familie in einem türkischen Flüchtlingscamp hat auch mit uns zu tun. Sie sind ein Teil unserer verdrängten Wirklichkeit, die früher oder später noch rabiater als jetzt auf uns einprasseln wird.

Und: Auch wir sind Kriegsflüchtlinge. Wir flüchten vor ökonomischen Verwerfungen in Billigjobs oder hinter unsere Schreibtische, die uns – noch – ein monatliches Einkommen sichern. Unsere Flucht wird aber nicht dazu führen, dass die Eliten den Krieg gegen unsere Klasse beenden.

 

Danke an die Autorin für das Recht zur Veröffentlichung des Artikels.

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